Portugiesisches Gift (eBook)

Ein Lissabon-Krimi

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
304 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-26460-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Portugiesisches Gift - Luis Sellano
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Ein Sommertag in Lissabon. Die Menschen flanieren durch die Altstadt, das Wasser des Tejo glitzert in der Sonne. Kriminalkommissarin Helena Gomes ist in düsterer Stimmung. Sie ermittelt im Fall eines Jungen, der an einem allergischen Schock gestorben ist. Auf den ersten Blick sieht alles nach einem Unfall aus - doch die Eltern des Jungen beschuldigen sich gegenseitig. Welches dunkle Geheimnis verbirgt die Familie? Gemeinsam mit ihrem Freund, dem detektivisch begabten Antiquar Henrik Falkner, begibt sich Helen auf die Suche nach Antworten.

Luis Sellano ist das Pseudonym eines deutschen Autors. Auch wenn Stockfisch bislang nicht als seine Leibspeise gilt, liebt Luis Sellano Pastéis de Nata und den Vinho Verde umso mehr. Schon sein erster Besuch in Lissabon entfachte seine große Liebe für die Stadt am Tejo. Luis Sellano lebt mit seiner Familie in Süddeutschland. Regelmäßig zieht es ihn auf die geliebte Iberische Halbinsel, um Land und Leute zu genießen und sich kulinarisch verwöhnen zu lassen.

2

Die Staatsanwaltschaft war im Palácio da Justiçia de Lisboa untergebracht, einem funktionalen Betonklotz aus den 1970er-Jahren. Unansehnlich, aber in so exponierter Lage oberhalb des Parque Eduardo VII errichtet, dass er von fast überall zu sehen war. Von dem sechsstöckigen Verwaltungsgebäude konnte man auf das angrenzende Gefängnis blicken, das lange Zeit vor dem Justizpalast dort auf jenem Hügel entstanden war. Ebenso weithin sichtbar, galt es als eines der abschreckendsten Mahnmale für die Grausamkeiten, die einem Menschen während der einstigen Diktatur hatten widerfahren können.

Im vormittäglichen Verkehr benötige Helena für die nur knapp vier Kilometer von der Universitätsklinik bis hoch auf die Anhöhe eine gute Viertelstunde. Immer noch fuhr sie ihren uralten 205er Peugeot, der nun schon seit mehreren Jahren auseinanderzufallen drohte. Die größte Sorge bereitete ihr aktuell die Kupplung, die wohl demnächst den Geist aufgeben würde. Es wäre einfacher und vor allem sicherer gewesen, eines der Dienstfahrzeuge zu nehmen, aber vermutlich brauchte sie den Nervenkitzel, den ihr der miserable Zustand ihres fahrbaren Untersatzes bescherte. Auf gewisse Art spiegelte die Fahrt mit dem klapprigen Vehikel ihre gesamte Lebensweise wider. Ohne bewusste Absicht wählte sie seit jeher meist den komplizierteren Weg für sich, der sie dann prompt vor größere Herausforderungen stellte, als nötig gewesen wären. Dieses fast schon zum Selbstzerstörerischen neigende Vorgehen spiegelte sich jüngst auch in der Beziehung wider, die sie gerade führte.

Helena schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um über ihre Gefühle für Henrik Falkner zu grübeln, die sie bisweilen ähnlich nachdenklich stimmten wie die schleifende Kupplung und das Knirschen im Getriebe ihres Peugeot. Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück zu Frederico Pedrosa. Der Erstickungstod des Jungen hatte sich vergangenen Freitag zugetragen, also bereits vor fünf Tagen. Der Notruf der Mutter, Andreia Pedrosa, war laut Polizeibericht kurz nach halb neun Uhr abends eingegangen. Viel zu spät, wie sich nach Eintreffen des Notarztes herausstellte. Das Kind war nicht mehr zu retten gewesen, die vor Ort durchgeführten Wiederbelebungsmaßnahmen waren in jeder Hinsicht nicht mehr rechtzeitig eingeleitet worden. Nach einer ersten Befragung durch die Einsatzkräfte wurde schnell bekannt, dass der Sechsjährige allein und unbeaufsichtigt zu Hause gewesen war, als er sich an diesem Freitagabend über die Schokolade hermachte, die eine für ihn tödliche Menge an Nüssen enthielt. Wie hatte es dazu kommen können? Wo waren die Eltern gewesen? Fragen, die bislang nicht ausreichend beantwortet worden waren, wenn es nach Staatsanwältin Ana Lúcia Lobato ging.

