Die Intrigen am King's Theatre (eBook)

Ein Fall für Laetitia Rodd
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2022 | 1. Auflage
368 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491428-2 (ISBN)

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Die Intrigen am King's Theatre -  Kate Saunders
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Nach dem Erfolg von »Das Geheimnis von Wishtide Manor« und »Die Schatten von Freshley Wood«: der dritte Band der Reihe um Laetitia Rodd von der Bestseller-Autorin Kate Saunders London, 1853: Eigentlich sollte Laetitia Rodd lediglich dem berühmten Schauspieler-Ehepaar Transome während seiner Trennung zur Seite stehen - schließlich ist sie in der guten Gesellschaft für ihre Diskretion bekannt. Doch noch während Mrs. Rodd versucht, hinter die intriganten Machenschaften der Familie zu blicken, überschlagen sich die Ereignisse: Im Londoner King's Theatre wird eine Leiche gefunden und die Transomes geraten unter Verdacht - denn sie waren als letztes im Besitz des Theaters. Haben sie etwas mit dem Toten zu tun? Inmitten von dunklen Geheimnissen, verbotenen Gefühlen und einem verhängnisvollen Brand, der beinahe alle Spuren vernichtet hätte, beginnt Laetitia Rodd zu ermitteln. Ein neuer mitreißender Fall für Laetitia Rodd, die Ermittlerin, die alles sieht und keinem auffällt

Kate Saunders: erfolgreiche Autorin zahlreicher Romane und Kinderbücher, für die sie - auch in Deutschland - ausgezeichnet wurde. Als Journalistin und Rezensentin schrieb sie u.a. für die »Sunday Times« und »Cosmopolitan«, war als Jurorin tätig und arbeitete für das Radio. Die Londonder Autorin verstarb 2023. Literaturpreise: ?Die genial gefährliche Unsterblichkeitsschokolade?: Ulmer Unke 2015

Kate Saunders: erfolgreiche Autorin zahlreicher Romane und Kinderbücher, für die sie - auch in Deutschland - ausgezeichnet wurde. Als Journalistin und Rezensentin schrieb sie u.a. für die »Sunday Times« und »Cosmopolitan«, war als Jurorin tätig und arbeitete für das Radio. Die Londonder Autorin verstarb 2023. Literaturpreise: ›Die genial gefährliche Unsterblichkeitsschokolade‹: Ulmer Unke 2015 Annette Hahn lebt in Münster und übersetzt aus dem Englischen. Unter anderem übertrug sie Romane von Graeme Simsion, Anne Fortier und Kate Saunders ins Deutsche.

Eins


1853

Der Frühling ließ in diesem Jahr auf sich warten. Zwar war der Winter nicht besonders kalt gewesen, dafür aber derart feucht, dass in allen möglichen und unmöglichen Ecken schwarze Schimmelflecken aufgetaucht waren und Mrs. Bentley sich eine schlimme Rippenfellentzündung zugezogen hatte. Erst als die Sonne kurz nach Ostern ein paar schüchterne Strahlen durch die trüben Wolken schickte, ging es meiner Vermieterin wieder gut genug, um nach unten kommen und sich neben den warmen Herd setzen zu können.

Nachdem ich Mrs. B also auf den guten Windsor-Lehnstuhl verfrachtet und in einen Haufen Decken und Wolltücher gewickelt hatte, entdeckte ich auf der Fußmatte einen Brief, den offenbar jemand persönlich dort hingelegt hatte.

Sehr geehrte Mrs. Rodd,

wie ich hörte, sind Sie als Privatdetektivin tätig, insbesondere in Angelegenheiten, die große Diskretion erfordern. Es kommt Ihnen hoffentlich nicht ungelegen, wenn ich Sie heute Nachmittag um drei Uhr aufsuche, um einen möglichen Auftrag mit Ihnen zu besprechen.

Hochachtungsvoll,

Benjamin Tully

Mr. Tully war einer unserer Nachbarn im Well Walk, ein Schauspieler im Ruhestand. Wir kannten uns gut genug, um uns auf der Straße mit einer kurzen Verbeugung und einem Lächeln zu grüßen, aber Mrs. Bentley war weitaus besser mit ihm bekannt, also reichte ich den Brief an sie weiter. »Sie wissen nicht zufällig, was er will, Mary?«

Es war offenbar genau die richtige Frage, um die Lebensgeister meiner Vermieterin neu zu wecken; ich freute mich, dass wieder Glanz in ihre hellblauen Augen kam, während sie die Zeilen studierte.

