Schattenbraut (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
544 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-26181-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schattenbraut - Yangsze Choo
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»Eines Abends fragte mich mein Vater, ob ich die Braut eines Geistes werden wolle ...«

Malaya 1893. Die 17-jährige Li Lan aus gutem, aber verarmten Hause erhält einen ungewöhnlichen Antrag: Sie soll den kürzlich verstorbenen Sohn der wohlhabenden Familie Lim heiraten. Aber Li Lan zögert. Kann sie sich wirklich einem Geist versprechen? Um sich auf die Probe zu stellen, taucht sie Nacht für Nacht ein in eine Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen. Das Schattenreich ist ein Ort des Schreckens, aber auch der Versuchung und der Freude. Dort deckt Li Lan nicht nur die Wahrheit über ihre eigene Familie und die ihres Verlobten auf - sie erkennt auch die Macht wahrer Liebe ...

Yangsze Choo ist Malaysierin chinesischer Abstammung. Sie studierte in Harvard und arbeitete als Management Consultant und bei einem Start-up-Unternehmen, bevor sie ihren ersten Roman schrieb. Heute lebt Yangsze Choo mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Kalifornien.

KAPITEL 1


Eines Abends fragte mich mein Vater, ob ich die Braut eines Geistes werden wolle. »Fragte« ist vielleicht nicht das richtige Wort. Wir waren in seinem Arbeitszimmer. Ich blätterte eine Zeitung durch, während er auf seiner Rattanliege lag. Es war sehr heiß und still. Die Öllampe brannte, und Motten flatterten in trägen Wirbeln durch die schwüle Luft.

»Was hast du gerade gesagt?«

Mein Vater rauchte Opium. Es war seine erste Pfeife an jenem Abend, er konnte also noch halbwegs klar denken. Mein Vater ist so eine Art Gelehrter, mit traurigen Augen in einem Gesicht wie ein zerfurchter Aprikosenkern. Früher einmal ist unsere Familie reich gewesen, doch mit der Zeit hatten wir so viel Geld verloren, dass wir uns damals nur noch mühsam an die Ehrbarkeit der Mittelschicht klammerten.

»Dass du Geisterbraut werden könntest, Li Lan.«

Ich hielt den Atem an und blätterte weiter. Es war schwer zu sagen, ob mein Vater nur scherzte. Manchmal schien er es selbst nicht zu wissen. Ernste Angelegenheiten wie unsere schrumpfenden Einkünfte spielte er für gewöhnlich herunter. So sagte er zum Beispiel, es sei doch ganz angenehm, in dieser Hitze ein zerschlissenes Hemd zu tragen. Doch wenn das Opium ihn in seinen Nebelschleier hüllte, verstummte er und versank in Gedanken.

»Der Vorschlag wurde heute an mich herangetragen«, fügte er rasch hinzu. »Ich dachte, du wüsstest vielleicht gern Bescheid.«

»Von wem kam der Vorschlag?«

»Von der Familie Lim.«

Die Familie Lim war eine der reichsten in unserer Stadt. Malakka hatte einen Hafen und zählte zu den ältesten Handelsmetropolen des Ostens. Im Laufe der Jahrhunderte war die Stadt erst von den Portugiesen, dann von den Niederländern und zuletzt von den Briten erobert worden. Kleine Häuser mit roten Ziegeldächern zogen sich dicht gedrängt in einer langen Kette die Bucht entlang, von Kokospalmenhainen flankiert und zum Inland hin durch den dichten Dschungel begrenzt, der Malaya wie ein wogendes grünes Meer bedeckte. Malakka war eine sehr stille Hafenstadt, die unter der Tropensonne von ihrer glanzvollen Vergangenheit als Perle der Meeresstraße träumte. Denn die aufkommende Dampfschifffahrt hatte ihren Niedergang besiegelt.

Im Vergleich zu den Dörfern des Dschungels galt Malakka jedoch nach wie vor als Inbegriff der Zivilisation. Die portugiesische Wehranlage hatten die Briten zwar zerstört, aber das Postamt, zwei Märkte und das Krankenhaus hatten sie uns gelassen, selbst unser Rathaus, das Stadthuys. Malakka war sogar Regionalsitz der britischen Kolonialverwaltung. Gemessen an dem, was ich über die großen Metropolen Shanghai, Kalkutta und London gelesen hatte, kam mir unsere Stadt dennoch reichlich unbedeutend vor. Im Bezirksamt hatte man der Schwester unseres Kochs erzählt, dass London der Mittelpunkt der Welt war; das Herz des Britischen Weltreichs, das sich so weit von Osten nach Westen erstreckte, dass die Sonne dort niemals unterging. London lag auf einer weit entfernten Insel (wo es angeblich sehr feucht und kalt war), und von dort aus wurden wir in Malaya regiert.

