Die Aspern-Schriften (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
192 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-31149-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Aspern-Schriften -  Henry James
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Leise gleitet seine Gondel durch den einsamen Kanal, bis sich vor dem jungen Literaten der mächtige Palazzo erhebt. Hinter den rissigen Mauern düsterer Grandezza lebt eine strenge Dame, einst die Geliebte des verstorbenen Dichters Jeffrey Aspern. Im Besitz der unnahbaren Frau vermutet der junge Mann einen literarischen Schatz: die Liebesbriefe des berühmten Dichters. Doch um an die wertvollen Schriften zu gelangen, muss er das Vertrauen der Signora und ihrer eigenwilligen Nichte gewinnen - um jeden Preis. Ein venezianischer Sommer voller Abgründe, der das Leben der drei ungleichen Gestalten für immer verändert.

Henry James, geboren 1843 in New York, entstammte einer intellektuellen und wohlhabenden Familie. Nach Abbruch des Jura-Studiums an der Harvard University widmete er sich der Literatur und studierte in New York, London, Paris, Bologna, Bonn und Genf. Nach ausgiebigen Reisen und längerem Aufenthalt in Paris wurde er 1876 in London sesshaft, schrieb für zahlreiche Zeitschriften und gab im selben Jahr sein Romandebüt, welchem viele Werke folgten. Er starb 1916 in London. Bis heute gilt er als Meister der psychologischen Erzählungen.

Henry James, geboren 1843 in New York, entstammte einer intellektuellen und wohlhabenden Familie. Nach Abbruch des Jura-Studiums an der Harvard University widmete er sich der Literatur und studierte in New York, London, Paris, Bologna, Bonn und Genf. Nach ausgiebigen Reisen und längerem Aufenthalt in Paris wurde er 1876 in London sesshaft, schrieb für zahlreiche Zeitschriften und gab im selben Jahr sein Romandebüt, welchem viele Werke folgten. Er starb 1916 in London. Bis heute gilt er als Meister der psychologischen Erzählungen.

