Allgemeine Panik (eBook)

Roman | Die Schattenseiten Hollywoods der 50er-Jahre erzählt von dem Großmeister der Kriminalliteratur

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
400 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2660-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Allgemeine Panik -  James Ellroy
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'Das Fegefeuer ist selten so unterhaltsam.' Financial Times Ein Leben wie das von Freddy Otash kann nur an einem einzigen Ort enden: im Fegefeuer. Dort sitzt er, den im Los Angeles der 50er-Jahre jeder kannte, seit nunmehr 28 Jahren. Seine Karriere füllt mehrere Leben, sein Leben mehrere Bücher: Marine im Zweiten Weltkrieg, Polizist beim LAPD, Privatdetektiv, Zuhälter, Betrüger, schließlich Kopf des Schundmagazins CONFIDENTIAL, das all den Schmutz der amerikanischen Prominenz - von Marilyn Monroe über James Dean, Richard Burton bis hin zu Liz Taylor - mit größtem Vergnügen am Skandal an die Oberfläche zerrte und der Öffentlichkeit zum Fraß vorwarf. Aber jetzt will er da endlich raus, und dazu muss er die Wahrheit sagen, und so ruft er seinen himmlischen Peinigern zu: »Baby, it's time to CONFESS.«

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1981 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1981 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.

BEREITSCHAFTSRAUM RAUBDEZERNAT
LAPD Detective Bureau
City Hall
04. 02. 49


Das bin ich, 1949. Wie man so schön sagt: ein ganzer Kerl. Scharmant scharfe Schnallen schnackselnd, gelegentlich sogar drei aufs Mal.

Gut aussehend und gut bestückt. Reinrassiger Libanese – ein Kameltreiberabkömmling, wie’s im Buche steht. Ehemaliger Marine. Truppen auf Parris Island für Saipan drillend, schlau genug, nicht selber mitzukämpfen. Ende ’45 zum LAPD gekommen. Wo ich die Sache mit dem Schmiergeld wie geschmiiiiiiiert kapierte.

Ich organisierte einen auf 459er spezialisierten Einbrecherring. Der auf dem Gebiet meiner Streifenpatrouillen in der Innenstadt tätig war. Meine Leute raubten Pfandleihen aus und Apotheken, die Narkotika schwarz vertickten. Sie schnappten sich Bares und Stoff. Sie zogen nachts um zwei Uhr los. Ich war ihr Schurken-Polizeihauptmann.

Ich war schon immer korrupt und bin der Bestechung stets gerne erlegen. Das ist nun mal mein existenzielles Schicksal. Ich entstamme einer rechtschaffenen Familie aus dem Hinterland von Massachusetts. Mami und Papi haben mich geliebt. Niemand ist mir an der Wiege zu nahe getreten. Ich habe den persönlichen Ehrenkodex eines schneidigen Kerls. Es gibt Dinge, die ich tue, und Dinge, die ich nicht tue. Ein schmaler Grat, von dem ich am 04. 02. 49 böse abgestürzt bin.

Ich stand gerade vor dem großen Flurspiegel. Ich kämmte meine Haare und rückte mir die Krawatte zurecht. Meine Uniform hatte mir Sy Devore auf den Leib geschneidert. Im Bereitschaftsraum war ordentlich was looooos. An der 9th Street, Ecke Figueroa, war es soeben zu einer Schießerei gekommen.

Zwei Verletzte. Ein Verkehrspolizist, ein Räuber. Der Bulle kämpft um sein Leben. Der Räuber hat nur ein paar Kratzer abbekommen. Beide Männer befinden sich zurzeit im Polizeikrankenhaus an der Georgia Street.

Noch.

Der Bereitschaftsraum war laut. Die Telefone klingelten unablässig. Der Krach ging mir auf die Nerven. Mörderisches Gemurmel mit Lynchmob-Einschlag.

Ich hörte schwere Schritte. Die Schnapsfahne warf mich fast um.

»Wenn du dich genügend bewundert hast, hab ich dir was mitzuteilen.«

Ich wandte mich um. Vor mir stand Harry Fremont, ein Bulle vom Raubdezernat. Harry hatte einen miesen Ruf. Während der Zoot-Suit-Unruhen mit den Mexikaner-Streetgangs hatte er zwei Pachucos zu Tode getrampelt. Er fungierte als Zuhälter zweier Transen-Nutten, die in einer Transen-Bar anschafften. Und war schon mittags schwer betrunken.

