Was die Nacht verschweigt (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
512 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-26441-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was die Nacht verschweigt -  Louise Doughty
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Zwei Tote auf dem Bahnsteig. Eine toxische Beziehung. Und eine dunkle Wahrheit, die nicht ans Licht kommen darf ...
Nachts um vier, an einem eisigen Novembermorgen, ist der Bahnhof von Peterborough menschenleer. Während alle schlafen, steht ein Mann verzweifelt an Gleis 7. Sein Vorhaben ist eindeutig - in wenigen Minuten rast hier ein Güterzug vorbei. Was der Mann nicht weiß: Er ist nicht allein. Lisa Evans beobachtet ihn, doch sie kann ihn nicht mehr von seiner Entscheidung abbringen. Der Vorfall bringt nicht nur Lisa, sondern auch den Polizisten Lockhart dazu, sich näher mit den Geschehnissen auf diesem Gleis zu beschäftigen. Denn kann es purer Zufall sein, dass mehrere Menschen innerhalb von nur 18 Monaten genau an der gleichen Stelle sterben? Die Suche nach der Wahrheit wird zu einem nervenaufreibenden Puzzlespiel ...

Vielschichtig, atemberaubend spannend, psychologisch durchdacht: Die englische Bestsellerautorin Louise Doughty erzählt auch in ihrem neuesten Roman auf faszinierende Weise von den Abgründen menschlicher Beziehungen.

»Louise Doughty ist eine brillante Erzählerin, die weiß, wie sie Hochspannung erzeugt.« The Times

Louise Doughty, geboren 1963, schreibt Romane, Hörspiele und unterrichtet Kreatives Schreiben. Ihre Bücher erscheinen in 30 Ländern, wurden für renommierte Preise ausgezeichnet und nominiert (u.a. Dagger Award, Orange Prize) und verfilmt. Die britische Autorin und Journalistin lebt mit ihrer Familie in London.

1


Es ist vier Uhr morgens. Der Bahnhof ist leer, doch ich bin nicht allein. Ich bin nie allein.

Es gibt die anderen und jetzt auch den Mann.

Außer mir hat ihn bislang noch niemand gesehen.

Um diese Zeit der Finsternis liegen alle sieben Bahnsteige im nüchternen Schein der Notbeleuchtung. Hin und wieder, wenn ein Güterzug durchfährt, ertönen ein lang gezogenes Kreischen und Rattern; dann kehrt wieder Stille ein, nur unterbrochen von ein paar sich kabbelnden Tauben auf Bahnsteig fünf.

Unten zwischen Gleis zwei und drei schnürt ein einsamer Fuchs, klein und seidenglatt, am Gleis entlang. Er hält an, wittert mit erhobener Schnauze die eisige Luft und springt lässig und geschmeidig auf Bahnsteig zwei. Als er eine Laterne streift, leuchtet sein Fell kurz rotbraun auf, ehe er wieder im Dunkeln untertaucht.

Zwei Leute vom Reinigungspersonal in grellorangen Hosen und Jacken ziehen von Bahnsteig zu Bahnsteig, sehen nach dem Rechten, bevor die ersten Pendler eintreffen. Im Büro der Bereitschaftsteamleitung schlürfen der Kundendienstmanager und ein Wachmann ihren Tee, während sie auf die Monitore der Videoüberwachung starren. So leer der Bahnhof von Peterborough nachts auch sein mag, schläft er doch nie, nicht richtig. Der letzte Zug nach London fährt erst um 23.47 Uhr, aber wenn man nach Edinburgh will, muss man allerspätestens einen um 20.16 Uhr erwischen. Richtung Osten geht es um 21.18 Uhr nach Stansted, nach Westen um 21.59 Uhr nach Birmingham. Der Bahnhof von Peterborough hockt in Englands Mitte wie eine Spinne im Netz, und genau wie eine Spinne registriert er jede Bewegung, auch wenn er noch so reglos zu verharren scheint.

Da der Frühzug nach London um 3.25 Uhr abgeht, ist der Bahnhof nur gut drei Stunden für Reisende geschlossen. Der Kundendienstmitarbeiter hat nach dem letzten Zug Feierabend, nur der Manager schiebt die ganze Nacht Dienst. Häufig hält ein Güterzug zum Fahrerwechsel an Gleis sieben – rückseitig ist dem Bahnhof ein Betriebshof angegliedert. Fracht wird natürlich rund um die Uhr auf der Schiene befördert.

