Bis dann, ich lieb dich

Writer's Notes

(Autor)

Buch | Softcover
270 Seiten
2021 | 1. Erstauflage
Nova MD (Verlag)
978-3-96966-845-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bis dann, ich lieb dich - Tatjana Weichel
13,90 inkl. MwSt
Zehn Jahre Ehe, doch vom gemeinsamen Lebensglück sind nur zerbrochene Träume geblieben.Als Lara ihren Mann bei einer schwerwiegenden Lüge erwischt, trifft sie eine Entscheidung: Für ein halbes Jahr besteht sie auf einer Pause von der Ehe, um herauszufinden, ob sie überhaupt noch zueinander gehören.Doch während Ben ohne seine große Liebe strauchelt und sich selbst kaum erträgt, lebt Lara auf ... und sechs Monate sind eine lange Zeit.

Ihr reges Interesse sowohl am gesprochenen wie am geschriebenen Wort zeichnete Tatjana Weichel bereits zu Kindertagen aus. Da überrascht es kaum, dass die gebürtige Ruhrpottlerin im Laufe der Zeit ein natürliches Talent für Form und Klang der deutschen Sprache entwickelte.Und es war dieses Talent, das sie mitten im Leben auf jenen Weg führte, den sie heute mit Leidenschaft geht. Denn im Frühjahr 2019 machte sie ihr Debüt mit dem kleinen, aber feinen Romance - Roman "Der Sturz ins Ungewisse"; einem Spin-Off der Bücherserie Black Heart von Kim Leopold. Tatjana Weichel zeichnet in ihren Büchern Beziehungen der besonderen Art, intensiv in all den Facetten menschlicher Charaktertiefe.

„Du bist genau der heiße Typ, den ich jetzt brauche.“ Lara tastete nach ihrem Handy auf dem Nachttisch. Sie musste dringend ihre Gedanken notieren. „Hrrrm. Das höre ich gern, es ist viel zu lange her“, raunte Ben und schob sich näher an sie. Lara zuckte zusammen. „Wieso schläfst du nicht?“ „Du hast mich geweckt. Nicht schlimm … ich freu mich.“ Er legte seine Hand auf ihren Bauch und streichelte sich langsam tiefer. Sein warmer Atem traf ihren Hals, im nächsten Moment spürte sie, wie er kitzelnd über diese Stelle leckte. Verdammt. Da hatte er aber gründlich was missverstanden. „Schatz, bitte … ich wollte nur was aufschreiben.“ Sie hielt seine Hand fest, bevor sie in Regionen tauchen konnte, die gerade nicht dafür empfänglich waren. Er hielt inne. Mit allem. „Etwas … aufschreiben?“ Lara rückte von ihm ab, wollte ihren Gedanken nicht verlieren. So lange hatte sie darüber nachgedacht, Bilder recherchiert, in der Stadt Menschen beobachtet. Sie griff nach ihrem Telefon. „Nur kurz, für meine Geschichte.“ Ben ließ sich zurück auf seine Bettseite fallen. „Das ist jetzt nicht dein Ernst.“ Lara ignorierte ihn und hielt sich das Handy vor ihr Gesicht, Face ID, eine praktische Sache. Sie rief die Notizen-App auf und schrieb ein paar schnelle Stichpunkte hinein. Dann legte sie das Telefon wieder zur Seite. „Schon fertig. Ich wollte dich nicht wecken. Aber ich hatte da einen Gedanken und …“ „Mit dem heißen Typen war also nicht ich gemeint“, stellte er fest. Lara fühlte verlegen die Hitze an ihrem Hals hochsteigen, genau da, wo Ben sie eben noch liebkost hatte. Doch ihr Körper sprang nicht an, viel zu müde war sie, viel zu sehr in Gedanken ganz woanders. Sie drehte den Kopf zu ihm. „Es war nur was für meine Geschichte. Lass uns schlafen.“ Aber Ben dachte nicht daran. Er machte das Licht auf seinem Nachttisch an, setzte sich auf und sah ihr in die Augen. „Dir ist eben ein Mann eingefallen. Mitten in der Nacht. An wen hast du gedacht, Lara?