Via Torino (eBook)

Roman | Ein bewegendes Generationspanorama von den 1960er Jahren in Turin bis ins heutige München | Eine bewegende Familien- und Liebesgeschichte voller italienischem Flair

*****

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
496 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0407-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Via Torino - Aja Leuthner
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Eine große deutsch-italienische Familiengeschichte

1969: Gegen den Wunsch ihrer Familie lässt die freigeistige Eleonora ihr Jurastudium in Tübingen hinter sich, um sich den Arbeiterstreiks in Turin anzuschließen. Was als Aufbegehren gegen ihre konservativen Eltern beginnt, wird zu einer Richtungsentscheidung. In Italien lernt Eleonora die Liebe ihres Lebens kennen.

1995: Gut fünfundzwanzig Jahre später steht ihre Tochter Rosalia an einem Scheidepunkt: Eine ungeplante Schwangerschaft bringt das Leben der jungen Frau durcheinander, doch sie schwört sich, ihr Biologie-Studium in München abzuschließen und ihren Traum weiterzuverfolgen. Sie konzentriert sich ganz und gar auf ihre Karriere und zieht ihre Tochter Milena alleine groß. Doch als Milena älter wird, beginnt sie, Fragen nach ihrem Vater zu stellen und gegen Rosalias Schweigen aufzubegehren.

2018: Als plötzlich Eleonoras Mann stirbt, machen sich die drei Frauen von München aus auf die Reise nach Süditalien, um ihm seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Eine Reise, die sie zwingt, sich neu zu begegnen und die für ein unerwartetes Wiedersehen sorgt.


»Der temporeiche Roman erinnert an ein wunderbares, echt italienisches 'Uovo di Pasqua', ein Überraschungsei, so prall gefüllt ist er mit spannenden, humorvollen, aber auch tragischen Momenten und Szenen.« Süddeutsche Zeitung

»Eine deutsch-italienische Familien- und Liebesgeschichte, die vor italienischem Flair nur so strotzt!« Emotion

»Großartig!« Neue Pause

»Ein intensiver Familienroman, dem die Liebe zu Italien auf jeder Seite anzumerken ist.« Italien Magazin

»?Via Torino? [ist] gar kein kitschiger Frauenroman, sondern eine facettenreiche Charakterstudie. Und trotzdem kann man beim Lesen fast die sizilianische Pasta scialatielli al pesce auf der Zunge spüren.« Heilbronner Stimme



Aja Leuthner arbeitet als Redakteurin für die Süddeutsche Zeitung, die sie schon als Zwölfjährige ihrem Vater vom Frühstückstisch entwendete. Der mütterliche Bücherschrank formte ihre Liebe zur Literatur. Ihr Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Italianistik entsprang der Leidenschaft für politische Diskussionen und der Begeisterung für mediterranes Leben und romanische Kultur. Den Anstoß, selbst zu schreiben, gab John-Boy Walton - und der großartige Augenblick, als in der 70er-Jahre-Serie sein erstes Buch mit der Post ins Haus geliefert wird. Die Autorin lebt mit ihrer Familie bei München. 2023 erschien nach »Via Torino« ihr zweiter Roman »Felicità!«.

EINS

Eleonora, 1969

Als sie im Schatten Tommasos die Wohnung betrat, hatte sie erwartet, dort drei, vier Leute vorzufinden. In der winzigen Bude aber, die sich Tommasos Bruder Toni für die Dauer eines Turiner Auslandssemesters mit einem Studienfreund teilte, war jeder Zentimeter vergeben an herumsitzende, liegende, rauchende, trinkende und diskutierende junge Leute. Eleonora schien es, als würde sie eintauchen in eine Kakofonie aus Wortfetzen und Qualm, die sich wie ein Perpetuum mobile aus sich selbst heraus ständig neu erschuf und vernichtete. Tommaso löste sich förmlich auf im Rauch vor ihren Augen und verschwand im Nichts des halbdunklen Raums, während sie noch dabei war, sich zu orientieren. Sie stolperte über ein Paar Füße, deren Besitzer sich an die Wand gelehnt hatte und auf einem Boden niedergesunken war, von dem sie lieber nicht wissen wollte, wann er zuletzt einen Putzlappen gesehen hatte. Mit jedem Schritt merkte sie, wie die Sohlen ihrer Turnschuhe am billigen Laminat kleben blieben, das den Boden bedeckte. Der dichte Rauch biss in ihren Augen, bis sie tränten. Und doch nahm sie die Blicke wahr, die sie verfolgten, war sie sich der Gesichter bewusst, die sich ihr zuwandten. Ja, sie musste auffallen mit dem leuchtenden Rot ihrer Locken, selbst in der rauchgeschwängerten Düsternis dieser vier Wände, selbst wenn die Mehrzahl der vornehmlich jungen Männer, die sich hier versammelt hatten, offensichtlich tief in hitzige Debatten verstrickt war.