»Yeah, Harry?«

»Mach dich nützlich, Junge. In der Georgia Street wird ein Bullen-Killer festgehalten. Chief Horrall meint, dass du dich der Sache annehmen solltest.«

»Welcher Sache?«, sagte ich. »Der Bulle, den er angeschossen hat, ist nicht tot.«

Harry rollte mit den Augen. Er drückte mir ein Schlüsseletui in die Hand. »4-A-32. Steht auf dem Parkplatz des Diensthabenden. Unter dem Hintersitz nachsehen.«

Ich kapierte. Harry sah mich an und nickte. Jeeetzt hat er kapiert. Er zwinkerte mir zu und ließ mich stehen.

Ich stützte mich an der Wand ab und stellte mich aufrecht hin. Der Lynchmord-Auftrag machte mir zu schaffen. Ich schwankte durchs Bereitschaftszimmer und schlafwandelte die Treppen hinunter. Ich erreichte die Garage.

Ich fand den Parkplatz des Diensthabenden. Die 4-A-32. Der Schlüssel passte ins Zündschloss. Die Garage war dunkel. Die Rohre an der Decke waren undicht. Wassertropfen nahmen eigenartige Farben an und verformten sich seltsam.

Ich gab Gas und bog in die Spring Street ein. Ich fuhr ausgesprochen laaaaaangsam. Der Räuber wurde im Gefangenentrakt des Krankenhauses festgehalten. Die Überstellungsnummer war abgekartet. Das ist jetzt dreiundvierzig Jahre her. Und die Vorgänge von damals sind mir immer noch in Sündemaskop und Mehr-Kanal-Raumklang ins Gedächtnis gebrannt. Ich kann die Gesichter der Passanten auf der Straße immer noch sehen.

Da steht es. Das Georgia Street Receiving Hospital.

Die Krankenstation für Gefangene war auf der Nordseite. Das Krankenhaus für die Braven im Süden. Zwischen den Gebäuden verlief ein schmaler Weg. Mir fuhr es durch Mark und Bein:

Die haben gewusst, dass du’s tun wirst. Die kennen deine Kragenweite.

Ich griff unter den Hintersitz. Ich holte die Überstellungspapiere für einen gewissen Ralph Mitchell Horvath heraus. Ich bekam einen kurzläufigen .32er zu fassen.

Ich steckte den Revolver in die vordere Hosentasche und schnappte mir die Papiere. Ich stieg aus dem Schlitten. Ich ging über den Weg zur Gefangenen-Krankenstation.

Der Mann hinter dem Tresen gehörte zum Police Department. Er wies mit den Augen auf einen Tunichtgut, der mit Handschellen an einer Abwasserleitung festgemacht war. Der Tunichtgut trug eine Hemdjacke und unten aufgeschlitzte Khaki-Hosen. Sein linker Arm war geschient. Er hatte Akne-Narben und Schanker-Blasen im Gesicht. Er sah aus wie ein Narki. Er wirkte frech und trotzig.

Der Mann hinter dem Tresen fuhr sich mit der Hand über die Gurgel. Ich reichte ihm die Papiere, löste die Handschellen von der Leitung und legte sie dem Tunichtgut neu an. Der Mann hinter dem Tresen sagte: »Gute Reise, Süßer.«

Ich schubste den Tunichtgut nach draußen und wies auf den Pfad. Er ging mir voran. Ich hatte kein Gefühl mehr in den Füßen. Ich hatte kein Gefühl mehr in den Beinen. Mein Herz hämmerte wie verrückt. Meine Arme und Beine waren wie abgestorben.

Keine verräterischen Fenster. Keine Passanten auf der Georgia Street. Keine Zeugen.

Ich holte die Waffe aus der Tasche und feuerte in die Luft. Der Rückstoß schoss mir Leben in Arme und Beine zurück. Mein Herzschlag stieg auf 200.

Der Tunichtgut drehte sich blitzschnell um. Er bewegte die Lippen. Er brachte nur ein Quieken zustande. Ich zog meinen Dienstrevolver und schoss ihm in den Mund. Seine Zähne explodierten. Er stürzte zu Boden. Ich drückte ihm die Belastungswaffe in die Rechte.

Er hatte versucht, »Bitte« zu sagen. Ein Traum, den ich immer wieder träume. Die Einzelheiten schwanken und schwinden. Das »Bitte« bleibt. Ich bin am Leben. Er nicht. Auf diese schlichte, schlimme Wahrheit läuft es jedes Mal hinaus.

