Schachbrett und Frankenrechen (eBook)
320 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7543-9926-2 (ISBN)
Wolfgang Klar, Jahrgang 1957, wohnhaft im Landkreis Fürth. Neben seinem Interesse an Fotografie hat er ein besonderes Faible für kroatische Geschichte und Kultur. 1987 wurde er Mitglied der Fürther Freimaurerloge "Zur Wahrheit und Freundschaft". Seit vielen Jahren führt er Logenhausführungen durch. Als Autor ist er bereits mit dem Bildband "Das Logenhaus Fürth in Bildern" in Erscheinung getreten. "Schachbrett und Frankenrechen" ist nach "Tödlicher Spitzhammer" sein zweiter Kriminalroman, in dem Paul Jonas und Stijepo Bistric ermitteln.
4 Bistrić‘ Fahrt zum Pelješac
Am nächsten Tag verstauten wir nach einem opulenten Frühstück die Lebensmittel wieder in den Kühlboxen, bezahlten, verabschiedeten uns von Davorka und machten uns über die nur spärlich befahrene Autobahn auf den Weg nach Ploče. Von dort würden wir mit der Fähre zur Halbinsel Pelješac übersetzen. Die Autobahn war ein echter Gewinn für Kroatien, denn dadurch konnten die Touristen das Landesinnere bequem und schnell bis zur Küste durchqueren. Außerhalb der Touristensaison war sie ziemlich leer. Auf der wenig anstrengenden Fahrt – Tempomat auf 130 eingestellt und dann nur noch lenken – dachte ich über unsere Familiengeschichte nach.
Meine Eltern hießen Ante und Katarina Bistrić, Danijelas Eltern waren Vlaho und Marija Jurić. Unsere Väter waren seit ihrer gemeinsamen 18monatigen Wehrdienstzeit in der Jugoslawischen Volksarmee in Niš eng befreundet. Mein Vater hatte in Dubrovnik Koch gelernt und wurde demzufolge bei der Armee in der Küche eingesetzt. Vlaho Jurić aus Cavtat – ein paar Kilometer südöstlich von Dubrovnik – war wie sein Vater Fischer und mein Vater sorgte mit irgendwelchen Tricks dafür, dass er als Hilfskraft in die Küche kam, wo der militärische Drill deutlich weniger zu spüren war. Das schweißte die beiden eng zusammen.
1975, im Alter von nur 25 Jahren, machte sich mein Vater selbstständig und eröffnete in einer Parallelstraße zum Stradun, der Flaniermeile Dubrovniks, sein Restaurant, das er nach dem Wohnort seines Freundes Vlaho Cavtat benannte. Vlaho belieferte das Restaurant meines Vaters stets mit frischem Fisch. Als Kellnerin hatte mein Vater ein hübsches Mädchen namens Katarina angestellt. Es kam, wie es kommen musste: Liebe, Heirat und meine Geburt im Jahr 1979.
Beim sonntäglichen Linđo-Tanz nach dem Kirchgang lernte Vlaho in Čilipi – gleich neben Cavtat gelegen – Marija kennen, die er später heiratete. Ergebnis: Danijela, die 1981 geboren wurde und seit 2005 meine liebe Frau ist.
Nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens am 25. Juni 1991 zeichnete sich der Krieg bald ab. Einige serbische Aggressionen in der Krajina hatten schon vorher begonnen. Unsere Eltern beschlossen rechtzeitig, die Flucht mit Vlahos Fischerboot, auf dem man auch sehr beengt wohnen konnte, anzutreten. Danijela war damals 10, ich 12 Jahre alt. Das Meer und Vlahos Netz ernährten uns, aber als wir nach zwei Wochen in Rijeka anlegten, wo kein Krieg tobte, konnten wir alle keinen Fisch mehr sehen. Bei mir dauerte es fünf Jahre bis ich meine Abneigung gegenüber Fisch wieder ablegte.
