Die Schattensammlerin - Dichter und Dämonen (eBook)

Roman

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
480 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-28410-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Schattensammlerin - Dichter und Dämonen -  T.S. Orgel
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Frankfurt am Main, im Jahr 1830. Während eines rauschenden Fastnachtsballs wird Millicent Wohl, eine junge und wissbegierige Frau, plötzlich Zeugin eines brutalen Raubüberfalls in einem Museum. Eine schwarze Gestalt eilt an ihr vorüber - und verschwindet im Nichts. Milli versucht den Diebstahl aufzuklären, doch niemand glaubt ihren Hinweisen. Da erhält sie Hilfe von unerwarteter Seite: der alte Goethe ist inkognito in Frankfurt, und der Dichterfürst hat ein großes Interesse an der Wiederbeschaffung des Diebesguts. Eine atemlose Jagd auf finstere Mächte und Sagengestalten beginnt ...
  • Der Hörspielerfolg vom SPIEGEL-Bestseller-Autorenduo T. S. Orgel - jetzt auch als Roman
  • Frankfurt, 1830: Im Keller eines Museums verschwindet ein Schädel, und die Spur führt eine junge Frau ins finstre Herz alter Mythen und Legenden
  • Ein historischer Mystery-Krimi für alle Fans von Markus Heitz' »Die Meisterin« und Brigitte Riebes »Die Pestmagd«


Hinter dem Pseudonym T. S. Orgel stehen die beiden Brüder Tom und Stephan Orgel. In einem anderen Leben sind sie als Grafikdesigner und Werbetexter beziehungsweise Verlagskaufmann beschäftigt, doch wenn beide zur Feder greifen, geht es in fantastische Welten. Ihr erster gemeinsamer Roman »Orks vs. Zwerge« wurde mit dem Deutschen Phantastik Preis für das beste deutschsprachige Debüt ausgezeichnet. Seitdem haben sie mit »Die Blausteinkriege«, »Terra« und »Die Schattensammlerin« noch viele weitere Welten erkundet.

1.

Der Diebstahl


Ein wilder Zug aus maskierten Gestalten schob sich mit Trommeln, Fackeln und Trompeten durch die Altstadt der freien Stadt Frankfurt, um mit vereinten Kräften den Römer zu erobern. Man schrieb das Jahr 1830.

Napoleons Kriege hatten tiefe Wunden in der Seele der hessischen Handelsmetropole hinterlassen, und die Menschen konnten sich noch viel zu genau an das »Jahr ohne Sommer« erinnern. Jene schrecklichen Monate, in denen die Sonne nicht mehr scheinen wollte und schwere Unwetter und Überschwemmungen das Korn auf den Feldern hatten verfaulen lassen. Die Menschen wussten, was Unheil und Elend bedeuteten, doch in der Fastnacht, die in jenem Jahr auf den dreiundzwanzigsten Februar fiel, waren die tief verschneiten Gassen Frankfurts bis zum Bersten mit bunten Gewändern gefüllt. Das Geschrei und der Lärm der Narren waren bis weit hinauf zum Rand des Taunus zu hören, den der Winter noch immer in seinem eisigen Griff gefangen hielt.

Die Fastnacht war ein seltsames Relikt aus uralten, heidnischen Zeiten. Ein Brauch, um die bösen Geister und Dämonen zu vertreiben: üble Gesellen, die sich bevorzugt im Schutz der dunklen Jahreszeit aus ihren Löchern in der Höhe hervorwagten und bis tief in die Niederungen der Mainebene vordrangen, um die Menschen dort unten mit Unheil und Elend zu überziehen. Doch an den Fastnachtstagen gewannen die Frankfurter seit jeher die Oberhand über ihre Dämonen zurück. Überall in der Stadt wurde getanzt und gefeiert, als gäbe es kein Morgen mehr. Und die Geister und Dämonen kauerten sich furchtsam in ihren finsteren Löchern zusammen und warteten ab, bis die Gefahr an ihnen vorübergezogen war.

Jedenfalls die meisten von ihnen …

An diesem verschneiten dreiundzwanzigsten Februar veranstaltete zur gleichen Zeit auch das neu gegründete Senckenberg Museum ein rauschendes Fest. Die höchsten Würdenträger der Stadt waren der Einladung zum Maskenball gefolgt, denn es hatte sich herumgesprochen, dass die einflussreiche Komtess Natalja Scheremetewna Interesse an der reichen naturwissenschaftlichen Sammlung zeigte, die das junge Museum auszeichnete. So eine seltene Gelegenheit ließ sich natürlich niemand entgehen, der in der Stadt Rang und Namen hatte und sich darüber hinaus auch noch gute Geschäfte mit dem Zarenreich versprach. Und so quollen die ehrwürdigen Räumlichkeiten im Schatten des Eschenheimer Turms beinahe über vor unzähligen Adligen, Gelehrten und Mitgliedern des gehobenen Bürgertums.

