Fritz, der Gorilla -  Jenny von Sperber

Fritz, der Gorilla (eBook)

Biografie eines faszinierenden Menschenaffen | Nominiert für den NDR-Sachbuchpreis 2022
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
100 Seiten
S.Hirzel Verlag
978-3-7776-3130-1 (ISBN)
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Als Jenny von Sperber Fritz zum ersten Mal begegnete, ließ der Gorilla sie nicht aus den Augen. Er war damals schon über 50 Jahre alt, aber immer noch höchst charismatisch. Für die Journalistin ist klar: Sie will alles über das Leben von Fritz herausfinden. Geboren 1963, kam er 1966 als Wildfang von Kamerun nach Deutschland. Zu der Zeit galten Menschenaffen noch als Kuriosität in Zoos. Als der Handel mit wilden Gorillas endlich verboten wurde, war Fritz schon mehrfacher Vater. Diese faszinierende Gorilla-Familiensaga erzählt nicht nur das bewegte Leben von Fritz, sondern zeigt auch die Entwicklung in europäischen Zoos im Umgang mit Wildtieren auf. Sicher ist heute vieles deutlich besser geworden. Doch es bleiben Fragen, zum Beispiel was es mit uns Menschen macht, wenn wir unsere nächsten Verwandten hinter Glas bestaunen. Und: Ist es überhaupt noch zeitgemäß, Menschenaffen einzusperren ... war es das jemals?

Jenny von Sperber ist freie Wissenschaftsjournalistin für Radio und Fernsehen und wurde u. a. Fraunhofer UMSICHT-Wissenschaftspreis ausgezeichnet. Sie veröffentlicht vor allem im Bayerischen Fernsehen, arte, 3sat sowie Bayern 2 und Deutschlandfunk. Jenny von Sperber wurde 1979 in Essen geboren und lebt in München. Ihr Buch 'Fritz, der Gorilla' ist nominiert für den NDR-Sachbuchpreis.

Gorillajagd


Über das grausame Töten von Gorillas, um ihre Babys zu fangen und in Zoos ferner Länder zu schicken


Während der ersten drei bis vier Lebensjahre haben Gorillakinder einen weißen Fleck am Hintern, erzählte mir die Verhaltensbiologin Iris Weiche. Der zeigt den anderen Gruppenmitgliedern: Ich bin noch klein, kenne die Regeln noch nicht so genau, bitte sei mir deshalb nicht böse, wenn ich etwas Falsches mache. Der kleine Fritz muss noch so einen weißen Baby-Fleck auf dem Hintern gehabt haben, als seine heile Welt in der Familie zerstört wurde.

Einige der Fährtensucher und Jäger aus den Pygmäenvölkern in Kamerun nutzten damals ihr Wissen und ihre Erfahrung, um für europäische Tierhändler junge Wildtiere aus dem Dschungel zu holen. Gorillababys waren wertvoll, und eine gute Einkommensquelle gab es für viele Pygmäen ansonsten nicht. Aber gerade bei Gorillas ist die Jagd auf die Jungen oft ein grausames Töten, da Gorillas ihre Familienangehörigen verteidigen. Jetzt wollte ich genauer wissen, was Fritz in seiner frühen Kindheit passiert war. Deshalb kontaktierte ich den Leiter einer Gorilla-Auffangstation in Kamerun, Guillaume Le Flohic. Der als Ökologe und Agraringenieur ausgebildete Naturschützer hat schon mit alten Pygmäen gearbeitet, die früher selbst Wildtiere aus dem Dschungel geholt haben.

Le Flohic weiß deshalb genau, wie so eine Gorillajagd vor sich geht: »Es gibt zwei Möglichkeiten, an Junge zu kommen«, erklärte er mir, »Entweder stellen die Jäger Fallen auf. Wenn das Kind schon drei Jahre oder älter ist, läuft es oft allein neben der Mutter her. Tritt es in eine Falle, schnappt die um sein Handgelenk oder den Fuß zu, hält das Kind fest und verletzt es dabei schwer. Mutter und Vater bleiben dann meistens in seiner Nähe, manchmal sogar die ganze Gruppe.« Aber wer das Kind verteidigt, wenn der Jäger zurückkommt, um es zu holen, wird sofort erschossen. Die Gorillajagd in den Fünfziger- und Sechzigerjahren war gefährlich, auch für die Jäger, erläuterte er. Manche Gorillakinder schaffen es, sich aus der Falle zu befreien, aber sie verstümmeln sich dabei, verlieren Zehen, Finger oder sogar eine ganze Hand oder den Fuß, je nachdem, wie sich die Schlinge zugezogen hat.

