Im Schatten der Wende (eBook)

Kriminaldauerdienst Ost-West - Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
368 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-44004-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Schatten der Wende -  Frank Goldammer
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»Die Zeiten haben sich geändert. Die Verbrechen auch.« Dezember 1989. Die Mauer ist gefallen. Der angehende Kriminalpolizist Tobias Falck tritt bei dem neu gegründeten Kriminaldauerdienst in Dresden an - und wird vor große Herausforderungen gestellt. Drogenhandel, Prostitution, Mord auf offener Straße - die Kriminalität im Osten verändert sich drastisch. Und es ist völlig unklar, welche Rechtsgrundlage für ostdeutsche Polizeiarbeit kurz nach der Wende gilt. Das KDD-Team gerät zusehends unter Druck, vor allem als plötzlich eine westdeutsche Kollegin auftaucht und um Amtshilfe bei der Suche nach einem Auftragskiller ersucht ...

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.

»Absitzen! Aufstellung!« Der Befehl kam hart und schnell. Unter der Plane des G5 Pritschenwagens entstand Bewegung. Tobias Falck, der gleich hinter der Fahrerkabine saß, weshalb er während der Fahrt fast nichts hatte sehen können, musste warten, bis seine Genossen von der Ladefläche gesprungen waren. Dann stand auch er auf, lief geduckt zur Laderampe und sprang, wobei der ungewohnte Helm, der an seinem Koppel hing, der Schild und der Gummiknüppel schwer an ihm zogen und ihn einknicken ließen. Doch nicht allein das Gewicht war es, das seine Knie weich werden ließ. Er hatte Angst.

Es war der 9. Oktober 1989, und das erste Mal in seinem Leben hatte er wirklich Angst. Alles, was ihn früher mal geängstigt hatte, sei es als Kind, als Jugendlicher, als NVA-Soldat beim Manöver oder auch als Polizist, war nichts gegen diese unterschwellige Übelkeit, die jetzt in seinem Magen waberte, und dieses Herzklopfen, das so schnell und heftig war, dass er meinte, jeder müsste es sehen, wäre es nicht so dunkel.

Keiner sprach, alle gehorchten sie Bergers Befehl und sortierten sich in einer Reihe. Der Motor des Lkw sprang wieder an, und im roten Schein der Rücklichter sah Falck die Besorgnis im Gesicht seines Leutnants. Dessen Latein schien mit diesen beiden Befehlen schon am Ende zu sein, denn nun sah er sich um, versuchte sich zu orientieren, zwischen den dunklen Häuserfronten und angesichts der Hundertschaften von Sicherheitskräften, die sich hier sammelten. Beinahe erleichtert wirkte er, als er einen ranghöheren Vorgesetzten entdeckte. Selbst mit Knüppel und Schild bewaffnet, lief Berger diesem entgegen und salutierte. Besorgt beobachtete Falck den Leutnant. Dass dieser sonst so souveräne Mann offenbar nicht wusste, wie er mit der Situation umzugehen hatte, bereitete ihm Sorge. Und vermutlich würde sein Vorgesetzter auch nur auf Befehle von oben warten. Und wenn die oberste Leitung auch nicht weiterwusste?

»Wo sind wir denn?«, flüsterte sein linker Nebenmann. Falck registrierte erst jetzt, dass es Alex war, sein Zimmergenosse und bester Freund im Lehrgang. Er hatte vorhin noch auf einem anderen Laster gesessen.

»Ich weiß es nicht«, flüsterte Falck zurück.

»Leipzig!«, antwortete jemand von weiter links.

»Weißt du das genau?«, fragte ein anderer.

»Hab das Ortsschild gesehen. Wir sind in Leipzig!«

Falck war das egal. Leipzig war für ihn eine Stadt wie jede andere. Zweimal war er hier gewesen. Zu einem Fußballspiel, Dynamo gegen Lok Leipzig. Das andere Mal, vor einer halben Ewigkeit, mit seinen Eltern und den Geschwistern, im Zoo.

