Männer und Frauen (eBook)

Essays - Deutsche Erstausgabe

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
160 Seiten
Manesse (Verlag)
978-3-641-27281-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Männer und Frauen -  Yosano Akiko
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Eine Entdeckung: Die große japanische Dichterin und Vorkämpferin für Frauenrechte erstmals überhaupt auf Deutsch!
Warum hält sich das Vorurteil des substanziellen Geschlechterunterschieds derart hartnäckig? Woran liegt es, dass Frauen in der Gesellschaft immer noch chronisch unterschätzt und benachteiligt werden? Und wie kriegen wir endlich veraltete Rollenbilder aus den Köpfen? - Diese eminent wichtigen Fragen stellte Yosano Akiko vor hundert Jahren mit unverhohlener Klarheit - und gab Antworten, die noch heute ins Schwarze treffen.

Stichhaltig und luzide plädiert die japanische Frauenrechtlerin für die überfälligste Sache der Welt: für die Gleichstellung der Geschlechter. Ihre Essays tragen programmatische Titel wie «Männer und Frauen» («Otoko to onna», 1915), «Die essentielle Gleichheit von Mann und Frau» (1916), «Frauen und politische Aktivitäten» (1915) oder «Die japanische Politik aus der Perspektive der Frauen betrachtet» (1917). Daneben erfährt man in diesem Band Essentielles zum literarischen Selbstverständnis der Dichterin Yosano Akiko und bekommt in «Aufzeichnungen aus dem Wochenbett» (1911) intime Einblicke ins Privatleben der dreizehnfachen Mutter. Den Abschluss machen zwei Fundstücke. «Aus der Grippe-Station» (1918) und «Angst vor dem Tod» (1920) schildern Pandemieerfahrungen während der Spanischen Grippe, die vor hundert Jahren auch in Japan wütete.

Yosano Akiko (1878-1942, eigentlich H? Sh?) stammte aus einer Kaufmannsfamilie aus Sakai nahe Osaka, führte bereits mit elf Jahren die Geschäfte der Familie und begann früh, Kurzgedichte zu schreiben. 1901 erschien ihr erster, viel beachteter Tanka-Band Midaregami (Wirres Haar). 1905 sorgte ein an ihren Bruder gerichtetes Antikriegsgedicht für Aufsehen. Sie machte sich nicht nur als moderne, eigenständige Stimme der japanischen Literatur einen Namen, sondern tat sich in Essays als couragierte Demokratin und Vorkämpferin für Frauenrechte hervor.

Aufzeichnungen aus dem Wochenbett

Ich liege noch immer im Entbindungszimmer des Krankenhauses Gegen Abend wird hier drinnen der Gasofen angefacht. Doch solange die Sonne scheint, ist es warm. Denn ein schöner Tag folgt auf den anderen. Zudem ist dieses Zimmer nach Süden ausgerichtet und die Veranda mit Glasschiebetüren abgeschlossen, sodass man sich nicht vor dem Wind in Acht nehmen muss, selbst wenn die mit Papier bespannten Shōji-Schiebefester teilweise offen stehen. Zwar blenden einen die Sonnenstrahlen, aber die Krankenschwester stellt dann jeweils einen kleinen Faltschirm schräg gegen die Shōji. Auf den noch neuen, duftenden Tatami steht auf einem Tischchen eine Glasvase mit Schnittblumen aus den Gewächshäusern des Botanischen Gartens Myōkaen, und etwa zehn Zeitschriften, die jüngsten Ausgaben dieses Monats, sind nebeneinander aufgereiht. Sonst liegt überhaupt nichts herum. Ein wohlgeordnetes, sauberes und ruhiges Zimmer!

Die Pflegerin hält sich im Nebenzimmer auf. Da gibt es offenbar ein Kohlenbecken, Teeutensilien, einen Handtuchständer, Wandschränke für allerhand Gerätschaften des täglichen Gebrauchs sowie einen Behälter für das Essgeschirr. Alle Besucher legen dort ihre Hüte, Überwürfe und Mäntel ab. Wenn sie vor mir erscheinen, haben sie sämtliche derartigen Hüllen zurückgelassen. Nur wenige treten in prächtiger, formeller Tracht auf, in Haori und Hakama. Die übrigen tragen Alltagsgewänder und kommen herein, ohne sich irgendwie in Szene zu setzen. Auch vermeiden sie langatmige Besucherfloskeln. Meist sagen sie nur so etwas wie: «Okusan – gnädige Frau, wie geht’s?» und beginnen gleich mit Geschichten um das kaiserliche Theater oder lassen sich über neu erschienene Romane und dergleichen aus – um sich bald darauf wieder zu verabschieden. Die offenherzige, warme Vertraulichkeit und Freundschaft dieser Menschen, die sich nicht um Formalitäten kümmern, bereiten mir große Freude.

