Handbuch gesundheitsbezogene Soziale Arbeit (eBook)
276 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61524-7 (ISBN)
Prof. Dr. Stephan Dettmers M.A., Dipl.-Soz.arb./-päd. (FH), lehrt Klinische Sozialarbeit und Sozialmedizin an der FH Kiel; Bundesvorsitzender der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen. Prof. Dr. Jeannette Bischkopf, Dipl.-Psych., lehrt Psychologie und Gruppendynamik an der FH Kiel.
Prof. Dr. Stephan Dettmers M.A., Dipl.-Soz.arb./-päd. (FH), lehrt Klinische Sozialarbeit und Sozialmedizin an der FH Kiel; Bundesvorsitzender der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen. Prof. Dr. Jeannette Bischkopf, Dipl.-Psych., lehrt Psychologie und Gruppendynamik an der FH Kiel.
Einleitung
Von Stephan Dettmers und Jeannette Bischkopf
Soziale Arbeit orientiert sich in vielen Praxisfeldern an dem gesundheitlichen Wohlergehen ihrer AdressatInnen. Gerade die Jahre ab 2020 haben deutlich werden lassen, wie bedeutsam Dimensionen des sozialen Zusammenlebens durch bspw. die Corona-Pandemie erschwert worden sind. Es sind Folgen für die psychosoziale Gesundheit von Menschen zu erwarten, da vermeintliche Lebenssicherheiten wie Gesundheit, berufliche Existenzen und ein soziales Zusammenleben in Frage gestellt worden sind. Soziale Arbeit mit ihrer langen Erfahrung mit gesundheitlichen Themen leistete und leistet vor, während und nach der Pandemie erhebliche Beiträge in der Gesundheitsversorgung. Die Entstehung von Gesundheitsfürsorge mit dem besonderen Fokus auf sozialen Entstehungsbedingungen und Folgen von Erkrankungen lässt sich historisch mit der Entwicklung der modernen Sozialen Arbeit ab Anfang des 20. Jahrhunderts koppeln (Franzkowiak et al. 2011). Kompetenzbeschreibungen Sozialer Arbeit im Krankenhaus finden sich bereits in dem amerikanischen Standardwerk aus dem Jahre 1913, Social Work in Hospitals – A Contribution to Progressive Medicine (Cannon übersetzt durch Keel 2018). Dokumentiert ist, dass in den USA bereits 1929 zehn Universitäten formal und inhaltlich Studiengänge zur gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit entwickelt und angeboten haben (Gehlert / Browne 2012).
Die Verbreitung Sozialer Arbeit in der Praxis in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist einerseits aufgrund der stetig wachsenden Stellenanteile eine Erfolgsgeschichte. Andererseits sehen wir eine problematische Entwicklung, da die Ausdifferenzierung bisher eine gemeinsame professionelle Identitätsbildung in der Sozialen Arbeit erschwert hat. Der Zuwachs an sozialen Dienstleitungen hat darüber hinaus zu einer Einbindung weiterer Professionen geführt. In vielen Praxisfeldern im Gesundheitssystem sind unterschiedliche Berufsgruppen, z. B. aus der Sozialen Arbeit, Psychologie, Pflege oder Pädagogik mit ähnlichen Aufgaben betraut, ohne die originären Kompetenzzugänge konzeptionell geklärt und damit die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit und gegenseitige Ergänzung gelegt zu haben. Trotz der Geschichte gesundheitsbezogener Sozialer Arbeit mit substanziellen Beiträgen in sozialer Beratung und Begleitung bei gesundheitlichen Einschränkungen wird sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Gegensatz zu den USA und Kanada nicht als Gesundheitsfach- und Heilberuf wahrgenommen. In den USA und Kanada ist der Regelabschluss Master gesetzt, in Europa überwiegend der Bachelorabschluss. Tarifliche angemessene Vergütungen und Anreize sind daher für den Einzelfall nicht unbedingt mit einer Höherqualifizierung zum Masterabschluss verbunden. Hinzu kommt eine große Anzahl von Befristungen und Teilzeitstellen. Die Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem spiegeln unseres Erachtens daher kaum die Bedeutung, Tradition und Kompetenzen gesundheitsbezogener Sozialer Arbeit in der Praxis wider. In der Praxis gesundheitsbezogener Sozialer Arbeit werden Kompetenzbestimmungen in den drei deutschsprachigen Ländern über die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen in den Gesundheits- und Sozialsystemen konstruiert. Daneben werden PraktikerInnen durch die Organisations- und Institutionsinteressen und Bedarfe in den Arbeitsfeldern fachlich erheblich beeinflusst. Eine postgraduale Identitätsbildung findet statt durch feldspezifische Fort- und Weiterbildungen, die reflektierte und wissenschaftlich begründete Praxis jedoch nach wie vor zu wenig