“ Mitten in der Nacht? Lara stieß die Luft aus. Sie waren eben erst ins Bett gegangen, es war noch nicht einmal Mitternacht. Sie zog die Bettdecke höher und kuschelte sich darin ein. Es war sinnlos, mit Ben darüber zu reden, was da passierte in ihrem Kopf, sie verstand es ja selbst nicht einmal richtig. Die Ideen kamen zu den unmöglichsten und seltsamsten Zeitpunkten. Was ja nun wieder einmal bewiesen wäre. „Ich hatte nur ein Bild im Kopf“, versuchte sie zu erklären, „einen Mann, der zu meiner Protagonistin passen würde. Es ist niemand, den ich kenne, er ist nur ein abstraktes Bild, aber bisher passte das alles nicht, und nun-“ „Wie sieht er aus?“, unterbrach er sie erneut. Lara runzelte die Stirn. Für wirkliches Interesse war seine Stimme einen Hauch zu scharf und sein Unterton ein wenig zu zickig. „Bist du eifersüchtig? Du spinnst doch.“ „Wie sieht er aus, Lara?“ Seine Stimme wurde gefährlich leise. Sie kannte diesen Tonfall, sie hatte den noch nie an ihrem Mann gemocht. Für einen Wimpernschlag schloss sie die Augen. „Groß, um die vierzig, dunkle Haare, blaue Augen, grauer Haaransatz, Bart.“ Sie blickte wieder hoch zu Ben. Er war einunddreißig, dunkelblond, mit braunen Augen und meistens glattrasiert. Und bevor sie wegschauen konnte, hatte er ihre Gedanken gelesen: Er war nicht das Vorbild für ihre Geschichte, nicht der Mann, den sie sich nachts vorstellte. Und sei es nur für eine Geschichte. Er verzog kurz das Gesicht, dann drehte er sich um und machte das Licht aus. Lara biss sich auf die Unterlippe. Sacht legte sie die Hand an seinen Rücken. „Ben …“ „Lass uns schlafen.“ „So war das nicht gemeint.“ Er antwortete nicht mehr, und Lara, die ihren Mann ihr ganzes Leben lang kannte, wusste, dass sie jetzt nichts mehr aus ihm herausbringen würde. Ben konnte sehr gut schweigen. „Wir haben gewonnen, Lara. Gewonnen! Das ist so krass. Niemeyer war völlig von den Socken.“ Ben setzte sich an den Esstisch, zog den Stuhl heran und schöpfte ihnen beiden vom Essen auf. „Schatz, das könnte eine Gehaltserhöhung bedeuten, das ist ein riesiger Auftrag. Und es ist meine Bewerbung!“ Er sprudelte förmlich vor Begeisterung, seit er von der Arbeit gekommen war, das Schweigen schien vergessen, und so ein bisschen steckte sie das an. Lara lächelte, während sie Wasser in ihre Gläser goss und Ben aufmerksam zuhörte. „Das klingt echt gut. Herzlichen Glückwunsch! Und wie geht es nun weiter?“ Lara wusste, wie wichtig Ben sein Job war. Nach dem Konkurs hatte sie gedacht, er würde nie wieder auf die Füße kommen, doch diese neue Firma hatte ihn gerettet – und ihre Ehe vermutlich auch. „Niemeyer hat uns für Freitag ins Blue eingeladen. Ihm ist nach feiern, sagte er.“ „Freitag? Diesen Freitag?“ Lara ließ ihr Besteck sinken und sah ihren Mann an. Seine Haare waren akkurat nach hinten frisiert, die Krawatte gelockert. Auf dem grauen Hemd prangte ein roter Spritzer. „Genau, das wird cool. Er will mit uns besprechen, wie die weitere Planung aussieht und wer was machen darf.“ Ben strahlte sie an. Doch Lara war nicht zum Strahlen zumute. „Am Freitag ist meine Feier. Ich … du hast es vergessen?“ Ihre Stimme zitterte gefährlich. Verdammt, das konnte er doch nicht ernst meinen. Lara fühlte die Wut hochsteigen, doch zuerst kamen wie immer diese verräterischen Tränen. Ben wurde blass. „Ach, Mist.