Neue Gartengeschichten (eBook)

Das Buch für Gartenfreund:innen und solche, die es werden wollen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
189 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77062-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Neue Gartengeschichten - Eva Demski
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Fünfzig Jahre ist Eva Demski nun mit ihrem Garten zusammen. Zeit zu überlegen, wie es weitergehen sollte. In den Neuen Gartengeschichten erzählt sie von Herausforderungen, die sie sich nicht hätte träumen lassen. Nicht nur der Klimawandel und der Umgang mit Virusängsten, sondern auch das eigene Alter und rausgerissene Buchsbaumhecken machen ihr zu schaffen. Da hilft nur Erzählen, und wenn man sich an fernen Gärten nicht mehr ergötzen darf, muss man eben in der Nähe suchen. Es gibt auch gleich um die Ecke unbekannte grüne Welten.

Davon und von vielem anderen in Fauna und Flora berichtet Eva Demski in ihrem Buch. »Freu dich über alles, was du kriegen kannst«, ist der Schluss, den Gärtnerinnen und Gärtner zusammen mit ihr aus großen, kleinen und ganz kleinen Katastrophen ziehen können.



Eva Demski, geboren 1944 in Regensburg, lebt in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet.

Kapitulation


Ich sehe seit einer Zeit,

wie alles sich verwandelt.

Etwas steht auf und handelt

und tötet und tut Leid.

Von Mal zu Mal sind all

die Gärten nicht dieselben;

von den gilbenden zu der gelben

langsamem Verfall:

wie war der Weg mir weit

Rainer Maria Rilke

Es war der sechzehnte August im heißen Sommer 2020, in dem sich nichts mehr anfühlte wie zuvor. Ich schaute im Garten auf meine Buchsumrandungen und beschloss, sie aufzugeben. Schon vor Jahren hatten imperiale Gärten wie die von Hannover oder Seligenstadt die bittere Prozedur durchgemacht. Da ging es um Tausende von Metern und jede Menge Kulturgeschichte, denen Buchsbaumzünsler und Pilze den Garaus gemacht hatten. Was waren da schon meine gut dreißig Meterchen, die jetzt trotz allen Widerstands braun und krümelig wurden? Lang hatten wir versucht – wir, das heißt der Gärtner Herr D. und ich – Zünsler und Pilz zu bekämpfen. Allerdings wollte ich nicht, dass auch anderes kriechendes und fliegendes Getier zugrunde gehe. Schließlich hörte man viel vom Insektensterben und hatte sich daran gewöhnt, die ganz großen Sünden der Zeit auch auf die eigene Kappe zu nehmen.

s ist Krieg!s ist wieder Krieg! […]

s ist leider Krieg – und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

Das alte Lied.

Manchmal schien es, als ob der Zünslerkrieg zu gewinnen sei, dann winkten die Buchse mit ein paar grünen Ärmchen und schienen sich für die Hilfe zu bedanken. Wie alle Kriege hat auch dieser viel Kraft vergeudet. Wie in allen Kriegen wurde auch in diesem gut verdient und viel gelogen. Aber im August des Corona-Sommers 2020 sollte Schluss damit sein. Ende. Ohne Bedingungen oder Friedensverhandlungen.

Vorausgegangen war diesen Überlegungen ein Frühjahr, das so trügerisch hübsch begonnen hatte wie die meisten, Zwiebelblümchen und steigende Sonne. Ohne dass sie es zunächst wahrzuhaben schien, ohne irgendein wahnsinnig knirschendes, kreischendes, weltweit ohrenbetäubendes Bremsgeräusch war die Welt zum Stillstand gekommen. Am 3.März mochte ich meinen Gastgeberinnen bei einer Lesung – es sollte für lange Zeit meine letzte sein – nicht die Hand geben.

Sorry, sagte ich verlegen und machte dieses affige Namaste-Ding, als sei ich in einem Tempel.

Hätten wir nicht gedacht, dass Sie so ein ängstlicher Typ sind!, sagten die Gastgeberinnen munter. Dann fing die Zeit gleichzeitig an zu rasen und stillzustehen.

Hast du ein Glück, dass du den Garten hast!, sagten wenig später die gartenlosen Freunde.

Hast du ein Glück.

Das wusste ich, auch ohne diese unheimliche Geschichte. Beängstigende Infektionsnachrichten aus Amerika und Brasilien, Italien und Indien, Nordrhein-Westfalen und von der österreichischen Grenze, Orte wie Heinsberg oder Ischgl wurden zu düsteren Beispielen, die bald jeder kannte. Offenbar hatte das Virus besonders die fröhliche und innige Menschheit im Visier. Die Stunde einer ganz neuen Art von Puritanismus schlug. Er erfasste viele, mich ebenfalls. Manche verfielen in eine Art Gehorsamsrausch. Alarmierende Fallzahlen und Verlaufskurven bestimmten den Alltag, ein diabolischer Börsenkurs für jeden. In seinem Schatten versteckten sich Dutzende von politischen Skandalen und Katastrophen. Und ich dachte über Buchse nach.

Da, wo ich lebte, in den Zonen der älteren Mittelschicht, hatte eine stumme, fast wütende Art der Innenschau begonnen. Wir mussten keine Kinder mehr beschulen und beschäftigen, Besuche bei den noch Älteren waren nicht mehr erlaubt. Also wurden Bücher, Briefe, Fotos, Porzellan, Möbel, Servietten aus Schränken und Kommoden, Kellern und Speichern geklaubt, besichtigt und auf Brauchbarkeit überprüft. Und darauf, ob sich aus dem Zeug schöne Erinnerungen an gesunde Zeiten würden herausschütteln lassen, wenn man es zur Hand nahm.