thematisieren (Dettmers 2015). Sie dienen häufig vor allem der primären Prägung auf das Arbeitsfeld. Das Zusammenspiel von spezifischen Kulturen in Organisationen und Institutionen, dortigen Machteinflüssen und praxisfeldorientierter Identitätsbildung lässt sich mit Hilfe der Cultural Studies analysieren (Marchard 2008, 33ff.). Diese Konstruktion einer auf das jeweilige Praxisfeld zugeschnittenen Sozialen Arbeit ist möglicherweise ein zentraler Grund für die Unverbundenheit der PraktikerInnen aus den verschiedenen Bereichen. Staub-Bernasconi (2007) hat das Spannungsfeld zwischen Berufs- und Professionsdefinition mit dem Tripelmandat beschrieben. Ohne handlungswissenschaftliche und ethische Fundierung bei der Berücksichtigung von unterschiedlichen Interessen des Klientel, der Angehörigen und der Leistungs- und Kostenträger erfolgt keine professionell selbstbestimmte Tätigkeit und daraus resultierend auch keine kollektive Identitätsbildung der Profession.
Die bezugswissenschaftliche Dominanz in den Studiengängen Sozialer Arbeit an den Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz führt zu Studienstrukturen, in denen sich Studierende Sozialer Arbeit vielfältige Wissensbestände und Kompetenzen eigenverantwortlich aneignen und transdisziplinär in die Praxis integrieren müssen. Das ist eine schwierige und anspruchsvolle Aufgabe, an der die Hochschulen nach Beendigung des Studiums kaum noch beteiligt sind. Insuffiziente professionelle Selbstbilder und ein geringer Organisationsgrad in Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Gewerkschaften Sozialer Arbeit sind mögliche Folgen. Flankiert durch die mangelnde rechtliche Kodifizierung von Leistungen Sozialer Arbeit und verbindliche Zuordnung (Igl 2017) ergibt sich eine weitere Dimension negativer Selbsteinschätzung, die dann durch zum Teil prekäre Arbeitsbedingungen und unzureichende Gratifikationen verstärkt wird.
Bei der Betrachtung der vielfältigen Praxiserfolge, anspruchsvollen Theorieentwicklungen und dem stetigen Zuwachs an Konzeptionsentwicklungen und empirischer Forschung in der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit passt der genannte (Selbst)Befund nicht zur gesellschaftlich hohen Bedeutung der Profession. Soziale Arbeit ist auch eine wissenschaftliche Disziplin mit einer international anerkannten Reputation und Etablierung. Die International Federation of Social Work (IFSW) und die International Association of Schools of Social Work (IASSW) definieren normativ die zentralen Ausrichtungen Sozialer Arbeit. Diese Dimensionen werden in diesem Handbuch dargestellt.
Damit hat das Handbuch zum Ziel, die notwendige Mitwirkung Sozialer Arbeit in der Prävention und Gesundheitsförderung, Kuration und Palliation im Zusammenhang mit dem gesamten Krankheits- und Gesundheitsbezug zu begründen. Es ist weniger als ein „Rezeptbuch“ zur unmittelbaren Verwertung z. B. in der Fallarbeit zu verstehen, sondern soll vielmehr Möglichkeiten bieten, eigene Praxisbezüge fachlich zu reflektieren und konzeptionell im eigenen Praxisfeld zu nutzen. Neben wesentlichen Wissensbeständen geht es um die Diskussion über zentrale Kompetenzen und Haltungen, die in der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit notwendig sind, um letztlich die bestmögliche fachliche Unterstützung für Menschen mit gesundheitlichen Risiken und Einschränkungen und ihre Angehörigen in Verbindung zu ihrer sozialen und natürlichen Umwelt zu bieten. Die Konzeption des Handbuchs unterteilt sich in drei Teile:
▪Teil 1 umfasst theoretische und methodische Aspekte, die für gesundheitsbezogene Soziale Arbeit relevant sind. Dies wird anhand spezifischer Qualifikations- und Kompetenzbeschreibungen aus Berufs-, Fach- und Hochschulverbänden erläutert. Thematisch werden aus sozialarbeitswissenschaftlicher sowie soziologischer und gesundheitswissenschaftlicher Perspektive Aspekte zum Verhältnis zwischen sozialen und gesundheitlichen Faktoren im Kontext von Bildungsprozessen vorgestellt. Der Gegenstand gesundheitsbezogener Sozialer Arbeit wird sozialarbeitstheoretisch abgeleitet. Methodenkompetenz mit der exemplarischen Darstellung von Case Management wird in diesem Kapitel ebenso thematisiert wie Evidenzstärkung und Forschungsoptionen Sozialer Arbeit am Beispiel der Klinischen Sozialarbeit. Mit dem Fokus auf Migration und Gesundheit werden komplexe Herausforderungen vorgestellt.