Er war allerdings erleichtert, dass sie nicht nach Dresden gefahren waren. Von seinem Vater wusste er, dass es dort am 30. September, am Hauptbahnhof, als die ersten Züge mit Leuten aus der Prager Botschaft durchfuhren, zu einer großen Menschenansammlung gekommen war. Weil Rowdys die Polizei angegriffen hatten, kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Da offensichtlich noch mehr Züge aus Prag über Dresden fahren sollten, war gar nicht auszuschließen gewesen, dass man sie dorthin bringen könnte. Falck schauderte. Der Gedanke, dabei jemand Bekanntem ins Gesicht zu sehen, war kaum auszuhalten. Dafür hatte er sich nicht bei der Volkspolizei beworben.

Dabei hatte er seinem Vater erst keinen Glauben schenken wollen. Dass viele der DDR den Rücken kehrten, wusste er, dass sie über Ungarn flüchteten oder in die westdeutschen Botschaften eindrangen, doch dass es im eigenen Land zu Gewalt kommen könnte, dass sich wirklich größere Gruppen konterrevolutionärer Elemente den Sicherheitskräften widersetzten, ganze Polizeiregimenter beschäftigten, war ihm viel zu abwegig erschienen. Der Widerstand, das wusste er auch, ging doch eher von ein paar christlichen Friedensgruppen aus, die mit Gebetsgruppen und ein paar Flugblättern ihren Pazifismus verbreiten wollten. Jetzt hatten dann also doch diejenigen recht behalten, die immerzu mahnten, wachsam zu bleiben, die davor warnten, dass der Feind niemals Ruhe geben werde. Aber der Feind war doch immer von außen gekommen.

Und jetzt? Es musste einen Grund geben, warum man sie mit Schlagstöcken bewaffnete und nicht nur zu Hunderten, sondern zu Tausenden, wie er gerade gesehen hatte, nach Leipzig gebracht hatte. Um ihn herum Polizeilaster, Hundestaffeln, ganze Kompanien in Kampfmontur.

Da Berger weggegangen war, ließ die Disziplin unter ihnen etwas nach. Sie begannen zu tuscheln.

»Mach dir nicht ins Hemd«, raunte es hinter Falck.

»Tu ich doch gar nicht!«, verteidigte sich ein anderer mit bebender Stimme. Doch genau das taten sie alle miteinander. Da musste man sich nichts vormachen. Er selbst, Alex, der eine wie der andere und selbst Leutnant Berger. Auf so etwas hatte man sie nicht vorbereitet, und allein, dass es jetzt nicht weiterging, dass sie standen und warten mussten, dass es dunkel war und sie ausharrten zwischen Häuserblöcken mit abweisenden Fenstern, hinter deren Gardinen Menschen standen und auf sie hinuntersahen, allein das war Grund genug, Angst zu haben. Sie wussten nicht, was sie machen sollten. Und das hatte es in Falcks Leben noch nie gegeben, dass jemand, der über ihm stand, Lehrer, Offizier, Ausbilder, nicht wusste, was zu tun war.

Berger kam zurück und wartete, bis die Laster abfuhren. Ihr Motorengeräusch zwischen den Fassaden der Plattenbauten dröhnte und hallte. Dieselabgaswolken hüllten die Polizisten für einige Sekunden ein, länger, als man die Luft anhalten konnte.

»Aaaaachtung, rechts um!«, befahl der Leutnant.

»Ich muss dringend schiffen«, sagte Alex, der nun hinter Falck stand. Auch Falck musste pinkeln, und er hatte Durst. Ihm war schlecht vor Aufregung, dabei hatte der Abend erst begonnen. Es versprach, eine lange Nacht zu werden.

»Ohne Tritt – marsch!«, rief Berger, und sie setzten sich in Bewegung.

 

Der Weg war weit. Sie marschierten durch düstere Straßen, vorbei an Wartburgs, Trabants und Ladas, die unter dem trüben Laternenlicht alle gelb aussahen. Sie marschierten und begegneten, außer Polizisten, niemandem. Alles war still, nur ihre Schritte und das Klappern der Schilde hallten von den Hauswänden wider. Gelegentlich geriet das Messehochhaus ins Blickfeld und verschwand wieder hinter dem nächsten Häuserblock. Sie näherten sich dem Stadtzentrum, und je näher sie kamen, desto mehr schien etwas in der Luft zu liegen, etwas, das man fast schmecken konnte. Wie der metallene Geschmack von Blut, wenn man sich auf die Zunge gebissen hatte.