Die andere Möglichkeit, an ein Gorillababy zu kommen, ist nicht weniger grauenhaft: Wenn das Baby noch so klein ist, dass es ständig am Bauch oder auf dem Rücken der Mutter getragen wird, dann erschießen die Jäger die Mutter. Manchmal nehmen sie Körperteile von ihr als Trophäe, oder sie verkaufen ihr Fleisch. Dieses Bushmeat war und ist noch immer sehr gefragt in Westafrika. Das Baby, das sich dann in Panik im Fell der toten Mutter festklammert, trennen sie von ihr ab und nehmen es mit. »Die Gorillajagd ist entsetzlich für die ganze Gorillagruppe, und für das Baby ist sie ein traumatisches Erlebnis. Die gefangenen Babys leiden noch lange, körperlich und seelisch. Wobei die meisten von ihnen nicht lange leben«, fasste Le Flohic seine Erfahrungen zusammen.

In seiner Auffangstation hat Guillaume Le Flohic mit seinem Team schon viele Gorillawaisen großgezogen, deren Eltern getötet wurden. Denn das gibt es auch heute noch, bestätigte er mir: »Na klar, das hier ist Afrika! Wenn Sie genug Geld mitbringen und die richtigen Leute fragen, holt man Ihnen in ein paar Tagen ein Gorillajunges aus dem Wald.« Seine bittere Erklärung dafür: Korruption, Armut, Chancenlosigkeit. »Das ist der vergiftete Grund, auf dem die Wilderei gedeiht«, schrieb mir der Ökologe später, nach unserem Telefongespräch. Heute sei die Gorillajagd sogar noch einfacher geworden. Denn automatische Waffen, wie das leichte Maschinengewehr AK47, ermöglichen es theoretisch jedem, der den Wald gut kennt, einen Gorilla zu töten. »Und das sind leider fast alle erwachsenen Männer Zentralafrikas, die in ländlichen Gegenden wohnen.« Heute werden Gorillas schlicht und einfach für Geld getötet. »Wildtierhändler und korrupte Beamte haben gelernt, wie sie die Gorillajagd für ihre eigenen Vorteile ausnutzen«, kommentierte er.

In der Zeit, als Fritz aus dem Dschungel geholt wurde, waren Schusswaffen allerdings noch nicht die Norm. »Damals hat man noch traditionelle Waffen benutzt, zum Beispiel Speere«, erklärte er mir. Das Töten eines Gorillas war damals auch oft begleitet von Tradition und Bräuchen.

Fritz’ Eltern sind also aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem traditionellen Speer erstochen worden, vor den Augen ihres Kindes. Denn Gorillaeltern lassen ihre Jungtiere nur selten allein zurück, selbst wenn es für sie den Tod bedeutet.

Solche traumatischen Erlebnisse verlassen einen Gorilla sein Leben lang nicht, versicherte mir die Verhaltensbiologin Iris Weiche, die über Beziehungen innerhalb von Gorillagruppen geforscht hat. Menschenaffen erinnern sich, darüber sind sich Wissenschaftler einig. Es ist noch immer umstritten, wie weit das sogenannte episodische Gedächtnis bei ihnen reicht und wie detailliert es ist; manche Wissenschaftler sprechen deshalb lieber von einem quasi-episodischen Gedächtnis bei Tieren (Clayton et al. 2003). Aber in den letzten Jahren haben Forscher immer wieder Hinweise darauf gefunden, dass Primaten ihre Erlebnisse noch Jahre später abrufen können (Lewis et al. 2019). Die Autoren einer Studie mit Orang-Utans und Schimpansen zum Beispiel konnten zeigen, dass sich die Affen nach drei Jahren noch daran erinnerten, wo und wie für sie einmal Werkzeug versteckt worden war (Martin-Ordas et al. 2013).

Ein traumatisches Erlebnis wie das von Fritz prägt ein soziales und sensibles Tier wie einen Gorilla ganz sicher, auch darin sind sich Verhaltensbiologen einig. Im Vergleich mit den anderen großen Menschenaffen – also Orang-Utans, Schimpansen und Bonobos – sind Gorillas sogar besonders sensibel. Viele verkraften grausame Erlebnisse wie das Töten ihrer Eltern nicht, erzählte Iris Weiche: »Sie sind dann extrem depressiv, können wirklich in eine depressive Starre verfallen, wie wir das auch vom Menschen her kennen: nichts mehr essen, stumpfer Blick, nur noch in sich gekehrt. Und sie können teilweise an Trauer und Angst auch sterben, wenn sie nicht wirklich gut versorgt werden.«