Um dem Ehepaar Pedrosa eine Verletzung der Aufsichtspflicht nachzuweisen, bedurfte es eigentlich nicht der Mordkommission. Doch diesen Einwand hatte Lobato bei ihrem gestrigen Anruf, der Helena kurz vor Feierabend erreicht hatte, nicht hören wollen. Sie verlangte, dass die Kripo sich mit der Untersuchung befasste. Wobei mit die Kripo Inspetora Helena Gomes gemeint war – was ihr allerdings erst nach dem Gespräch bewusst geworden war. Lobato wollte in der Tat ausschließlich sie für diese Aufgabe haben.

Ansonsten war es ein kurzes Telefonat gewesen, in dem ihr knappe, präzise Anweisungen erteilt wurden. Sehen Sie sich die Akte an, lesen Sie den Autopsiebericht. Und bis dahin: kein Wort zu niemandem! Alles Weitere klären wir morgen in meinem Büro!

Dorthin war sie genau jetzt unterwegs.

Helena betrat das Amtszimmer, das ihr genannt worden war, und ihr Blick fiel auf einen leeren Schreibtisch, was sie für eine Sekunde denken ließ, dass sie sich in der Tür geirrt hatte. Doch dann sah sie eine Frau im Gegenlicht an der nach Osten gerichteten Fensterfront stehen, die ihr den Rücken zukehrte und auch keine Anstalten machte, sich zu ihr umzudrehen. Entweder war sie in Gedanken vertieft, oder der Ausblick über die Stadt hielt sie gefangen. Dieser Ausblick fiel heute vermutlich versöhnlicher aus als in den vergangenen Wochen. Die Frühlingssonne ließ die tiefer und näher beim Tejo gelegenen Viertel erstrahlen und gleichwohl in einem Dunst versinken, der den bebauten Hügeln ringsum weiche, seltsam unwirkliche Konturen verlieh. Es war ein herrlich warmer, nahezu wolkenloser Tag vorhergesagt worden, und das Wetter hielt, was die Meteorologen versprochen hatten. Der März war temperaturmäßig bislang nicht in die Gänge gekommen und hatte die Kälte aus den Wintermonaten nach Helenas Empfinden viel zu lange bewahrt. Jetzt, Ende des Monats, sehnte sich Lissabon nach Sonne, und endlich wurden diese Sehnsüchte erfüllt.

»Inspetora Gomes, setzen Sie sich«, sagte die Frau am Fenster, immer noch in die Betrachtung der Stadt versunken. Vermutlich reichte die schwache Spiegelung im Fenster aus, um der Staatsanwältin, um die es sich zweifellos handelte, zu zeigen, wer ihr Büro betreten hatte. Außerdem war Helena natürlich angemeldet, auch wenn keine genaue Uhrzeit vereinbart worden war. Sie hatte einfach vorab nicht einschätzen wollen, wie lang sie sich in Tiagos Katakomben aufhalten würde.

Endlich drehte Lobato sich um. »Kommen Sie direkt von der Gerichtsmedizin?«, fragte sie ohne weitere Begrüßung.

Helena nickte. Noch immer stand sie wie festgewurzelt mitten im Zimmer.

»Und teilen Sie meine Ansicht?«

»Es ist tragisch …«, begann Helena und wusste dann nicht weiter.

Lobato löste sich vom Fenster und ging hinüber zu der Sitzecke, die neben dem Schreibtisch das einzige Möbel in dem quadratischen Raum war. Das Büro entsprach keineswegs den antiquierten, abgenutzten Arbeitszimmern, die Helena bisher in diesem Verwaltungsgebäude zu Gesicht bekommen hatte. Vermutlich hatte Lobato auf einem neuen Anstrich bestanden, nachdem sie vor einigen Monaten in dieses Amt berufen worden war. Jegliche Holzvertäfelung an den Wänden war verschwunden, und den abgetretenen Teppichboden, der vor einem halben Jahrhundert im ganzen Gebäude verlegt worden war, hatte man hier durch ein wunderbar gemasertes Parkett ersetzt. Zudem fiel auf, dass sich nirgendwo Papierakten stapelten, die sich sonst für gewöhnlich in den Arbeitsräumen der Staatsanwälte türmten. Lobato war dafür bekannt, alles digital zu sichten und zu bearbeiten, was für viele ihrer Kollegen – vor allem für die älteren – ein echtes Problem darstellte. Ihre moderne Arbeitsweise war aber vermutlich nicht das Einzige, woran die sonst ausschließlich männlichen Staatsbediensteten ihres Ranges Anstoß nahmen.