Dann sahen sie die ersten Menschen. Kleinere Ansammlungen von Leuten, die stumm vor den Hauseingängen standen, Männer, Frauen, Alte, Junge. Mit verschränkten Armen beobachteten sie die Polizeitruppen, die an ihnen vorüberzogen. Ihre Blicke ließen Falck erschaudern. Misstrauisch, abweisend, provokativ. Da war keine Erleichterung, dass jemand kam, der für Ordnung sorgte, da war kein Respekt, hier wurden sie betrachtet wie Feinde.

Sie marschierten an einer anderen Hundertschaft vorbei, die sich aufgestellt hatte und eine Art Spalier bildete, um so die Querstraßen zu sperren. Warum standen die hier, fragte sich Falck. Und warum müssen wir noch weiter vor?

»Wir sollen wohl Kanonenfutter sein?«, flüsterte jemand weiter vorn und sprach aus, was die meisten dachten.

»Ruhe!«, donnerte Berger, der das gehört hatte.

Lieber Gott, dachte Falck das erste Mal in seinem Leben.

 

Als sie schließlich ein letztes Mal rechts abbogen und sich ihnen der Leipziger Stadtring auftat, stockte ihnen der Atem. Aus der Ferne, noch im Dunkel, waren Geräusche zu vernehmen, wie sie nur von einer riesigen Menschenmenge stammen konnten.

Es klang wie das Summen eines großen Bienenschwarms. Das schien eine Menschenmenge zu sein, deren Ausmaß sich Falck nicht vorstellen konnte. Kein Geschrei, keine Bewegung. Das machte es fast noch schlimmer. Berger ließ anhalten und verschwand aus dem Laternenlicht, um sich am nächsten Befehlsstand zu melden.

»Guck dir die Leute an!«, flüsterte Alex hinter ihm.

Falck nickte, er sah sie. Sie sammelten sich am Straßenrand, standen hinter den geparkten Wagen, starrten, schwiegen. Es war unheimlich. Falck ahnte, dass sie sich bewusst zurückhielten und abseitsstanden, sie beobachteten nur und warteten ab, was geschehen würde. Wie würden sie sich verhalten? Wie viel Wut und Hass schwelten hinter den scheinbar gleichgültigen Gesichtern?

Ein Scheinwerfer leuchtete auf, blendete sie für einen Moment, dann schwenkte der Lichtkegel herum, beleuchtete die Straße, und erschrocken sah Falck noch viel mehr Menschen auf der Straße stehen. Sie drehten ihre Gesichter weg. Manche verharrten mitten auf der Straße, andere schoben sich zu den Seiten weg.

»Das kann nicht gut gehen«, stöhnte jemand, der vor Falck ging. »Denk bloß an die Chinesen!«

»Sei doch still!«, flüsterte Falck. Daran wollte er jetzt nicht denken. Hier würde man doch nicht so brutal vorgehen wie in Peking, wo man mit Panzern in die Menge gefahren war und geschossen hatte. Das wusste inzwischen jeder. Wie viele Menschenleben es gekostet hatte, würde wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Aber das war in China passiert, weit weg von hier. Die Chinesen lebten und dachten anders, und wer wusste schon, was wirklich geschehen war, das ein solches Vorgehen rechtfertigte. Bei ihnen in der DDR würde so etwas nicht möglich sein, hatte er sich beim Anblick der Fotos ermordeter chinesischer Polizisten und Soldaten in der Aktuellen Kamera gedacht. Aber noch vor wenigen Minuten hätte er sich auch nicht vorstellen können, dass sich so viele...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Auftragsmörder • DDR-Schicksale • Deutsche Wiedervereinigung • Dresden • Dresden-Krimi • Historische Krimis • historische Romane für Männer • Historische Romane Serie • krimi ddr • Krimi Dresden • kriminaldauerdienst • Kriminalroman • Kriminalromane Serie • Krimi Neuerscheinung • Krimi Ostdeutschland • Krimi-Reihe • Krimi-Serie • Krimi Wendezeit • Mauerfall • Mord • Nachwendezeit • Ostdeutschland • Polizeiarbeit • Polizist Tobias Falck • SOKO • Sonderkommission • Verbrechen DDR-Zeit • Wendezeit • Wiedervereinigung Deutschlands • Zentralstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität • Zerv Krimi-Serie Wiedervereinigung • Zerv Serie • Zerv Zeit der Abrechnung
ISBN-10 3-423-44004-X / 342344004X
ISBN-13 978-3-423-44004-2 / 9783423440042
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