Hart aber Hilde (eBook)
288 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2649-8 (ISBN)
Die gelernte Journalistin Bettina Haskamp, Jahrgang 1960, entschied sich nach einer dreijährigen Segelreise endgültig für ein Leben außerhalb eines festen Korsetts. Seit 2007 schreibt sie erfolgreich Romane. Sie lebt mit Mann, Hunden und Katzen in Portugal und Hamburg.
Die gelernte Journalistin Bettina Haskamp, Jahrgang 1960, entschied sich nach einer dreijährigen Segelreise endgültig für ein Leben außerhalb eines festen Korsetts. Seit 2007 schreibt sie erfolgreich Romane. Sie lebt mit Mann, Hunden und Katzen in Portugal und Hamburg.
1
Felix geht es nicht gut. Er hat Flecken. Dabei bekommt jemand wie Felix nie Flecken. Jetzt hat er verschütteten Kaffee auf dem Hemd und sogar im Gesicht Flecken. Rote. Neben ihm spuckt einer der Kopierer irgendeine Doktorarbeit aus. Blatt für Blatt stapelt sich in den schon reichlich vollen Fächern. Felix guckt nicht hin. Er starrt mich an. Aber nicht, weil ich so besonders gut aussehe. Felix hat einen Copyshop und ist mein Teilzeitchef. Jedenfalls war er das bis heute.
Es ist kurz nach sechs Uhr abends. Durch den Schleier der Tränen in meinen Augen sehe ich undeutlich letzte Kunden den kleinen Supermarkt gegenüber verlassen, während der Lehrling mit dem Schlüssel neben der Tür steht und von einem Bein aufs andere tritt. Normalerweise hätte Felix auch unseren Laden um Punkt sechs abgeschlossen, aber er ist im Moment wirklich nicht er selbst.
Und schuld bin ich. Pia Hartmann. Die Frau, auf die man sich nicht verlassen kann.
Dabei war der Tag bis um 14.14 Uhr völlig in Ordnung. Ich würde sogar sagen, dass dieser Dienstag alle Anlagen hatte, einer der besseren Tage in meinem Leben zu werden. Es war ein freier Tag. Ich musste nicht in den Blumenladen, wo mein anderer Chef zwischen zwei Grabkränzen gern versucht, seine klebrigen Finger in die Nähe meiner Brüste zu bringen. Ich konnte ausschlafen. Gegen zehn brachte mir mein Sohn Niklas Kaffee ans Bett. Er kann ein echter Schatz sein, wenn er will. Seit er siebzehn geworden ist, will er allerdings selten. Niklas lächelte, und auch das war ungewöhnlich. Ich glaube, dass Niklas den düsteren Gesichtsausdruck, mit dem er durchs Leben schleicht, vor dem Spiegel übt, weil so ein blasses Weltuntergangsgesicht deutlich besser zu seiner vollständig schwarzen Kluft und dem silbernen Totenschädel auf seinem T-Shirt passt als Grübchen. Und natürlich auch zu seiner Rolle als Frontsänger einer Metalband mit dem klangvollen Namen »Black Zombies«. Nach meiner Schätzung sah ich ihn heute Vormittag zum ersten Mal seit mindestens drei Wochen lächeln. Aus der Tasse stieg verführerisch der Kaffeeduft auf. Ich nahm sie ihm ab und lächelte auch. »Danke, mein Kleiner.«
Falscher Text. Das Lächeln verschwand so schnell wie ein nervöser Schmetterling, und zurück blieb der finstere Rocker. »Hab heute Probe, kann spät werden«, brummte mein zweifelsohne großer Sohn – wenn er so weiterwächst, kriegt er bestimmt bald ein Angebot für die Basketball-Nationalmannschaft. Aber für mich ist er nun mal mein Kleiner. Ich muss nur noch lernen, ihn nicht mehr so zu nennen.
Im Bad zeigte die Waage ein Kilo weniger an als gestern. So ein kleines fehlendes Kilo kann einer Frau, die ständig mit ihrem Gewicht zu kämpfen hat, schon ganz allein die Laune versüßen.