“ Er legte seine Hand auf ihre. „Schatz, es tut mir leid, ich mach’s wieder gut, ja?“ Lara schluckte all die aufkommenden Gefühle runter und konzentrierte sich zwei, drei tiefe Atemzüge lang. Dann blickte sie ihm in die Augen. „Wie meinst du das, du machst es wieder gut? Du sagst das doch ab, oder?“ Sie entzog ihm ihre Hand, richtete sich auf. Er sollte bloß nicht meinen, dass sie einknicken würde. Sie konnte nicht fassen, dass er wirklich die Party zu ihrem 30. Geburtstag vergessen hatte. Wegen seines Jobs. Mal wieder. Ben kniff die Lippen zusammen. „Du verstehst das nicht. Ich kann das nicht absagen. Wir sind auch explizit mit Frauen eingeladen. Können wir deine Feier nicht auf Samstag verschieben?“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas, und nur an seiner betont lässigen Miene sah Lara, dass er angespannt war. Doch sie würde nicht darauf eingehen. Diesmal nicht. „Wir wollten reinfeiern, und ich kann doch nicht vierzig Leuten sagen: Ach, kommt doch einen Tag später.“ Ben seufzte. „Niemeyer reist extra aus Hamburg dafür an. Ich … was soll ich denn machen?“ Lara sank in ihrem Stuhl zurück und betrachtete ihn. Er schien das wirklich ernst zu meinen, und sie wusste nicht, wie sie damit nun umgehen sollte. Ben arbeitete seit wenigen Jahren als Angestellter in einem Architektenbüro und hatte dort rasant Karriere gemacht. Vor einiger Zeit hatte sein Chef Werner Niemeyer ihm den Entwurf für einen Wettbewerb anvertraut, ein großes Projekt an der Nordsee. Das und der Job an sich brachten mit sich, dass Bens Geschäftstermine manchmal so ungünstig und kurzfristig organisiert waren, dass schon das eine oder andere Mal ihr Privatleben darunter gelitten hatte. Der Preis für diesen guten Job, für die Chance, die sich damals aufgetan hatte. Doch jetzt sollte das Opfer ihr Geburtstag sein, und das ging dann doch zu weit. „Dann musst du ohne mich hingehen, und ich muss ohne dich feiern.“ Sie fühlte erneut Tränen aufsteigen, zwang sich jedoch, Bens Blick standzuhalten. Ben sah sie bittend an, er beugte sich über den Tisch und griff noch einmal nach ihrer Hand. „Dein letztes Wort? Bitte, Lara, wir könnten doch wenigstens rumfragen, ob die Leute auch am Samstag Zeit haben, es ist immens wichtig für mich, ich …“ Sie zog ihre Hand erneut weg, enttäuscht, dass er den Termin nicht absagte, es nicht einmal versuchen wollte. „Mein letztes Wort. Du könntest ja auch deinen Chef fragen, ob es wann anders geht.“ Er sah ebenso enttäuscht aus, als er sie für einen Moment schweigend ansah, fast schien es, als wollte er noch etwas erwidern, doch dann rückte er den Stuhl zurück, stand auf und ging aus der Küche. Kurz danach hörte sie die Haustür zufallen. Lara schob ihren Teller zur Seite, die Tränen schossen ihr nun ungehemmt in die Augen. Sie konnte nicht mehr zählen, wie oft Ben ihre Pläne durcheinandergebracht hatte mit seinen spontanen, so unfassbar wichtigen Geschäftsterminen. Niemeyer hier, Scholz da. Doch das Wochenende, ihr Geburtstag – dass er den vergessen hatte, zog ihr regelrecht den Boden unter den Füßen weg. Wann war ihm seine Arbeit so viel wichtiger geworden? Wann sie so unwichtig? Und sie verstand nicht? Verstand er denn noch? Ben war die Liebe ihres Lebens. Dessen war sie sich so lange so sicher gewesen. Immer