Böses Blut (eBook)

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2021 | 1. Auflage
574 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2524-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Böses Blut - Hilary Norman
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Laura Andros verbirgt ein Geheimnis vor ihrem Mann Roger: Sie ist eine Mörderin. Sechs Jahre hat sie in einer Jugendstrafanstalt verbracht, nachdem sie in Notwehr eine Klassenkameradin tötete. Doch auch der millionenschwere Roger ist alles andere als ein unbescholtener Bürger, denn seine sexuellen Phantasien überschreiten das Maß des Gewöhnlichen.

Als sich Laura in den ehemaligen Freund und jetzigen Erzfeind ihres Mannes verliebt, steht plötzlich mehr als ihre Ehe auf dem Spiel - es geht um Leben und Tod ...



Hilary Norman, geboren und aufgewachsen in London, war nach einer Karriere als Schauspielerin zunächst in der Mode- und Fernsehbranche tätig. Ihr erster Roman erschien 1986; seitdem hat sie zehn weitere Bücher geschrieben, die in siebzehn Sprachen übersetzt wurden.

1.


Laura war gerne nackt. Am Morgen, während sie sich schminkte, bevor sie zur Arbeit ging, oder abends, wenn sie sich zurechtmachte, um auszugehen, saß sie nackt an dem kleinen Kiefernholztisch, den sie auf einem Flohmarkt in der Nähe der Earls Court Road entdeckt und an ihrem Schlafzimmerfenster aufgestellt hatte. Gleichmäßig verteilte sie das Make-up, ein helles Beige mit einem Hauch Rosa, trug ein wenig Lidschatten auf, betonte ihre Wimpern mit etwas Mascara und bürstete ihr dunkles, fast schwarzes Haar zum geschmeidig glänzenden, kinnlangen Bubikopf. Erst nachdem sie ein wenig Parfüm hinter die Ohren und auf die Handgelenke getupft hatte, erst dann stand sie auf und ging zum großen Spiegel auf der Rückseite der Schlafzimmertür. Dort blieb sie stehen, nur für einen Augenblick, und betrachtete sich kritisch, bevor sie ihren Seidenslip überzog und entschied, was sie anziehen sollte.

Lauras Vergnügen an der Nacktheit hatte wenig mit Sex zu tun, aber sehr viel mit Freiheit. Sie lebte jetzt seit über einem halben Jahr in ihrer Mietwohnung in der Finborough Road, und außer an den kältesten Wintertagen hatte sie stets diese absichtlich träge, angenehme Gewohnheit beibehalten und dabei das Schiebefenster immer wenigstens einen Spalt offen gelassen. Sie mochte es, wenn die leichte Brise, ob warm oder kühl, sie berührte und gleichsam mit dem Tag draußen verband, mit dem Rest der Welt. Laura hatte viele Jahre von dieser Welt getrennt verbracht – getrennt durch Glas, Ziegel, Stahl, Beton. Meistens jedoch durch andere Menschen.

Wann immer möglich, trug sie Slips und Büstenhalter aus Satin. Sie hätte Seide vorgezogen, aber sie konnte sich nur die Wäsche von Marks & Spencer leisten, die sich zwar wie Seide anfühlte, aber nur aus Kunststoff bestand. Wenn sie das Geld hätte, würde sie nichts anderes als Seide oder reine Baumwolle an ihre Haut lassen. Kaum etwas fühlte sich besser an als diese ersten Momente nach einem heißen Bad, wenn man trocken war und sich behaglich fühlte und duftete. Und wenn man dann sofort in Seide schlüpfen konnte, glaubte Laura, bewahrte man dieses Gefühl den ganzen Tag. Laura war nicht besonders eitel. Ihr Äußeres gefiel ihr; sie wusste, dass sie auffallend gut aussah, dass sie mit ihrem Gesicht und ihrem Körper und ihrem Haar Glück gehabt hatte. Wenn sie sich morgens und abends ein paar Augenblicke aufmerksam im Spiegel betrachtete, dann deshalb, weil es ihre eigene Entscheidung war, weil sie die Zeit dazu hatte und weil niemand sie dafür zurechtweisen oder verspotten konnte. Laura betrachtete niemals lange ihr Spiegelbild. Sie musterte ihren nackten Körper, die schlanke Figur, den vollen Busen, die schmalen Hüften; sie studierte ihr Gesicht, um das Make-up zu überprüfen, und schaute in ihre Augen, die scharf und grün und klar waren. Aber sie sah niemals wirklich in diese Augen.

