Der Ruf der Wildnis (eBook)

Reclam Taschenbuch

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
136 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961896-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Ruf der Wildnis -  Jack London
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Jack London, der 1876 in San Francisco geboren wurde und 1916 mit nur 40 Jahren starb, schrieb über seine eigenen Erfahrungen auf See und über das, was er im Yukon Territory sowie auf den Feldern und in den Fabriken Kaliforniens erlebte. Es sind Geschichten, die stets den harten Überlebenskampf von Mensch und Tier in den Blick nehmen und zu Klassikern der Abenteuerliteratur wurden. Die bekannteste ist die des Haus- und Hofhundes Buck, der aus dem sonnenverwöhnten Tal von Santa Clara in Kalifornien ins eisige Alaska verschleppt wird. Es ist die Zeit des Goldrauschs, widerstandsfähige Hunde werden gebraucht, und Buck leidet unter den extremen Bedingungen der Natur und der brutalen Behandlung seiner Besitzer. Er erlebt die barbarische Seite der Menschen sowie den harten Kampf gegen die Natur. Doch mit der Zeit erwachen seine Instinkte, die lange im Verborgenen gelegen haben. Buck vernimmt den 'Ruf der Wildnis'. - Mit einer kompakten Biographie des Autors.

1 Der Weg zu den Ursprüngen
2 Das Gesetz von Knüppel und Fangzahn
3 Das urzeitliche Raubtier setzt sich durch
4 Wer die Herrschaft errungen hat
5 Die Strapazen von Strang und Strecke
6 Aus Liebe zu einem Menschen
7 Der Ruf ertönt

Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Nachwort
Zeittafel

Kapitel 2


Das Gesetz von Knüppel und Fangzahn

Der erste Tag am Strand von Dyae war für Buck wie ein Alptraum. Jede Stunde brachte ihm neuen Schrecken, neue schlimme Überraschung. Jählings fand er sich aus dem Herzen der Zivilisation fortgerissen und in eine rohe Urwelt geschleudert. Das war nicht mehr das gemütliche, sonnenverwöhnte Leben, in dem man nichts zu tun hatte als faulenzen und sich langweilen. Hier gab es keinen Frieden, keine Ruhe, keinen Augenblick der Sicherheit. Hier gab es nur hektisches, konfuses Treiben und ohne Unterlass Gefahr für Leib und Leben. Und die unerbittliche Notwendigkeit, ständig auf der Hut zu sein. Diese Hunde waren keine Stadthunde und die Männer keine Stadtleute. Sie waren Barbaren, allesamt, die kein Gesetz kannten außer dem Gesetz von Knüppel und Fangzahn.

Noch nie hatte er Hunde so kämpfen sehen, wie diese wölfischen Kreaturen kämpften, und dieses erste Mal erteilte ihm eine unvergessliche Lehre. Die bittere Erfahrung machte hier allerdings jemand anderes für ihn; sonst wäre sein Leben zu Ende gewesen, und er hätte die Lektion nicht mehr nutzen können. Es traf Curly. Das Camp befand sich in der Nähe eines Holzlagers; dort ging Curly in ihrer freundlichen Art auf einen Husky zu, einen Eskimohund von der Größe eines ausgewachsenen Wolfs, freilich nur halb so hoch wie sie. Jäh, ohne Vorwarnung, gab es nur einen blitzschnellen Satz nach vorn, ein metallisches Klicken der Zähne, einen ebenso raschen Satz nach hinten, und Curlys Gesicht war aufgerissen von den Augen bis zum Kiefer.

So kämpfen Wölfe: zuschlagen und wegspringen, aber da war noch etwas anderes. Dreißig bis vierzig Huskys rannten herbei und bildeten um die Kombattanten eine stille, gaffende Runde. Buck begriff weder die stumme Neugierde noch die lauernde Vorfreude, mit der sie sich die Lefzen leckten. Curly stürzte sich auf ihren Gegner, der aber erneut zuschlug und beiseitesprang. Ihre nächste Attacke wehrte er mit der Brust ab, und zwar so, dass es Curly zu Fall brachte. Sie kam nicht wieder hoch. Genau darauf hatten die Huskys ringsum gewartet. Knurrend und jaulend fielen sie über die Neufundländerin her; sie schrie auf in ihrer Todespein und war bald begraben unter einer wogenden Menge von Leibern.