hatten sie Seite an Seite gestanden, hatten gekämpft um ein gutes Leben, nächtelang geträumt von der Zeit, in der sie genug Geld haben würden, das Leben zu leben, das sie sich wünschten. Doch das schien lange her. Derzeit kämpften sie auch, aber jeder für sich, und ihre Träume träumten sie wohl auch nicht mehr gemeinsam. Sie redeten ja nicht einmal mehr. Sie schwiegen, als Ben nach Hause kam. Sie schwiegen, als sie nacheinander das Bad benutzten, um ins Bett zu gehen. Sie schwiegen beim Einschlafen, beim Aufwachen, beim Kaffeekochen und beim Aus-dem-Haus-Gehen. „Wir reden einfach nicht mehr miteinander. Also, nicht nur jetzt, wegen der Party. So generell. Keine Ahnung, wann das aufgehört hat.“ Lara stocherte in ihren Pommes herum, schob den Teller zur Seite. Marleen, beste Freundin seit der Verschwesterung im Kindergarten, schnappte ihn sich sofort und zog ihn zu sich. Fragend blickte sie Lara an, die abwinkte und zusah, wie Marleen die Pommes jeweils erst in ihre Eiscreme tunkte und dann aß. Sie erschauderte und wandte sich ab. Sie würde sich nie an Marleens Essgewohnheiten gewöhnen. „Sein Job ist ihm halt wichtig.“ „Ich sollte wichtiger sein, findest du nicht? Ausnahmsweise mal?“ Lara musterte ihre Freundin, die frisch vom Friseur kam und sich auf ein spontanes Mittagessen in einem Fast-Food-Restaurant mit ihr getroffen hatte. „Klar.“ Marleen sah sie eindringlich an, und Lara fühlte sich durch den Blick provoziert: Verlass ihn doch, los, such dir wen anderen. Sie schüttelte den Gedanken ab. So dachte Marleen bestimmt nicht. „Feier ich halt ohne ihn. Ich werde es nicht absagen.“ Lara war sich nicht sicher, ob das wirklich die richtige Entscheidung war. Sie freute sich auf den Abend. Zumindest hatte sie das, bis jetzt. Aber ohne Ben … „Du bist ihm wichtig. Das weißt du, oder?“ Marleen hielt inne, obwohl sie sich gerade ein Pommes in den Mund stecken wollte. Karamellcreme lief an dem Kartoffelstick herunter. „Wie kannst du so was essen?“ Lara deutete mit dem Kopf auf Marleens Hand. „Lenk nicht ab.“ Marleen biss demonstrativ ab. „Du weißt es, oder? Das mit dem Job. Er tut das für euch. Für dich, euer Haus, eure Kinder. Eure Zukunft.“ Lara schnaubte. „Welches Haus und welche Kinder?“ Sie hatten keine, und derzeit versuchten sie es auch nicht einmal mehr. Ein Haus auf dem Land hatten sie auch gewollt. Wünsche hatte es viele gegeben, jetzt gab nur noch die Realität. „Lara, jetzt ist doch mal gut. Deine Enttäuschung in allen Ehren, aber Selbstmitleid ist echt nicht angebracht. Du wirst dreißig, nicht vierzehn. Du wirst es doch wohl hinbekommen, deinen Geburtstag ohne deinen Kerl zu feiern. Es ist blöd, ja, verstehe ich, aber es ist auch kein Weltuntergang. Ich wünschte, ich hätte noch einen Mann, über den ich mich mal ärgern könnte.“ Marleen sah sie ernst an, jedwede Belustigung war aus ihrem Gesicht verschwunden. Lara schämte sich sofort. Es war nicht richtig, sich Marleen gegenüber über Ben zu beschweren. Marleen hatte ihren Mann viel zu früh verloren und nicht einmal Zeit gehabt, Ärger über ihn zu entwickeln. Vielleicht war es überhaupt nicht richtig, sich zu beschweren. Es ging ja auch nicht wirklich um den Geburtstag, sondern darum, wie egal sie geworden war, ihre Beziehung, ihre Zukunft. Hatten sie eine? Sie seufzte. „Du hast mich doch letztens gefragt, was ich mir zum Geburtstag wünsche. Also, falls du noch nichts hast: Schenke mir ein Wochenende Zeit mit dir. Nur wir zwei, irgendwo schön ausgehen, Wellness, schwimmen. Das würde mir gefallen.