Manchmal vergaß Laura, dass Gus in der Wohnung war. Es waren nur zwei Zimmer mit Bad und einer kleinen Küche, aber Gus wusste den Wert persönlichen Freiraums mehr zu schätzen als jeder andere, und ihre Wohngemeinschaft mit Laura, die erst seit drei Monaten bestand, war für beide ideal. Sie hatten die Geselligkeit, den Trost ihrer Freundschaft, aber auch die Privatsphäre, die sie beide so sehr brauchten.

Gus war Lauras beste Freundin. Ihre einzige wahre Freundin. Während der schlimmsten Jahre ihres Lebens war Gus fast immer ihre Stütze, ihre Rettung gewesen, besonders wenn Laura dachte, sie würden sich vielleicht nie wieder sehen. Laura hatte nicht zum ersten Mal den Wunsch zu sterben. Aber dann war Gus wieder aufgetaucht; zwar nur für eine schmerzlich kurze Zeit, aber lange genug, um Laura einmal mehr zu retten und aufzurichten – und dann war sie wieder verschwunden. Bis Laura vor gut zwölf Wochen begriffen hatte, dass Gus diesmal bleiben würde, dass sie Freundinnen fürs Leben blieben. Endlich wusste sie, dass sie vielleicht – trotz allem – eine Chance hatte.

»Du bist noch auf dem Weg der Besserung«, hatte Gus an jenem Junitag gesagt, nachdem Laura ihr das Apartment gezeigt hatte, jeden Zentimeter von jedem Schrank, jedes sorgfältig gefaltete und gebügelte Geschirrtuch, jede auf Hochglanz polierte und antiseptische Oberfläche in der Küche. »Aber du verdrängst es. Diese Perfektion.«

Laura hatte gelächelt. »Du redest wie Fisher.«

»Nett hier«, hatte Gus mit ihrer rauen, widerwillig klingenden Stimme geantwortet. »Wir könnten vom Fußboden essen.«

»Du bleibst also?« Laura hatte es sich inständig gewünscht, wollte Gus aber unter keinen Umständen bedrängen. Gus verabscheute es, unter Druck gesetzt zu werden. »Zum Abendessen?«

»Ist es schon Zeit zum Abendessen?«

»Nein. Zum Tee«, erwiderte Laura. »Ich meinte, zum Tee.«

»Damals, als du in Kane angekommen bist, war gerade Abendessenszeit. Da bist du zum ersten Mal geschlagen worden, weißt du noch?«

»Ja. Es tut mir Leid.«

Gus’ kühle graue Augen blickten sanft, ihre Miene wurde warmherzig. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Nicht bei mir. Niemals.«

Gus war zum Abendessen geblieben und nie wieder gegangen. Sie gingen beide zu der Bruchbude, in der sie gehaust hatte, und holten ihre Sachen. Laura wollte ihr das Schlafzimmer geben, damit sie endlich in einem richtigen Bett schlafen konnte, doch Gus warf nur einen Blick auf das Sofa, das Laura in der Portobello Road entdeckt hatte, und steckte ihren Claim ab.

»Hast du ein Telefon?«

»Noch nicht.«

»Ich werde uns billig eins besorgen.«

»Legal?«

»Natürlich nicht.«

»Ich würde lieber warten, bis wir uns eines leisten können.« Lauras Stimme klang ruhig, obwohl sich ihr der Magen vor Angst umdrehte, Gus zu verletzen oder gar zu vertreiben. »Wenn du nichts dagegen hast.«

»Es ist deine Wohnung«, sagte Gus. »Du stellst die Regeln auf.«

»Es ist jetzt unsere Wohnung.«

»Okay, dann warten wir noch ein bisschen.« Gus zuckte mit den Achseln. »Es könnte Spaß machen, ein ehrliches Leben zu führen.«

»Meinst du das ernst?«

»Man muss alles mal ausprobieren«, antwortete Gus.

