Die Frauen vom Inselsalon (eBook)
544 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-25794-1 (ISBN)
Norderney, Anfang des 20. Jahrhunderts: Für die Fischertochter Frieda geht ein Traum in Erfüllung - sie bekommt eine Stelle im Friseursalon Fisser und damit Zugang zu einer neuen, aufregenden Welt. Ihr Glück ist perfekt, als sie den charmanten Joseph Graf Ritz zu Gartenstein kennenlernt. Doch der Standesunterschied macht eine Ehe unmöglich, und bald muss Frieda eine folgenschwere Entscheidung treffen. Auch Friedas Freundin Grete, Tochter einer wohlhabenden Berliner Familie, hat große Pläne. Sie will sich den Vorstellungen ihrer Eltern widersetzen und auf der Insel eine Ausbildung beginnen. Dass sie dabei einem fortschrittlichen jungen Arzt nahe sein kann, macht sie nur noch entschlossener. Doch alles kommt anders, als gedacht: Der Erste Weltkrieg bricht aus, und die Männer versprechen: Weihnachten sind wir zurück!
Die Norderney-Saga von Sylvia Lott:
Die Frauen vom Inselsalon
Sturm über dem Inselsalon
Bände 3 und 4 in Vorbereitung
Die freie Journalistin und Autorin Sylvia Lott ist gebürtige Ostfriesin und lebt in Hamburg. Viele Jahre schrieb sie für verschiedene Frauen-, Lifestyle- und Reisemagazine, inzwischen konzentriert sie sich ganz auf ihre Romane. Ihre Romane stehen regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Grete
Grete traute sich nicht. Keine Frage, das hellblonde Mädchen gefiel ihr. Frieda faszinierte sie sogar. Sie wirkte so unglaublich gesund. Zwar sprach sie ein bisschen putzig, norddeutsch breit, und ab und zu unterliefen ihr Fehler wie vielen Menschen, die mit einem Dialekt aufwuchsen und erst in der Schule Hochdeutsch gelernt hatten. Aber alles an ihr machte einen kräftigen, harmonischen Eindruck.
Ihr dagegen zitterten die Knie, der Magen schnürte sich zusammen, das Herz schlug bis in die Kehle hoch. Das Nordseewasser war ihr schon aufgewärmt und gereinigt in der Wanne des Warmbadehauses unheimlich gewesen. Und jetzt sollte sie sich schutzlos in diese ungezähmte Wildnis werfen? Graugrünes Meer, unruhig, brodelnd geradezu, braunweißer Schaum auf den Wellenkämmen, aufgewirbelter Sand – was mochte darin an Seeigeln, Schlangen und Knurrhähnen herumschwimmen? Vielleicht würden gleich Medusen oder Algen ihren Körper umschlingen. Grete fühlte sich mit jeder Sekunde, die sie zögerte, schwächer. Eine Böe fuhr unter die Markise und ließ sie frösteln. Wogen schlugen hart gegen die Karrenwand.
Wozu das alles? Ihr Oberkörper war schwach, ihr fehlte die Stütze des Korsetts. Besaß sie denn überhaupt ausreichend Kraft, um sich minutenlang den Naturgewalten auszusetzen?
»Na los!«, wiederholte Frieda.
Grete zauderte. Sie wollte sich nicht blamieren. Aber deshalb gleich das Leben riskieren? Während sie überlegte, verspürte sie plötzlich im Rücken einen Schubs. Sie verlor den Halt, platschte mit dem Bauch zuerst ins Wasser – und das war kalt, eiskalt, grausam kalt! Schlagartig zogen sich ihre Eingeweide zusammen. Kurz darauf schien es ihr sekundenlang, als loderte ein Feuer unter ihrer Haut auf. Heiß, kalt, heiß … was war denn nun wirklich? Ihre Füße suchten den Grund, fanden ihn, doch eine Welle rollte auf sie zu, riss sie um, sie schluckte das salzige Wasser, stieß gegen ein Wagenrad, spürte den Schmerz, musste husten. Sie hatte nicht mit der nächsten Welle gerechnet, die höher war als die vorherige, und tauchte erneut unter. Die Strömung zog sie mit, verzweifelt versuchte sie, den Kopf hochzubekommen, sie schnappte nach Luft, musste wieder husten und atmete Wasser ein, gurgelte, würgte, schmeckte das Meer in der Nase und im Rachen, es scheuerte regelrecht an ihren Schleimhäuten. Plötzlich bekam sie keine Luft mehr. Der Hustenreiz machte sie wehrlos, drohte sie zu ersticken. Ihr letztes Stündchen hatte geschlagen! Panische Angst stieg in ihr auf. Gleich würden ihr die Sinne schwinden, und das war’s dann mit ihrem kurzen langweiligen Leben.