“ Sie zog Marleen den Teller wieder weg, um das letzte Pommes selbst zu essen. Die Worte ihrer Freundin begleiteten sie den ganzen Nachmittag über. Sie sorgten dafür, dass Lara sich mehrfach dabei ertappte, wie sie gedankenverloren auf den Monitor starrte, ohne die Arbeit wahrzunehmen, die sie eigentlich erledigen musste. Es war ein ruhiger Nachmittag, mittlerweile wussten die Kunden, dass Tom Seidler, Geschäftsführer und ihr Chef, dienstags nur vormittags arbeitete, die Anrufe ließen ab der Mittagspause rapide nach. Für gewöhnlich nutzte Lara diese Zeit, um die Woche zu organisieren. Zu ihren Aufgaben als Office Managerin gehörte es unter anderem, Einladungen zu verschicken, anzunehmen oder abzusagen, die Termine ihres Chefs mit ihren eigenen zu synchronisieren und Restaurants oder Events für diese Meetings zu buchen. Heute war sie zu unkonzentriert dafür, und nachdem sie Tom für einen Abend an zwei verschiedenen Stellen der Stadt zu Verabredungen verplant hatte und eine davon wieder absagen musste, gab sie es auf. Er tut das für euch. Für dich, euer Haus, eure Kinder. Eure Zukunft. Tja, das mochte ja durchaus sein, dennoch hatten sie nichts davon. Weder Haus noch Kinder. Für beides hatte es noch nicht gereicht. Beim Haus fehlte das Geld, bei den Kindern – wenn man das mal wüsste. Es war nicht so, als hätten sie es nicht versucht. Das hatten sie. Oft sogar. Reichlich. Geplant und ungeplant. Doch in den ersten Jahren ihrer Ehe war Lara nicht schwanger geworden, in den Jahren danach sorgte sie dafür, dass sie es nicht wurde. Der Konkurs vor einigen Jahren hatte alles an Zukunftsträumen zunichtegemacht. Und nun war es halt so. All das nagte an ihr. Anfangs nur so ein bisschen, doch dann spürte sie den Druck in Form ihres Kinderwunsches immer mehr, immer deutlicher, immer schmerzhafter. Es war ihr Lebenstraum gewesen, jung Mutter zu werden, mit Ben und Kindern und Tieren auf dem Land zu leben, die Freiheit im Nacken, Augen und Sinne weit geöffnet. Doch Ben stand ihr im Weg, so sehr sie ihn auch liebte, so klar sie ihn als Vater ihrer Kinder sah, und nur ihn, ohne jeden Zweifel. Mit dem Konkurs hatten sie verpasst, ihre Träume wieder anzugleichen. Sie waren gestolpert, ach was, nicht nur gestolpert. Ben war böse gestürzt und hatte sie mit in den Abgrund gezogen, denn so war das, wenn man einander ein Versprechen gab. In guten wie in schlechten Zeiten, doch wenn es mehr gute Zeiten gegeben hätte, vielleicht hätte es die schlechten besser aufgefangen. Jetzt blieb die Frage, ob es noch gemeinsame Träume gab. Neben den Sorgen, die eigentlich kaum noch welche waren und mittlerweile Alltag hießen. Was, wenn sie einfach nicht mehr das Gleiche träumten? Das Telefon riss Lara aus ihren Überlegungen, sie meldete sich und zuckte zusammen, als sie die Stimme ihres Chefs vernahm. Sogleich setzte sie sich aufrecht hin, die rechte Hand suchte instinktiv nach einem Kugelschreiber, denn Tom rief nicht einfach so an – irgendwas gab es zu tun. „Lara, sei so gut, und schau mal, ob du für Freitag noch einen Tisch für sechs im Landgasthof reservieren kannst. Ich habe Whitman endlich erreicht und noch einen Termin bekommen.