»Nein, Ma’am, da weiß ich auch nicht mehr als Sie. Aber Mr. Tully ist ein feiner Kerl und vor allem ein guter Nachbar. Er hält beispielsweise einige Katzen, so dass sich auf seiner Terrasse schon jahrelang keine Maus mehr hat blicken lassen.«

»Soll ich ihn im Wohnzimmer empfangen, oder wird er sich hier unten wohler fühlen? Herrjemine, ich weiß gar nicht, wie ich einem Schauspieler begegnen soll!«

Zu der Zeit wurden Schauspieler als andersartiges Volk betrachtet, sowohl was die Moral als auch was den gesellschaftlichen Umgang betraf. Auch wenn man allmählich begann, manche Darsteller als ernsthafte Künstler anzusehen, konnten sie von jemandem meines Standes – der Witwe eines Archidiakons und damit dem Inbegriff von Sittsamkeit – noch lange nicht wie ihresgleichen empfangen werden.

»Ich würde sagen: hier unten, Ma’am«, urteilte Mrs. Bentley entschieden. »Wenn Sie sich ins Wohnzimmer setzen, müssen wir ein weiteres Feuer anmachen, was wir uns nicht leisten können – weil dieser Kohlenhändler, der es Ihnen so angetan hat, ein ausgemachter Gauner ist.«

Ich musste lachen, denn ich war froh, dass es ihr wieder gut genug ging, um schimpfen zu können. Fast wäre sie an dieser Infektion verstorben, und ohne Mary Bentley wäre es hier überaus traurig und einsam geworden. Unsere Beziehung reichte so viel weiter als zwischen Wirtin und Mieterin üblich. Als wir uns kennenlernten, fünf Jahre vor der Zeit, über die ich hier schreibe, hatte ich gerade meinen geliebten Mann verloren und war auf einen Schlag fast bettelarm geworden.

Alle waren davon ausgegangen, dass ich bei meinem Bruder Fred in Highgate einziehen werde. Vor allem die Frau meines Bruders hatte damit gerechnet, dass ich aus reiner »Dankbarkeit« umsonst auf ihre ganzen Kinder aufpassen würde und sie das Kindermädchen entlassen könnte. Doch sosehr ich diese Kinder auch liebte, kam solcherlei nicht für mich in Frage; meine Unabhängigkeit bedeutete mir alles, und so machte ich mich auf die Suche nach einer passenden Unterkunft.

Es war eine trübselige Erfahrung, und ich erspare der geneigten Leserschaft die Auflistung aller schäbigen kleinen Zimmer, der abgetakelten Wirtinnen und der Wucherpreise. Auch Mrs. Bentleys schmales Häuschen in Hampstead schien auf den ersten Blick nicht sonderlich passend, doch beim zweiten Hinsehen gefiel es mir sehr gut – genau wie Mary Bentley. Sie erzählte, sie habe vor vielen Jahren, als ihre fünf rothaarigen Söhne noch klein gewesen waren, die Unterkunft an den Dichter John Keats und seine zwei Brüder vermietet (wie sie alle hineingepasst hatten, ist mir noch heute ein Rätsel), und ich nahm dies als gutes Omen.

Seit zehn Jahren wohnte Mr. Tully vier Häuser weiter im Well Walk. Er war klein und schmal, hatte dünne graue Haare und strahlend blaue Augen in einem alterslosen, unschuldig wirkenden Gesicht. Obwohl er ein steifes Bein hatte und mit einem Krückstock lief, bewegte er sich flink und geradezu anmutig. Punkt drei Uhr klopfte er an die Tür, verbeugte sich und hielt mir einen Kümmelkuchen entgegen.

»Den habe ich heute Morgen gebacken, Mrs. Rodd; ich weiß doch, dass Mrs. Bentley meinen Kümmelkuchen liebt.«

Es schien ihm nicht das Geringste auszumachen, dass ich ihn in die Küche hinunterführte, wo er sich mit ausladender Geste vor Mrs. B verneigte und neben dem Herd Platz nahm. Sein Kuchen war exzellent: weich und süß und saftig, mit der genau richtigen Menge an Kümmel, der ihm das gewisse Etwas verlieh. Ich freute mich, dass Mrs. B ein Stück davon aß – ihr mangelnder Appetit bereitete mir immer Sorge.

»Ich hoffe, Sie verzeihen, dass ich Sie so direkt anspreche«, sagte Mr. Tully. »Ich komme im Auftrag einer guten alten Freundin, die um Ihren Ruf weiß, sehr diskret zu sein.« Er zog bedeutungsschwer die Augenbrauen hoch. »Sie ist mit der Familie Heaton bekannt.«

Mrs. Bentley und ich tauschten Blicke; der Heaton-Fall war mein erster großer Erfolg als Privatdetektivin gewesen und brachte immer noch Kundschaft ein, wie Mrs. Bentley es gern formulierte.

»Nicht, dass der Fall bei meiner Freundin auch nur annähernd ähnlich läge«, beeilte Mr. Tully sich zu sagen. »Es gibt keine Toten – ja, nicht einmal ein Verbrechen. Es handelt sich nur um eine … Situation, die ein sehr behutsames Vorgehen erfordert.«

»Natürlich, Mr. Tully, ich verstehe«, versicherte ich ihm. »Ich verurteile niemanden, und es gibt wenig, das mich zu schockieren vermag. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Diese Freundin«, fuhr er fort, »ist in Theaterkreisen gut bekannt; ihr Name lautet Transome.«

»Wie Thomas Transome?« Ich war mit der Theaterszene nicht sonderlich vertraut, doch selbst ich hatte von dem gefeierten Theaterdirektor und Schauspieler gehört.