Der Bulle überlebte. Er hatte einen glatten Durchschuss abbekommen. Eine Woche später war er wieder im Dienst.

Rohe Rachsucht. Im Rückblick irrig und überhastet. Ein Sprung in meiner Seelenschüssel. Harry Freemont gab bekannt: Der Otash-Junge ist koscher. Chief C. B. Horrall schickte mir eine Flasche Old Crow. Ein paar Monate später schmiss ihn eine Grand Jury raus. Die Verwicklung in einen Callgirl-Ring brachte ihn zu Fall. Ein Interims-Chief wurde eingesetzt.

Ralph Mitchell Horvath: 1918–1949. Autodieb/Räuber/Exhibitionist. Auf Yellow Jackets und Billigwein stehend.

Ralphie hinterließ eine Witwe und zwei Kinder. Ich habe mein schlechtes Gewissen mit Bußgeldzahlungen beschwichtigt. Mit Geldüberweisungen. Einmal im Monat. Gefälschte Unterschrift. Alles anonym. Man denke – Ralphie war tot, ich nicht.

Erinnerungen. ’49 stehe ich in Saft und Blüte. ’92 pfeife ich auf dem letzten Loch.

Ich verkroch mich in meiner Bleibe. Hing den ganzen Labor Day herum. Und erging mich im Gedenken an meine Schönen, meine Scharfen und meine Entschwundenen.

Ich blätterte meine Sammelalben durch. Die alten Fotos brachten mich in Wallung. Ich stehe neben Frank, Dino und Sammy. Ich habe mich für sie abgestrampelt. Sie ließen mich im Regen stehen. Viele Bilder von meinem Bett in der alten Wohnung. Das ich den »Landestreifen« nannte. Damals war ich Mr. Flotter-Dreier. Ich trieb es mit Stewardessen, mit Starlets und mit Stars. Liz Taylor und ich feierten mehrere Lenden-strapazierende Liebesfeste mit einer Mieze namens »Barb«. Bilder meiner großen Liebe Joi Lansing, mit der es nicht geklappt hatte. Bilder meiner wahren Liebe Lois Nettleton. Was war ich jung und kregel. Aaaahhhh – das scheiß-unergründlich-süße Mysterium des Lebens!!!!!

Da liegen mein Wörterbuch und mein Thesaurus. Die Lehrmittel meiner arglistigen Confidential-Autoren. Stabreime und fantasievolle Schimpfnamen nutzen. Homosexuelle sind »Wiener-Winsler«. Lesben »Macho-Maiden«. Alkis »Schluck-Spechte« und »Schnaps-Schmachter«. Vulgarisieren und vitalisieren. Eine waaahnsinnige populäre Sprachform schaffen. Und sie aufs Sündigste zum Siiiiiingen bringen.

Am Labor Day haben mich meine Kumpel besucht. Wir haben Burger gegrillt und gehörig was getrunken. Sie gingen um zwei Uhr früh. Eine ganze Kompanie Krankenpfleger karrte sie zu ihren Limousinen. Rollatoren kippten, Sauerstoffflaschen purzelten und rollten. Wahrhaftig nicht leicht zu ertragen, Daddy-O.

Ich machte mir’s bequem und zog mir eine Dragnet-Wiederholung rein. Bei vier Alkohol-am-Steuer-Klagen von Jack Webb hatte ich den Richter bestochen. Außerdem habe ich Jacks Ex bestiegen, den grandiosen Gesangsstar Julie London. Sie sagte, ich hätte den Größten und Besten.

Mein spätnächtlicher Snack bestand aus ein paar Famous-Amos-Keksen. Ich hatte die Episode schon mal gesehen. Sergeant Friday nimmt ein paar Hippie-Tunichtgute fest. Jack fehlt mir sehr. Was haben wir zusammen gelacht. Er starb – wann war das...

Erscheint lt. Verlag 27.5.2022
Übersetzer Stephen Tree
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 50er Jahre • Boulevard • FBI • Fegefeuer • Freddy Otash • Ganove • Geständnis • Hollywood • James Dean • kennedy • L.A. • L.A. Confidential • LAPD • Liz Taylor • Los Angeles • Mafia • Marilyn Monroe • Noir • Privatdetektiv • Sex • Verbrechen
ISBN-10 3-8437-2660-4 / 3843726604
ISBN-13 978-3-8437-2660-3 / 9783843726603
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