An Tagen wie diesem jogge ich in Rosa, weil ich fest daran glaube, in Zukunft noch viel mehr solche süßen Tage zu erleben. Rosa ist eine so optimistische Farbe. Rein theoretisch hätte ich mal eben um unseren See mit dem grandiosen Namen Zwischenahner Meer laufen können, aber für die knapp vierzehn Kilometer reichte meine Kondition denn doch noch nicht. Ich denke, dass ich immerhin drei oder vier Kilometer schaffte, ehe ich schnaufend auf ein Stück Wiese am Wasser sank. Ich war allein mit den Segelbooten, die langsam über das ruhige Wasser glitten. Schön. Und weil der Tag so herrlich, so sonnig, so vollkommen war, gedachte ich ihn noch ein Weilchen zu genießen.
Ich lag im Gras, hielt die Nase in den Wind, schnupperte dem Duft einer Vanilleblume nach, die irgendwo in der Nähe blühen musste, und malte mir wunderbare Dinge aus. Ein großer wunderschöner Mann und ich auf einer Yacht. Leichte Winde bringen uns von einer Palmeninsel zur nächsten, langsam versinkt die selbstverständlich perfekt rote Sonne im Meer. Mein blonder Held bringt mir einen Sundowner … Irgendwann wurde mir bewusst, dass mein aktueller Lover Charlie mir bestenfalls in seinem rostigen Golf einen Joint anbieten würde. Na ja.
Für den Augenblick hätte es mir schon gereicht, die Stelle zu bekommen, auf die ich mich beworben hatte. Heute um fünfzehn Uhr war das Vorstellungsgespräch. Nie mehr bei Blumen-Schmidt »’n bisschen was mit Schleierkraut für fünf Euro« binden, sondern bei »Art de fleurs« floristische Kunstwerke kreieren. Kein widerlicher Grabscher mehr, stattdessen ein schönes Ambiente. Vielleicht zahlte der Laden ja sogar so gut, dass ich nicht mehr drei Jobs machen musste, um über die Runden zu kommen.
Gott, war die Sonne warm und angenehm. Eine vorwitzige Drossel pickte neben meinem rechten Arm nach Würmern, und ich sah ihr zu, bis mir die Augen zufielen. Mein Zug fuhr um 14.13 Uhr.
Um 14.14 Uhr stand ich hechelnd und schwitzend am Gleis und starrte den Schlussleuchten nach.
Um 14.18 Uhr stand ich hechelnd und schwitzend vor Felix. Obwohl nicht Samstag war.
»Du weißt genau, dass ich den Chrysler PT Cruiser Limited 2.4 nicht verleihe!«
»Felix, bitte, das ist ein Notfall! Ich muss den neuen Job haben, und der Zug ist weg; ich schaff das nicht ohne Auto!«
Felix nennt sein Heiligtum stets beim vollen Namen. Für ihn ist das kein Auto, sondern sein bester Freund. Ich habe Felix im Verdacht, dass er in seinem Chrysler PT Cruiser Limited 2.4 gelegentlich sogar schläft. Gesichert ist, dass er ihn jeden Morgen und jeden Abend durch die Waschanlage fährt.
»Frag jemand anderen.«
»Felix, ich kann jetzt so schnell kein anderes Auto auftreiben.«
Dies war nicht der rechte Moment, ihn wissen zu lassen, dass ich gerade keinen gültigen Führerschein hatte, weil ich vor ein paar Wochen mit dem Wagen von Freundin Eva über eine rote Ampel gebraust und geblitzt worden war.
»Bitte! Felix, du bist jetzt echt meine einzige Hoffnung, nun komm schon. Das ist so, als wärst du endlich zu ›Wer wird Millionär‹ eingeladen, und dann sperren sie direkt vor dir die Autobahn für die nächsten sechs Stunden.«
»Ich fahre bereits am Vortag nach Köln, wenn es so weit ist. Im Gegensatz zu dir, Pia, bin ich ein umsichtiger Mensch. Mir passiert so etwas nicht.«
Es gibt Leute, die sagen, dass meine Augen ein ganz besonderes Blau bekommen, wenn ich etwas wirklich haben will. Ein Blau wie das von dunklen Kornblumen, aber mit glitzernden Pünktchen darin. Und dass mein eher kleiner draller Körper dann größer wird.
