Die Frau, die den Himmel eroberte (eBook)

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2021 | 1. Auflage
400 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77059-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Frau, die den Himmel eroberte -  Vanessa Giese
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Frankfurt am Main, 1889: Als die junge Näherin Käthe erstmals dabei zusieht, wie ein Ballonfahrer in den Himmel aufsteigt, ist sie gebannt. Kurz darauf fällt ihr der Luftschiffer Hermann Lattemann buchstäblich vor die Füße. Sie nimmt ihr Schicksal in die Hand, beginnt, für ihn zu arbeiten, sie verlieben sich - und schnell genügt es ihr nicht mehr, nur seine Ballons zu flicken: Sie will selbst hinauf und die Freiheit des Himmels spüren. Gemeinsam steigen Käthe und Hermann auf - und springen mit dem Fallschirm ab. Doch bald darauf kommt Hermann ums Leben, und Käthe ist auf sich allein gestellt. Sie setzt alles daran, als Luftfahrerin Ruhm zu erlangen, und auch, einen Fallschirm zu entwickeln, der Hermanns Leben hätte retten können.

Aus der unbedeutenden Näherin wird die Luftfahrtpionierin, Erfinderin und Unternehmerin Katharina Paulus. Eine Hommage an Freiheit und Selbstbestimmung, ein fulminanter Roman über eine kühne Frau, die ihrer Zeit weit voraus war.



Vanessa Giese, geboren 1978, lebt in Dortmund. Sie liebt Worte und Geschichten, schwimmen, wandern und Dinge entdecken. Als selbst&auml;ndige Unternehmensberaterin macht die promovierte Journalistin Mut zu Neuem. Ihr Sachbuch <em>Da gew&ouml;hnze dich dran</em>. <em>Wie ich mein Herz an den Pott verlor </em>erschien im Jahr 2013.<em> Die Frau, die den Himmel eroberte</em> ist ihr erster Roman.

Reinickendorf


Mein Schlafzimmer geht auf den Hof hinaus und liegt, obwohl es Juli ist und draußen der Sommer die Straßen erhitzt, ab dem späten Vormittag im Schatten. Lediglich morgens streift das Sonnenlicht mein Bett, bevor es tagsüber ums Haus wandert. Bisher hat mich das nicht gestört. Nun aber, da ich ausschließlich in diesem Raum lebe, drückt es mir aufs Gemüt. Hinzu kommen die Schmerzen, die meinen Körper bis ins Innerste beherrschen, die mal bohren, mal hämmern, mal hell in meine Knochen schneiden, anderntags dumpf meine Gedärme durchwühlen. Mein Körper löst sich auf, meine Kräfte schwinden. Ich wünschte, das Dämmerlicht des Zimmers würde mich in sich aufnehmen und forttragen in eine Welt jenseits des Verstandes. Doch stattdessen schlage ich jeden Morgen von Neuem die Augen auf, kaltschweißig und mit kurzem Atem, weil ich die Schmerzen nicht mehr wegträumen kann.

Als ich heute Morgen erwachte, sah ich klar und hell die Staubkörner im Sonnenlicht tanzen. Der Kleiderschrank, sonst nur ein Schemen, der unter meiner Pein rhythmisch pulsierte, war ein fester Korpus. Ich schnaufte tief und verspürte keinen Schmerz. Ich drehte den Kopf zum Fenster und fühlte keinen Schwindel. Für den Gesunden ist es selbstverständlich zu atmen, zu sehen, Appetit zu haben; Fähigkeiten, die nichts bedeuten, solange sie nur Beiwerk zum Dasein sind und nicht das Dasein selbst. Ich jedoch fühlte eine Welle der Euphorie, stemmte meine Ellbogen in die Matratze und setzte mich auf.

Ich besitze nichts mehr, und doch bin ich reicher als jemals zuvor. Denn niemals war ich mehr ich selbst als jetzt, während mein Leben sich dem Ende zuneigt. Viele Jahre lang bin ich über den Kontinent gereist, bin in den Himmel emporgestiegen und wieder hinabgefallen. Aber ich bin immer nur auf der Erde gelandet, nie bei mir selbst. Erst jetzt, nachdem ich seit Monaten meine Wohnung nicht verlassen habe, erreiche ich, was mir lange verwehrt blieb: Frieden und Einklang mit mir selbst.

