Die Toten von Wien (eBook)

Ein Fall für Alexander Baran

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
416 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-25581-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Toten von Wien -  Karl Rittner
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Wien 1922: Nach dem Krieg ist die einst glanzvolle Monarchie der ersten Republik gewichen. In dieser Zeit des Umbruchs hat sich der ungarische Adlige Alexander Baran ein neues Leben als Kommissär bei der Wiener Kriminalpolizei aufgebaut. An einem kalten Märztag wird er zum Donaukanal gerufen, wo die entsetzlich entstellte Leiche einer jungen Frau gefunden wurde. Wie sich herausstellt, war die Tote Tänzerin an der Wiener Oper. Kurz darauf wird in der Nähe ein pensionierter Hofbeamter von einer Straßenbahn erfasst und getötet. Erst spät erkennt Alexander Baran einen ungeheuerlichen Zusammenhang zwischen den Fällen - beinahe zu spät ...

Karl Rittner ist das Pseudonym eines österreichischen Schriftstellers und Hochschulprofessors. Mit »Die Toten von Wien« legt er seinen ersten historischen Kriminalroman vor. Heute lebt der 1960 im Salzburger Land geborene Autor in Wien.

Alexander Baran las zum wiederholten Mal den Brief seiner Schwester. Er hatte schlecht geschlafen und war früh aufgestanden. Der Morgen war frisch, aber das Feuer im Kamin begann langsam seinen Dienst zu tun. Auf dem massiven Schreibtisch aus Nussbaum stapelten sich verschnürte Ordner, genauso in den Bücherregalen, nur manchmal unterbrochen von Fotoalben, in denen Baran an den einsamen Abenden blätterte. Er strich den Brief glatt. Seine Schwester hatte das Glück an der Seite eines Mannes gefunden, den sie über alles liebte und dem sie gegen den Widerstand der Eltern nach Wien gefolgt war, was zu einem unlösbaren Konflikt mit der Familie geführt hatte.

Vater hat sein Herz verhärtet, las er und weiter: Ich kann ihm und Mutter nicht böse sein, ich bin nur traurig, wünschte mir, dass der Abschied nicht so schmerzhaft ausgefallen wäre, dass Vater verstanden hätte, dass Anton ein so lieber Mann ist, der liebste, den du dir vorstellen kannst. Gestern habe ich wieder diesen schrecklichen Traum gehabt. Ich gehe auf unser Haus zu und sehe Mutter und Vater vor der Eingangstür stehen. Jeder Schritt fällt mir schwerer, als würde ich in tiefem Morast waten. Und als ich sie mit letzter Kraft erreiche und ihre Hände fassen möchte, entgleiten sie mir.

Jedes Mal bei diesen Zeilen ergriff Baran ein Gefühl der Verzweiflung. Vor allem aber schnürte ihm der letzte Satz die Kehle zu: Schon bald, mein geliebter Bruder, werden wir uns wiedersehen, ich umarme und küsse dich, Szonja.

Der Brief war neun Jahre alt und stellte das letzte Lebenszeichen von Barans Schwester dar. Heute war Szonjas Geburtstag. Baran zündete eine Kerze für sie an und stellte sie auf den Kamin. Seine Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit.

Baran, damals noch Sandor, war an der Theiß im Osten Ungarns aufgewachsen. Es war ein ansehnlicher Besitz mit Wäldern und Äckern gewesen. Die Eltern, Szonja und Sandor wohnten in einem erst vor wenigen Jahrzehnten errichteten, großen Herrenhaus mit Erkern und Türmchen und einem Glockenturm. Das langsam verfallende alte Herrenhaus am anderen Ende des großzügig angelegten Parks diente dem kleinen Sandor und seiner jüngeren Schwester Szonja als wunderbarer Spielplatz, obwohl es natürlich streng verboten war, das Haus zu betreten. Bei ihren gemeinsamen Spielen jagte Sandor, mit einem weißen Bettlaken als Geist verkleidet, seine kreischende Schwester die Treppen hinauf und hinunter, oder Szonja mimte den gefährlichen, knurrenden Wolf aus dem Wald, der sich von einem Mauervorsprung auf den ahnungslosen Sandor stürzte.

Es waren jene unbeschwert glücklichen Momente, die Baran manchmal noch mehr schmerzten als all die furchtbaren Dinge, die sich nach Szonjas Verschwinden ereignet und sein Leben vollkommen verändert hatten.

