Der kalte Glanz der Newa (eBook)
432 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45945-4 (ISBN)
Ben Creed ist das gemeinsame Pseudonym von Chris Rickaby und Barney Thompson. Chris wurde in Newcastle geboren. Er arbeitete für verschiedene Fernsehsender, bevor er seine eigene Marketing- und Medienagentur gründete. Barney absolvierte eine Ausbildung als klassischer Musiker absolviert studierte zwei Jahre am Konservatorium in St. Petersburg, bevor er zum Journalismus wechselte. Er arbeitet heute als Lektor und Redenschreiber für das UN Flüchtlingshilfswerk. Der vorliegende Roman ist ihr ihr erstes gemeinsames Werk und der erste Fall für Leutnant Revol von der Leningrader Polizei.
Ben Creed ist das gemeinsame Pseudonym von Chris Rickaby und Barney Thompson. Chris wurde in Newcastle geboren. Er arbeitete für verschiedene Fernsehsender, bevor er seine eigene Marketing- und Medienagentur gründete. Barney absolvierte eine Ausbildung als klassischer Musiker absolviert studierte zwei Jahre am Konservatorium in St. Petersburg, bevor er zum Journalismus wechselte. Er arbeitet heute als Lektor und Redenschreiber für das UN Flüchtlingshilfswerk. Der vorliegende Roman ist ihr ihr erstes gemeinsames Werk und der erste Fall für Leutnant Revol von der Leningrader Polizei.
1
Samstag, 13. Oktober 1951
Gerade wie ein Baugerüst lagen sie da, starr im grellen Licht der Zugscheinwerfer. Ein Quintett von Körpern auf den zugeschneiten Gleisen, akkurat und parallel zueinander. Die Füße zusammen, die Arme ausgestreckt, die Köpfe sacht alle in dieselbe Richtung gewandt. Als hätte der Tod sie gebeten, sich ordentlich in die Schlange zu stellen, dachte er, und aus Gründen, die nur ihnen selbst bekannt waren, hatte jede dieser verdammten Seelen fügsam seiner Bitte entsprochen.
Etwa dreißig Meter von den Schienen entfernt zog Revol Rossel, Leutnant der Leningrader Miliz, an seiner Papirossa, stieß einen aschgrauen Ring aus und betrachtete den Tatort mit routinierter Teilnahmslosigkeit. Dieser Gesichtsausdruck war ihm zur Gewohnheit geworden. Eine Miene, die ihm bislang, obwohl er erst vierunddreißig Jahre alt war, den Gulag erspart hatte. »Jeder Mensch muss ein Gesicht für die Welt da draußen und eines für sich selbst haben, Revol«, hatte sein Vater einmal stoisch und augenzwinkernd zu ihm gesagt. Damals hatten weder Rossels Vater noch er selbst richtig verstanden, was für ein solider Rat dies war, die Art, die hilfreich dabei war, als Sowjetbürger etwas länger zu leben. Besonders wenn man in Leningrad lebte, einer Stadt, von der bekannt war, dass Stalin Vorbehalte gegen sie hegte.
Während er die Szene vom Beifahrersitz seines Moskwitsch aus taxierte, konnte er die Motorhaube des Wagens noch immer ticken hören. Zur Linken, hinter einem ausgedehnten Schneefeld, schnaufte eine schwarze Dampflok und blieb stehen. Hinter der Lok und ihrer Fracht waren die Schienen kilometerlang von Bäumen gesäumt, aber hier an dieser Stelle wurden sie von einem anderen Schienenstrang gekreuzt, sodass eine kleine Lichtung entstanden war.
»Also los, meine Herren. Zeit, unsere Aufwartung zu machen.«
Die Wagentüren schlugen zu und erinnerten an die Trommelschläge bei einer Parade, während Rossel und seine Milizionäre aus den Autos stiegen. Sie gingen zusammen, mussten die Beine stark anheben, um in den tiefen Schneewehen voranzukommen. Unter ihren Dienstmänteln, an denen die Rangabzeichen ihres jeweiligen Dienstgrads in der Miliz angebracht waren, trugen sie eine Vielzahl von Pullovern, Hosen und dicke Unterwäsche. Mit der Standarduniform allein war in einer Winternacht nicht viel auszurichten. Vor ein paar Stunden hatten sie im Radio minus 27 Grad verkündet. »Kalt genug, um gute, warme russische Pisse in Eiszapfen zu verwandeln«, wie Unteroffizier Gratschew sich das letzte Mal ausgedrückt hatte, als er ihnen wieder mal eine Geschichte darüber auftischte, wie er damals auf dem Weg nach Berlin Angehörige der 33. SS-Waffen-Grenadier-Division abgeschlachtet habe.