Ich glitzerte Felix, diesen Spießer, fast auf Augenhöhe an.
»Du hast ja recht, ich werde mich bessern, bestimmt, aber bitte hilf mir dieses eine Mal! Um sechs sind der Chrysler PT Cruiser Limited 2.4 und ich wieder hier. Pünktlich. Und ohne die allerkleinste Schramme. Du kannst dich auf mich verlassen – bitte!«
»Wer sich auf dich verlässt, ist verlassen, aber – na gut!«, seufzte Felix geschlagen und gab mir den Schlüssel. Hah!
14.30 Uhr. Eine halbe Stunde, um nach Oldenburg zu fahren, einen Parkplatz zu finden und zu »Art de fleurs« zu laufen. Das konnte ich schaffen. Der Chrysler stand nur drei Straßen entfernt vom Copyshop. Das ist einer der Vorteile, wenn man in einem kleinen Ort lebt; alles ist so schön nah beieinander. Vom Bahnhof zu Felix zum Beispiel sind es zu Fuß nur drei Minuten.
Den Wagen aufschließen. Vorsichtig auf den Sitz gleiten, sonst knittert der Rock. Anschnallen, durchatmen. Ganz ruhig jetzt, Pia, du hast Zeit. Komm erst mal runter. Ich ließ mich ins Polster sinken und schloss für einen Moment die Augen. Felix hatte nicht ganz unrecht. Ein bisschen mehr Planung, ein bisschen weniger Chaos in meinem Leben wären nicht schlecht. Ich sollte mich ändern. Grundsätzlich. Meine Schulden loswerden, nicht mehr von Job zu Job hetzen, im Lotto gewinnen, sobald ich mir ein Los leisten konnte, einen netten soliden Mann finden – das würde auch Niklas guttun. Es musste ja nicht gerade ein Felix sein. Aber ein fleckenfreies Leben wäre doch schön. Mit einem Lehrer vielleicht, so einem richtigen Vorbild mit geregeltem Einkommen. Jedenfalls nicht mit einem Loser wie Charlie. Vielleicht zahlte mir die Krankenkasse eine Therapie, in der ich lernte, mir nicht immer die falschen Männer auszusuchen. Oder die falschen Entscheidungen zu treffen. Ich musste lachen und machte die Augen wieder auf. Mein Blick fiel auf die Uhr. Oh verdammt. Jetzt aber los.
Den Spiegel einstellen, nach hinten gucken. Kann man den Sitz höherstellen? Keine Ahnung. Warum bin ich bloß so klein? Es muss auch so gehen.
Motor anlassen, kuppeln, Rückwärtsgang einlegen, Kupplung kommen lassen. Oh, die kommt aber schnell.
Buummpf.
Es war kein angemessenes Geräusch für eine Katastrophe. Natürlich nicht. Ich war schließlich nur irgendwo angestoßen. Wer würde da gleich von einer Katastrophe reden? Trotzdem war ich im selben Moment, als das Geräusch erklang, wie schockgefrostet. Es waren höchstens zwei, drei Sekunden, in denen ich mich nicht rühren konnte, aber es waren Sekunden, die ein Jahr dauerten. Und in denen mir ein tobender Felix erschien.
Auf dem Bürgersteig gestikulierten aufgeregt Leute. Das wunderte mich, die konnten doch wohl nicht alle meinen Chef und dessen Auto kennen? Schließlich stieg ich aus und ging langsam und angespannt um den schwarzen Mittelpunkt von Felix’ Leben herum. Erst...
Erscheint lt. Verlag | 4.10.2021 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Bestseller • Frauen • Frauenhumor • Frauen über 50 • Frauenweisheit • Freundschaft • Glück über 50 • Humor • Komisch • komische Frauen • Komödie • Lachen • Liebe • Männer und Frauen • Roman • rüstige Rentner • Ü50 • Unterhaltung • witzig |
ISBN-10 | 3-8437-2649-3 / 3843726493 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2649-8 / 9783843726498 |
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