▪Im zweiten Teil werden die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen behandelt unter Darstellung einer berufsverbandlichen Positionierung und der rechtlichen Regulierung sowie Leistungsrechtsaspekten am Beispiel Deutschlands. Die Zugänge in Österreich und der Schweiz sind z. T. später in den Praxisbezügen benannt. Daneben findet eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Teilhabedimension statt, um dann die gesundheitsökonomische Rahmung für gesundheitsbezogene Sozialer Arbeit exemplarisch zu setzen.
▪Die Betrachtung von wesentlichen Praxisfeldern hinsichtlich der Feldbeschreibung und wichtigsten fachlichen Aufgaben und Zugänge erfolgt im dritten Teil. Beginnend mit einer Darstellung gegenwärtiger Entwicklungen und Trends in der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit werden die Bereiche Gesundheitsförderung und Prävention, Soziale Arbeit in Krankenhäusern, medizinische Rehabilitation, Suchthilfe, öffentlicher Gesundheitsdienst, Sozialpsychiatrie, Onkologie sowie Soziale Arbeit mit den Zielgruppen Kindern und Jugendlichen und alten Menschen konkretisiert. Gesundheitsbezogene Soziale Arbeit in der Eingliederungshilfe, im Sozialwesen und im Zusammenhang mit Selbsthilfeoptionen des Klientel sowie die notwendige Selbstsorge Sozialer Arbeit werden thematisiert.
Wir möchten als Herausgeberteam gemeinsam mit den renommierten deutschen, schweizerischen und österreichischen AutorInnen aus Praxis und Forschung mit diesem Handbuch folgende Perspektiven fundieren:
▪Gesundheitsbezogene Soziale Arbeit ist als ein Zweig Sozialer Arbeit zu verstehen. Somit dient sie als professionelle Konkretisierung bei Krankheit und Gesundheit im Kontext einer generalistischen...
Erscheint lt. Verlag | 6.9.2021 |
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Co-Autor | Andreas Beivers, Jeannette Bischkopf, Katrin Blankenburg, Sonja Börm, Johann Carstensen, Elke Cosanne, Daniel Deimel, Stephan Dettmers, Raimund Geene, Rita Hansjürgens, Hans Günther Homfeldt, Monika Jungbauer-Gans, David Klemperer, Tobias Knoop, Juliane Köchling-Farahwaran, Ina Kopp, Ulrike Kramer, Ulrich Kurlemann, Michael Leinenbach, Katrin Liel, Antje Liesener, Peter Löcherbach, Thorsten Meyer, Ingo Müller-Baron, Monika Nothacker, Karl-Heinz Ortmann, Helmut Pauls, Anna Lena Rademaker, Dieter Röh, Corinna Schäfer, Sabine Schneider, Christian Schütte-Bäumner, Johannes Schweizer, Sylvia Seider, Peter Sommerfeld, Elisabeth Steiner, Alexander Thomas, Jürgen Walter, Christoph Walther, Felix Welti, Günther Wüsten, Thomas Altenhöner |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie | |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sozialpädagogik | |
Technik ► Architektur | |
Schlagworte | Ausbildung • Gesundheit • Gesundheitswesen • Gesundheitswissenschaft • Gesundheitswissenschaften • Handbuch • Sozialarbeitswissenschaft • Soziale Arbeit • Sozialer Beruf • Studium |
ISBN-10 | 3-497-61524-2 / 3497615242 |
ISBN-13 | 978-3-497-61524-7 / 9783497615247 |
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Größe: 4,1 MB
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