Der Wachmann, der in dieser einen Nacht Dienst hat, heißt Dalmar. Er ist äußerst gewissenhaft. Seine Hauptaufgabe ist es, dem Kundendienstmanager zu assistieren, doch er muss den Bahnhof auch alle zwei Stunden auf verdächtige Objekte hin abgehen: jeden der sieben Bahnsteige, die Wartebereiche und Toiletten. Auch wenn Dalmar noch nie etwas Verdächtiges gefunden hat, hat er das GUT-Prinzip (Glasklar? Unbemerkt? Typisch?) verinnerlicht. Dalmar ist aus Somalia; Großbritannien hat ihm vor zwölf Jahren Asyl gewährt, und in seinen Träumen wird er von den Bomben verfolgt, die er nie finden wird. Er ist stolz darauf, dass es zu seinen Aufgaben zählt, die britischen Bürger vor Sprengstoffattentaten zu bewahren, auch wenn sie wohl genau ebensolche noch am ehesten von ihm erwarten. Manchmal wünscht er sich, er würde etwas entdecken, um sich für sein Asyl erkenntlich zu zeigen, doch das ist ein so schlimmer Wunsch, dass er ihn sich gleich wieder verbietet. Und was passieren würde, wenn etwas versteckt wäre und er es nicht fände, ist zu schrecklich, als dass er auch nur daran denken könnte. Sich vor etwas fürchten und es zugleich herbeiwünschen: Macht ihn das kreuzunglücklich oder zum glücklichsten, lebendigsten Menschen überhaupt?

In dieser einen Nacht ist Dalmar gut drauf. Er hat soeben den Securitycheck beendet, jedes Kästchen auf dem Papier abgehakt und das Klemmbrett an seinen Nagel im Teamleitungsbüro auf Bahnsteig eins zurückgehängt. Jetzt plaudert er mit dem aktuellen Kundendienstmanager, dem kleinen, gemütlichen Tom. Dalmar überlegt, sich um eine Ausbildung für den Kundenservice zu bewerben. Schon vor seiner Auswanderung konnte er sehr gut Englisch; jetzt spricht er absolut fließend, hat aber noch Hemmungen. Tom hat ihn dazu ermutigt. »Fang im Zugverkehr an, Dalmar«, sagt er immer, »auf jeden Fall auf der Schiene, in den Zügen ist viel mehr los. Fünf Jahre, dann lässt du dich in einen Bahnhof versetzen. Man verdient gut, mit Zulagen und allem.«

Beim Reden trinken Tom und Dalmar Tee aus Maxi-Tassen. Zwischendurch blicken sie, unbewusst abwechselnd, auf die Videoüberwachung, das neue System, das rund um die Uhr neun verschiedene Bahnhofsbereiche erfasst, alle in Vollfarbe HD auf einem großen Flachbildschirm. Tom interessiert sich besonders für die Fahrradstellplätze: Immer in den Monaten vor Weihnachten geht die Diebstahlrate durch die Decke. Tom ist selbst Radfahrer und hat Mitleid mit den Bestohlenen. Nichts macht ihm mehr Spaß, als loszustürzen und einen zu stellen, der sich mit Bolzenschneider an einem Fahrradschloss zu schaffen macht, auch wenn er einfach in der Dienststelle der British Transport Police, der Bahnpolizei, auf der anderen Straßenseite anrufen und es denen überlassen könnte.

Heute Abend ist es allerdings ruhig: kein Fahrraddieb, noch keine Betrunkenen – es ist erst Dienstag. Mit Betrunkenen ist normalerweise ab Donnerstag zu rechnen, wenn sie die frühen Morgenzüge nach Hause nehmen. Sie kommen allein oder zu zweit, Männer und Frauen, zu dünn angezogen und bibbernd, direkt aus Peterboroughs schicksten Nachtclubs. Entweder Arm in Arm oder einander anrempelnd, torkeln sie auf die Bahnsteige. Unweigerlich knickt irgendwann einer klappmesserartig in der Hüfte ab, geht in Haarnadelform und erbricht platschend ganze Pfützen mitten auf den Bahnsteig. Zum Glück ist das das Problem der Reinigungsleute. Im Winter muss Tom allerdings auch schon mal Schnee schippen und Streusand ausbringen; wenn direkt vor dem morgendlichen Stoßverkehr ein Schneesturm loslegt, bleibt ihm nichts anderes übrig. Seiner Meinung nach könnten die Bahnsteige von Peterborough wirklich eine Überdachung vertragen.