1


Ich hatte Mrs Prest ins Vertrauen gezogen; ohne sie wäre ich wohl kaum einen Schritt vorangekommen, denn die wahrhaft Erfolg versprechende Idee in der ganzen Angelegenheit stammte aus ihrem wohlwollenden Munde. Sie war es, die den zündenden Einfall hatte und den gordischen Knoten löste. Es soll ja für Frauen nicht gerade leicht sein, sich eine großzügige und freie Sicht der Dinge anzueignen, zumal solcher Dinge, die unbedingt erledigt werden müssen. Doch manchmal schütteln sie einen kühnen Plan – zu dem ein Mann sich niemals aufgeschwungen hätte – mit unvergleichlicher Gelassenheit aus dem Ärmel. »Bringen Sie sie ganz einfach dazu, Sie als Untermieter bei sich aufzunehmen« – ich glaube nicht, dass ich ohne ihre Hilfe auf solch eine Idee gekommen wäre. Ich schlich vielmehr wie die Katze um den heißen Brei, wollte besonders findig sein und zerbrach mir darüber den Kopf, mit welchen Winkelzügen ich ihre Bekanntschaft machen könnte, und da kam sie mit diesem trefflichen Vorschlag, dass der erste Schritt, mit ihnen Bekanntschaft zu schließen, sein müsste, zunächst ihr Mitbewohner zu werden. Was sie über die Damen Bordereau wusste, ging kaum über meinen Kenntnisstand hinaus, vielmehr hatte ich aus England ein paar eindeutige Fakten mitgebracht, die ihr neu waren. Jahrzehnte zuvor habe man den Namen der Damen mit einem der berühmtesten Namen des Jahrhunderts in Verbindung gebracht, und heute lebten sie zurückgezogen in Venedig, lebten von äußerst bescheidenen Mitteln, ohne je Besuch zu empfangen, und unnahbar in einem abgelegenen und halb verfallenen alten Palazzo: So lässt sich der Eindruck meiner Freundin von den Damen zusammenfassen. Sie selbst hatte sich vor anderthalb Jahrzehnten in Venedig niedergelassen und dort eine Menge Gutes getan; doch in den Kreis ihrer Wohltaten waren die beiden scheuen, rätselhaften und, wie man grundlos vermutete, kaum gesellschaftsfähigen Amerikanerinnen – von denen man annahm, sie hätten im Laufe ihres langen Exils alle nationalen Eigenarten eingebüßt, zumal sie, wie ihr Name erkennen ließ, auf eine eher weitläufige französische Abstammung zurückblickten – niemals aufgenommen worden, und ihrerseits hatten sie niemals um einen Gefallen gebeten und wünschten keine Aufmerksamkeit. In den ersten Jahren ihres Aufenthalts in Venedig hatte sie einen Versuch unternommen, mit den beiden Kontakt aufzunehmen, doch dies war ihr nur mit der Kleinen gelungen, wie meine Freundin die Nichte nannte; allerdings stellte ich etwas später fest, dass sie in Zentimetern die größere war. Mrs Prest hatte erfahren, dass Miss Bordereau krank war, und da sie annahm, sie wäre bedürftig, war sie zu dem Haus gegangen, um ihre Hilfe anzubieten, damit sie sich keine Vorwürfe zu machen hätte, falls dort Leid herrschte, insbesondere amerikanisches Leid. Die »Kleine« hatte sie in der großen, aber kalten venezianischen sala mit ihrem verblichenen Glanz empfangen, in dem mit Marmorfußboden und einer düsteren Balkendecke ausgestatteten Empfangssaal des Hauses, und sie hatte ihr nicht einmal einen Platz angeboten. Das hörte sich für mich nicht sehr ermutigend an, der ich mich doch so schnell wie möglich niederlassen wollte, und in diesem Sinne äußerte ich mich gegenüber Mrs Prest. Scharfsinnig gab sie mir zur Antwort: »Aber nein, da ist doch ein großer Unterschied: Ich ging dorthin, um einen Gefallen zu erweisen, und Sie wollen um einen bitten. Wenn die beiden stolz sind, dann sind Sie in der richtigen Position.« Dann bot sie mir an, mir zunächst einmal das Haus der Damen zu zeigen – mich in ihrer Gondel dorthin zu begleiten. Ich verriet ihr, dass ich es mir bereits ein halbes Dutzend Mal angeschaut hätte; dennoch nahm ich ihr Angebot an, denn es schien mir verlockend, mich in der Nähe des Ortes aufzuhalten. Schon am Tag nach meiner Ankunft in Venedig war ich dorthin gefahren – jener Freund in England, dem ich zuverlässige Informationen darüber verdankte, dass die Papiere sich im Besitz der Damen befänden, hatte mir den Weg im Voraus beschrieben – und hatte das Gebäude mit Blicken belagert, während ich meinen Schlachtplan durchdachte. Jeffrey Aspern war, soweit ich wusste, niemals in dem Haus gewesen, doch ein ferner Nachhall seiner Stimme schien sich dort noch in der Luft zu halten wie eine allumfassende Vermutung, die im »sterbenden Fall« erlischt.

Mrs Prest wusste nichts von den Papieren, interessierte sich aber für den Grund meiner Neugierde, wie sie immer an den Freuden und Leiden ihrer Freunde Anteil nahm. Als wir dann aber in ihre Gondel stiegen und unter dem Sonnendach nebeneinander dahinglitten, durch das Schiebefenster zu beiden Seiten das strahlende Venedig als gerahmtes Bild im Blick, erkannte ich, wie sehr mein Eifer sie belustigte und dass sie mein Interesse an meiner in Aussicht stehenden Beute für einen vorbildlichen Fall von Monomanie hielt. »Man könnte meinen, Sie erhofften sich davon die Antwort auf das Geheimnis des Universums«, sagte sie. Ich hatte dieser Anschuldigung nur entgegenzuhalten, dass ich für den Fall, ich hätte zwischen dieser so erstrebenswerten Lösung und einem Bündel mit Jeffrey Asperns Briefen zu wählen, sehr wohl wüsste, welches für mich der größere Segen wäre. Sie nahm sich sogar heraus, seine Begabung unbedeutend zu nennen, und ich gab mir keinerlei Mühe, ihn zu verteidigen. Seinen Gott verteidigt man nicht: Jemandes Gott ist eine Verteidigung an sich. Darüber hinaus steht er heute, nachdem er vergleichsweise lange ein Schattendasein geführt hat, ganz hoch und für alle Welt sichtbar an unserem literarischen Himmel; er ist ein Teil des Lichts, in dem wir uns bewegen. Zu ihr sagte ich nur, dass er sicherlich kein Dichter für Frauen gewesen sei; worauf sie recht treffend zurückgab, dass er es zumindest für Miss Bordereau gewesen sei. Für mich war es eine unglaubliche Überraschung gewesen, in England herauszufinden, dass sie noch am Leben war: Es war, als hätte man mir eröffnet, Mrs Siddons lebte noch, oder Königin Caroline oder die berühmte Lady Hamilton, denn es war mir so vorgekommen, als gehörte sie einer solchen ausgestorbenen Generation an. »Aber sie muss doch unglaublich alt sein – mindestens hundert«, hatte ich erwidert. Doch als ich die vorhandenen Daten in Augenschein nahm, sah ich es nicht als zwingend geboten an, dass sie die übliche Lebensspanne schon weit überschritten haben müsste. Sicherlich befand sie sich in einem ehrwürdigen Alter, und ihre Beziehung mit Jeffrey Aspern hatte sich in einer Zeit abgespielt, als sie eine junge Frau war. »Damit entschuldigt sie sich«, sagte Mrs Prest ein wenig gouvernantenhaft und doch auch mit dem Unterton, als wäre sie beschämt, Worte im Munde zu führen, die so gar nicht zur Tonlage Venedigs passen wollten. Als brauchte eine Frau eine Entschuldigung dafür, den göttlichen Dichter geliebt zu haben! Er war nicht nur einer der glänzendsten Köpfe seiner Zeit gewesen – und in jenen Jahren, als das Jahrhundert noch jung war, hatte es, wie jedermann weiß, viele davon gegeben –, sondern auch einer der seelenvollsten und einer der bestaussehenden Männer.