Das sind alles Leute, die ihr Leben nicht einfach nur in einem eng begrenzten Bekanntenkreis zubringen. Und es sind auch keine Leute, die sich in einer Zeit wie der unseren, da man allein von der Kunst leben kann, bequem eingerichtet haben. Kaum haben sie sich wieder ins Nebenzimmer zurückgezogen, setzen sie sich Studentenhüte auf, andere schlüpfen in Mäntel mit Fischotterpelzkragen, und wieder andere klemmen sich ein Bündel mit Notizen für ihre Anwaltsprüfung unter den Arm und machen sich so auf den Heimweg. Sie treten aus dem Tor dieses Krankenhauses und mischen sich unter die Menge gewöhnlicher Leute. Ich kann sie in meiner Lage zwar nicht draußen verabschieden, aber ich kann mir im Großen und Ganzen vorstellen, mit welcher Verhüllung gewappnet ein jeder meiner Freunde aus dem Tor hinaustritt und sein gesellschaftlich «maskiertes» Leben fortsetzt. Da es Leute sind, die sich nicht für die Armee eignen, werden sie vom Vaterland wohl nicht überaus hoch eingeschätzt. Wenn mir solches durch den Kopf geht, muss ich unwillkürlich lächeln.

Vor dem Nebenzimmer zieht sich der Korridor hin – ein langer Korridor von vierundzwanzig oder fünfundzwanzig ken1 der sich vom Eingang bis hierhin zwei-, dreimal um Ecken windet und zu Krankenzimmern führt, die ans hügelige Gelände angepasst errichtet wurden. Das heißt, es geht überdies zwei-, dreimal steil hinauf und hinunter. Alle Personen, die ihn passieren, bemühen sich, ihre Haussandalen behutsam aufzusetzen. Denn dieser Ort hat eine Abneigung gegen alles, was tönt. Mancherorts kleben Zettel mit der Aufschrift: «Bitte leise auftreten!» Und vor gewissen Krankenzimmern soll sogar in hartem sinojapanischem Stil zu lesen sein: «In Anbetracht schwerkranker Patienten gebe man ganz besonders acht, jegliches laute Auftreten zu vermeiden!»

Ich allerdings, die ich in meinem Zimmer darniederliege, lechze geradezu – mehr als nach etwas anderem – nach solchen besonders verabscheuten «Tönen». Das Weltall wie das menschliche Leben, alles setzt sich objektiv gesehen aus einer komplexen Anhäufung von Linien, Farben und Lauten zusammen. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass alle Menschen, die sich mit Wissenschaft und Kunst befassen, diese komplexe, sowohl zartgliedrige als auch erhabene Harmonie von Linien, Farben und Klängen lesen und sie der breiten Menge verständlich vor Augen führen können. Ich bin von Haus aus keine solche herausragende Künstlerin, und besonders jetzt, da ich auf das Abklingen der Geburtsstrapazen warte, nichts weiter als «einfach eine Frau», deren Blicke über die Zimmerdecke schweifen. Dennoch empfinde ich die in diesem Krankenzimmer sichtbaren Linien und Farben als allzu armselig. Was die «Töne» betrifft, beschränken sie sich auf den Klang des Eisenkessels mit kochendem Wasser im Nebenzimmer, auf «Töne» vom langgezogenen Waschplatz seitlich des Korridors, wo die Krankenschwestern und Ärzte gelegentlich an den Wasserhähnen schrauben und die Hände waschen, dann noch auf die Stimmen, die sich irgendwo unterhalten, und auf die Schläge der Uhr, die aus dem gemeinsamen Aufenthaltsraum des Personals herüberdringen. Selbst für mich, die ich mir immer wünschte, in einem ruhigen Haus zu wohnen, ist diese Eintönigkeit zu viel. Bis vor zwei, drei Tagen habe ich immer ungeduldig auf das Schlagen der Uhr gewartet. Jetzt bin ich nur noch enttäuscht, wenn ich denke, es sei bald Mitternacht, und dabei schlägt es erst neun Uhr. Besser wäre es, diese heimtückischen Laute nicht zu vernehmen. Ich spitze die Ohren und versuche, irgendwelche neuartigen «Töne» ausfindig zu machen. Aber nichts dergleichen; es ist eine Qual.

Hie und da nähern sich von weit vorn im Korridor leise Tritte von Haussandalen. Wenn sie vor dem eigenen Nebenzimmer anhalten, kann ich mich des Herzklopfens nicht erwehren. Wenn sie aber vorübergehen und sich als Besuch eines anderen Krankenzimmers entpuppen, ist das ein elendes Gefühl. Der Mensch hat eine Abneigung gegen die Isolation. Er scheint von Natur aus auf Mitgefühl angewiesen zu sein.

