»Spätzchen, 109 ist doch kein Alter« (eBook)
240 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2710-5 (ISBN)
Anja Flieda Fritzsche hat rheinländische Wurzeln und ist in Rosenheim aufgewachsen. Sie ist als selbstständige Künstlerin und Grafik-Designerin tätig und arbeitet für Lifestyle-, und Modemagazine. Mit Mann, Hund und Traktor lebt sie am Münchner Stadtrand.
Anja Flieda Fritzsche hat rheinländische Wurzeln und ist in Rosenheim aufgewachsen. Sie ist als selbstständige Künstlerin und Grafik-Designerin tätig und gestaltete InStyle, BRAVO und andere Magazine. Mit Mann, Hund und Traktor lebt sie am Münchener Stadtrand.
Jahr 2017
Oma Maria (107) und Oma Mia (100)
Wie kommt man zu einem Verlag?
2017 habe ich mit Oma Maria eine Facebook-Seite aufgebaut. Das kam daher, dass ich vorher die ein oder andere Geschichte mit ihr auf meiner Facebook-Seite gepostet hatte, was sehr großen Anklang fand. Oma Maria war davon hellauf begeistert und an der neuen Technik sehr interessiert. Und damit war die Idee geboren, mit ihr einen eigenen Internetauftritt zu machen, unter dem Namen: »Was macht eine 107-Jährige heute?« Das haben dann diverse Medien entdeckt und waren von Oma Maria fasziniert. So ist auch meine Buchlektorin auf uns aufmerksam geworden. Als Erstes werden wir von ihr nach Berlin in den Verlag eingeladen, um sich näher kennenzulernen. Sehr zur Freude von Oma Maria, denn das heißt: Wir verreisen wieder. Und als Mama davon erfährt, möchte sie natürlich auch mitfahren. Praktischerweise wohnt Oma Mias Sohn René (mein Onkel) auch in Berlin, weshalb aus dem geplanten »Geschäftstermin« ein einmonatiger Urlaub für die Seniorentruppe in Berlin und Brandenburg wird.
Mein Vater kutschiert seine drei Ladys (meine beiden Omas und meine Mutter) inklusive Rollator und einem Dutzend Koffern in seinem Kleinwagen Richtung Norden. Sie kommen in einem niedlichen Mietappartement mit Garten unter, wo sie sich nach und nach einleben und ihre »Ferien« genießen. Alle freuen sich, als ich drei Wochen später nachkomme und für eine Woche bleibe. Zu fünft ins kleine Auto gequetscht, fahren wir also heute los in Richtung Verlag. Papa, inzwischen auch schon 75, grauhaarig, schlank, fit und immer einen praktischen Spruch auf den Lippen wie »Sprechenden Menschen ist immer zu helfen«, fährt seine Damen entspannt über das Berliner Land.
Mama, 73, schlank, ganz lange silbergraue Haare mit Pony, einem großen Helfersyndrom und einer Vorliebe für Pralinen (keiner weiß, wo sie diese allerdings hinsteckt), sitzt neben ihm und versucht noch, mit einem traditionellen Faltstadtplan den Weg zu beschreiben. Ich sitze hinten zwischen beiden Omas.
Oma Maria, 107, rechts von mir: klein, kuschelige Figur, färbt seit 40 Jahren ihre Pagenfrisur blond und sitzt nie still. Sie fragt ständig, wann wir denn endlich da seien. Oma Mia, 100, links von mir sitzend, kurze silbergraue Haare, mit einer großen Neugierde für alles und jeden, hat ständig Hunger und leidet leider schon seit zwei Jahren an zunehmender Demenz. Sie versteht kein Wort von dem, was im Auto geredet wird.
