Baba Jaga (eBook)
195 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7549-1470-0 (ISBN)
Autor und Filmemacher aus Berlin, lebt seit 2018 in London
Autor und Filmemacher aus Berlin, lebt seit 2018 in London
Auf Renates Weg zu Baba Jagas Haus herrschte tiefster Winter. Schwarze, schneebedeckte Bäume ragten stumm aus der weißen, makellosen Landschaft. Merkwürdig still war es, kein Wasser schien zu tropfen, kein knackendes Gezweig, kein Vogellaut und nicht einmal der Wind, der an Renates Haaren zerrte, war zu hören. Nur ihre Füße waren bitterkalt. Der Wald erschien ihr wie im Traum, seltsam zwar und unglaublich, aber unbezwingbar in seiner Wirklichkeit. Sie schritten entlang einer Reihe junger Birken und Renate glaubte zu sehen, wie deren Köpfe sich vorwurfsvoll zu ihr beugten. Wie Soldaten standen sie Spalier. Sie presste die Lippen so fest zusammen, dass alles Blut daraus entwich. Schließlich gelangten sie an das Haus der Hexe. Froh, dem unheimlichen Wald zu entkommen, schritt Renate durch die Tür. Drinnen schien es ihr zunächst wärmer und erleichtert rieb sie sich die Hände. Auch der Weinbrandrausch schien ausgestanden. Baba Jaga deutete auf einen kleinen Schemel gegenüber der Tür, seufzend ließ sich Renate darauf nieder. Doch zugig war es dort und das Feuer, das in der anderen Ecke glühte, hatte keine Kraft mehr. Die Hexe schien auch keine Anstrengungen zu machen, es wieder zu entfachen. Stattdessen setzte sie sich auf einen großen Stuhl und sah die Besucherin stumm und auf merkwürdige Weise an. Renate fühlte sich sofort unwohl. Es war, als schaute die andere Frau bis auf den Grund ihrer Seele. Ihre leicht zusammengekniffenen Augen taxierten die Besucherin misstrauisch. Verschwunden war der freundliche Ton, verschwunden auch die Jugend der Zauberin. Mit Erschrecken stellte Renate fest, dass die Hexe mindestens vierzig oder fünfzig Jahre alt sein musste. Ihre Haare waren grauweiß und das Gesicht so faltig wie das ihrer eigenen Mutter.
Endlich begann die Hexe zu sprechen:
„Nun, mein Kind. Wie du siehst, bin ich nicht ganz so jung, wie du vielleicht geglaubt hast. Der Alkohol hat dir den Kopf vernebelt. Doch keine Sorge, hier bist du in Sicherheit. Dein Problem verstehe ich übrigens nur zu gut. Viele Frauen besuchen mich mit demselben Anliegen und stets muss ich ihnen mitteilen, dass ich nichts für sie tun kann. Doch ich habe dir Hilfe versprochen und die sollst du auch bekommen“, sagte sie.
Renate fasste neuen Mut, wenngleich ihr die Verwandlung der Hexe noch immer unheimlich erschien.
„Was ich dir vorschlagen will, mag zunächst etwas umständlich erscheinen, aber dafür ist der erfolgreiche Ausgang umso gewisser. Wie du weißt, haben wir Hexen keinen besonders guten Ruf und hätten wir nicht unsere Zauberkraft, um uns vor den Menschen zu schützen, müssten wir in ständiger Angst vor dem Scheiterhaufen leben. Du wirst also verstehen, dass die Menschen, die man jahrhundertelang verbrannt hat, gar keine echten Hexen waren.“
Das stimmte zwar nur teilweise, aber Renate hörte aufmerksam zu und darauf kam es an.
„Nun stell dir einmal vor, jemand würde Rosa teuflischer Verbrechen anklagen. Sie ist eine Fremde im Dorf. Niemand kennt ihre Vergangenheit und die alte Frau, die sie adoptiert hat, lebt vielleicht nicht mehr lange. Noch ist sie auch nicht mit Martin verheiratet. Ihre Stellung ist also äußerst unsicher. Es gibt eine Frau, die bezeugen kann, dass ich nach ihr geschickt habe und wie du weißt, starb vor nicht allzu langer Zeit das Kleinkind der Hebamme. Keiner konnte sich erklären, wie es kam. Es lag eines Morgens einfach tot in seinem Bettchen, ohne einen Hinweis auf die Ursache. Und du kennst auch den Bauer Huber. Seine drei Kälbchen gingen ihm ein, ohne dass man hätte sagen können, warum. Und war nicht auch die Ernte ziemlich schlecht in diesem Jahr? Den Leuten würde es nur allzu gut gefallen, einen Schuldigen ausmachen zu können. So war das schon immer“, sagte sie verschwörerisch.
Renate war überrascht, wie viel die Alte wusste. Der Plan schien ihr indes gut, aber sie war sich nicht sicher, ob er auch gelingen würde.
„Wenn Rosa vertrieben wird, wird er vielleicht mit ihr gehen. Dann wäre mir auch nicht geholfen“, bemerkte sie deshalb.
„Sie wird keine Chance mehr haben, davonzulaufen“, sagte Jadwiga vieldeutig.
Da verstand Renate plötzlich. Die Grausamkeit des Vorhabens entsetzte sie zwar, aber sie wusste auch, dass Männer wie Martin nie lange allein blieben.