Träumen – meine liebste Beschäftigung in diesen Tagen. Seit einigen Wochen passiert es mir immer öfter, dass Stunden mir vorkommen wie Minuten. Wer mich sieht, mag denken, ich vegetiere. Tatsächlich befinde ich mich in einer Zwischenwelt, die nicht dem Leben und nicht dem Tod gehört; ein Vorhandensein, in dem Zeit und Raum nichts bedeuten und in dem mein Träumen ein neues, altes Leben für mich erschafft. Meine Vergangenheit ist mein Hier und Jetzt.

Damals, als ich zur Welt kam, und später, als meine Mutter einen Mann heiratete, der zunächst nicht mein Vater war, es dann aber wurde, wohnten wir noch nicht in Berlin, wo ich nun auf dem Sterbebett liege. Wir lebten an unterschiedlichen Adressen in Darmstadt und Frankfurt am Main. Für mich war der Ort einerlei und auch die Umzüge machten mir wenig aus: Ich nahm die Gegebenheiten, wie sie waren, und machte das Beste daraus. Das gilt auch für die übrigen Umstände. Denn wir waren arm. Mein Vater verdingte sich als Tagelöhner, meine Mutter übte ebenfalls verschiedene Tätigkeiten aus, um etwas Geld zu verdienen. Sie nahm mich oft in den Arm, wenn wir abends im Bett lagen und wenn die Glut im Herd erloschen war, und drückte mich an sich. Wenn wir Spaziergänge machten, ritt ich auf den Schultern meines Vaters.

Vater lehrte mich, dass Freiheit zuallererst ein Gefühl ist; etwas, das aus einem selbst heraus erwächst. Unbeschwert machte ich mir die Welt zu eigen. Wenn ich tagsüber allein war, streunte ich durch die Straßen und Höfe und spielte mit Kameradinnen. Wir sprangen Seil oder hopsten durch Reifen und Kästchen. In meiner Fantasie war ich erst eine furchtlose Reiterin, später eine berühmte Artistin. Ich jagte durch Höfe, über Wiesen und Mauern, ich turnte auf Bäumen und spannte mir Hochseile. Einmal überraschte Mutter mich, als ich mich, barfuß und mit gerafften Röcken, auf einen Strick hinaufzog, den ich zwischen zwei Teppichstangen geknotet hatte. Ich wollte es den Tänzerinnen in ihren gerüschten Kostümen nachtun, die in Manegen und auf Jahrmärkten auftraten. Mutter packte mich am Fuß und wies mich an, sofort zurück auf den Boden zu springen – weder sei ich ein Vogel noch auf besondere Weise von Gott gesegnet. Sie sollte sich irren. Doch zunächst bekam ich eine Woche Stubenarrest.

In der Volksschule lernte ich eifrig. Das Zusammensetzen von Buchstaben und Zahlen bereitete mir Freude. Im Anschluss begann ich eine Ausbildung als Schneiderin in einer Werkstatt für feine Damenbekleidung. Das war ein neuer Lebensabschnitt, nicht nur, was den Tagesablauf anging, sondern auch, was meine Idee von der Welt betraf. Mit einem Mal war ich eine Frau, die aufrecht zu sitzen und untertänig ihren Dienst zu verrichten hatte. Es war verboten, Fragen zu stellen, die nichts mit meinen Aufgaben zu tun hatten. Warum lagerte der Lehrherr die Stoffe nicht nach Farben oder Mustern? Wieso entwarf er keine eigenen Schnitte, sondern folgte nur bestehenden, bereits Jahre alten Vorlagen? Ich wurde über Wochen täglich zurechtgewiesen, nicht so frech und vorlaut zu sein, bis ich begriff, was von mir erwartet wurde: arbeiten und still zu sein, sonst nichts.