Am Stadtrand von Berlin fragt Oma Mia plötzlich über meinen Kopf hinweg laut Oma Maria: »Maria, wie alt bist du denn jetzt?«
Oma Maria: »Ich glaube, 107, aber in dem Alter weiß man das ja nie so genau.«
Oma Mia: »Du muss doch wissen, wie alt de bis?«
Oma Maria: »Wie alt bist du denn?«
Oma Mia: »Dat musse Ute fragen, dat weiß ich doch nich!«
Das ist die Logik meiner Alzheimer-Oma Mia oder »Omma«, wie ich sie auch gerne nenne. Ruhrpottsch halt. Ich bin übrigens »das Anja-Spätzchen« und in den Augen meiner beiden Omas immer noch um die 25 Jahre alt. Ich habe noch einen älteren und einen jüngeren Bruder und lebe mit meinem Verlobten Nick zusammen. Da wir keine Kinder haben, habe ich auch so viel Zeit für die Omas.
Ich bin der Typ Mensch, der versucht, es jedem recht zu machen. Wo ich helfen kann, springe ich ein. Es ist allerdings nicht immer leicht, die Zeit zwischen meinem Partner, meinem Job als selbstständige Kommunikations-Designerin und meinen beiden Omas gerecht aufzuteilen. Besonders dann, wenn beide gleichzeitig auf mich einreden. Wie jetzt im Auto. Oma Mia vergisst dank ihrer Demenz leider immer wieder ihr Hörgerät, weshalb sie jetzt Oma Maria so schlecht versteht. Also helfe ich nach und wiederhole ständig Oma Marias Sätze. Papa sage ich parallel den Weg, was eigentlich ganz gut auch ohne Navi funktioniert. Bis zu dem Zeitpunkt, als er die richtige Ausfahrt verpasst, da wirklich alle durcheinandersprechen.
Anja: »Okay, so kommen wir auf keinen Fall pünktlich beim Verlag an.« Ich zücke mein Handy und mache das Navi an – laut, sehr laut, also maximale Lautstärke.
Oma Mia: »Wer spricht denn da? Lauter!«
Anja: »Omma, sei jetzt bitte leise! Das ist das Navi. Es sagt uns den Weg.«
Oma Maria: »Will die auch zum Verlag? Hihi!«
Oma Mia: »Mit wem telefonierst du?«
Anja: »Das ist das Handy!«
Oma Mia: »Dat weiß ich auch. Wer is dat denn am Telefon?«
Anja: »Omma, das ist ein automatisches Ich-erkläre-dir-den-Weg-weil-ich-ein-Computer-beziehungsweise-ein-ich-weiß-alles-Gerät-bin.«
Ute: »Mach doch mal lauter, bitte.«
Jochen: »Nein, steck dein Handy doch gleich hier vorne ein.«
Oma Maria: »Jetzt versteh ich sie nicht mehr. Macht nichts. – Spätzchen, kuck mal! Was ist das rechts für ein Gebäude?«
Oma Mia: »Wat sacht die jetz?«
Jochen: »War das jetzt die richtige Ausfahrt?«
Ute: »Gibst du mir bitte die Wasserflasche?«
Anja: »Ich glaube, du bist wieder zu weit gefahren, Papa!«
Oma Mia: »Ich hab auch Durst.«
Oma Maria: »Also, wenn ihr die Flasche schon offen habt: Ich würde auch ein Schlückchen nehmen.«
Anja: »Ruuuuuuuhe! So kommen wir nie an! Die nächsten 20 Minuten wird jetzt nix mehr gesprochen!«
Jochen: »Mäuslein, aber sprechenden Menschen ist …«
Anja: »Papa! Nein! Sprechenden Menschen ist in diesem Fall nicht mehr zu helfen!« Erstaunlicherweise hört ab jetzt alles auf mein Kommando beziehungsweise auf das von Frau Navi.
Endlich trudelt die Seniorengruppe beim Verlagshaus ein. Uns erwartet ein herzlicher Empfang von den dortigen Mitarbeiterinnen bei sonnigstem Wetter. Nach der freundlichen Begrüßung werden wir alle zusammen in einen hellen Besprechungsraum geführt, in dem sich jeder von uns einen Sitzplatz am langen Konferenztisch sucht. Während Oma Maria der Lektorin und ihren Kolleginnen ihr erstaunliches Leben schildert, isst Oma Mia heimlich ein Plätzchen nach dem anderen. Praktischerweise steht der Keksteller ja auch genau in ihrer Nähe. Das bemerkt vorerst leider keiner, denn jeder lässt sich von Oma Marias Lebensfreude anstecken und ist ganz fasziniert von ihren Geschichten über ihr mittlerweile 107 Jahre andauerndes Leben.