Neben der Dampflok standen, verfroren und verloren, zwei Männer. Rossel sah nach rechts in Richtung des zweiten Gleises. Es traf in einem 45°-Winkel auf die Hauptlinie, bog dann ab und verlief ein paar Dutzend Meter parallel zu dieser, ging an einer Weiche in die Hauptlinie über, um kurz darauf wieder in die Kiefern hinein abzuschwenken.
Einer der beiden Männer neben der Lok bewegte sich auf sie zu, um sie zu begrüßen – der Lokführer, vermutete Rossel. Er trug einen dicken Steppmantel über dem Overall und eine große Fellmütze, die den im Verhältnis dazu kleinen Kopf fast zu verschlingen schien, und er roch nach verbrannter Kohle.
»Was hat euch aufgehalten?«, grummelte er.
Rossel ignorierte die Frage und sah an ihm vorbei zu dem anderen Mann hinüber, der der örtlichen Miliz angehörte. Er musste der Anrufer gewesen sein. Er war klein und dünn und sah aus wie ein verängstigtes Tier – Anfang zwanzig, praktisch noch ein Junge. Der Halbstarke und der Lokführer blickten übellaunig drein. Zweifellos hatten sie sich gestritten. Rossel nahm an, dass der Lokführer die Leichen einfach hatte beiseiteschieben wollen, zum Teufel damit, um seinen Weg fortzusetzen. Das Milchgesicht war jedoch viel zu entsetzt, um irgendetwas auch nur anzurühren – ein Polizist wie aus dem Diensthandbuch, der sich nicht in der Lage sah, etwas zu unternehmen, sondern darauf wartete, dass jemand anderer das Kommando übernahm.
»Was hat euch aufgehalten, hä?«, fragte der Lokführer noch einmal.
Rossel sah ihn an und schoss zurück. »Nachts um vier fünfzig Kilometer zu fahren, in einem Schneesturm, der selbst einen Polarfuchs hätte erblinden lassen, ja, das könnte schon sein, dass es damit etwas zu tun hat.«
Drei Tage lang hatte es geschneit und es war gerade mal Oktober. Seit dem Winter ’42 hatte es das, Überlebenden der Belagerung von Leningrad zufolge, nicht mehr gegeben. Sobald sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, war es eher wie Ski statt Auto fahren gewesen.
Rossels Leute schwärmten aus, um den Tatort genauer in Augenschein zu nehmen. Eine Leiche nach der anderen, jedoch ohne sie anzufassen.
»Was war los?«, fragte Rossel den Lokführer. Sie befanden sich nur wenige hundert Meter entfernt vom in die Weite entschwindenden Ufer des bereits teilweise zugefrorenen Ladogasees. Eisfischer, dachte Rossel. Manchmal hockten sie stundenlang zusammen und tranken. Dann waren sie zu den Schienen gewankt, aneinandergeklammert, um sich aufrecht zu halten, bevor sie schließlich erfroren waren …
»Sie lagen schon auf den Gleisen, schon genauso wie jetzt«, sagte der Lokführer. »Der Schneepflug hat die Strecke gestern geräumt, aber trotzdem bin ich nur Schneckentempo gefahren. Ich hab sie gleich gesehen.«
»Die Strafe, wenn man Angehörige der Miliz anlügt …«
Der Lokführer spuckte aus und schüttelte den Kopf. »Guck’s dir doch selber an, du Spürhund. Wirst schon sehen.«
Die Lok keuchte und schnaufte.
»Was transportierst du?«, erkundigte sich Rossel.
»Kohle und Altmetall. Zwanzig Waggons.«
Gut, dass der Zug sofort angehalten hatte. Von den Leichen wäre nicht viel übrig geblieben, wenn dieses Ungetüm über sie hinweggedonnert wäre.