Doch auf einmal fühlte sie, wie ihr jemand unter die Achseln griff. Sie wurde hochgezogen. Gierig schnappte sie nach Luft – der Krampf löste sich. Keuchend, mit rasendem Herzen, nahm sie hinter sich etwas Festes, Lebendiges wahr – Frieda, wie sie dann merkte, Frieda, die sie mit beiden Armen umfangen hielt. Sie standen breitbeinig da, und die Wellen schlugen nicht höher als bis zur Brust. Jetzt spürte Grete einen kurzen heftigen Druck von Friedas Unterarmen unter ihren Rippen. Ein Schwall Wasser schoss aus ihrem Magen empor, sie spuckte und hustete. Frieda zog sie zum Holztreppchen, rückwärts zwei Stufen hoch, hielt sie weiter fest.
Langsam beruhigte sich Grete. Das klatschnasse Haar hing ihr wirr um die Schultern. Sie sah, dass ihre Badehaube schon in die Nordsee hinaustrieb. Ein kleiner gelber Spielball auf den Wellen.
»Adieu!«, murmelte sie.
»Es tut mir leid«, sagte Frieda zerknirscht. »Ehrlich. Ich wollte dir nur einen kleinen Anstupser geben.«
»Ach …« Unwirsch winkte Grete ab. »Lass mich hoch!«
Frieda schüttelte den Kopf. »Du bist doch schon nass«, erklärte sie. »Wenn du jetzt aufgibst, wirst du nie Freundschaft mit dem Meer schließen. Du musst wieder rein. Das ist, wie wenn man vom Pferd gefallen ist.«
»Du meinst: gleich wieder aufsteigen?«
»Richtig.«
»Mensch! Ich hab gerade geglaubt, dass ich sterbe!«
Frieda lachte einfach. »Das wäre allerdings eine beachtliche Leistung. In kniehohem Wasser. Das hat vor dir noch keiner geschafft. Abgesehen vielleicht von ein paar alten Männern, die einen Herzschlag bekommen haben.«
Ganz schön unverfroren. Doch Grete musste grinsen. Irgendwie fand sie Friedas Art erfrischend. Ihre Familie fasste sie meist mit Samthandschuhen an, das war ihr auch nicht recht.
»Wat mutt, dat mutt.« Frieda zwinkerte ihr zu. »Na, was ist?« Sie schob sich an ihr vorbei, glitt zurück ins Wasser und ließ sich treiben. »Versuch’s doch mal so.«
»Du spinnst!«
Grete schüttelte den Kopf, sie hockte sich oben aufs Treppchen. Allerdings registrierte sie erstaunt, dass sie gar nicht mehr fror. Im Gegenteil, ein angenehmes Prickeln breitete sich überall in ihrem Körper aus, besonders lebhaft unter der Haut, und damit verbunden war ein völlig ungewohntes herrliches Gefühl von Stärke.
Frieda streckte ihre Arme und Beine aus wie ein Hampelmann. Sie schien zu schweben. Und sie lächelte, als wäre es ein Genuss. Neidvoll beobachtete Grete, wie Friedas Körper sanft gehoben und durch die Wellentäler getragen wurde, ohne dass sie dabei Wasser schlucken musste.
Das wollte sie auch! Frieda und sie tauschten einen Blick.
Grete hielt sich die Nase zu, kniff die Augen zusammen und wagte sich zurück in die Wellen.
»Jiii!«, rief sie in Erwartung des Temperaturschocks.
Doch zu ihrer Überraschung fühlte sich die Nordsee gar nicht mehr kalt an. Auf einmal war es ein Vergnügen, sich gegen den Druck der Wellen zu stemmen, zu spüren, wie das Wasser ihren Leib umspülte und sprudelnd massierte. Frieda lachte sie an, sie lachte zurück. Seit einer Ewigkeit hatte sie nicht mehr so viel Freude empfunden.
Beim Mittagessen auf der luftigen Veranda des Hotel zum Deutschen Hause gleich neben dem Kurtheater saß ihre Familie um denselben Tisch wie jeden Tag, er war für die Lehmanns reserviert. Grete hatte einen Platz mit dem Rücken zu den anderen Gästen gewählt. Sie schaute hinaus auf den Springbrunnen einer kleinen Grünanlage.
»Nächstes Mal sollten wir doch wieder mehr Personal mitnehmen«, bemerkte ihre Mutter.