Von einem Tag auf den anderen war Szonja kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag einem Mann nach Wien gefolgt, dessen Name in einer anderen Welt vielleicht Reichtum und Ansehen bedeutet hätte. Aber der alte Graf von Waldstetten war der schlimmste Feind von Sandors Vater. Diese Feindschaft reichte Jahrhunderte zurück, so, als wäre sie dem ersten Waldstetten und dem ersten Baranyi in die Wiege gelegt worden. Niemals hatte Sandor den Grund dafür erfahren. Es gab nur vage Andeutungen, von Betrug war die Rede, vom Ansehen Ungarns.

Doch das Schicksal nimmt manchmal krumme Wege. Auf einem Frühlingsball im Schloss der Festetics in Keszthely am Balaton hatten sich der jüngste Spross der Familie Waldstetten und die anmutige Szonja von Baranyi ineinander verliebt.

Was folgte, war der Beginn der großen Tragödie seiner Familie. Einen Monat später war Szonja nach durchweinten Nächten und unzähligen heimlich ausgetauschten brieflichen Liebesschwüren bei Nacht und Nebel nach Wien gereist. Der Vater war am Tag darauf am Stadtpalais der Waldstetten wie ein Hausierer abgewiesen worden, und die Briefe der Mutter kamen ungeöffnet zurück. Schließlich erklärte der Vater gegenüber seiner bitterlich weinenden Frau seine Tochter für tot. Jegliche Post wurde abgefangen, Sandor war es nur gelungen, diesen einen Brief rechtzeitig an sich zu bringen, ehe auch er im Kaminfeuer verbrannt werden konnte. Nur Tage später, als hätte ein böser Dämon die Worte des Vaters als Fluch verstanden, erhielten sie die Nachricht, dass die Gräfin von Waldstetten vermisst werde. Ihr verzweifelter Gemahl, der Graf von Waldstetten, habe sie suchen lassen, nachdem er von einem Jagdausflug mit dem Thronfolger von Österreich-Ungarn, Erzherzog Franz Ferdinand, in sein Jagdschloss zurückgekehrt sei.

Nach weiteren bangen Tagen war ein nichtssagender Brief mit Siegel und Unterschrift des Erzherzogs eingetroffen, in dem irgendetwas von Bedauern, Bemühungen und Zusicherung jeglicher Hilfe bei der Suche stand, was hinter allen Floskeln einem Eingeständnis gleichkam, nichts zu wissen.

Sandors Vater hingegen wurde noch härter und strenger und vergrub sich in seinen Pflichten, während er Sandor die Sorge um die immer mehr dahinsiechende Mutter überließ, die ihn ans Haus fesselte.

Dann kam die Nachricht vom Tod des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajevo.

Am Abend des 29. Juli 1914 kehrte der Vater nach Hause zurück. Sandor saß auf der Veranda, als die Kutsche eintraf.

»Krieg«, sagte er nur, bevor er ins Haus stürmte. Sandor eilte ihm nach, aber der Vater schloss sich ins Schlafzimmer der Mutter ein. Tausende Male hatte Sandor sich nachher gefragt, ob er es hätte verhindern können, und keine Antwort gefunden. Zwei Schüsse aus der Flinte des Vaters hatten dem Leben seiner Eltern ein Ende gesetzt. Als Sandor die schwere Tür aufbrach, stand das Zimmer bereits in Flammen. Der Vater hatte die Petroleumlampe umgekippt, als er auf den Boden fiel, die Jagdflinte noch im Anschlag. An einem Abend hatte Sandor von Baranyi seine Eltern und sein Heim verloren. Nichts als ein Haufen Asche war geblieben.

Wenige Wochen später hatte er das gesamte Anwesen dem Gutsverwalter Mihály Fekete überschrieben, der das Haus von Grund auf neu errichten ließ.

Krieg war das letzte Wort von Sandors Vaters und das erste in Sandors neuem Leben als Soldat im k. u. k. Husarenregiment Nr. 7, das sich, obwohl fast nur aus Ungarn bestehend, nach dem deutschen Kaiser Wilhelm benannte. Sein Todesmut und sein Kampfgeist waren vom ersten Tag an legendär, aber auch sein strategisches Geschick ließ ihn rasch aufsteigen in einer Rangordnung, die ihm nichts bedeutete. Er wollte kämpfen und kämpfte, während neben ihm geblutet, geschrien und gestorben wurde. Sandor überlebte, obwohl er in seinem Inneren längst gestorben war.