In der Lehre gab es noch eine zweite Sache, die für mich neu war: der Umgang mit wohlhabenden Kundinnen. Denn in meinem Leben existierten Wohlhabende bisher so, wie es Bäume und Steine gab: Sie waren vorhanden, aber sie stellten eine andere Lebensform dar, etwas, das neben mir existierte, aber mit meinem Dasein nichts gemein hatte. Jetzt aber erlebte ich sie als Teil meines Lebens. Ich nähte Blusen und Röcke, Kleider, Mieder und Korsagen für Kundinnen, die sich, selbst wenn sie meine Dienste wiederkehrend in Anspruch nahmen, nur selten an meinen Namen erinnerten. Zwölf Stunden am Tag saß ich bei spärlicher Beleuchtung über Stoffe gebeugt auf einem Schemel und mühte mich ab für feine Damen, die mich keines Blickes würdigten und denen ich nichts bedeutete. Trotz allen Widerwillens und obwohl der Inhaber des Geschäfts mich fortwährend triezte und wegen Nichtigkeiten ermahnte, war ich fleißig. Bis ich eines Tages meinen Dienst bei ihm quittierte.

Die Begegnung, die mich zur Kündigung veranlasste und mein Leben in eine andere Richtung lenkte, ist der Anfang der Geschichte, die ich nun, da ich überraschend wieder zu Kräften gekommen bin, erzählen möchte. Meine liebe Freundin Hanna wird mich besuchen, und ich bin begierig, ihr meine Geschichten zu überlassen. Sie ist eine junge Fliegerin, wilder, als ich es damals war, und sie hat mich zu ihrem Idol auserkoren. Vor vier Wochen erhielt ich einen Brief von ihr:

Geschätztes Fräulein Paulus,

Ende Mai, nach meiner Reise nach Lissabon, werde ich für einen Zeitraum von rund zwei Wochen in Berlin weilen und meine einstigen Kameraden vom Flugplatz Staaken besuchen. Es wäre mir eine außerordentliche Freude, Sie zu sehen und mich mit Ihnen bei einer Tasse Kaffee über das Leben auszutauschen.

Das Schreiben ging noch weiter. Aber ich erinnere keine Einzelheiten. Mein Gedächtnis verlässt mich mittlerweile bei Kleinigkeiten des Alltags. Während ich Daten und Begebenheiten der Vergangenheit fehlerfrei wiedergeben kann, begegnen mir die Informationen der Gegenwart kurz und verschwinden dann.

»Fräulein Paulus, Sie sind ansprechbar!«, ruft Hanna nun, während sie ins Zimmer stürmt. Sie ist ein reizendes junges Ding von gerade einmal einem Meter fünfundfünfzig und doch mutig wie ein Soldat. Mit energischem Schwung legt sie einen Strauß Wildblumen auf das Fußende meines Bettes. »Man sagte mir, ich müsse Glück haben, um Sie wach anzutreffen. Aber dass es so schwierig ist!«

Ich versuche, mich aufzusetzen. Meine Arme zittern, aber mich hat der Ehrgeiz gepackt zu erzählen. Seltsam, welche Distanz das Alter zwischen die unterschiedlichen Varianten des Ichs schiebt. Es ist, als schaue ich auf die Abenteuer einer anderen. Oder ist es nicht das Leben, sondern vielmehr der Tod, der mir den notwendigen Abstand zu mir selbst gewährt?

...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktuelles Buch • Ballonfahrt • Berlin • Biographie • bücher neuerscheinungen • Erfinderin • Fallschirm • Flugzeug • Frankfurt am Main • Hermann Lattemann • Historischer Roman • insel taschenbuch 4961 • IT 4961 • IT4961 • Katharina Paulus • Liebe • luftfahrtpionierin • Neuerscheinungen • neues Buch • Paketfallschirm • Pilotin • Romandebüt • Roman starke Frau • Starke Frauen • Unternehmerin • Verlust
ISBN-10 3-458-77059-3 / 3458770593
ISBN-13 978-3-458-77059-6 / 9783458770596
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