Wenn es nicht die Betrunkenen sind, sind es die mit den psychischen Problemen. In letzter Zeit hat es ein paar Vorfälle mit einer Frau mittleren Alters gegeben, die der Bahnpolizei bekannt ist, offensichtlich eine schlaflose Irre, die sich im Bahnhof herumtreibt, sobald er aufmacht, und die frühen Pendler belästigt. In braunem Mantel über bodenlangem Nachthemd und Gummistiefeln stapft sie umher und tippt sich mit zwei Fingern in einer »Hast du mal ’ne Kippe«-Geste an die Lippen, wenig aussichtsreich, wenn man bedenkt, dass Rauchen in Bahnhöfen seit 2007 verboten ist. Gelegentlich springt ein Obdachloser über den Sicherheitszaun – es ist nicht schwer, in den Bahnhof einzudringen –, aber Tom bemerkt ihre Silhouetten meistens auf dem Überwachungsmonitor, noch bevor sie auf dem Bahnsteig landen, stürzt raus und brüllt über die Gleise, dass er die Bahnpolizei holt, wenn sie nicht durch den Hauptausgang verschwinden. Da gibt es nie Ärger. Bei richtiger Eiseskälte kann es vorkommen, dass Tom ein Auge zudrückt – solange er die Gestalt auf dem Monitor erkennt – und sie eine Zeit lang in einem Wartehäuschen unterkriechen lässt, bis sie der diensthabende Wachmann entdeckt. Er weiß, das sollte er nicht tun, aber in manchen Nächten bringt er es einfach nicht übers Herz.

Heute Nacht passiert allerdings nichts von alledem. Es herrscht Ruhe. Das einzig Interessante auf den Überwachungsvideos ist der Fuchs, der den Bahnhof nach allem Müll absucht, in dem sich ein Krümel zu fressen finden könnte, wobei er in der Ecke des einen Kamerabilds verschwindet und wie durch Zauberhand in einem anderen wiederauftaucht.

Tom und Dalmar, ins Gespräch über Dalmars berufliche Zukunft vertieft, werfen nur ab und an einen Blick auf die Bildschirme – so kommt es, dass sie weder den Fuchs noch den Mann sehen. Nur ich, die ich mich aus purer Langeweile im Büro herumdrücke und ihnen zuhöre, sehe den Mann in den Bahnhof kommen und die Treppe zur Fußgängerüberführung mit Zugang zu den Gleisen ansteuern. Ich weiß auf Anhieb, wo er hinwill: zu Gleis sieben.

Bahnsteig sieben ist neu. Er wurde anscheinend vor vier Jahren gebaut – die Mitarbeiter reden immer noch davon, wie störend sich das auf den Betrieb auswirkte. Man hätte doch meinen können, der Bahnhof von Peterborough sei groß genug gewesen – aber nein, die mussten sich natürlich beweisen und anbauen, noch zwei Bahnsteige dort, wo mal das alte Gütergleis und das Abstellgleis für Flugaschetransporte gewesen waren. Dieser Teil des Bahnhofs ist am weitesten vom Eingang, vom Büro der Bereitschaftsteamleitung und dem Kunden-Infostand entfernt. Selbst wenn dem Mann die Bezeichnungen diverser Stellen der Bahnhofsverwaltung nicht geläufig sind, weiß er doch, dass er auf Bahnsteig sieben am weitesten weg vom Bahnhofspersonal ist. Der Haupteingang öffnet sich um drei Uhr morgens für die Handvoll Fahrgäste, die den ersten Zug Richtung Süden nehmen – hauptsächlich Zugpersonal auf dem Weg zur Arbeit –, und zwar von Gleis eins. Um diese Zeit gibt es für niemanden einen vernünftigen Grund, sich in der Gegend von Gleis sieben aufzuhalten. Hier fährt der erste Personenzug um 6.10 Uhr nach Birmingham New Street. Wenn er den nehmen will, ist er verdammt früh dran.

Als ich ihn finde, sitzt er auf der Metallbank etwa auf Dreiviertelhöhe des Bahnsteigs, der entfernten Bank, die der Zugangsrampe am nächsten liegt, der ruhigste Teil des ganzen Bahnhofs. Er führt ins Nirgendwo, man sucht ihn nur auf, wenn man dort sein will – oder nirgends.

Er ist um die sechzig, ein kräftiger, hünenhafter Mann, das sehe ich ihm selbst im Sitzen an. Mittlerweile habe ich Übung darin, den Körperbau von Leuten abzuschätzen, ihre Maße und ihr Gewicht mit meinem gemächlichen Blick zu taxieren. Er trägt eine dicke, altmodische Jacke, früher sagte man Donkeyjacke dazu, dunkelblau mit Lederbesatz. Nie...

Erscheint lt. Verlag 1.5.2022
Übersetzer Astrid Arz
Sprache deutsch
Original-Titel Platform 7
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte 2022 • Die Wiege aus Stein • Dunkle Wasser • eBooks • Ein Schritt zu weit • Großbritannien • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2022 • Nicci French • Paula Hawkins • Platform 7 • Psychologischer Spannungsroman • ruth ware • Thriller • Was du liebst gehört dir nicht
ISBN-10 3-641-26441-3 / 3641264413
ISBN-13 978-3-641-26441-3 / 9783641264413
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