»Ja, Ma’am.« Ein gewisser Stolz schien in seinen Augen aufzuleuchten. »Thomas Transome und seine Familie leiten das Duke of Cumberland’s Theatre am Haymarket. Vor meinem Abschied von der Bühne verbrachte ich viele glückliche Jahre in seinem Ensemble.«

»Erzählen Sie ihr von dem Feuer«, sagte Mrs. Bentley.

»Ach, du meine Güte, ja! Vor zehn Jahren, als wir noch im King’s Theatre an der Drury Lane spielten, gab es ein schreckliches Feuer – der Grund für meinen Rückzug aus der Schauspielerei.« Er deutete auf sein versehrtes Bein. »Ich wurde schwer verletzt. Meine Erinnerung an die Nacht ist lückenhaft, aber Tom Transome behauptet, ich hätte ihm das Leben gerettet. Ob das nun stimmt oder nicht: Er verschaffte mir ein kleines Einkommen, damit ich mein Leben sorgenfrei fortführen konnte. Tatsächlich ist er ungewöhnlich großzügig.«

»So scheint es.«

»Er organisierte damals eine Wohltätigkeitsvorführung und überließ mir alle Einnahmen. Aber ich will nicht weiter vom Theater sprechen – Mrs. Bentley hält das Theater für einen Ort der Sünde. Und um Tom geht es vordergründig auch nicht. Die Freundin, von der ich gesprochen habe, ist seine Frau, Mrs. Sarah Transome.«

»Bitte verzeihen Sie mir meine Unwissenheit«, sagte ich, »aber ist sie auch eine Schauspielerin?«

»Das ist sie, Ma’am. Zu ihrer Glanzzeit war sie eine großartige Schauspielerin, eine der besten. Und ihre drei Töchter stehen ebenfalls auf der Bühne.«

»Weshalb benötigt sie meine Dienste, Mr. Tully?«

Sein Kummer war ihm anzusehen. »Geradeheraus gesagt: Weil Tom sich verliebt hat.«

»Oh.« Das hatte ich nicht erwartet, für einen Moment fehlten mir die Worte. »Entschuldigung?«

»Er hat sich Hals über Kopf in Constance Noonan verliebt, die neben ihm als Romeo gerade die Julia spielt. Sie ist achtzehn Jahre alt. Tom hatte bereits in der Vergangenheit mit einigen jungen Schauspielerinnen … nun, man mag es ›amouröse Verwicklungen‹ nennen – doch bisher eher diskret. Diesmal ist es anders. Er scheint geradewegs den Verstand verloren zu haben und redet davon, mit diesem Mädchen zusammenzuziehen.«

»Was für eine Schande!«, entfuhr es Mrs. Bentley.

»Da möchte ich wohl zustimmen«, sagte ich schnell, weil ich Mr. Tully nicht aufhalten wollte, wo er gerade so schön in Fahrt war. »Aber wir sollten ein Urteil aufschieben, bis wir alle Fakten gehört haben – wofür benötigt Mrs. Transome meine Unterstützung?«

»Sie braucht eine Fürsprecherin, die für sie eintritt.« Seine blassen Wangen röteten sich. »Ihr Mann will sie aus dem Haus werfen.«

Mrs. B deutete mit den Lippen erneut das Wort »Schande« an.

»Hat er dafür einen Grund genannt, abgesehen von seiner eigenen Untreue?«, wollte ich wissen.

»Er beschuldigt Mrs. Sarah, ihren Pflichten als Mutter nicht ausreichend...

Erscheint lt. Verlag 29.6.2022
Reihe/Serie Laetitias viktorianische Ermittlungen
Laetitias viktorianische Ermittlungen
Übersetzer Annette Hahn
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 19. Jahrhundert • alte Schuld • Betrug • Brand • Bühne • Diskret • diskrete Ermittlerin • Ermittlerin • Familiengeheimnisse • Feindschaft • Geheimnis • Geheimnisse bewahren • Historischer Kriminalroman • Intrigen • King’s Theatre • Kriminalroman • Kulissen • Laetitia Rodd • Laetitia Rodd 3 • Laetitias viktorianische Ermittlungen • Mord • Pfarrerswitwe • Romeo und Julia • Schauspiel • Schauspieler • Schein und Sein • schlau • Spannung • Spürsinn • Theater • Verfeindete Familien • viktorianische Ermittlerin • Viktorianischer Roman
ISBN-10 3-10-491428-1 / 3104914281
ISBN-13 978-3-10-491428-2 / 9783104914282
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