Eleonora war es gewohnt, angestarrt zu werden, und – Klassenkampf hin, Strategiesitzung her – das hier war eine Wohnung voller Männer. Klar, die Mädels sind wie immer beim Kaffeekochen, dachte Eleonora nicht ohne Groll, Revolution machten die Typen immer noch ganz gerne alleine. Sie straffte sich, schließlich kannte sie die Wirkung ihrer schlanken, biegsamen, zwanzigjährigen Erscheinung. Schnell fuhr sie sich einmal mit der Hand durch die Haare, wobei sie ein ganzes Bündel roter Lichtblitze verstreute, und wuchs um ein paar Zentimeter, genährt vom wohltuenden Elixier männlicher Aufmerksamkeit. Dann steuerte sie ihre eins sechzig in den ausgewaschenen Jeans, die sie vor einem halben Jahr wieder aus der Mülltonne gezogen hatte, durch die Menge. Zuvor hatte ihr Vater sie in einem Wutanfall genötigt, das Kleidungsstück auszuziehen, um es anschließend angewidert von den Versuchen seiner Tochter, sich mit jenem Pöbel gemein zu machen, der in diesen Wochen durch die Straßen zog, eigenhändig in den Abfall zu befördern. Sie hatte sich gewundert, dass er überhaupt wusste, wo der Ascheneimer stand.

Eleonora fand Tommaso in der Küche, zwei Flaschen italienisches Bier in der Hand und bereits so sehr in eine Diskussion vertieft, dass er vergessen hatte, eine der Flaschen zu ihr zu bringen. Mehr als den Rücken ihres italienischen Freundes konnte sie im Moment allerdings nicht sehen, weil ihr ein junger Bursche, gut und gerne 160 Pfund schwer, aber mit dem Gesicht eines Teenagers den Weg durch das Gedränge versperrte. Sein ehemals wohl weißes Hemd zierten schwarze Schlieren. Öl und Schweiß hatten seine Kleidung und Haut gezeichnet, der Haarschopf wirkte, als habe er Bekanntschaft mit einem ganzen Ölfass gemacht, und all diese Stoffe hatten sich zu einer wenig appetitlichen Duftmischung zusammengetan, die sogar den Geruch nach Rauch und kaltem Knoblauch überdeckte, der in der Enge der abgewohnten Küche hing. Die Ausdünstung des Jungen ließ sie schaudern, als er noch ein wenig näher an sie heranrückte und ihr sein herausforderndes Grinsen vor die Nase hielt. Ein Grinsen, das gerne anzüglich gewesen wäre, auf Eleonora aber doch eher hilflos wirkte. Viel jünger als sie konnte er nicht sein, und doch war es ihr ein Leichtes, ihn an der in Jahrhunderten akkumulierten Selbstverständlichkeit ihrer großbürgerlich-preußischen Herkunft abprallen zu lassen, die sie wie eine Aura umgab. Sie wäre nicht die Tochter ihrer Mutter gewesen – einer »geborenen von Ringsleben«, wie jene gerne in ihrem kristallklaren Gouvernantenton fallen ließ, als habe sie dafür eine Ehrennadel verdient –, wäre sie auch nur um einen Zentimeter zurückgewichen. Eleonoras energisch gestreckter Arm, die Handfläche mit gespreizten Fingern auf der jugendlichen Brust des Papagallo, ihr unverkennbar aristokratisches Kopfschütteln – und der erhitzte Vertreter der Arbeiterklasse räumte das Feld. Das Mitgefühl, das sie ihm in ihrem sozialistischen Engagement zu schulden glaubte, hielt sich in Grenzen, als so der Weg zu Tommaso endlich frei wurde. Eleonora konnte Tommasos Gesprächspartner aber erst erspähen, als sie ganz nahe herangekommen war. Winzig, wie er war, reichte er Tommaso kaum bis an die Brust. Kluge Augen blickten durch die Gläser einer dicken Nickelbrille, seine geringe Körpergröße kompensierte er mit großen Gesten und immenser Eloquenz.

Tommaso nutzte eine kurze Atempause im Monolog seines Gegenübers, um ihn Eleonora vorzustellen: »Davide«, erklärte er mit einer Handbewegung. »Davide, l’altoparlante«, fügte er hinzu und verzog in gespielter Verzweiflung das Gesicht.

Was Davide den klingenden Beinamen »Lautsprecher« eingetragen hatte, sollte Eleonora schon bald erfahren. Zunächst jedoch war ihre Aufmerksamkeit gefangen von tiefschwarzen Augen, die ihr durch die Brillengläser entgegenblitzten, als Davide ihr mit einem flüchtigen »Ciao, come stai« die Hand drückte. Eine Flüchtigkeit, die sehr deutlich machte, dass er sich nur ungern in dem Gedankengang, den er gerade zu vermitteln versuchte, stören ließ. Das knappe Lächeln der Entschuldigung, das er ihr zwischen zwei atemlosen Sätzen dann aber doch zukommen ließ, relativierte den Eindruck geschäftiger Arroganz und machte ihr den Mann auf Anhieb sympathisch. Ohne Zweifel gehörte er zur größeren Gruppe der Studenten, die sich in Tonis Wohnung zusammengefunden hatten und die sich von den wenigen anwesenden Arbeitern in fast allem unterschieden.