Von Rijeka aus fuhren wir mit dem Zug nach Deutschland. Meine Eltern sprachen relativ gut Deutsch, Englisch und Italienisch – wenn auch mit dem typisch slawischen Akzent. Das war selbstverständlich für Restaurantinhaber in einer Stadt, die von Touristen nur so wimmelte. Vlaho konnte gebrochen Deutsch und etwas Englisch, da er im Sommer für Touristen auch Fischpicknicks auf seinem Boot anbot. Durch den Kontakt mit den Touristen konnten sich unsere Eltern einen schönen Vorrat an D-Mark anhäufen, da sie zu einem besseren Kurs als die Banken Geld wechselten. Das war zwar streng verboten, aber gängige Praxis. Fast jeder Kellner war eine inoffizielle Wechselstube und die leise Frage „Haben Sie D-Mark?“ kannten die meisten Touristen. Kein Wunder: Der Dinar verlor schneller an Wert, als er gedruckt werden konnte.
Unsere Eltern ließen sich in Nürnberg nieder und die Ersparnisse reichten für eine bescheidene Wohnungseinrichtung aus. Glücklicherweise fanden beide sofort Arbeit bei einem großen Elektrokonzern in der Nürnberger Südstadt. Finanzielle Sorgen hatten beide Familien deshalb nicht.
Ich konnte in Deutschland das Gymnasium weiter besuchen und Danijela fand nach der Realschule eine Ausbildungsstelle zur Industriekauffrau. Allerdings hielten wir voneinander ziemlich Abstand. Ich fand, dass Danijela mit zwölf absolut zickig wurde und im Gegenzug hielt sie mich für einen Idioten. Wenn sich unsere Eltern gegenseitig besuchten, suchte ich stets das Weite, nur um dieses entsetzliche Mädchen mit der Spargelfigur nicht sehen zu müssen – oder noch schlimmer: sprechen hören zu müssen. Dieser Abstand hielt einige Jahre an, bis wir uns zufällig wiedersahen.
Mein erstes Wort bei unserem Wiedersehen – ich war damals 18 Jahre alt – war „Danijela?????“, denn die Spargelfigur war wunderbaren Rundungen gewichen und ihre ehemalige Bubikopf-Frisur hatte sich in wunderschöne lange schwarze gewellte Haare verwandelt. Aus optischen Gründen war ich einem Wiedersehen nicht abgeneigt. Auch ihr Pubertätsgezicke war verschwunden. Endgültig gefunkt zwischen uns hatte es dann bei meiner Abi-Feier. Und das war bis heute so geblieben – auch Danijelas Aussehen (bis auf ein paar Lachfältchen).
Nach dem Abitur studierte ich Germanistik und Slawistik und machte mich danach als Übersetzer selbstständig. Mein Übersetzungsbüro, in dem Danijela das Kaufmännische inne hatte, lief relativ gut an und ich hatte mittlerweile eine Stammkundschaft, für die ich Dokumente und Verträge übersetzte. Ab und zu wurde ich als vereidigter Übersetzer vom Gericht zu Prozessen bestellt. Millionär war ich zwar nicht geworden, aber für ein sorgenfreies Leben und eine schöne Wohnung in der Fürther Altstadt hatte es gereicht. Herz, was willst du mehr? Ich konnte von mir sagen: Ich führe ein glückliches Leben!
Die Fahrt durchs Landesinnere verging wie im Fluge. Bei Zadar legten wir in einer Raststätte eine kleine Pause ein. Bis zu unserem nächsten Stopp in Ploče, wo auch die Autobahn endete, schätzte ich noch zwei Stunden Fahrzeit.
In Ploče mussten wir eine halbe Stunde auf die Fähre warten und nutzten die Zeit für einen Kaffee und einen Imbiss. Im Gegensatz zum Landesinneren war es an der Küste merklich wärmer. Deutlich über 200 C waren in der Osterzeit sogar in Dalmatien nicht üblich. Nach einer Stunde auf der Fähre legten wir auf dem Pelješac in Trpanj an. Ein kleiner schöner Ort mit nicht einmal 1.000 Einwohnern.