Ihr Vater Ludwig knurrte, abgelenkt durch die Wirtschaftsnachrichten seiner Berliner Zeitung. »Du hast selbst gesagt, du brauchst das zweite Mädchen nicht unbedingt.«
»Nun ja, Erfahrung macht klug.« Ihre Mutter, sie hieß mit Vornamen Emilie und war eine geborene von Wingenhorst, lächelte müde. »Wir können froh sein, dass Margarete Zutrauen zu diesem Friesenmädchen gefasst hat. Dank Frieda ist es nun kein Problem mehr, sie zu den Kurbädern zu bewegen.« Ein liebevoll prüfender Blick streifte ihre Tochter. »Sie taucht seit ein paar Tagen sogar ohne Markise ins Meer.« Grete nickte. Ohne die Begrenzung konnte man viel besser in den Wellen herumspringen. Sie verlangte aber immer Frieda als Begleitung, sie bestand darauf. »Ich meine, unsere Tochter sieht auch schon viel wohler aus. Ihr Ausschlag hat sich in dieser Woche deutlich abgeschwächt.«
»Dann kannst du ja endlich, wenn wir in ein Lokal gehen, mit dem Zirkus bei der Platzwahl aufhören.«
»Und sie hatte auf Norderney noch keinen einzigen Asthmaanfall, nicht wahr, mein Kind?«
Grete nickte. Die Attacke neulich unter der Markise des Badekarrens unterschlug sie lieber. Sie wollte gern mehr Zeit mit ihrer neuen Freundin verbringen. Am nächsten Vormittag würde sie nicht baden gehen können, weil einige kurärztliche Untersuchungen anstanden. Aber sie hatte sich mit Frieda für nachmittags am Blumenpavillon im Ort verabredet. Unruhig hibbelte sie auf ihrem Stuhl herum. Kinder und Backfische durften nicht ungefragt bei Tisch reden.
»Papa, bitte frag mich etwas.«
Ihr Vater sah ungehalten von seiner Zeitung auf. »Was ist denn, Margarete?«
»Darf ich morgen Nachmittag etwas Zeit mit Frieda verbringen?«
»Frieda, Frieda – seit Tagen höre ich diesen Namen. Wer in drei Gottes Namen ist das?«
»Ich habe dir vorhin erst von ihr berichtet!« Gretes Mutter verdrehte die Augen. »Das kleine Friesenmädchen, das Margarete die Angst vor der Nordsee genommen hat. Sie ist in ihrem Alter, ein nettes aufgewecktes Ding. Ihre Mutter arbeitet als Badedienerin.«
»Badedienerin? Das ist doch kein Umgang.«
»Ihr Vater ist ein richtiger Fischer mit einem eigenen Boot«, hob Grete hervor. »Im Sommer bietet er auch Lustfahrten auf seiner Schaluppe rund um die Insel an, er kann ein Dutzend Gäste mitnehmen. Wollen wir da nicht mal mitsegeln?«
Geräuschvoll schlug ihr Vater die Zeitungsseite um.
»Und wozu möchtest du diese Frieda treffen?«
»Nur so, zum Reden. Und sie will mir Norderney zeigen.«
»Auf der Insel weilen derzeit jede Menge nobelster Familien. Warum reisen wir wohl hierher? Sucht euch neue Bekanntschaften in den besseren Kreisen.« Er blickte seine Tochter streng über den Zeitungsrand an. »Du musst dich immer nach oben hin orientieren, Margarete. Nicht nach unten.«
»Das ist eine wichtige Lebensregel«, bestätigte ihre Mutter.
Die du selbst ja nicht befolgt hast, dachte Grete aufmüpfig. Du hast einfach einen neureichen Bürgerlichen geheiratet statt eines Adligen. Keine Sorge, das wird mir nicht passieren. Aber das eine hatte ihrer Meinung nach überhaupt nichts mit dem anderen zu tun.
»Wir sind doch in den Ferien!«, wandte sie ein.
»Seht euch die Gästelisten an, die in der Inselzeitung veröffentlicht werden.« Ihr Vater begann wieder zu lesen.
»Ich hoffe ja, dass ich hier dem...
Erscheint lt. Verlag | 1.4.2022 |
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Reihe/Serie | Die Norderney-Saga |
Norderney-Reihe | Norderney-Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2022 • Borkum • Der Dünensommer • deutsche Familiengeschichte • Die Inselfrauen • eBooks • Erster Weltkrieg • Familiensaga • Frauenromane • Frauenunterhaltung • Friseursalon • Gisa Pauly • historische familiensaga • Historische Liebesromane • Historischer Liebesroman • Historischer Roman • Inselroman • Jahrhundertwende • Liebesromane • Miriam Georg • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2022 • Norderney-Saga • Nordsee • Nordsee-Roman • Schönheit • Seebad • Spiegel-Bestsellerautorin • Sylt |
ISBN-10 | 3-641-25794-8 / 3641257948 |
ISBN-13 | 978-3-641-25794-1 / 9783641257941 |
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