“ „Wow, das ist prima, ich rufe da direkt an. Warte, hast du Freitag gesagt?“ „Hab ich. Spreche ich neuerdings undeutlich? Was ist denn? Ich muss zurück in das Meeting, ich bin offiziell nur auf dem Klo.“ Er klang ungeduldig, und Lara biss sich auf die Unterlippe. Sie hasste es, wenn er diesen Ton anschlug, denn Tom war nicht nur ihr Chef, sondern auch ihr bester Freund. Sie hatte ihn mehr als einmal beim Pinkeln gesehen, da sollte er jetzt mal nicht so tun. „Ich kann Freitag nicht, kann dich Jenny begleiten?“ Ihre Stimme klang belegt, sie wusste, dass es nicht an Tom lag, der musste nun wirklich nicht ihren Geburtstag im Kopf haben. Aber direkt nach gestern fiel es ihr schwer, das Thema unbeschwert anzuschneiden. Jenny war seine Freundin, sie ging zwar nie auf seine Veranstaltungen mit, aber vielleicht … Lara wartete auf Toms Reaktion, während sie ihren gemeinsamen Kalender aufrief. Auf den hatte Tom natürlich auch Zugriff, er bevorzugte es aber trotzdem, sie für Termine anzurufen. An guten Tagen kam sie sich deshalb unglaublich unersetzbar vor. „Jenny? Nein, sorry. Es geht ihr nicht so gut, ich brauche dich dabei. Außerdem bringt Whitman seine Frau mit, du weißt schon, die Bestsellerautorin. Du hättest guten Gesprächsstoff mit ihr, das würde Whitmans Laune deutlich heben.“ „Tom, du hast am Freitagabend eigentlich keine Zeit. Ich hab … ich feiere doch meinen Geburtstag.“ Sie brauchte all ihren Mut, diesen Einwand auszusprechen, deshalb zitterte ihre Stimme deutlich. Sie hörte selbst, wie weinerlich sie klang. Lara presste die Finger der freien Hand auf ihre Augen und hoffte, sie würde jetzt nicht komplett die Fassung verlieren. Das ging so nicht, sie musste dringend mit Ben sprechen. Es nahm sie viel zu viel mit, dieses Thema. Dabei war es doch bloß so ein blöder runder Geburtstag. „Scheiße, daran hab ich nicht gedacht. Ich meld mich wieder.“ Irritiert starrte Lara auf das Display. Tom hatte einfach aufgelegt. Was hatte das denn nun zu bedeuten? Sie legte das Telefon zur Seite und rieb sich über das Gesicht. Warum war sie bei diesem Thema so empfindlich? Niemand wollte ihr was, niemand wollte ihr weh tun, und doch fühlte es sich so an. Einige Minuten später klingelte das Telefon erneut, wieder war es Tom. „Ich habs verschieben können, direkt am Montag dann. Sag den Club mit den Brüdern ab, das mit Whitman ist wichtiger. Und sorry noch mal.“ Lara konnte nichts dagegen tun, aber diese Worte lösten alle Dämme in ihr. Ihr bester Freund – ihr Chef – hatte seinen Termin verschoben. Wegen ihres Geburtstages. „Bist du noch dran? Lara? Heulst du?“ Eine Antwort konnte sie ihm nicht geben, und er verlangte auch keine. Für einen kurzen Moment hörte er ihr beim Weinen zu, während sie krampfhaft versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen. „Geht … geht schon …“ Tom seufzte. „Ich bin nur noch von heulenden Frauen umgeben. Irgendwas mach ich falsch in meinem Bemühen, ein cooler Typ zu sein.“ Lara zog die Nase hoch. „Wie meinst du das?“ „Erzähl ich dir später. Mach Feierabend, Süße, wir sehen uns morgen früh. Ich bring Brötchen mit, und dann reden wir. Aber mach das für Montag noch klar, und suche bitte was Gutes aus. Ich muss Whitman beeindrucken. Da lassen wir uns nicht lumpen.