Die kalte Mamsell (eBook)

Ein Seebad-Krimi

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
432 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-28448-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die kalte Mamsell -  Elsa Dix
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Norderney, September 1913: Die couragierte junge Lehrerin Viktoria Berg verbringt den Spätsommer im beschaulichen Seebad, in der Hoffnung auf erholsame Tage. Doch die Ruhe am Meer währt nur kurz: Während eines Spaziergangs werden Viktoria und Christian Hinrichs, frisch vereidigter Kriminalassistent auf der Insel, zu einem glamourösen Hotel gerufen - im dortigen Eiskeller wurden die Leichen eines Sommergasts und einer Küchenmamsell entdeckt. Als Viktoria die tote junge Frau im Schein der Petroleumlampe näher betrachtet, erfasst sie kaltes Entsetzen. Ein Detail am Tatort weist direkt auf ein tragisches Ereignis aus ihrer eigenen Vergangenheit hin ...

Elsa Dix ist eine aus Norddeutschland stammende Krimiautorin. Sie lebt heute mit ihrem Mann und ihrem Hund in Düsseldorf und verbringt jede freie Minute auf Norderney. Bei Goldmann erscheinen ihre Seebad-Krimis um das sympathische Ermittlerduo Viktoria Berg und Christian Hinrichs.

1


Flackerndes Licht


Wieder spürte Otto den stechenden Schmerz im Rücken, der sich sofort im ganzen Körper ausbreitete. Für einen Moment erstarrte er in der Bewegung. Zog die Luft ein und klammerte sich an seinen Besen, als ob der ihm Halt geben würde. Er versuchte sich abzulenken, blickte die Straße hinunter, wo ein Landauer von der Bismarckstraße in die Roonstraße einbog und sich jetzt dem Hotel näherte, vor dem Otto den Gehweg fegte. Das gehörte zu den Bremer Häusern. In seinen Augen die prächtigste Anlage auf der Insel. Ein Ensemble aus fünfzehn nebeneinanderliegenden Logierhäusern und einem Hotel. Die weißen zweistöckigen Gebäude mit den von Säulen flankierten Terrassen zogen sich an der Kaiserstraße entlang.

Der Landauer hielt direkt vor dem Treppenaufgang zur Eingangshalle. Der junge Hilrich sprang behände vom Kutschbock. Unter der Fuhrmannsmütze sah man seine leuchtend blonden Haare. Er öffnete die Tür des Wagens und half einer älteren Dame heraus, die einen Polarfuchs um den Hals trug.

Eine Böe fegte durch seine dünne Jacke. Otto spürte das Wetter in seinen Knochen, die ihn jeden Tag daran erinnerten, wie lange es her war, dass er wie der junge Hilrich vom Kutschbock springen konnte. Jetzt kam er dort nicht einmal mehr hinauf. Ihm fehlte die Kraft in den Armen, um sich hochzuziehen.

Die Dame schritt an Otto vorbei. Er zog seine Mütze, verbeugte sich und spürte, wie der Schmerz wieder durch seinen Rücken fuhr. Aber was sollte er machen, es gehörte sich so. Schließlich war sie eine Dame und er nur ein einfacher Dienstmann. Sie würdigte seine Bemühungen keines Blickes und ging auf die dunkle Eichentür zu, die der Portier für sie öffnete.

Früher hatte Otto davon geträumt, irgendwann einmal im vornehmen Frack auf eine Tanzréunion zu gehen und ein Fräulein im feinen Seidenkleid auszuführen. Aber die Havarie des Silberschiffs, dessen wertvolle Ladung den Inselbewohnern unverhofften Wohlstand beschert hätte, war ausgeblieben. Für ihn hatte es immer nur Arbeit gegeben. Das Bedauern darüber war vor langer Zeit verflogen. Er konnte sich nicht beschweren, er hatte ein gutes Leben gehabt. In jungen Jahren war er zur See gefahren, nach Norwegen, mit den Eisschiffen. Aber es war eine mühselige Arbeit gewesen, mit dem rauen Polarwind und der unerträglichen Enge auf dem Schiff – beschwerlich und kräftezehrend. Seine Frau hatte ihn gedrängt, die Arbeit zur See aufzugeben, und als 1873 die neu errichteten Bremer Häuser einen Dienstmann suchten, nahm er die Stelle an. Er trug das Gepäck der Gäste, ging zur Hand, wo es nötig war. Seit einigen Jahren kümmerte er sich hauptsächlich um den Garten und hielt den Gehsteig vor dem Hotel sauber. Eine gute Arbeit, auch wenn sie ihm im Alter immer schwerer fiel.

