Sternenbrücke (eBook)
368 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60143-6 (ISBN)
Robert Corvus, 1972 geboren, lebt in Köln. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker war in verschiedenen internationalen Konzernen als Strategieberater und Projektleiter tätig. Corvus ist Metalhead, Kinofan und Tänzer. Er veröffentlichte zahlreiche Romane in den Reihen »Das schwarze Auge« und »Battletech« sowie einen apokalyptischen Vampirthriller. Mit der Trilogie »Die Schattenherren« und dem Einzelroman »Schattenkult« etablierte er sich auf der dunklen Seite der Fantasy. Zuletzt erschienen sein Science-Fiction-Roman »Das Imago-Projekt« sowie sein High-Fantasy-Epos »Berg der Macht«.
Robert Corvus, 1972 geboren, lebt in Köln. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker war in verschiedenen internationalen Konzernen als Strategieberater und Projektleiter tätig. Corvus ist Metalhead, Kinofan und Tänzer. Er veröffentlichte zahlreiche Romane in den Reihen »Das schwarze Auge« und »Battletech« sowie einen apokalyptischen Vampirthriller. Mit der Trilogie »Die Schattenherren« und dem Einzelroman »Schattenkult« etablierte er sich auf der dunklen Seite der Fantasy. Zuletzt erschienen sein Science-Fiction-Roman »Das Imago-Projekt« sowie sein High-Fantasy-Epos »Berg der Macht«.
Wider die Leere
Fürst Yul genoss die Frische, die sich mit dem Platzen der Traube in seinem Mund ausbreitete. Er kaute mit geschlossenen Lidern und hinter dem Kopf verschränkten Händen. Die Süße kitzelte auf seiner Zungenspitze, zugleich prickelte Säure an den Seiten. Eine Präzision, die seine Sinneswahrnehmungen in der Realität niemals erreichten. Dort klebten sie in den Beschränkungen des Fleisches fest, am Körper, den der Zufall zum Zeitpunkt von Yuls Geburt aus der endlos brodelnden Suppe chaotischer Evolution an die Oberfläche gespült hatte.
Hier nicht. Lächelnd öffnete Yul die Augen. Was er hier sah, roch, schmeckte oder sonst wie wahrnahm, fand seine Grenzen lediglich in seiner Fähigkeit, einem Codemonger zu vermitteln, was er sich wünschte. Und natürlich im Gewicht seines Balancechips. Auch wenn in seiner Wunschwelt jeder eine funktionslose, schneeweiße Raute in der Stirnhaut trug, reichte die Macht des Geldes bis hierher.
Mittlerweile entsprach der Raum, in dem Yul seinen Imbiss einnahm, perfekt seinen Vorstellungen. Er befand sich auf halber Höhe des Schlosses, fünfzig Meter hoch über dem Meer. Die Abendsonne versank hinter dem Horizont. Ihr tieforangefarbenes Licht schuf einen Keil aus Gold auf den ruhig webenden Wellen des Ozeans. Yul liebte den Blick in die uferlose Weite. An der Westseite des Zimmers verbanden nur fünf Säulen aus weißem, geriffeltem Stein Boden und Decke. Ungehindert wehte der Seewind herein und umfächelte Yuls Gesicht mit Feuchtigkeit und Salzgeruch. Ein paar Möwen flogen in einiger Entfernung vorüber. Ihr weißes Gefieder hob sich vom wolkenlosen Himmel ab, der allmählich von einem dunklen Blau ins Violett wechselte. Solange sich die Vögel nicht allzu schnell seitwärts bewegten, ähnelten sie beleuchteten Raumschiffen in der Dunkelheit des Alls.
Yul merkte, wie sein Lächeln erstarrte. Der Gedanke an Raumer fühlte sich an, als streichelte ihn die rissige Hand einer alten Frau.