Sie brauchten eine Frau, an die sie sich anlehnen konnten. Gerade wenn die Zeiten schwer waren. Und wer wollte ihn schon haben, nachdem er sich mit einer Hexe eingelassen hatte?
Ernst sah Renate die Hexe an.
„Was soll ich tun?“, fragte sie nur.
„Zunächst einmal muss Martin das Vertrauen in Rosa verlieren. Es gibt Dinge von ihr, die er nicht weiß und die sie ihm aus gutem Grund verschwiegen hat. Sie ist schwanger und er freut sich schon sehr auf das Kind. Doch sie war sich zwischendurch nicht sicher, ob sie das Kind behalten sollte. Diese Information würde Martin sehr schockieren, denn sie würde das Bild zerstören, das er von ihr hat. Er weiß, dass er manchmal zu naiv ist und fürchtet deshalb, den falschen Menschen zu vertrauen. Noch glaubt er, Rosa sei immer ehrlich zu ihm gewesen. Aber das können wir ändern“, sagte Jadwiga.
Renate war plötzlich ganz aufgeregt. Sie bewunderte die Listigkeit der Alten und war zu allem entschlossen. Ihr Ziel schien in greifbare Nähe zu rücken und da sie eine einfältige Person war, fragte sie sich auch nicht, warum man ihr half oder ob etwas als Gegenleistung erwartet wurde. Dumme Menschen zerbrachen sich ja gemeinhin nicht den Kopf über Ursachen. Was es einfacher machte, sie zu benutzen.
15. Kapitel
Perfidie (lat. perfidus = treulos, unredlich)
Altdeutsch: die Niedertracht
Bedeutung: Eine Art zu denken und zu handeln, die bewusst böse ist
Synonyme: Bosheit, Bösartigkeit, Gemeinheit, Infamie, Arglist
Siehe auch: voller Niedertracht sein; aus reiner, purer Niedertracht
Währenddessen sehnte sich Rosa nach Martin. Er war am Morgen nach Neuhaus aufgebrochen. Er sollte dort den hiesigen Stallburschen vertreten. Kaum eine Woche war er nun fort, doch da sie vorher kaum getrennt waren, erschien ihr die Zeit um einiges länger. Sie musste nur die Augen schließen und schon sah sie jede Einzelheit seines schönen Körpers vor sich, die kräftigen Muskeln und die glatte Haut, seine süßen Locken und das hübsche Gesicht. Auch fehlte ihr sein Geruch, der sie immer wieder aufs Neue verführte. Sie vermisste seinen Blick und seine Stimme, wie er lachte und wie er manchmal für sie sang. Doch das Dorf lag zu weit weg, um ihn tagsüber zu besuchen und da sie nicht verheiratet waren, durfte sie auch nicht bei ihm wohnen. Sobald er zurück kam, wollten sie mit dem Pfarrer reden. Und so verbrachte sie viel Zeit mit Marga, der es mittlerweile immer schlechter ging. Das Mädchen versuchte sie aufzuheitern und erzählte der Alten zur Ablenkung allerlei Geschichten, aber oft verzerrte sich deren Gesicht vor Schmerz und sie hatte Mühe, die einfachsten Dinge zu erledigen. Eines Abends bot Marga ihrem Schützling die Weberei an. Rosa wiegelte zunächst ab, sie wollte nicht über den Tod reden, doch ihre Adoptivmutter bestand darauf und sagte: „Mein Kind, du siehst, dass es mit mir bald zu Ende geht. Aber sorge dich nicht, der Herrgott wird schon ein schönes Plätzchen für mich reserviert haben. Und wie du auch weißt, habe ich keine nennenswerten Nachfahren. Du hingegen warst immer gut zu mir und so sollst du auch die Weberei bekommen. Dein Martin ist ein anständiger Mann. Zusammen werdet ihr sehr glücklich sein. Lass mir die Freude zu wissen, dass ihr nicht umherziehen müsst, ständig auf der Suche nach neuer Arbeit. Dies soll euer Heim werden und ich würde es begrüßen, wenn ihr schon kurz nach der Hochzeit hier einzieht. Was meinst du, würde euch das gefallen?“, fragte sie.
Rosa dachte, dass sich noch nie jemand solche Gedanken um ihre Zukunft Gedanken gemacht hatte. Martin wollte ihr zwar so einiges bieten, wusste aber eigentlich noch nicht so recht wie.
Es wäre gut, wenn ich ab jetzt immer in ihrer Nähe bin. So kann ich ihr besser helfen, nun da sie langsam gebrechlich wird.
„Ach Marga, du bist so gut zu uns. Gerne wollen wir hier unter einem Dach wohnen. Ich bin mir sicher, Martin geht es genauso. Und wenn Gott es so will, kannst du mein Kind noch in den Armen wiegen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie traurig es wäre, solltest du bald nicht mehr da sein“, sagte sie und schaute dabei auf den Boden.
Da hob die Alte ihr das Kinn.
„Na na, wer wird denn weinen. Bevor ich das Kleine nicht wenigstens...
Erscheint lt. Verlag | 28.10.2021 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Literatur ► Historische Romane | |
Literatur ► Märchen / Sagen | |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Abenteuer • Hexe • Hexenprozess • Natur • Psychologie • Romantik • Übernatürlich |
ISBN-10 | 3-7549-1470-7 / 3754914707 |
ISBN-13 | 978-3-7549-1470-0 / 9783754914700 |
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Größe: 121 KB
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