Der junge Hilrich hatte inzwischen das Gepäck abgeladen und winkte ihm. »Otto, pack mit an, das muss alles rein.« Ein Reisekoffer, sechs Hutschachteln und eine Tasche, die so voll war, dass sie bestimmt schwer wie Backsteine war. Otto seufzte. Aber es half alles nichts. Die Arbeit musste getan werden. Van nix kummt nix, dachte er, lehnte den Besen an seinen zweirädrigen Karren und griff nach dem Tragegriff des Lederkoffers, Hilrich nahm den anderen. Sie hoben gemeinsam an und trugen dann den Koffer die Treppe hinauf.

Der Portier öffnete ihnen die Tür. Er trieb sie zur Eile an: »Macht hinne. Jeden Moment können die nächsten Gäste kommen.«

Auf der Treppe setzte Otto mit Bedacht einen Fuß vor den anderen. Seine Beine zitterten.

Hilrich deutete mit dem Kopf zu der kleinen Nische neben der Palme. »Wir stellen es dorthin.«

Noch drei Schritte, dann waren sie da. Mit einem Ächzen ließ Otto den Koffer ab.

Dann gingen sie wieder nach unten. Draußen wandte Otto sich erneut dem Landauer zu. Aber Hilrich, der mit großen Schritten vor ihm gegangen war, drehte sich um. »Lass mal gut sein, Otto. Den Rest schaff ich allein. Geh ruhig wieder fegen.«

Otto war erleichtert und gleichzeitig gekränkt. In Hilrichs Alter wäre der Koffer für ihn kein Problem gewesen. Niemals hätte er auch nur einen Gedanken an das Gewicht der Gepäckstücke verschwendet, sondern einfach nach dem nächsten gegriffen. Aber jetzt – jetzt war er froh, wieder seinen Besen zur Hand nehmen zu können. Heute, wo der kalte Wind wehte, spürte er das Alter mehr als sonst, und das war Hilrich offensichtlich nicht verborgen geblieben.

»Danke, min Jung«, sagte er. Doch Hilrich nickte nur beiläufig und lief mit schnellen Schritten die Treppe hinauf, die prall gefüllte Tasche auf der Schulter und zwei Hutschachteln unter dem Arm.

Otto griff nach seinem Besen, fegte den Gehweg, auch wenn der Wind immer wieder neuen Sand daraufblies. Ein junges Küchenmädchen kam aus dem seitlich liegenden Dienstboteneingang des Hotels. Inneke Dierks, die Enkelin von Claas, mit dem Otto die Schulbank gedrückt hatte. Sie hatte die dunklen Haare zu einem Dutt hochgesteckt. Ihre blauen Augen brachten die jungen Männer vermutlich ebenso zum Träumen wie damals die ihrer Großmutter. Otto konnte sich noch sehr gut an Mina erinnern und an einen heimlichen Kuss hinter dem Schulhaus. Das waren Zeiten gewesen!

Inneke winkte ihm eilig. »Otto, die Küche braucht dringend Eis. Du sollst mit der Wippe kommen und mir helfen.«

»Jetzt? Es ist doch schon zwei.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Hilft nichts, wir brauchen es. Die Kaltmamsell ist nicht erschienen, und sie holt es sonst immer. Du kannst dir denken, wie Herr Gerdes getobt hat.«

Das konnte Otto sich allerdings vorstellen. Selbst wenn die Kaltmamsell sterbenskrank war, sie würde sich einiges vom Koch anhören müssen. Weert Gerdes war nicht gerade für seine Geduld bekannt.

Otto legte den Besen über seinen Wippkarren und folgte Inneke. Die zog sich ihr Wolltuch um die Schultern und ging den schmalen Fußweg am Hotel vorbei bis in den dahinter liegenden Garten. Sie schlug die Richtung zu dem kleinen Hügel ein, auf dem ein von Heckenrosen umgebener Pavillon mit steinernen Säulen thronte. Unter dem Hügel war der Eiskeller verborgen.

»Ich weiß noch, wie wir den Keller gebaut haben«, erklärte Otto. »Pootji hat dabei geholfen.«

»Gibt es auf der Insel eigentlich ein Gebäude, an dem Opa Pootji nicht mitgebaut hat?«, fragte Inneke und lächelte spöttisch. Mit schnellen Schritten war sie bei der Eingangstür.