Es war nicht immer so zwischen ihnen gewesen. An dem Tag, als Gus bei Laura einzog, hatte Laura nur eine Angst: dass sie Gus wieder verlieren könnte. Als Laura Andros zum ersten Mal Augusta Pietrowski gesehen hatte, hatte sie sich gefürchtet – wie sie sich vor den meisten ihrer Zeitgenossen fürchtete. Und ganz zu Anfang hatte Gus diese Angst ausgenutzt und für die eigenen Zwecke missbraucht – wie die meisten es mit Laura machten.

Diesmal war es anders. Es war Sommer 1982, und beide machten einen neuen Anfang und waren vollauf damit beschäftigt, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, ihre alte Haut abzustreifen und zu entscheiden, wie ihre neue Existenz aussehen sollte. Das war vielleicht ein Vorteil schlechter Zeiten: Sie hatten wenig oder nichts, um dessen Beibehaltung man sich bemühte. Jetzt hatte sie eine Wohnung mit einem Schlafzimmer unweit der Fulham Road und nicht eine Million Meilen entfernt vom Herzen Chelseas. Jetzt hatte Laura Arbeit in der Agentur – endlich eine richtige Stelle und nicht bloß Zeitarbeit, mal hier, mal da, und dann wieder woanders.

Und jetzt durchforstete Gus die Stellenanzeigen in der Zeitung – Gus, die wirklich und wahrhaftig eine Möglichkeit suchte, wie sie zur Miete beitragen konnte. Jetzt gingen die beiden samstagabends auf einen Drink aus oder ins Kino, oder sie holten sich etwas beim Inder oder beim Chinesen, und fast jedes Mal schlenderten sie über die King’s Road, manchmal auch durch Knightsbridge und Beauchamp Place. Sie blickten in die Schaufenster, schauten sich die Kleider an, die verrückten und die orientalisch gestylten von Miyake und Comme des Garçons, die bei Montana und Mugler und Ralph Lauren, sogar die bei Valentino. Laura und Gus waren zu dem Schluss gekommen, dass Schaufensterbummel das Einzige waren, das sie sich leisten konnten, denn sich während der Öffnungszeiten auch nur in die Nähe eines Geschäfts zu begeben, bedeutete Gefahr – besonders für Gus.

Sie kamen großartig miteinander aus und waren die besten Freundinnen. Selbst nachdem Ned auf der Bildfläche erschien, selbst als Laura ihn zum ersten Mal zum Abendessen in die Wohnung einlud, änderte sich nichts daran. Laura machte sich anfangs Sorgen, Gus könnte sich ausgeschlossen fühlen, oder schlimmer – viel schlimmer –, dass sie wieder in alte Gewohnheiten zurückfiel, doch sie hätte es besser wissen müssen: Gus war jetzt stärker und beherzter.

»Wenn du mal was dagegen hast, dass Ned hier ist, würdest du es doch sagen, Gus, nicht wahr?«, fragte Laura sie eines Sonntags, als Ned nach dem Mittagessen wieder nach Hause gegangen war.

»Na klar.«

»Weißt du, er bedeutet mir nichts – das heißt ein bisschen schon –, aber nicht so wie du.« Laura hielt inne, ihre Augen leuchteten. »Du weißt schon.«

»Ja, ich weiß schon.« Gus lächelte. »Du machst dir zu viele Gedanken.«

»Es ist nur, weil er sagt, dass er mich liebt, aber ich liebe ihn nicht«, erklärte Laura. »Ich mag ihn sehr, aber ich liebe ihn nicht. Das macht mir ein schlechtes Gewissen.«

»Dir macht alles ein schlechtes Gewissen, Kleine.«

Beide verstummten in der behäbigen Ruhe des Sonntagnachmittags, keiner nahm bewusst die Geräusche des Fernsehers aus der Wohnung im Erdgeschoss wahr oder den ständigen Lärm des Londoner Verkehrs.

»Ob ich mich jemals ändern werde?«, fragte...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2021
Reihe/Serie Hilary Norman Thriller
Übersetzer Rolf Tatje
Sprache deutsch
Original-Titel LAURA
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Adam Fawley • Cara Hunter • Catherine Sheperd • Domestic Crime • Entführung • Familiendrama • Karen Rose • Spannung • Vermisstenfall
ISBN-10 3-8412-2524-1 / 3841225241
ISBN-13 978-3-8412-2524-5 / 9783841225245
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