Unter all den hochgestellten Persönlichkeiten fühlte sich Milli unglaublich fehl am Platz. Die junge Frau, die erst vor wenigen Wochen aus der Provinz in die hessische Handelsmetropole gezogen war, hätte weit lieber draußen in den Gassen mit den einfachen Bürgern gefeiert. Doch als frischgebackene Mitarbeiterin im Senckenberg hatte sie keine Möglichkeit, sich vor diesem bedeutenden Anlass zu drücken. Ihre Tante Anni hatte eigens eines ihrer liebsten Kostüme für sie umgenäht. Ein entsetzlich albernes Etwas mit lindgrünen Puffärmeln und fühlerartigen Auswüchsen, in dem sich Milli vorkam wie eine grauenvolle Mixtur aus Raupe und übergroßer Socke. Ihre Tante hatte beim letztjährigen Ball der Wohltätigen Bürgerwitwen den zweiten Preis damit eingeheimst, und Milli konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer auf dem dritten Platz gelandet war.

Nun fand sie sich also derart verunstaltet inmitten dieser feinen Herrschaften wieder und musste zu allem Überfluss auch noch feststellen, dass ein Maskenball in Frankfurt eine hochoffizielle Veranstaltung darstellte, zu der sich die Damen und Herren in todschicke Gewänder nach venezianischem Vorbild hüllten. Bei den einzig wirklichen Verkleidungen handelte es sich um bunt bemalte Masken, die an dünnen Stäben elegant vor die Gesichter gehalten wurden. Wenn sich Milli in größeren Gesellschaften sonst schon nicht besonders heimisch fühlte, so wäre sie an diesem Abend am liebsten ganz tief im Erdboden versunken.

Der Festsaal lag im Erdgeschoss des weitläufigen Gebäudes, dort, wo an normalen Tagen die Skelette gewichtiger Ungetüme aus der Urzeit ausgestellt waren. Jetzt quoll er über vor gewichtigen Persönlichkeiten der Neuzeit, die sich mit gewichtigen Mienen und den dazugehörigen gewichtigen Bäuchen über die angebotenen Häppchen hermachten.

Am Umfang des Bauches konnte man in diesen Zeiten recht gut den Status eines Menschen ablesen. Bei Milli zu Hause waren die Bauern eher klein und zäh gewesen. Nur der Wirt und der Amtsvogt hatten dort mächtige Bäuche zur Schau getragen. Die übrigen Dorfbewohner hatten überhaupt keine Gelegenheit gehabt, dick zu werden. Vor allem nicht, wenn die Ernte mal wieder durch Hagelstürme und Regenbäche vernichtet worden war und gerade genug übrig blieb, um den nächsten harten Winter zu überstehen.

In Frankfurt dagegen herrschte beinahe schon ein Überfluss an Bäuchen, deren Umfang Milli in den ersten Wochen immerhin geholfen hatte, sich in der komplizierten Hierarchie der Museumsangestellten zurechtzufinden.

Der Bauch von Kurator Anton Hollweg war zum Beispiel nur mittelprächtig ausgeprägt. Er wäre sicherlich gern mächtiger gewesen, doch im Verlauf seiner Karriere hatte er es nie so recht zu voller Blüte geschafft. Obwohl er es wirklich nach besten Kräften versuchte, wie man an der Art erkennen konnte, auf die er sich über die köstlichen Happen hermachte, die von der Dienerschaft auf silbernen Tabletts durch den Saal getragen wurden. Die Küchlein und Würstchen und Pasteten verschwanden so rasch in seinem Magen, dass man fürchten musste, er wäre auf der Flucht vor den Franzosen.