Obwohl seit Generationen Angehörige verschiedener Völker hier zusammenlebten – Malaien, Chinesen, Inder, auch Araber und Juden –, behielten wir unsere Kleidung und andere Bräuche bei. Mein Vater sprach zwar Malaiisch und auch ein wenig Englisch, las aber ausschließlich chinesische Bücher und Zeitungen. Dabei war es mein Großvater gewesen, der seine Heimat verlassen hatte, um in Malakka als Händler reich zu werden. Leider rann das Vermögen, das er gemacht hatte, meinem Vater durch die Finger. Wäre es anders gewesen, hätte er das Angebot der Lims wohl niemals in Betracht gezogen.

»Ihr Sohn starb vor einigen Monaten«, sagte er. »Ein junger Mann namens Lim Tian Ching – erinnerst du dich an ihn?«

Ich hatte Lim Tian Ching vielleicht ein- oder zweimal auf irgendeiner Feier gesehen. Abgesehen davon, dass er den Namen seiner wohlhabenden Sippe trug, hatte er allerdings keinen Eindruck auf mich gemacht. »Er war noch recht jung, oder?«, erwiderte ich.

»Kaum älter als du, soweit ich weiß.«

»Woran ist er denn gestorben?«

»An einem Fieber, heißt es. Er ist jedenfalls der Bräutigam.« Mein Vater wählte seine Worte sorgsam, als bereue er bereits, etwas gesagt zu haben.

»Und die Lims wollen, dass ich ihn heirate?«

Vor lauter Schreck stieß ich den Reibstein auf dem Schreibtisch meines Vaters um. Die Tusche landete auf meiner Zeitung und hinterließ einen unheilverkündenden schwarzen Fleck. Die Verheiratung von Toten war ein ungewöhnlicher Brauch, der vor allem den Zweck erfüllen sollte, Geister zu besänftigen. So kam es etwa vor, dass man eine Konkubine, die einen Sohn geboren hatte und gestorben war, durch eine offizielle Heirat in den Status einer Ehefrau erhob. Oder man vermählte ein Liebespaar, das auf tragische Weise umgekommen war. Doch Eheschließungen zwischen Lebenden und Toten geschahen höchst selten; allein die Vorstellung war entsetzlich.

Mein Vater rieb sich das Gesicht. Aus Erzählungen wusste ich, dass er ein sehr gutaussehender Mann gewesen war, bis er die Pocken bekam. Zwei Wochen später war seine Haut so dick wie die eines Krokodils und von tausend Narbenkratern übersät. Seine Geselligkeit nahm ein abruptes Ende; er zog sich völlig zurück, gab die Leitung des Familiengeschäfts an Fremde ab und flüchtete sich in Bücher und Gedichte. Vielleicht hätte sich alles zum Besseren gewendet, wenn meine Mutter nicht auch an den Pocken erkrankt und daran gestorben wäre. Zu dem Zeitpunkt war ich vier Jahre alt. Ich steckte mich ebenfalls an, behielt aber nur eine kleine Narbe hinter dem linken Ohr zurück. Ein Wahrsager sagte mir damals ein glückliches Leben voraus, aber vermutlich wollte er nur etwas Hoffnung verbreiten.

»Ja, sie möchten, dass du seine Braut wirst.«

»Warum ausgerechnet ich?«

»Das weiß ich nicht. Sie fragten mich nur, ob ich eine Tochter namens Li Lan hätte und ob du schon verheiratet wärst.«

»Nun, ich halte ganz und gar nichts davon.« Ich rieb heftig auf dem Tuschfleck herum, als könnte ich das Thema auf diese Weise aus der Welt schaffen. Woher kannten die Lims überhaupt meinen Namen?