Die Wertstoffhöfe füllten sich schnell und blieben tageweise wegen Überlastung geschlossen. Sperrmüllberge wurden gesellschaftsfähig und eroberten auch die feineren Viertel. Ein stummes Umwälzen fand statt, ein Umkrempeln, ein Auf-den-Kopf-Stellen, und alles wegen einer unsichtbaren, von den Orakelsprüchen der Virologen begleiteten Bedrohung. Was brauchte man? Was war überflüssig geworden? Entscheidungen wurden nicht selten revidiert. Notwendige Vorräte für das Seelenleben waren schwerer zu erkennen und anzulegen als die für die Körperhygiene.

Hast du ein Glück mit deinem Garten!

Das eingewachsene Stückchen Land mit viel Luft nach oben, von Vergissmeinnicht und frühen kurzbeinigen Iris verschwenderisch geschmückt, schien der einzige Ort zu sein, an dem keine Gefahr drohte. Die dunkellila Iris waren im Corona-Frühling zum ersten Mal bei mir aufgetaucht, wie ein kleiner Trost von wo auch immer. Ich war gerührt, hielt mein unmaskiertes Gesicht in die Sonne und nahm mir vor, dieser verfluchten Pandemie in einer einsamen, efeugeschützten Ecke einfach standzuhalten. Was ich nicht wusste: Was andere in dem, was als Lockdown in die Geschichte einging, in ihren Regalen und Schränken veranstalteten, wohl auch in ihren Ehen, Büros, Studiengängen und Reiseplänen – eine erzwungene Bestandsaufnahme –, das machte ich in den Sommer- und Herbstmonaten mit meinem kleinen Garten.

Zunächst fiel es mir gar nicht auf. Ich sah ihn mit anderen Augen. Ich erinnerte mich an seine Geschichte. Andere förderten papierene Glücksmomente aus längst vergangenen Zeiten zutage, Briefe, Tagebücher oder Fotos. Das tröstete ein wenig über das brutale Ausgebremstsein hinweg. Man konnte den Trost auch digital teilen, manche haben Blogs und Wohnzimmerauftritte ersonnen, die vielleicht sogar ein wenig Geld brachten, aber vor allem eine gleich gesinnte und gleich betroffene Gesellschaft im Netz. Das hätte ich ebenfalls machen können, ich bin aber gar nicht draufgekommen. Im Lockdown waren wir völlig allein, mein Garten und ich. Er hatte meine ganze Aufmerksamkeit, auch weil das Schreiben derzeit nicht recht funktionieren wollte. Es schien so beliebig geworden zu sein.

Teilen? Teilen wollte ich ihn trotz schlechtem Gewissen nicht, weder analog noch digital. So sah ich Woche für Woche, im Grundrauschen der Ansteckungszahlen, ohne dass das jemand von mir gewollt hätte, seine Stärken und Schwächen anders und genauer als vorher. Ebenso wie meine eigenen. Ein allmähliches, fürs Erste von keinem sichtbaren Ergebnis begleitetes Aufräumen. Ich würde sehen, was für ihn und mich überflüssig, abgenutzt, vielleicht sogar schädlich war. Ich hielt still, um ihn zu hören, und schaute viel in ihm spazieren.

Nicht nur das Virus hatte sich über uns hergemacht, sondern auch Hitze und Trockenheit, das abgenutzte Wort Klimawandel füllte sich mit ganz konkreten Erfahrungen.

Warum wollte ich damals, vor Jahrzehnten, als ich den Garten anlegte, unbedingt Buchse haben? Sie waren in meinen Augen die beste Möglichkeit, diesem Briefmärkchen von Garten eine Anmutung von Kloster oder Schloss zu geben. Es ist wahr, sie stehen für gewaltsame Zurichtung, sie lassen sich furchtbar viel gefallen, eigentlich weiß niemand, wie es aussieht, wenn man den Buchs Buchs sein lässt.

Vor wenigen Jahren musste ich ein paar große Buchskugeln aufgeben, über die hatte das neuartige Gezücht gesiegt. Bösartig bunte Raupen wurden zu hübsch gezeichneten Faltern, wie über Nacht waren die artig frisierten Kullern ruppig und braun geworden. Im ganzen Viertel sah man die Verheerungen, und meine eiserne Tierliebe ging in Mordlust über. Eine kleine Stimme in mir hielt dagegen: Die können doch nichts anderes sein, als sie sind. Vielleicht sind sie die Rache der Buchse? So wie Corona die Rache der Tiere sein könnte?

Diese Ideen behielt ich aber für mich, sie waren spooky und nutzten niemandem.

Bei meiner ersten großen Buchskugel, die rausgerissen werden musste, habe ich...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktuelles Buch • Alter • Älterwerden • Anthologie • bücher neuerscheinungen • Covid-19 • Den Koffer trag ich selber • Frankfurt • Frankfurt ist anders • Freiheit • Garten • Gärtnerin • Gärtnern • George-Konell-Preis 2018 • Geschenk für Freundin • Göttinger ELCH 2013 • insel taschenbuch 4967 • IT 4967 • IT4967 • Kleines Paradies • Nature writing • Naturgeschichten • Neuerscheinungen • neues Buch • Pandemie • Preis der Frankfurter Anthologie 2008 • Rückzugsort • Ruheort • Scheintod • Schrebergarten • Selbstbestimmung • Urlaubslektüre
ISBN-10 3-458-77062-3 / 3458770623
ISBN-13 978-3-458-77062-6 / 9783458770626
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