“ Sie versprach es ihm. Sie würde ihm jetzt alles versprechen – und wenn sie im Landgasthof dafür bezahlen musste, einen Tisch zu bekommen. Sie war verdammt gut in ihrem Job, sie würde Tom einmal mehr beweisen, wie gut. Und sie würde sich ein neues Kleid für diesen Abend kaufen, damit er keinen Grund hatte, auch nur ansatzweise an ihr zu zweifeln. Bester Freund hin und her, er war immer noch ihr Chef. Und sie würde mit Ben reden. Er war der wichtigste Mensch in ihrem Leben, er musste verstehen, dass seine Gleichgültigkeit sie verletzte, und jetzt, durch Toms Reaktion hatte sie auch einen Gesprächsanfang. Sie machte Feierabend und fuhr nach Hause, arbeitete an ihrer neuen Geschichte, aß zu Abend, überredete sich zu Yoga, telefonierte mit Marleen, danach mit ihrer Mutter, und hatte drei Seiten geschrieben, als die Haustür aufging und Ben nach Hause kam – weit nach zweiundzwanzig Uhr. Lara klappte den Laptop zu. Sie hatte im Wohnzimmer gesessen statt wie sonst in ihrem Büro, um nicht den Eindruck zu vermitteln, sie würde sich abschotten. Das wollte sie ja nicht, sie hätte gerne mit ihm gesprochen. Doch jetzt war es so spät, dass es auch keinen Sinn mehr machte. „Hi“, begrüßte er sie überrascht, als sie in den Hausflur kam. Er ließ seine graue Sporttasche auf das Sofa fallen und zog Jacke und Schuhe aus, bevor er sie unschlüssig anschaute. „Ich war noch im Studio“, erklärte er. „Das sehe ich“, antwortete sie und deutete mit dem Kopf auf seine Tasche. Ben lächelte, doch das Lächeln war verhalten. „Mhm. Ich … ich geh duschen und dann ins Bett. War ein langer Tag.“ Er nahm die Tasche und drängte sich an ihr vorbei. Aus einem Reflex heraus hielt Lara ihn am Arm fest. Er blieb stehen und wandte ihr sein Gesicht zu. Seine dunklen Augen fixierten sie, er wartete, was sie noch wollte, doch ihr fiel nichts ein. Ihr fehlten die Worte. Sie hatte dem Mann, mit dem sie seit so ewigen Zeiten lebte, nichts zu sagen. „Okay“, flüsterte sie also nur. Kurz zogen sich seine Augenbrauen zusammen, bevor er endgültig im Schlafzimmer verschwand.

"Du bist genau der heiße Typ, den ich jetzt brauche." Lara tastete nach ihrem Handy auf dem Nachttisch. Sie musste dringend ihre Gedanken notieren."Hrrrm. Das höre ich gern, es ist viel zu lange her", raunte Ben und schob sich näher an sie.Lara zuckte zusammen. "Wieso schläfst du nicht?""Du hast mich geweckt. Nicht schlimm ... ich freu mich." Er legte seine Hand auf ihren Bauch und streichelte sich langsam tiefer. Sein warmer Atem traf ihren Hals, im nächsten Moment spürte sie, wie er kitzelnd über diese Stelle leckte.Verdammt. Da hatte er aber gründlich was missverstanden."Schatz, bitte ... ich wollte nur was aufschreiben." Sie hielt seine Hand fest, bevor sie in Regionen tauchen konnte, die gerade nicht dafür empfänglich waren.Er hielt inne. Mit allem. "Etwas ... aufschreiben?"Lara rückte von ihm ab, wollte ihren Gedanken nicht verlieren. So lange hatte sie darüber nachgedacht, Bilder recherchiert, in der Stadt Menschen beobachtet.Sie griff nach ihrem Telefon. "Nur kurz, für meine Geschichte."Ben ließ sich zurück auf seine Bettseite fallen. "Das ist jetzt nicht dein Ernst."Lara ignorierte ihn und hielt sich das Handy vor ihr Gesicht, Face ID, eine praktische Sache. Sie rief die Notizen-App auf und schrieb ein paar schnelle