Natürlich in ihrer Kleidung. Die meisten von ihnen stammten augenscheinlich aus wohlhabenden Familien, trugen die Haare lang, die Hosen eng, Lederjacken über ihren Pullundern, die Schals, die sie in der ungeheizten Wohnung nicht abgenommen hatten, waren aus edler Wolle, manche sogar aus Kaschmir, wie Eleonora zu bemerken glaubte, während sich in die weißen Hemden der Arbeiter Löcher gefressen hatten, ihre schlecht sitzenden Hosen an den Knien ausgebeult waren, die billigen Schuhe verschmutzt. Es war nur eine Handvoll von ihnen, die in die Wohnung gekommen waren, und später erfuhr Eleonora, dass Davide sie überredet hatte, sich anzuhören, was er und seine Kommilitonen zu sagen hatten. Nun standen sie in einer Ecke zusammen und suchten mit Herausforderung im Blick, ihre Würde zu wahren, glänzend die gegelten Frisuren, die ihnen ein und derselbe neapolitanische Barbier noch zu Beginn des Jahrzehnts verpasst haben musste und die sie seither beibehalten hatten.

Einer von ihnen zückte immer wieder den Kamm und zog ihn von vorne nach hinten kraftvoll durch die dicken öligen Strähnen. Einen Sonntagsanzug hätte er tragen sollen. Ein gleißender Sonnentag, das Glänzen des Meeres, die Kathedrale der Maria Santissima Assunta vielleicht hätten als Kulisse seiner Erscheinung gerade so genügt, eine junge Signorina aus Cefalù an seinem Arm, oder vielleicht aus Castelbuono, von ebenso dunkler Schönheit wie er selbst. Auch darin unterschieden er und seine Gefährten sich von den Studenten. Hellhäutig waren die Söhne Turins im Vergleich zu ihnen, durchsichtig wie ein dünn gewalzter Pastateig. Impastini nannten die Sizilianer sie spöttisch, während sie selbst die Hemdsärmel hochkrempelten und braun gebrannte Arme entblößten. Selbst jetzt, im Frühling und ganz ohne dass sie je die Turiner Sonne gekostet hätten, auf die sie ohnehin keine Lust hatten, wenn sie abends müde die Fabrik verließen. Diese Sonne, die so seltsam kraftlos im blassen Himmel über der Stadt schwamm wie sie selbst durch den Beton ihrer Straßen. Ähnlich fehl am Platz fühlten sie sich, wie diese falsche Sonne, die nichts gemein hatte mit jener Kugel aus glühendem Gold, die das Land ihrer Väter, das Meer ihrer Mütter und das sizilianische Firmament in all ihrer großartigen Schönheit und ihrem feurigen Schrecken zugleich beherrschte. So wie die norditalienische Sonne im bleiernen Himmel über Turin suchten sie nach Halt, nach Orientierung im unterschiedslosen Dahinkriechen dieser Tage voller Benzingeruch, die sie verschlungen hatten, kaum dass sie am Bahnhof aus einem überfüllten Zug gefallen waren. Was waren sie hier? Würstchen, Wesen, die sich selbst verloren hatten. Die riesige Fabrik hatte sie mit noch riesigeren Versprechungen aus ihrer Heimat gelockt. Volk des Meeres, das als atmendes Ganzes, geformt aus austauschbaren Arbeitssklaven, in einem riesigen Netz gefangen und auf dem hässlichen Corso Giovanni Agnelli wieder ausgekippt worden war. Nach Luft schnappende Fische auf dem Asphalt direkt vor den Toren des Fiat-Werks Mirafiori. Zu Verschleißteilen einer seelenlosen Maschine waren sie geworden, Sollbruchstellen im Räderwerk der Fiat-Fabrik, deren Existenz nur bemerkt wurde, wenn sie nicht mehr funktionierten, wenn ihre Hände nicht schnell genug nach der immer gleichen Schraube, dem Maschinenarm, dem Bolzen, dem Stück Blech griffen, welches das Band unerbittlich heranschaffte, sodass der nächste Arbeiter im folgenden Produktionsabschnitt, ein paar Meter entfernt, nicht seinen eigenen Bolzen, seine Schraube in die vorgesehene Stelle setzen konnte.

So waren sie, seit sie ein Teil der Turiner Arbeitermasse geworden waren. Und jetzt fanden sie sich hier zwischen den Zöglingen wohlhabender Familien, die sich vorgenommen hatten, Revolution zu...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2022
Sprache deutsch
Original-Titel Via Torino
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antonia Riepp • Bella Germania • Belmonte • Daniel Speck • Deutsch-Italienisch • drei Generationen • Familiengeschichte • Familiensaga • Fiat • Florenz • Fußball • Gastarbeiter • Geheimnis • Italien • Liebe • Mafia • München • Piccola Sicilia • Roman • roman 20 jahrhundert • Schwangerschaft • Sizilien • Streik • Turin • Und die Welt war jung • Vater • zeitebenen
ISBN-10 3-7499-0407-3 / 3749904073
ISBN-13 978-3-7499-0407-5 / 9783749904075
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