Alles geschah so plötzlich und unerwartet, dass es Buck tief erschütterte. Er sah, wie Spitz seine scharlachrote Zunge herausstreckte – das war seine Art zu lachen; er sah, wie François eine Axt ergriff und in die Meute sprang. Drei Männer mit Knüppeln halfen ihm, die Hunde auseinanderzutreiben. Es ging ganz schnell. Zwei Minuten, nachdem Curly zu Boden gegangen war, hatten sie den letzten ihrer Angreifer fortgeprügelt. Sie selbst aber blieb liegen im blutigen, zertrampelten Schnee, schlaff und leblos, fast buchstäblich in Stücke gerissen; das dunkle Halbblut stand über ihr und fluchte grässlich. Die Szene prägte sich Buck ein; sie verfolgte ihn sogar im Schlaf. So ging es hier also zu. Keine Fairness. Einmal am Boden, und du bist erledigt. Nun, er würde eben dafür sorgen, dass er nie zu Boden ging. Spitz streckte abermals die Zunge heraus, was hieß: Er lachte wieder. Von diesem Augenblick an hasste Buck ihn mit bitterem, unvergänglichem Hass.

Kaum hatte er sich von dem Schock, den Curlys tragisches Ende ihm bereitet hatte, halbwegs erholt, da ereilte ihn schon ein neuer. François befestigte an ihm eine Gerätschaft aus Riemen und Schnallen. Es handelte sich um ein Geschirr; er hatte daheim oft gesehen, wie die Knechte so etwas den Pferden anlegten. Die Pferde, die er da gesehen hatte, mussten arbeiten, und dies musste Buck nun auch. François spannte ihn vor einen Schlitten, und Buck zog ihn in den Wald, der das Tal säumte, und kehrte mit einer Ladung Brennholz zurück. Hatte man ihn also zum Zugtier degradiert! Dies verletzte ihn zwar empfindlich in seiner Würde, aber er war weise genug, nicht zu rebellieren. So neu und fremd sich das Ganze anfühlte: Alle Willenskraft aufbietend, legte er sich ins Zeug. François kannte kein Pardon; er verlangte prompten Gehorsam, und, falls erforderlich, erzwang er ihn mit der Peitsche. Dave, ein erfahrener Deichselhund, zwickte Buck jedes Mal mit den Vorderzähnen ins Hinterteil, wenn er einen Fehler beging. Spitz war der Leithund und als solcher ebenso erfahren; da er nicht immer nah genug an Buck herankam, knurrte er dann und wann grollend zu ihm hinüber, was eine scharfe Rüge bedeutete, oder er warf geschickt sein Gewicht in die Zugriemen, so dass Buck wieder in die richtige Spur gelangte. Dieser lernte rasch; seine beiden Kameraden und François lehrten ihn kundig, und so machte er bemerkenswerte Fortschritte. Noch ehe sie wieder ins Camp zurückkehrten, hatte er ein paar Grundregeln heraus: bei »Stop!« anhalten, bei »Los!« starten, in den Kurven weit ausschwenken und dem Deichselhund aus den Füßen bleiben, wenn der beladene Schlitten bergab schoss und ihnen dabei bedrohlich auf den Fersen war.

»’errlische ’unde, die drei«, meinte François zu Perrault. »Dieser Buck, der zieht ja ’öllenmäßisch. Dem bring isch alles bei im ’andumdrehn.«

Am Nachmittag brachte Perrault, der mit seinen Postsendungen eiligst auf den Trail wollte, weitere zwei Hunde ins Camp, die er Billee und Joe nannte; ein Brüderpaar, beide echte Huskys. Obwohl Söhne derselben Mutter, unterschieden sie sich wie Tag und Nacht. Billees entscheidender Fehler war eine übermäßige Gutmütigkeit, während Joe genau das Gegenteil war: verdrossen und in sich gekehrt, ständig knurrend und böse dreinschauend. Buck begrüßte die beiden kameradschaftlich; Dave ignorierte sie; Spitz jedoch wollte sie sich sogleich einen nach dem anderen vornehmen. Billee wedelte beschwichtigend mit dem Schwanz, wandte sich zur Flucht, als er merkte, dass bei Spitz Beschwichtigung nichts half, und jaulte laut (immer noch beschwichtigend), als er dessen scharfe Zähne in seiner Flanke spürte. Joe war kein so leichter Gegner. Zwar umkreiste Spitz ihn ausdauernd, doch Joe drehte sich auf seinen Pfoten mit und bot ihm stets die Stirn; sein Fell sträubte sich, er legte die Ohren an, verzog knurrend die Lefzen, ließ die Kiefer so schnell zusammenklappen, wie er zuschnappen konnte, und die Augen diabolisch glühen – die Inkarnation kampfbereiter Furcht. Seine Erscheinung wirkte derart abschreckend, dass Spitz sich gezwungen sah, den Disziplinierungsversuch einzustellen; aber die Niederlage musste er irgendwie überspielen, und so stürzte er sich auf den friedlichen, winselnden Billee und hetzte ihn bis an den Rand des Lagers.