Er lehnte sich zurück, blickte hinauf zur Decke und überlegte, ob er die Möwen aus diesem Teil seiner Wunschwelt entfernen sollte. Mit der Veränderung der Decke war er zufrieden. Sie glänzte noch wie Chrom, spiegelte aber nichts mehr. Anfangs hatte das Wechselspiel mit dem Fußboden, der ebenfalls aus Chrom bestand, für endlose Spiegelungen in Spiegelungen in Spiegelungen gesorgt. Der Codemonger hatte vorausgesehen, dass dieser Effekt Yul bei den Wanderungen durch sein damals noch leeres Schloss in den Wahnsinn treiben würde. Es hatte ihn nur ein Grinsen und einen kurzen Programmbefehl gekostet, um alles auf jeweils ein einziges Spiegelbild zu reduzieren, aber auch das hatte Yul noch irritiert. Er mochte den indifferenten Glanz des Chroms, frei von allen Reflexionen, und so war es jetzt auch. Es lohnte sich, seine Träume ständig zu verbessern.
Sollten die Möwen über dem westlichen Ozean also verschwinden?
Vielleicht wäre es besser, eine andere Farbe für den Himmel bei Sonnenuntergang zu wählen. Etwas heller. Es verlieh Yuls Gedanken Leichtigkeit, wenn er den Vogelflug beobachtete. Und Leichtigkeit konnte er wahrlich gebrauchen.
Ein Winseln erbat seine Aufmerksamkeit.
Yul sah neben seinen Sessel. Pilgrim saß auf dem Chromboden und blickte ihn mit seinen schwarzen Knopfaugen an. Der Goldton seines lockigen Fells war nur einen Hauch dunkler als das Wasser, das die untergehende Sonne entflammte. Der Hund wedelte mit dem kurzen Schwanz, der dadurch über den staubfreien Boden wischte, und leckte seine Lefzen.
Yul beugte sich vor und klaubte eine gerollte Scheibe von der Schinkenplatte. »Magst du das?«
Pilgrim schnappte, als müsste er seine Beute aus der Luft fangen.
Lachend warf Yul ihm den Schinken zu.
Während der Hund zufrieden schmatzte, wanderte Yuls Blick über die Teller, Schalen und Platten auf dem ovalen Tisch. Mandarinenstücke, geschälte und zerteilte Bananen, Haselnusskerne, Trauben, Mandeln, Himbeeren, Käsewürfel. Nichts wurde in dieser Wunschwelt matschig oder gar schimmlig, alles blieb frisch. Unentschlossen ließ er seine Finger tanzen, um dann ein Viertel von einem Apfel zu wählen und sich wieder zurückzulehnen.
Er sah den Sessel zu seiner Rechten an. »Was sollen wir mit den Möwen machen?«
Kein Körnchen Staub war auf der hölzernen Sitzgelegenheit zu erkennen. Natürlich nicht, in ihrer Zeit als Laborassistentin in der Chipfertigung hatte Iona eine Abneigung gegen Unreinheiten entwickelt. In Chrome Castle gab es nichts, das ihr missfallen hätte.
Der Wind zupfte an der roten Seide des Schals, der auf den Lehnen des Sessels lag. Ein Kleidungsstück, das nicht gemacht war, um Kälte abzuhalten, sondern um Eleganz zu unterstreichen.
»Und was meinst du?«, wandte sich Yul an Pilgrim.
Der Hund leckte sein Fell. In Momenten wie diesem fragte sich Yul, ob es möglich war, dass sich eine Katze in Pilgrims Ahnenlinie eingeschlichen hatte.
Leise seufzend sah er wieder hinaus zu den Möwen. Diese Entscheidung würde er allein fällen müssen. Wie jeden Entschluss, der seine Wunschwelt betraf.
