Endstation Leichenschauhaus (eBook)

Geschichten aus L.A. | Reportagen, Autobiografisches und Kurzprosa vom Großmeister der Kriminalliteratur

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
496 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2728-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Endstation Leichenschauhaus -  James Ellroy
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'Ich liebe es, über die amerikanische Geschichte nachzudenken, über die Geschichte L.A.s nachzudenken. Ich liebe es, über Verbrechen zu brüten.' James Ellroy In drei Novellen sowie Kurzgeschichten und Artikeln richtet James Ellroy sein Spotlight auf L.A. Einiges ist erfunden, aber einiges erscheint so wahr, daß es als Beweis vor Gericht durchgehen könnte. Ellroy schreibt über seinen Vater, die Todesstrafe, die Justiz und die Opfer von vierzig Jahre zurückliegenden Verbrechen.

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1981 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1981 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.

Mit den Eiern zur Wand


Boxen ist:

ein blutiger Kampfsport, entschärft und mit vielen Regeln versehen. Ein Hahnenkampf für Ästheten und Weichlinge.

Boxen ist eine Welt für sich. Boxen ist eine Verlockung für Wettsüchtige. Boxen zieht Autoren in seinen Bann und bringt sie zum Schwärmen.

Boxen bildet Testosteron. Boxen nimmt die Eier in Anspruch. Boxen versehrt und zwingt zur Sinnsuche.

Mexikanisches Boxen ist:

Boxen in Reinkultur. Boxen mit Todesverachtung. Boxen in Großbuchstaben.

Mexikanisches Boxen ist Machismo hoch zwei. Mexikanisches Boxen strotzt vor Mannesstolz. Mexikanisches Boxen bedeutet, dass man für die Liebe stirbt und dafür lebt, den Kumpeln zu imponieren und ihnen den Meister zu zeigen.

Vegas-Boxen ist:

Halbwelt-Pracht. Das Westminster des Westens. Gewichtsklassen-Champions als Supermänner.

Vegas-Boxen ist Rom zum zweiten. Gladiatoren unterhalten großkotzige Spieler. Imperiale Gauner beuten muskulöse Maxi-Männer aus und streichen deren Verdienst ein.

Mir kam zu Ohren:

Erik Morales boxt Marco Antonio Barrera.

Juniorfedergewicht. Titelkampf. Vegas.

Ich musste hin.

Ich liebe Boxen. Seit Langem.

1955 ließen sich meine Eltern scheiden. An den Wochenenden bekam mich mein Vater. Wir igelten uns ein. Wir schauten uns Boxkämpfe an.

Wir hatten eine Glotze mit runder Röhre. Wir verputzten Cheez-Whiz-Käsecreme. Mein Vater stand auf Rasse und »Herz«.

Am liebsten hatte er weiße Boxer. Dann kamen die Mexikaner. Zuletzt die Neger.

Herz war wichtiger als Rasse. Herz hob Rasse auf. Herz machte Mexikaner zu Weißen.

»Mexikaner« waren alle Lateinamerikaner. Mexikaner waren einige Italiener. Ein Mexikaner war der kubanische Neger Kid Gavilan.

Mein Vater brachte Rasse und Geografie durcheinander. Er war ein Wasp – ein weißer, angelsächsischer Protestant. Er kam nach L.A. und lernte Spanisch. Er glaubte ans Schmelztopf-Prinzip. Er wusste, dass die Weißen den Laden schmissen. Er wusste, dass die Braunen reinwollten.

Was ihm recht war. Wenn sie den Gegnern zu seiner Zufriedenheit Saures gaben.

Rasse. Herz. Mein frühes Bildungserlebnis.

Ich wohnte in L.A. Ich schaute mir TV-Boxkämpfe an. Ich schaute mir Kämpfe in echt an.

Im Olympic. Im Hollywood Legion Stadium.

Rauch. Deckenlichter. Bier und zertrampelte Erdnüsse.

Mein Vater nahm mich mit. Wir saßen unter Mexikanern. Wir schauten zu, wie Mexikaner drei Rassen verdroschen.

Mein Vater verwandelte sich. Mein Vater gestikulierte wild. Mein Vater wurde zum Mexikaner.

Er sprach mit Mexikanern. Er schlug sie auf den Rücken. Er übersetzte für mich.