Im Limbe Wildlife Center in Kamerun kümmern sich Guillaume Le Flohic und seine Kollegen um solche traumatisierten Waisen, die sie anschließend wieder auswildern. Es ist nicht einfach, das Vertrauen dieser Gorillakinder zu gewinnen. »Jeder Gorilla ist anders«, erklärte mir die Primatologin und Ökologin Peggy Motsch von der Waisenstation in Kamerun. »Das Wichtigste ist es, ihr Naturell zu verstehen, ihre Gemütslage und was ihnen Angst macht.« Aber das braucht viel Zeit. Viele der traumatisierten Kinder vertrauen den Helfern nur zögerlich und brauchen ihren eigenen Raum, um zuversichtlicher zu werden. »Wir können uns ihnen nicht aufdrängen, sie zum Beispiel nicht direkt anschauen. Primaten mögen es nicht, wenn Fremde sie anstarren. Das geht uns Menschen ja auch so«, sagt Motsch.

Gorillas sind scheu. Und so testen die Gorillakinder in der Station immer wieder, ob sie den Helfern wirklich trauen können. Die Menschen müssen sich dabei an das Tempo jedes einzelnen Gorillakindes anpassen. »Wir können nicht einfach hingehen, sie umarmen und davon ausgehen, dass sie das mögen. So funktioniert das nicht. Die Initiative muss von ihnen ausgehen. Sie müssen zu uns kommen, uns zum Beispiel zum Spiel auffordern, nahe bei uns einschlafen oder auch auf uns«, erklärte Motsch. Wenn solche Momente erreicht sind, dann ist ihr Vertrauen hergestellt, und die Menschen können daran arbeiten, sie wieder für die Freiheit fit zu machen. Im Limbe Wildlife Center versuchen sie das, indem sie die Kinder zuerst ganz vorsichtig wieder in Gruppen integrieren. »Es ist ja nicht so einfach, in einer Gorillagruppe zu leben«, gibt Peggy Motsch zu bedenken. Soziale Kompetenz muss auch bei Gorillas erlernt werden – vielleicht sogar gerade bei Gorillas. »Sie zeigen ihre Kraft und Macht so deutlich, aber gleichzeitig auch ihre Unbeholfenheit und ihren leisen Sinn für Humor. Was mich bei ihnen am meisten beeindruckt, sind ihre Gesten und Blicke. Sie geben unheimlich viele Informationen sehr diskret untereinander weiter, so dass man als Beobachter wirklich aufpassen muss, um es mitzukriegen.« Für die Primatologin sind die Gorillas deshalb die edelsten Primaten.

Als der kleine Fritz gefangen wurde, gab es noch keine Rehabilitationszentren für Gorillas wie das Limbe Wildlife Center. Und niemand kümmerte sich um das Schicksal des kleinen Affen. Fritz landete in den Händen eines Großtierfängers, der ihn nach Europa verkaufte. Viele der anderen Gorillakinder, die damals für europäische Zoos gefangen wurden, starben schon kurz darauf, weil sie ihr Trauma, die falsche Ernährung oder die wochenlange Schiffspassage in einer Kiste nicht überlebten. Auch einige, die es lebend bis in die Zoos geschafft hatten, starben dort kurze Zeit nach ihrer Ankunft, wie M’Pungu.

Fritz aber hatte Glück: Er überstand die Reise und entwickelte sich viele Jahre später zu einem sozial kompetenten Silberrücken. Er musste sein Kindheitstrauma also irgendwie mehr oder weniger bewältigt haben. Möglicherweise war jemand bei ihm, dem er vertraute, als er aus dem Dschungel geholt wurde. Vielleicht war er anfangs noch mit seinen Geschwistern zusammen und sie konnten sich aneinanderklammern, sich riechen und beruhigen. Es gibt auch Geschichten von Matrosen auf den Frachtschiffen nach Europa, die sich um die Wildtiere kümmerten. Traumatisierte Gorillakinder brauchen Körperkontakt, sagt Iris Weiche: »Sie brauchen eine Möglichkeit, Wärme zu spüren, denn sie sind sehr soziale Tiere. Sie brauchen auch das Ansprechen und dass man sich mit ihnen beschäftigt.« Fritz muss auf seiner langen Reise wohl Wärme und...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte ältester Silberrücken Europas • Biographie • Dschungel • Familiengeschichte • Familiensaga • Gorilla • Gorillamann • Gorillas • Kamerun • Lebensgeschichte • Menschenaffen • Nürnberger Tiergarten • Sachbuch • Silberrücken • Wilderer • Wildtiere • Wildtierhandel • zoo • Zooentwicklung • Zoohaltung • Zootiere • Zootierhaltung • Zucht • Zuchtprogramm
ISBN-10 3-7776-3130-2 / 3777631302
ISBN-13 978-3-7776-3130-1 / 9783777631301
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