Offenbar interpretierte das Programm Yuls Untätigkeit als Langeweile. Es schuf mit einem Boten Abhilfe, der abgehetzt in den Raum stürzte. Der blonde Jüngling mit dem Pagenschnitt war ein generisches Design, an dem Yul noch keine Individualisierung vorgenommen hatte. Helle Haut, natürlich die weiße Raute in der Stirn, ein blauer Wappenrock, der über dem Herzen die stilisierten Halbleiterbahnen zeigte, die überall in Chrome Castle zu sehen waren, eine enge Hose, Schuhe mit hochgebogenen Spitzen. Er fiel auf seine knochigen Knie. »Das Nichts bestürmt uns! Rettet uns, Herr!«
»Natürlich.« Mit mäßiger Begeisterung drückte sich Yul an den Lehnen hoch. »Lauf zu Frauchen, Pilgrim!«, forderte er den Hund auf. »Du bist die letzte Verteidigung, wenn alle anderen scheitern.«
Obwohl das goldgelockte Tier allenfalls dadurch gefährlich werden konnte, dass sein Bettelblick einen zu Tränen rührte, nahm es seine Beschützeraufgabe ernst. Es sprang auf und lief durch die offen stehende Tür davon.
Yul beachtete den Diener nicht weiter. Im Gegensatz zu Iona fiel es ihm schwer, offensichtlich künstlichen Konstrukten mit Respekt zu begegnen oder sie gar wie Personen zu behandeln. Um eine Verbindung aufzubauen, brauchte Yul die Illusion der Einmaligkeit, die kleine Fehler und andere Besonderheiten erschufen.
–
Mit weiten Schritten eilte Fürst Yul durch Gänge und Säle, in denen weiße Säulen die Chromdecken stützten. Die Wände bestanden aus schwarzem Basalt. Schlanke Fenster öffneten den Blick auf den Ozean oder das Gebirge, dessen schneebedeckte Gipfel im letzten Sonnenlicht zu brennen schienen, während die steilen Bergflanken bereits Schatten warfen. Auf den Treppen nahm er drei Stufen mit jedem Schritt. Seine Absätze knallten auf dem Chrom wie Hammerschläge, ein gleichmäßiger Takt wie bei einem Metronom. In seiner Wunschwelt ermüdete Yul auch nicht, nachdem sich seine weiche Stoffkleidung in eine Rüstung aus glänzendem Stahl verwandelt hatte.
Er passierte Gemälde, deren Rahmen wie Halbleiterbahnen gemustert waren. Sie fassten Szenen aus Ionas Leben ein, die wie Ölbilder anmuteten. Wie sie den Vortrag aufzeichnete, der ihr die Professur einbrachte. Wie sie mit verschränkten Armen den Prototypen eines Hochleistungsrechners auf den Schrott schickte, weil die Kommunikation der verbauten Siliziumhirne – trotz der Entwicklungskosten im Wert von einer Tonne Rhodium – Streitfälle unzureichend löste. Wie sie der akademischen Welt den Rücken kehrte und ihren ersten kommerziellen Auftrag als Interpretin für künstliche Intelligenzen annahm. Wie sie mit Pilgrim spielte. Wie sie Yul heiratete. So groß, dass nur ihre Gesichter und Ionas rechte Hand auf dem Bild Platz fanden: wie sie Yuls Wange streichelte. Er erinnerte sich an Hunderte unterschiedliche Arten, auf die sie das getan hatte, und noch jetzt spürte er bei der Erinnerung ein wohliges Kribbeln im Nacken.
Mit einem Schild am linken Unterarm und einem silberglänzenden Schwert in der rechten Faust trat Yul auf den östlichen Wehrgang. Über den Bergen funkelten Sterne in einem samtschwarzen Himmel. Sie erschienen fern, kalt und hart wie Diamanten, unbeeindruckt vom Geschick ihrer sterblichen Bewunderer, unverrückbar für die Ewigkeit.
Außer in einem Bereich im...
Erscheint lt. Verlag | 24.2.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Berg der Macht • beste Science-Fiction • deutsche Science-Fiction • Eroberung des Weltalls • Feuer der Leere • KI • Künstliche Intelligenz • Neuerscheinung 2022 • Raumschiff • SciFi • Space Opera • Steampunk • Weltraumabenteuer • Weltraumthriller |
ISBN-10 | 3-492-60143-X / 349260143X |
ISBN-13 | 978-3-492-60143-6 / 9783492601436 |
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