Männerschnack. Mein frühes Bildungserlebnis.

Kopfjäger. Such den Körper. Dräng ihn in die Ecke.

Pendejo. Cojones. Maricon.

Mein Vater unterteilte die Mexikaner. Illegale Einwanderer waren für ihn wetbacks – die mit dem nassen Hemd auf dem Rücken.

Wetbacks hatten Herz. Sie durchschwammen den Rio Grande. Sie suchten trabajo.

Sie mühten sich ab. Sie arbeiteten hart. Sie wollten sein wie die Weißen.

Pachucos waren Lumpen. Pachucos hatten kein Herz.

Sie ölten ihr Haar. Sie vermehrten sich wie Karnickel. Sie hatten Springmesser mit.

Sie stachen Polizisten ab. Sie rauchten Marihuana. Sie spuckten auf die Weißen.

Ich traf zwei mexikanische Jungs. Reyes und Danny. Sie kamen aus Tijuana.

Sie hatten Boxkämpfe in Tijuana gesehen. Sie hatten die Sexshow gesehen. Sie lieben Art Aragon und Lauro Salas.

Wir rauchten Marihuana. Ich war zehn Jahre alt.

Mir wurde schwindelig. Ich schlug in die Luft wie ein maricon. Meine Mutter starb. Ich zog auf Dauer zu meinem Vater. Wir schauten uns Boxkämpfe an. Wir verschlangen Fertigmahlzeiten.

05.12.58:

Weltergewicht. Titelkampf. Don Jordan gegen Virgil »Honeybear« Akins.

Jordan gewinnt. Jordan ist ein dominikanischer negrito.

Er ist ein Mulatte. Mein Vater steht auf ihn. Mein Vater ernennt ihn zum Mexikaner.

Er ist geisteskrank. Er war als Kind ein gedungener Mörder. Er hat mit zehn Jahren Männer getötet. Er hat dreißig Männer im Monat getötet.

Mexikaner waren Killer. Sagte mein Vater. Mein Vater sprach Spanisch. Mein Vater hatte die Sexshow gesehen. Mein Vater kannte sich aus.

10.12.58:

Halbschwergewicht. Titelkampf. Archie Moore gegen Yvon Durelle.

Das Jüngste Gericht. Moore gewinnt. Moore ist ein Neger. Durelle kommt aus Quebec.

Mein Vater stuft Moore herauf. Moore wird Mexikaner. Mein Vater stuft Durelle herab. Durelle wird Mexikaner.

Durelle »schluckt Leder«. Durelle »führt mit dem Gesicht«.

27.05.60:

Weltergewicht. Titelkampf. Jordan verliert gegen Benny »Kid« Paret.

Paret ist ein kubanischer Neger. Mein Vater hasst ihn. Mein Vater identifiziert die Rasse richtig.

24.03.62:

Weltergewicht. Titelkampf. Paret gegen Emile Griffith.

Griffith ist ein Neger. Griffith kommt von den Inseln. Griffith drischt auf Paret ein.

Paret stirbt.

Parer hatte sich das Maul über Griffith zerrissen. Paret hatte ihn als Schwuchtel bezeichnet.

Sexualhass. Rache. Mein frühes Bildungserlebnis.

Ich ging zu Boxkämpfen. Ich schaute mir TV-Kämpfe an. Ich las Boxmagazine.

Ich lebte immer noch in L.A. Ich fuhr herum. Die Rassentrennung behagte mir.

Die Neger wohnten im Süden. Die Mexikaner wohnten im Osten. Die Weißen wohnten überall.

Den Negern ging es um Bürgerrechte. Den Mexikanern um Streit und persönliche Ehre.

Mexikaner waren klein. Mexikaner bewegten sich schnell. Mexikaner waren stoisch und auftrumpfend.

Mexikaner wollten nach oben. Mexikaner waren ehrgeizig. Mexikaner wussten, dass der Weiße El Jefe war.

Mexikaner hockten mit Weißen zusammen. Sie waren durch gemeinsame Vorlieben verbunden. Und entwickelten eine gemeinsame Sprache.

Chili con carne. Una cerveza, por favor. Und jetzt einen Leberhaken.

Ich mexikanisierte. Ich mexikanisierte mit Wasp-typischer Umsicht.

Ich trug Sir-Guy-Hemden. Ich provozierte Kämpfe mit kleineren Jungs. Mit gemischten Ergebnissen.