Mein ältester Sohn, der täglich auf dem Heimweg von der Schule vorbeischaut, stapft immer laut durch den Korridor, man mag ihn noch so oft ermahnen. Trotz meiner Bedenken hebt sich sogleich meine Stimmung, wenn ich dieses kindliche Aufstampfen höre. Mein Mann, der mich abends besuchen kommt, bleibt jeweils leise im Korridor stehen und schnippt zweimal mit der Fingerspitze leicht gegen die Shōji am Eingang des Nebenzimmers. Er macht so die Leute drinnen auf sich aufmerksam und tritt dann ein. Dieses leise, ruhige Fingerzeichen hört sich für mich an wie das Signal eines Mannes, der auf heimlichen Liebespfaden wandelt. In diesem Augenblick habe ich das Gefühl, erst jetzt eine vor zehn Jahren versäumte jugendliche Liebeserfahrung nachzuholen.

Die Krankenschwester ist eine schweigsame Person mit tadellosen Manieren. Wenn sie etwas sagt, spricht sie die Wortendungen ganz deutlich aus, mit einer hellen Stimme, als ob sich dünne Silberstreifen berührten. Ihre Gewohnheit, Gefühle nicht am Gesichtsausdruck erkennbar zu machen, und ihr fester Wille zeugen von einer Art, wie man sie oft bei Frauen aus der Yamaguchi-Präfektur beobachten kann. Ich sehe mich gehalten, ihr gegenüber mehr Rücksichten zu nehmen als gegenüber dem leitenden Arzt des Krankenhauses.

Bisher pflegte ich nach jeder Geburt etwa ab dem fünften Tag wieder den Pinsel in die Hand zu nehmen. Doch diesmal machte es mein Gesundheitszustand notwendig, ins Krankenhaus zu gehen, und auch jetzt noch verspüre ich eine ungewöhnliche Müdigkeit. Zudem habe ich Herzbeschwerden und ein bisschen Fieber. Zwar denke ich nicht daran, zum Pinsel zu greifen. Aber wenn ich so unbeweglich daliege, kommen mir die unterschiedlichsten Hirngespinste in den Sinn, und wenn ich versuche, das alles im Sinne der Zen-Meditation in den Griff zu bekommen, wird es nur noch schlimmer.

Deshalb lasse ich die Wahnvorstellungen einfach kommen und gehen, wie sie wollen. Auf diese Weise sind auch zwei Erzählungen entstanden. Die eine hat schon zwanzig Fortsetzungen und ist noch nicht zu Ende. Beide präge ich mir gut ein, um sie nicht zu vergessen. Nur was in der Form eines Tanka auftaucht, lasse ich in Augenblicken, da die Krankenschwester abwesend ist, von meinem Mann mit Bleistift aufschreiben und Zeitungen oder Magazinen zuschicken, mit denen ich Abmachungen habe. Wenigstens die Zeitschriften, die ich hier zur Hand habe, möchte ich lesen. Aus Scheu vor der Krankenschwester, die die Anweisungen des Chefarzts strikt umsetzt, genieße ich allerdings nur die Fotobeiträge der Frauenzeitschriften und der Mitsukoshi Times. Ich denke, eine solche willensstarke Krankenpflegerin zur Seite zu haben ist für die Patienten wahrhaftig von großem Vorteil.

Sieben, acht Tage lang, zur Hälfte vor und zur Hälfte nach der Geburt, habe ich absolut keinen Schlaf gefunden. Während zweier Nächte vor der Niederkunft quälte mich, wenn ich mich hinlegte, das Gefühl, etwas in der Form eines Flugzeugs bewege sich vom Bauch gegen die Brust herauf. Mein Atem ging schwer, als müsste ich ersticken. Aufrecht sitzend stöhnte ich und wartete darauf, dass sich der Spalt an der Tür endlich aufhellte. Verglichen mit meiner ersten Zwillingsgeburt waren diesmal die Beschwerden vom dritten Monat an deutlich anders. Doktor Morimune teilte mir mit, das oben liegende Kind befinde sich in einer schlechten Position. Das war das Kind, welches mir die Vorstellung von der Form eines Flugzeugs aufdrängte. Meine Nieren entzündeten sich, und die ödematösen Schwellungen verbreiteten sich im ganzen Körper. Das Atemholen wurde mit jedem Tag mühsamer, und ich konnte weder stehen noch liegen. Ich hatte mich bereits damit abgefunden, dass mich das Flugzeug diesmal umbringen...

Erscheint lt. Verlag 23.5.2022
Nachwort Eduard Klopfenstein
Übersetzer Eduard Klopfenstein
Sprache deutsch
Original-Titel Otoko to onna
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte 2022 • eBooks • Emanzipation • Entdeckung • Essays • Frauenrechte • Gerechtigkeit • Geschlechterrollen • Japan • Mehr Klassikerinnen • Neuerscheinung • Neuerscheinungen 2022 • Neuheiten 2022 • Starke Frauen • Tanka • Weibliche Selbstbestimmtheit
ISBN-10 3-641-27281-5 / 3641272815
ISBN-13 978-3-641-27281-4 / 9783641272814
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