Gedankenversunken hielt Baran immer noch den Brief in den Händen. An einem sonnigen Tag im Dezember 1916, an dem er sein Leben fast verloren hätte, hatte er auf einmal seine Hoffnung wiedergewonnen. Die Brigade hielt auf ein Quartier im Sulta-Tal in Rumänien zu. Eine unversehrte Landschaft tat sich auf, die grauen Holzhütten sahen idyllisch aus und erinnerten Baran an Klausen von Einsiedlern. Alles schien ruhig, weit und breit kein Beschuss. Dompfaffen mit ihren roten Bäuchen flogen umher. Da hörten sie ein Knacken und Brummen und die verzweifelten Schreie einer Frau in einheimischer Tracht mit mohnrotem Kopftuch, die aus dem Wald auf die Lichtung zulief, ein Bündel eng an ihren Körper gepresst. Dicht hinter ihr ein Ungetüm von einer Bärin, gefolgt von zwei jungen Bären. Vielleicht wäre die Bärin umgekehrt, wenn sie die Männer früher erblickt hätte. Aber ihr Instinkt gebot ihr, die Jungen zu schützen, wie auch die Frau ihr Kostbarstes, ihren Säugling, an sich presste. Die Bärin war bereits so nahe an die Frau herangekommen, dass diese ihren Atem im Nacken spüren musste, als Baran den erlösenden Schuss abgab. Die Frau fiel der Länge nach hin, aber weder sie noch ihr Kind erlitten ernsthafte Verletzungen. Auch die Bärenjungen wurden mit drei Schüssen niedergestreckt, aber es war nicht Baran gewesen, der geschossen hatte. Als er in die Augen dieser jungen Frau blickte, spürte er, mitten im Winter, wie eine Wärme sein Herz erfüllte. Es waren diese Augen, dieses zaghafte Lächeln, das ihn an Szonja erinnerte und ihn verletzlich machten, und eine irrationale Hoffnung keimte in ihm auf, dass er sie noch retten könnte. Noch am selben Tag, als Sandor zum Leben erwachte, wurde er selbst verwundet. Er erlitt einen Lungensteckschuss. Nachdem er in einem rumänischen Lazarett mit dem Tod gerungen hatte, verlegte man ihn dank seines letzten Verwandten, des Bruders seiner Mutter, Freiherr Clemens von Strack, nach Wien. Sandor wurde in der Villa des Onkels in Wien aufgepäppelt, kam langsam wieder zu Kräften und bewarb sich am ersten Tag, an dem er ohne Hilfe gehen konnte, bei der Polizei.

Der Krieg war für ihn zu Ende. Während die Monarchie noch einige Monate im Siechtum dahindämmerte, wurde aus Sandor von Baranyi Alexander Baran, ein strebsamer und ehrgeiziger Kriminalbeamter. In seiner Ausbildung hatte er alle nötigen kriminalistischen Fertigkeiten und Kenntnisse erworben, sich das strafrechtliche und verwaltungspolizeiliche Wissen angeeignet und den Gebrauch der Schusswaffe, der Steyr-Repetierpistole, perfektioniert. Obwohl es diesbezüglich kaum etwas zu verbessern gab. Baran schoss so gut, wie er ritt, und er ritt, als wäre er auf einem Pferd geboren. Durch die Ausbildung zum Kriminalpolizisten hoffte er, das Rätsel um Szonjas Verschwinden doch noch lösen zu können.

Aber in den mehr als fünf Jahren bei der Polizei war er kaum ein Stück weitergekommen, obwohl er jeder noch so kleinen Spur nachgegangen war.

Baran klammerte sich an jeden Strohhalm und blätterte täglich die Zeitungen durch, die ihm ein Bote, den er dafür ausgiebig entlohnte,...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • eBooks • Heimatkrimi • Historische Romane • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuerscheinung • Neuerscheinung Krimi Thriller • Österreich • Softcover • spannende Bücher • Taschenbuch • Wien
ISBN-10 3-641-25581-3 / 3641255813
ISBN-13 978-3-641-25581-7 / 9783641255817
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