Mir fehlte der Schlag. Mir fehlte das Geschick. Mir fehlte die Geschwindigkeit. Mir fehlte das Herz.

Das hatte Folgen. Meine Niederlagen waren beschämend. Meine Siege erbärmlich.

Sommer 64.

Ich war sechzehn. Ich war 1,88 m lang. Ich wog gut 54 kg. Mein Vater meinte, ich sei der Champion der Klopapier-Klasse.

Ich forderte meinen Kumpel Kenny Rudd heraus.

Sechs Runden. Mit Handschuhen. Im Richard-Burns-Park.

Sekundanten in der Ecke. Schiri, Fünf-Dollar-Börse.

Ich hatte Höhe. Ich hatte Distanz. Rudd hatte Herz. Rudd hatte Schnelligkeit und Kraft.

Rudd gab mir Saures. Rudd kämpfte mit nacktem Oberkörper. Ich trug ein Sir-Guy-Hemd.

Mein Vater wurde krank. Er musste ins Krankenhaus. Er wurde mit einem Mexikaner zusammengelegt.

Sie fachsimpelten übers Boxen. Ich brachte ihnen Käse-Enchiladas.

Mein Vater starb. Der Mexikaner wurde gesund.

Ich wohnte allein. Ich schaute mir TV-Kämpfe an. Ich ging ins Olympic.

Ich sah Little Red Lopez. Ich sah Bobby Chacon. Ich sah sechs Millionen Typen namens Sanchez und Martinez.

Ich saß am Ring. Ich bekam die Blutspritzer ab. Ich schluckte Schorf.

Ich saß im obersten Rang. Ich teilte Pissbecher mit Joses und Humbertos. Die gegen schwachsinnige Schiri-Entscheidungen protestierten. Indem sie Pappbecher mit Pisse schmissen. Sie tränkten es den Puto-Offiziellen ein.

Ich zog einige dusselige Nummern ab. Ich geriet in Schwierigkeiten. Ich machte Umwege und zahlte.

Ich saß im County Jail. Ich fachsimpelte mit üblen Juans und wilden Ramons übers Boxen. Ich kämpfte gegen einen mexikanischen Transi namens Peaches.

Peaches begrapschte mein Knie. Ich schubste ihn weg. Ich ahmte Benny »Kid« Paret nach. Ich bezeichnete ihn als maricon.

Peaches schlug mich zusammen. Gefängniswärter rissen ihn von mir weg. Insassen dreier Rassen kicherten.

Ich dachte über meine Niederlage nach. Ich gelangte zu einer Einsicht.

Die Bestimmung des mexikanischen Boxens besteht darin, den weißen Schwächlingen dieser Welt die Spaltung von Geist und Körper zu vermitteln.

Mexikanisches Boxen ist Knochenarbeit. Mexikanisches Boxen ist inspiriert.

Es ist wild übertrieben. Es ist herkömmliches Boxen auf Nahdistanz transponiert.

Angreifen. Druck machen. In die Ecke drängen. Dem Gegner mit dem eigenen Kampfesmut den Schneid abkaufen.

Der Gegner wird bedrängt. Kopftreffer der Rechten werden ausgependelt. Um mit linken Körperhaken zu kontern.

Man provoziert den Schlagabtausch. Man geht auf Nahdistanz.

Man steckt ein, um auszuteilen. Man gibt die eigenen Überlebenschancen preis. Man steckt weg. Man hält den Schmerz aus. Man hält den Schmerz aus, um den Gegner zu ermüden und seine Deckungslücken ausnutzen zu können. Man hält den Schmerz aus, um zu zeigen, was für ein toller Kerl man ist.

In der Verzweiflung geht man in den Clinch. Man weicht zurück, wenn man betäubt ist oder das Bewusstsein zu verlieren droht. Man kämpft...

Erscheint lt. Verlag 31.3.2022
Übersetzer Stephen Tree
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Amerika • Cold Case • Erzählung • Kalifornien • Krimi • L.A. • Los Angeles • Mädchen • Mord • Mörder • Noir • Reportage • Skandal • True Crime • Verbrechen • wahr • Wahre Kriminalfälle
ISBN-10 3-8437-2728-7 / 3843727287
ISBN-13 978-3-8437-2728-0 / 9783843727280
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