Otto kam ihr mit seinem Karren nach. Vor der Tür stellte er ihn beiseite, nahm sich einige Stofflappen, die auf einem Mauervorsprung gelegen hatten, und umwickelte seine Füße. Inneke stand ungeduldig daneben. »Herr Gerdes macht mir die Hölle heiß, wenn ich nicht schleunigst zurück bin. Wir müssen doch nur ein paar Stangen holen.«

»Ohne Lappen um die Füße geh ich da nicht rein«, beharrte Otto. »Dein Großvater wird nicht umsonst Pootji genannt. Er hat den kleinen Zeh verloren, als wir im Keller das Eis aus Norwegen gestapelt haben. Der Winter war zu warm gewesen, und wir waren froh, als Harms mit seinem Dreimaster aus Norwegen kam. War aber eine mächtige Plackerei, das Gletschereis vom Schiff in den Keller zu schaffen. Dein Großvater war die ganze Zeit drinnen. Er hat gar nicht gemerkt, wie sein Zeh langsam abfror. Daher sein verkrüppelter Fuß, und daher sein Spitzname. Aber so was wisst ihr jungen Leute ja alle nicht mehr. Ihr kennt nur noch das Stangeneis von der Eisfabrik.«

Normalerweise mochte Inneke Geschichten von früher, doch heute hörte sie kaum zu, sondern war offenbar mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. »Ich soll die Arbeit der Kaltmamsell übernehmen. Die Muscheln und der Fisch müssen für das Abendessen angerichtet werden. Auch der Eiersalat ist noch nicht fertig, und die Käseplatte wartet. Die Gäste wollen essen, egal, ob die Kaltmamsell kommt oder nicht.« Ein gewisser Stolz lag in ihrem Blick, weil sie ausgesucht worden war, die Aufgabe zu übernehmen.

Otto hatte die Lappen fest um seine Füße gewickelt, schlüpfte in die Holzschuhe und stand auf. »Nu drängel nich. Die Arbeit läuft dir schon nicht weg.« Er schob den Riegel der eisernen Eingangstür beiseite, nahm die Petroleumlampe vom Haken an der Wand und entzündete sie mit einem Streichholz. Dann ging er hinein. Er spürte die kalte Luft auf seiner Haut, als er dem Weg aus grob behauenen Steinen abwärts folgte.

Inneke zog ihr Wolltuch fester um sich und hielt sich dicht hinter Otto. »Ich finde es unheimlich hier unten.«

»Dumm Tüch! Du bist doch kein kleines Kind.«

»Diese Kälte. Als ob der Busebeller mit seinem Haken nach einem greift«, flüsterte sie.

Sie kamen vor der dicken Holztür an, die den eigentlichen Eiskeller von der warmen Luft von draußen abschirmte. Rechts befand sich der Vorratsraum, in dem das schnell verderbliche Fleisch, außerdem Obst und Gemüse gelagert wurden. Dort war es kühl, aber nicht eisig, sonst würde es Frostschäden geben.

»Musst du sonst noch was holen?«, fragte Otto.

Inneke schüttelte den Kopf. »Nur das Eis. Wir brauchen zwei Stangen für die Küche und eine für das Buffet.«

»Ist recht.« Otto hängte die Petroleumlampe an einen Haken an der Wand, griff nach dem Eispickel und den Handschuhen, die auf einem kleinen Holzregal daneben lagen. Ein Paar zog er selbst an, ein anderes reichte er Inneke. Er nahm die Lampe wieder an sich. Dann schob er den Riegel der Tür beiseite. »Bist du so weit?«

Inneke nickte. »Je schneller, desto besser. Ich bin froh, wenn ich wieder draußen bin.«

Er öffnete die Tür, ging hinein. Der Schein der Petroleumlampe erleuchtete flackernd den runden Raum mit der...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2022
Reihe/Serie Viktoria Berg und Christian Hinrichs ermitteln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • Cosy Crime • eBooks • Heimatkrimi • Historische Kriminalromane • Historischer Roman • Historische Spannung • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuer Band der Reihe • Neuerscheinung • Neuerscheinung Historische Bücher • Norderney • Nordsee • Reihe • Softcover • Taschenbuch
ISBN-10 3-641-28448-1 / 3641284481
ISBN-13 978-3-641-28448-0 / 9783641284480
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