Ich wollte gerade meinen Vater danach fragen, als er sagte: »Willst du etwa nicht mit knapp achtzehn Witwe werden und in die Villa der Lims ziehen? Und jeden Tag Seide tragen? Etwas Farbenfrohes wäre allerdings tabu.« Er lächelte melancholisch. »Natürlich habe ich abgelehnt. Wie hätte ich zustimmen können? Wenn du auf Liebe und Kinder verzichten willst, wäre das Angebot aber gar nicht so übel. Immerhin hättest du für den Rest deines Lebens ein Dach über dem Kopf und wärst im Besitz schöner Kleider.«

»Haben wir denn inzwischen so wenig Geld?«, fragte ich. Die Armut schwebte schon seit Jahren wie ein Damoklesschwert über unserem Haus.

»Tja, Eisblöcke können wir uns jetzt nicht mehr leisten.«

Im britischen Laden gab es Eisblöcke zu kaufen: mit Sägemehl bestreute und in Packpapier verschnürte Überbleibsel von Ladungen, die per Dampfschiff die halbe Welt umrundet hatten. An Bord verwendete man das saubere Eis zur Konservierung frischer Lebensmittel und verkaufte die Blöcke danach an jeden, der ein Stück vom frostigen Westen wollte. Mein Vater hatte meiner Mutter früher exotische Früchte besorgt, Äpfel und Birnen aus kühleren Gefilden. Das wusste ich von meiner Amah; mir selbst fehlte die Erinnerung daran. Doch wenn wir gelegentlich einen Block kauften, liebte ich es, daran zu kratzen und mir vorzustellen, ich befände mich in der Eiswüste.

Ich überließ meinen Vater seiner Opiumpfeife. Als Kind hatte ich Stunden in seinem Arbeitszimmer verbracht, um dort Gedichte zu lernen oder Tusche für ihn zu zerreiben, damit er sich seiner Kalligrafie widmen konnte. Auf Sticken und Haushaltsführung verstand ich mich dagegen weniger gut, obwohl mich das zu einer besseren Partie gemacht hätte. Meine Amah gab ihr Bestes, doch ihr Wissen war begrenzt. Früher stellte ich mir oft vor, wie das Leben wohl gewesen wäre, wenn meine Mutter noch gelebt hätte.

Als ich aus dem Zimmer trat, stürzte Amah sich auf mich. Ich fuhr vor Schreck zusammen. Sie hatte draußen auf mich gewartet. »Was wollte dein Vater von dir?«, fragte sie.

Meine Amah war sehr alt und so klein wie ein Kind. Manchmal benahm sie sich auch wie eins. Sie war ein despotischer Dickkopf, doch sie liebte mich von ganzem Herzen. Bevor sie mich unter ihre Fittiche genommen hatte, war sie das Kindermädchen meiner Mutter gewesen. Eigentlich hätte sie sich längst zur Ruhe setzen können, doch in ihrer schwarzen Hose und weißen Bluse wuselte sie weiterhin wie ein Aufziehpüppchen im Haus umher.

»Nichts«, sagte ich.

»War es ein Heiratsangebot?« Dafür, dass Amah angeblich schwerhörig war, bekam sie erstaunlich viel mit. Keine Kakerlake konnte im Dunkeln durchs Zimmer huschen, ohne von ihr zertreten zu werden.

»Quatsch«, sagte ich. Als Amah mich ungläubig ansah, fügte ich hinzu: »Es war nicht ernst gemeint.«

»Es war nicht ernst gemeint? Seit wann ist deine Heirat denn ein Scherz? Für eine Frau ist die Heirat überaus wichtig. Ihre ganze Zukunft hängt davon ab, ihr Leben, ihre Kinder …«

»Es ging aber nicht um eine richtige Heirat.«

»Sollst du etwa Konkubine werden?« Amah schüttelte den Kopf. »Nein, nein, kleine Miss. Du musst unbedingt Ehefrau werden. Ehefrau Nummer eins, wenn möglich.«

»Es ging nicht darum, ob ich Konkubine werde.«

»Von wem kam das Angebot denn?«

»Von der Familie...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2022
Übersetzer Heike Reissig, Stefanie Schäfer
Sprache deutsch
Original-Titel The Ghost Bride
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2022 • Asien • Bücher Roman • eBooks • historisch • Historische Romane • Liebesromane • Neuerscheinung • Neuerscheinung Roman • Roman • Romane • Softcover • Taschenbuch
ISBN-10 3-641-26181-3 / 3641261813
ISBN-13 978-3-641-26181-8 / 9783641261818
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