»Ah«, rief er zwischen jedem Happen immer wieder begeistert aus. »Ah! Hmmm. Köstlich. Ein Gedicht!«

Die Küchenhilfen hatten Milli einmal hinter vorgehaltener Hand verraten, dass Kurator Hollweg im eigenen Haushalt am untersten Ende der Bäuche-Hierarchie stand. Selbst die zwei hässlichen Schoßhündchen seiner Gattin bekamen gerüchtehalber mehr zu futtern als er. Den Frust über diese Ungerechtigkeiten des Lebens ließ er deshalb oft und gern an seinen eigenen Untergebenen aus. In Gegenwart seiner hochgestellten Gäste allerdings, die das Gemetzel auf dem Silbertablett mit ehrfürchtigen Blicken verfolgten, war er wesentlich umgänglicher. In Gegenwart leckerer Häppchen schien er beinahe sogar ein glücklicher Mensch zu sein. »Lerchenpastete auf indischen Vogelnestern, Butterstollen, Entenleber, kalekutischer Kapaun! Und das nur zum Vorwärmen des Magens, meine Liebe!«

Einige der Anwesenden kannte Milli schon vom Sehen. Da war natürlich Johann Georg Neuburg, der erste Direktor des Senckenberg Museums und gleichzeitig Schwippschwager des berühmten Ministerialrats und Dichters Johann Wolfgang von Goethe. Der Dichter selbst hatte seine Wahlheimat Thüringen seit etlichen Jahren nicht mehr verlassen, da es um seine Gesundheit schon längst nicht mehr zum Besten bestellt war. Dafür war anlässlich des Maskenballs sein Adlatus Abaris angereist. Die beiden hochgestellten Herrschaften waren in eine hitzige Diskussion vertieft, und so oblag es Herrn Hollweg, ihren russischen Ehrengast standesgemäß zu unterhalten.

Als gute Freundin des Hauses von Anstett galt Komtess Natalja Scheremetewna quasi als inoffizielle Vertreterin des Russischen Zarenhauses im Deutschen Bund. Eine außergewöhnlich gebildete und gut aussehende Dame mittleren Alters, die das aufdringliche Wesen ihres Gastgebers mit einem charmanten Lächeln ertrug. »Eine ordentliche Auswahl, werter Herr Kurator«, lobte sie freundlich.

»Ordentlich? Na, warten Sie erst mal das Bankett ab. Sie werden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Das wird ein Festmahl wie im venezianischen Dogenpalast: eine originalgetreue Nachbildung des römischen Trevi-Brunnens. Er besteht aus reinstem Zucker und liegt in einem Bett aus Seesternen, Krabben und Langustenhäppchen. Winzige edelsteingeschmückte Fischlein recken keck ihre Köpfchen aus den salzigen Fluten, und als Überraschung springt zum Schluss sogar ein Zwerg mit einem Dreizack daraus hervor.«

»Ein Zwerg mit einem Dreizack?«

»Sie werden begeistert sein!«

Die Augenbraue der Komtess hob sich in einem eleganten Bogen. »Ist das nicht ein wenig … nun, barbarisch?«

»Er trägt natürlich einen Lendenschurz«, beteuerte Herr Hollweg, während er sich gierig dem nächsten Tablett in den Weg warf. »Oh, sehen Sie mal, meine Liebe: Kaviar! Der Rogen des Störs. Im Deutschen bezeichnen wir ihn nicht umsonst als Speise der Götter, denn er ist eine echte Köstlichkeit. Kennen Sie in Russland eigentlich Kaviar?«

Das war leider das zweite Problem mit Kurator Hollweg: Er war als Vorgesetzter nicht nur ein echter Kotzbrocken, sondern darüber hinaus auch nicht mehr zu bremsen, wenn er sich ein bisschen zu viel hinter die Binde gegossen hatte. Milli war sich vollkommen sicher, dass er im Grunde nur durch familiäre Verbindungen an seinen Posten gekommen sein konnte.

»Ich habe tatsächlich schon einmal von Kaviar gehört«, entgegnete die Komtess mit ihrem charmanten russischen Akzent. »Ob Sie es glauben oder nicht: Wir fahren in unserem Land sogar Kutsche.«

»Am besten trinkt man zu Kaviar Schaumwein«, erklärte Herr Hollweg, dem die kleine Spitze seines erlauchten Gastes völlig entgangen zu sein schien. »Warten Sie, ich zeige Ihnen den besten Schaumwein der Welt. Der wird Sie unter Garantie – ja, wo ist denn hier ein Diener, wenn man ihn mal braucht? Wissen Sie, die Franzosen haben zwar eine Menge Unheil über dieses Land gebracht, aber von Schaumwein verstehen sie etwas. Wobei das kein Wunder ist, denn sie haben uns ja die besten Kellermeister aus dem Rheingau...

Erscheint lt. Verlag 14.6.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte 2022 • Audio-Original • Buch zum Hörspiel • deutschsprachige Fantasy • eBooks • Fantasy • Goethe • historische Fantasy • Mephisto • Mythen & Legenden • Neuerscheinung • Urban Fantasy • weibliche Heldin
ISBN-10 3-641-28410-4 / 3641284104
ISBN-13 978-3-641-28410-7 / 9783641284107
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