Stichpunkte hinein. Dann legte sie das Telefon wieder zur Seite. "Schon fertig. Ich wollte dich nicht wecken. Aber ich hatte da einen Gedanken und ...""Mit dem heißen Typen war also nicht ich gemeint", stellte er fest.Lara fühlte verlegen die Hitze an ihrem Hals hochsteigen, genau da, wo Ben sie eben noch liebkost hatte. Doch ihr Körper sprang nicht an, viel zu müde war sie, viel zu sehr in Gedanken ganz woanders. Sie drehte den Kopf zu ihm. "Es war nur was für meine Geschichte. Lass uns schlafen."Aber Ben dachte nicht daran. Er machte das Licht auf seinem Nachttisch an, setzte sich auf und sah ihr in die Augen. "Dir ist eben ein Mann eingefallen. Mitten in der Nacht. An wen hast du gedacht, Lara?"Mitten in der Nacht? Lara stieß die Luft aus. Sie waren eben erst ins Bett gegangen, es war noch nicht einmal Mitternacht. Sie zog die Bettdecke höher und kuschelte sich darin ein. Es war sinnlos, mit Ben darüber zu reden, was da passierte in ihrem Kopf, sie verstand es ja selbst nicht einmal richtig. Die Ideen kamen zu den unmöglichsten und seltsamsten Zeitpunkten. Was ja nun wieder einmal bewiesen wäre."Ich hatte nur ein Bild im Kopf", versuchte sie zu erklären, "einen Mann, der zu meiner Protagonistin passen würde. Es ist niemand, den ich kenne, er ist nur ein abstraktes Bild, aber bisher passte das alles nicht, und nun-""Wie sieht er aus?", unterbrach er sie erneut.Lara runzelte die Stirn. Für wirkliches Interesse war seine Stimme einen Hauch zu scharf und sein Unterton ein wenig zu zickig. "Bist du eifersüchtig? Du spinnst doch.""Wie sieht er aus, Lara?" Seine Stimme wurde gefährlich leise. Sie kannte diesen Tonfall, sie hatte den noch nie an ihrem Mann gemocht.Für einen Wimpernschlag schloss sie die Augen. "Groß, um die vierzig, dunkle Haare, blaue Augen, grauer Haaransatz, Bart." Sie blickte wieder hoch zu Ben. Er war einunddreißig, dunkelblond, mit braunen Augen und meistens glattrasiert.Und bevor sie wegschauen konnte, hatte er ihre Gedanken gelesen: Er war nicht das Vorbild für ihre Geschichte, nicht der Mann, den sie sich nachts vorstellte. Und sei es nur für eine Geschichte.Er verzog kurz das Gesicht, dann drehte er sich um und machte das Licht aus.Lara biss sich auf die Unterlippe. Sacht legte sie die Hand an seinen Rücken. "Ben ...""Lass uns schlafen.""So war das nicht gemeint."Er antwortete nicht mehr, und Lara, die ihren Mann ihr ganzes Leben lang kannte, wusste, dass sie jetzt nichts mehr aus ihm herausbringen würde. Ben konnte sehr gut schweigen."Wir haben gewonnen, Lara. Gewonnen! Das ist so krass. Niemeyer war völlig von den Socken." Ben setzte sich an den Esstisch, zog den Stuhl heran und schöpfte ihnen beiden vom Essen auf. "Schatz, das könnte eine Gehaltserhöhung

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Writer's Notes ; 1
Verlagsort Deutschland
Sprache deutsch
Maße 135 x 210 mm
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Achtsamkeit • Angst • Beziehung • Beziehungspause • Ehe • Ehepaar • Familie • Glaube • Hilfe • Kampf • Kinderlosigkeit • Konflikt • Liebe • Loyalität • Nordsee • Opa • Romantik • Schreiben • Schulden • Selbstachtung • Selbstfindung • Träume • Treue
ISBN-10 3-96966-845-X / 396966845X
ISBN-13 978-3-96966-845-0 / 9783969668450
Zustand Neuware
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