Die Nichte verfügte Mrs Prest zufolge über ein weniger ehrwürdiges Alter, und es wurde die Vermutung geäußert, dass sie eher eine Großnichte war. Durchaus möglich; ich hatte nichts weiter zur Verfügung als das äußerst begrenzte Wissen aus der Hand meines englischen Freundes John Cumnor, eines ebenso leidenschaftlichen Aspern-Verehrers wie ich, der die beiden Frauen nie zu Gesicht bekommen hatte. Die Welt hatte, wie ich zu sagen pflege, Jeffrey Aspern anerkannt, aber Cumnor und ich hatten ihn zutiefst erkannt. Heute strömt die Menge zu seinem Tempel, aber Cumnor und ich haben uns als Priester dieses Tempels berufen gefühlt. Wir halten uns zu Recht, wie ich meine, zugute, dass wir mehr für sein Andenken getan haben als jeder andere, und das einfach dadurch, dass wir Licht in sein Leben gebracht haben. Er hatte nichts von uns zu befürchten, weil er nichts von der Wahrheit zu befürchten hatte, die zu ergründen, aus einem solchen zeitlichen Abstand heraus, unser einziges Interesse sein konnte. Sein früher Tod war der einzige dunkle Fleck auf seinem Ruhm, so darf man sagen, es sei denn, die Schriften in Miss Bordereaus Besitz sollten widersinnigerweise etwas anderes ans Licht bringen. Um 1825 wurde die Vermutung geäußert, dass er »sie schlecht behandelt« habe, genauso wie ein Gerücht umging, er habe mehrere andere Damen auf dieselbe meisterliche Weise, wie es im Londoner Volksmund heißt, »bedient«. Cumnor und ich hatten alles darangesetzt, jedem dieser Fälle nachzugehen, und es war uns jedes Mal gelungen, ihn mit bestem Gewissen von jedem Vorwurf der Anstößigkeit freizusprechen. Vielleicht beurteilte ich ihn nachsichtiger als mein Freund; auf jeden Fall wiegte ich mich in der Gewissheit, dass kein Mann unter den gegebenen Umständen einen aufrechteren Lebenswandel hätte führen können. Und diese Umstände waren fast immer schwierig und gefährlich. Die Hälfte der Frauen seiner Zeit hatte sich ihm, um es freiheraus zu sagen, an den Hals geworfen, und solange diese Tollheit wütete – zumal sie sich als sehr ansteckend erwies –, konnten Unfälle, manche davon schwer, nicht ausbleiben. Er war kein Dichter für Frauen, wie ich Mrs Prest gegenüber angemerkt hatte, zumindest nicht in der späten Phase seines Ruhms; doch war die Situation eine ganz andere gewesen, als die Stimme des Mannes noch beim Vortrag seiner Verse zu hören war. Diese Stimme war, wie jeder bezeugen konnte, eine der verführerischsten, die man je gehört hatte. »Orpheus und die Mänaden!«, hatte mein so und nicht anders vorausgesehenes Urteil gelautet, als...

Erscheint lt. Verlag 14.2.2022
Übersetzer Bettina Blumenberg
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Briefe • England • Hinterlassenschaft • Italien • Klassiker • Schriftsteller • USA • Venedig
ISBN-10 3-293-31149-0 / 3293311490
ISBN-13 978-3-293-31149-7 / 9783293311497
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