Am Abend fand sich, dass Perrault einen weiteren Hund besorgt hatte, einen alten Husky, lang, hager und dürr, mit einem kampfzernarbten Gesicht und nur noch einem Auge, aus dem Kühnheit blitzte, ein Warnsignal, das Respekt gebot. Er hieß Sol Leks, das bedeutet ›der Zornige‹. Wie Dave verlangte er nichts, gab nichts und erwartete nichts; und als er nun langsam und bedächtig unter sie trat, ließ ihn sogar Spitz zufrieden. Eine seltsame Verhaltensweise war ihm eigen, und Buck hatte das Pech, sie als Erster zu entdecken. Sol Leks mochte es nicht, wenn man sich ihm von seiner blinden Seite näherte. Genau dies tat Buck, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein; dass der Neue in dieser Handlung einen Übergriff sah, merkte er erst, als Sol Leks zu ihm herumwirbelte und ihm die Schulter aufschlitzte, einmal hoch, einmal hinab, eine Wunde von drei Zoll, die bis auf den Knochen ging. Seither mied Buck Sol Leks’ blinde Seite und hatte für die Dauer ihrer Kameradschaft keine Probleme mehr mit ihm. Sein einziger Ehrgeiz, so schien es zunächst, war, wie bei Dave, dass man ihn in Ruhe ließ; erst später sollte Buck feststellen, dass beide noch ein anderer, erheblich höher zielender Ehrgeiz umtrieb.

In der Nacht stand Buck vor der großen Schwierigkeit, einen Schlafplatz zu finden. Das Zelt, von einer Kerze erleuchtet, glomm behaglich inmitten der weiten Ebene; doch als er ganz selbstverständlich hineinging, bombardierten ihn François und Perrault gleichermaßen mit Flüchen und Küchengerät, bis er, nachdem er sich von seiner Bestürzung erholt hatte, einsah, dass ihm nur die schmähliche Flucht in die Kälte draußen blieb. Es blies ein eisiger Wind, der ihn schmerzhaft traf und besonders übel in die Wunde an seiner Schulter biss. Er legte sich in den Schnee und versuchte zu schlafen, aber der Frost trieb ihn bald wieder auf die Beine. Schlotternd, elend und verloren streifte er zwischen den vielen Zelten umher, nur um zu erfahren, dass eine Stelle so kalt war wie die andere. Hier und da wollten sich ruppige Hunde auf ihn stürzen, aber wenn sie herankamen, sträubte er nur sein Nackenfell und knurrte (ja, er lernte schnell), und sie ließen ihn unbehelligt weiterziehen.

Schließlich kam ihm eine Idee. Er würde zurückgehen und schauen, wie seine Schlittenkameraden sich behalfen. Zu seinem Erstaunen waren sie verschwunden. Erneut wanderte er kreuz und quer durch das große Camp, suchte sie wieder vergeblich und kehrte um. Waren sie im Zelt? Nein, unmöglich, sonst hätte man ihn ja nicht hinausgejagt. Wo aber konnten sie dann nur stecken? Mit hängender Rute und schlotterndem Leib, sich nun gar keinen Rat mehr wissend, umkreiste er ziellos das Zelt. Plötzlich gab der Schnee nach, wo seine Vorderpfoten standen, und er sank ein. Irgendetwas zappelte unter seinen Füßen. Knurrend und mit gesträubtem Fell sprang er zurück, voller Furcht vor dem, was er nicht sah und nicht kannte. Doch ein kurzes freundliches Kläffen beruhigte ihn, und er erforschte die Sache weiter. Ein Hauch warmer Luft stieg ihm in die Nase, und da, unter dem Schnee zu einer Kugel zusammengekuschelt, lag Billee. Er winselte besänftigend, krümmte und wand...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2021
Reihe/Serie Reclam Taschenbuch
Reclam Taschenbuch
Mitarbeit Kommentare: Susanne Lenz
Nachwort Wolfgang Hochbruck
Übersetzer Ulrich Bossier
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerikanische Literatur • Call of the Wild deutsch • Call of the Wild Übersetzung • Geschichte Hund Wolf • Hund Buck • Jack London Abenteuerroman • Jack London Call of the Wild
ISBN-10 3-15-961896-X / 315961896X
ISBN-13 978-3-15-961896-8 / 9783159618968
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