Die Halbinsel Pelješac ist knapp 70 km lang und maximal 7 km breit. Im Süden, bei Mali Ston, ist sie mit dem Festland verbunden, wo die bekannte Küstenstraße nach Dubrovnik führt. Von dort braucht man etwa eine Stunde für die Fahrt in meine Geburtsstadt.
Von Trpanj aus fuhren wir quer über die Halbinsel in Richtung Orebić, der größten Stadt auf dem Pelješac mit gut 4.000 Einwohnern, die am Fuße des knapp 1000 m hohen Berges Sveti Ilija liegt. Orebić ist bekannt als Stadt der Kapitäne und Seemänner und man kann herrliche alte Kapitänshäuser und ein Schifffahrtsmuseum besichtigen. 150 m über dem Meer thront das Franziskanerkloster Muttergottes von den Engeln – Gospe od anđela.
Etwa 5 km vor Orebić verließen wir die Hauptstraße und bogen mit einer scharfen Linkskurve in eine schmale Nebenstraße ein, die nach Postup führt. Postup, der Wohnort unserer Eltern, ist ein kleiner Weiler und bekannt für den Weinanbau. Die Weine aus Postup und Dingač zählen zu den besten Kroatiens und werden aus der Rebsorte Plavac Mali gekeltert.
2010 kehrten unsere Eltern nach Kroatien zurück und ließen sich in Postup nieder, da ihnen Dubrovnik zu teuer und von zu vielen Touristen überlaufen war. Sie bauten gemeinsam ein Doppelhaus, das auch zwei Ferienwohnungen für je vier Personen hatte. Von einem alten Winzer kauften sie einen Weinberg und ließen sich in die Kunst des Kelterns einweisen. Den meisten Wein verkauften sie an Touristen im Straßenverkauf, aber auch für uns blieben stets einige gute Tropfen übrig. Vlaho kam vor einigen Jahren auf die Idee, einige Flaschen Wein in einem Drahtkorb für etwa ein Jahr im Meer zu versenken. Als er ihn wieder herausholte, hatten sich Muscheln und Algen auf der Oberfläche der Weinflaschen angesiedelt. Der Wein aus dem Meer wurde zum Verkaufsschlager bei den Touristen. Seinen ehemaligen Beruf als Fischer übte Vlaho vorwiegend nur noch für den Hausgebrauch aus oder für seine beliebten Fischpicknicks mit den Touristen. Die Einkünfte der Sommermonate reichten für ein einfaches, aber sorgenfreies Leben aus.
Die Begrüßung durch unsere Eltern war überaus herzlich und auch Marko strahlte über das ganze Gesicht, als ihn seine geliebten Großeltern in die Arme nahmen. Doch dann folgte ein Schock für Marko. Nach der Begrüßung auf Kroatisch meinte mein Vater: „Ich freue mich so, dass ihr da seid. Da können wir endlich auch mal wieder Deutsch reden.“
Markos Unterkiefer klappte herunter und es dauerte etwas, bis er enttäuscht fragte: „A zašto ja sam učio Hrvatski?“
Sein Opa lachte und antwortete: „Warum du Kroatisch gelernt hast? Damit du übermorgen bei Vlahos Geburtstagsfeier mit unseren Gästen reden kannst. Die können nämlich fast kein Deutsch.“ Ihren typisch...
Erscheint lt. Verlag | 19.10.2021 |
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Reihe/Serie | Detektivduo Jonas - Bistric |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Detektiv • Franken • Kroatien • Regiokrimi |
ISBN-10 | 3-7543-9926-8 / 3754399268 |
ISBN-13 | 978-3-7543-9926-2 / 9783754399262 |
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