Oma Maria: »Leider ist meine große Liebe Erwin im Krieg verstorben, und ich musste dann meine beiden kleinen Jungs allein großziehen.«
Lektorin: »Und wie haben Sie das geschafft?«
Oma Maria: »Ich habe glücklicherweise einen Holländer kennengelernt; bei ihm konnten wir auf seinem Schiff wohnen.«
Jochen: »Für uns Kinder war das damals das Schönste überhaupt. Wir sind jeden Tag mit dem Kutter den Rhein rauf und runter geschippert und haben an Deck gespielt, obwohl wir nicht schwimmen konnten!«
Oma Mia isst wieder einen Keks. Normalerweise werden
ihre Essensrationen von Mama immer genau über den Tag eingeteilt; sie hat das fest im Blick. Zu viel darf sie nämlich nicht essen, denn sie vergisst ja immer wieder, dass sie schon gegessen hat, und das führt meistens zu keinem guten Ende.
Oma Maria: »Das war eine wunderschöne Zeit. Nur wollte der Holländer dann eines Tages nicht mehr auf seinem Schiff wohnen, sondern aufs niederländische Festland ziehen. Dann hätte ich meine beiden Kinder in Holland aufwachsen lassen müssen. Das wollte ich nicht. Außerdem musste ich mich zusätzlich um meine Mutter kümmern, weil mein Vater gestorben war. Also habe ich mich schweren Herzens von ihm getrennt und bin zu meiner Mutter nach Essen gezogen.«
Jochen: »Aber die Liebe zu Käse ist geblieben.«
Oma Mias Vorliebe für Kekse ist nun auch fast nicht mehr zu übersehen: Der Teller wird immer leerer.
Lektorin: »Möchte noch jemand eine Tasse Kaffee? Ach, und die Kekse müssen wir auch wieder auffüllen. Einen Moment.« Oma Mia lächelt nur glücklich.
Lektorin: »Und wie sind Sie dann nach Bayern gekommen?«
Oma Maria: »Mein Sohn Jochen hatte sich als Bauleiter dahin versetzen lassen.«
Lektorin, an meinen Vater gewandt: »Ach, Sie sind Architekt?«
Jochen: »Ich bin Bauingenieur. Sei schlau, lern auf
dem Bau. Sei nicht dumm, kehr vorher um. Was ich aber nicht gemacht habe. Der Job in Bayern war toll.«
Oma Maria: »Und nachdem meine Mutter dann kurz vor ihrem 100. Geburtstag gestorben war, hat mich Jochen zu sich nach Bayern geholt. Dort war damals aber noch nicht viel los. Da führten sie ja gerade erst den aufrechten Gang ein.«
Oma Mia hat es inzwischen geschafft, auch den zweiten Keksteller still und leise allein zu leeren. Oh, oh … denke ich, als ich das bemerke. Nach dem Kaffeetrinken erhalten wir noch eine kleine Führung durch das Verlagshaus, und kurz nach Mittag sitzen alle glücklich zusammengequetscht wieder im Auto. Wir wollen gerade losfahren, als …
Jochen: »Was riecht denn hier so komisch?«
Ute: »Oh, das ist bestimmt Mammis Windel.«...
Erscheint lt. Verlag | 30.6.2022 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | 100 • 30jährige • 30-Jährige • Alter • Altersweisheit • Anekdoten • Enkelin • Enkeltochter • Erinnerungen • Familie • Generation • Generationen • Hohes Alter • Humor • Hundertjährige • Lebensfreude • Lebensmut • Nachtcreme • Spaß • Witz • Witziges Sachbuch |
ISBN-10 | 3-8437-2710-4 / 3843727104 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2710-5 / 9783843727105 |
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