Ana Lúcia Lobato war eine aparte Erscheinung. Überaus attraktiv. Groß gewachsen und gertenschlank. Dunkelhaarig. Helena kannte die Frau bisher nur von Fotos und hatte sie auch nie mit offenen Haaren gesehen, aber sie war sicher, dass sie ihr bis hinunter zur Hüfte reichten, sobald sie den strengen Knoten löste, zu dem sie das Haar hochgesteckt hatte. Wie immer trug Lobato einen Anzug, der ihre langen Beine betonte, heute einen in hellem, beinahe türkisfarbenem Blau. Die eng geschnittenen Hosen waren mittlerweile eine Art Markenzeichen von ihr geworden.

Ana Lúcia Lobato war Ende dreißig, wirkte aber jetzt im strahlenden Morgenlicht älter, was sie zum einen ihrer kräftezehrenden Arbeit, zum anderen aber auch den Widerständen innerhalb ihrer Behörde zu verdanken hatte. Es war allgemein bekannt, dass sie die Absicht verfolgte, bald zur Oberstaatsanwältin ernannt zu werden. Und nach allem, was Helena bisher über Lobato gehört hatte, hegte sie keine Zweifel, dass ihr dies auch gelingen würde. Zumal sie mit Rückendeckung vom Justizministerium rechnen konnte, wie gemunkelt wurde. Die Regierung wollte frischen Wind in den höchsten Besoldungsstufen und eine bessere Frauenquote – womit die Weichen so gut wie gestellt waren.

Lobato nahm auf einem der Lederhocker Platz, die um einen runden Glastisch drapiert waren. Alles ohne Lehne, damit nicht der Eindruck entstand, man könne es sich hier zu gemütlich machen. Ungeduldig deutete die Staatsanwältin an, dass auch Helena sich endlich setzen sollte. Grundsätzlich war Helena jemand, der im Gespräch mit Vorgesetzten gerne stehen blieb, doch diesmal kam sie der Aufforderung nach. Die Staatsanwältin nickte wohlwollend und griff dann nach dem Tablet-PC, der vor ihr auf dem Tisch lag. Mit schnellen Fingern tippte sie darauf herum, bis sie die Akte von Frederico Pedrosa angezeigt bekam. Für Sekunden herrschte Schweigen. Helena rutschte auf dem Hocker herum, konnte aber keine gute Position für sich finden. Erst als Lobato von dem Bildschirm in ihrem Schoß aufblickte, hielt sie inne.

»Ich schätze Sie, Inspetora. Das wissen Sie doch?«

Helena sagte nichts. Sie hatte bis zum gestrigen Telefonat noch nie persönlich Kontakt zu der Staatsanwältin gehabt. Lobato kannte allenfalls Berichte von ihr, die sie für Anklageerhebungen verfasst hatte. Und was in den polizeiinternen Akten über sie vermerkt war, war mit großer Wahrscheinlichkeit nicht durchgängig positiv. Sie wusste also keineswegs, dass – oder wieso – Ana Lúcia Lobato ihr solche Wertschätzung entgegenbrachte.

»Sie haben keinen leichten Stand in Ihrer Abteilung, auch das ist mir bekannt«, fuhr die Staatsanwältin fort. »Was das angeht, kämpfen wir an ähnlichen Fronten. Sie und ich, wir sind für Veränderung und Transparenz, und damit haben viele unserer Kollegen immer noch ein Problem. Nun, wie dem auch sei, ich betraue Sie mit diesem Fall, weil Sie meiner Ansicht nach die Richtige dafür sind.«

Helena nickte knapp. »Ich bin mir nur nicht sicher, ob es wirklich ein Fall fürs...

Erscheint lt. Verlag 11.4.2022
Reihe/Serie Lissabon-Krimis
Lissabon-Krimis
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • Bestsellers • eBooks • Gil Ribeiro • Helena Gomes • Henrik Falkner • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Lissabon • Neuerscheinung • Portugal • Sommerkrimi • Sommerlektüre • SPIEGEL-Bestsellerautor • Strandlektüre • Urlaubskrimi 2022 • Urlaubslektüre
ISBN-10 3-641-26460-X / 364126460X
ISBN-13 978-3-641-26460-4 / 9783641264604
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