»Ist das eine Hauptstrecke? Warum hat man die Leichen nicht früher gefunden?«
»Die letzten Personenzüge halten um elf, wenn sie nicht vereist sind. Die neuen Dieselloks kommen mit dieser Kälte nicht gut klar«, antwortete der Lokführer und rieb sich die Augen. »Ich war der erste Güterzug heute Nacht. Irgend so ein Idiot im Depot hat einen der Waggons überladen, sodass er umgekippt ist. Hat mich mehr als zwei Stunden aufgehalten.«
Er brummelte etwas von Dampfkesseln und Ventilen und schien sich entfernen zu wollen, machte aber keine Anstalten, groß um Erlaubnis zu bitten. Rossel zuckte mit den Schultern und der Lokführer verschwand im Scheinwerferlicht der Lokomotive.
Der andere, der grüne Junge vom örtlichen Polizeirevier, sah ihn an und wartete auf einen Befehl. Er war nur ein gewöhnlicher Polizist.
»Wo sind denn alle?«, wollte Rossel von ihm wissen.
»Verhaftet.«
»Ich meine deine Kollegen. Warum bist du alleine hier?«
Das Milchgesicht sah nach unten auf den Schnee.
Du machst Witze.
»Alle?«
Ein kurzes Nicken.
Mann, verdammte Scheiße. Der MGB fegte durch die Reihen der Miliz wie eine Sense durch ein Weizenfeld. Militär, Polizei, die eigenen Reihen – wo Terror herrschte, wütete er oft am schrecklichsten unter den Männern und Frauen, die so unbedacht gewesen waren, sich eine Uniform anzuziehen. Aber gleich ein ganzes Revier, auch wenn es nur ein Außenposten in der Provinz war? Die Miliz gab es, um ein gewisses Maß an öffentlicher Ordnung zu wahren, während die gesellschaftliche Disziplin selbst an anderer Stelle erzwungen wurde. Die Gewerkschaften, die Belegschaften der Fabriken, die Volksgerichte, selbst die kriminelle Unterwelt – sie alle wetteiferten darum, als besonders loyale Sowjetbürger zu erscheinen. Polizist zu sein war eine einfache Aufgabe, für die Leute mit einer einfachen Einstellung zum Recht herangezogen wurden, und deshalb fanden sich auch jede Menge brutale Typen in der Truppe. Konterrevolutionärer Aufruhr zählte wohl kaum zu ihren Stärken.
Rossel sah zu den Leichen hinüber und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Der Lokführer des planmäßigen nächtlichen Güterzugs hält an, weil sich irgendetwas auf den Gleisen befindet. Er steigt aus, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Er vermutet umgestürzte Bäume oder Ladung, die ein anderer Zug verloren hat. Aber so ist es nicht.
Er benachrichtigt die nächste Station, die wiederum die örtliche Polizei verständigt. Nur dass auf dem Revier keine Polizisten mehr sind außer diesem verkorksten Exemplar, das, obwohl er das bestreitet, das erstbeste Revier der Miliz in Leningrad anruft, dessen Nummer er in der Liste an der Wand entziffern kann. Und die Herren Unteroffiziere Gratschew und Tanejew, die auf Nachtschicht sind, rufen dann mich an. Und weil Unteroffizier Gratschew ein Mistkerl ist, der sich nur dann an die Vorschriften hält, wenn er damit maximalen Ärger bewirken kann, holt er auch Hauptmann Lipuchin aus dem Bett, obwohl er weiß, dass der einen Dröhnschädel vom Feinsten haben wird.
Mehr als fünfzig Kilometer außerhalb unserer Jurisdiktion, mitten im Nichts. Und die örtliche Miliz ist zudem gerade noch vom MGB durchkämmt worden.
Rossel wusste, dass er nicht nach dem Grund fragen, sondern sich an das vorliegende Verbrechen halten...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2021 |
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Reihe/Serie | Die Leningrad-Trilogie | Die Leningrad-Trilogie |
Übersetzer | Peter Hammans |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 50er Jahre • Barney Thompson • Ben Creed • ben creed city of ghosts • Beria • chistorische Krimis • Chris Rickaby • Cold Case • Ermittlungen • Geheimpolizei • Gorki Park • Historische Kriminalromane • Historische Krimis • Historische Romane • historischer Politthriller • Historischer Thriller • historische serienmörder • KGB • Kind 44 • Ladoga-See • Leichenfunde • Leningrad • Leningrader Polizei • MGB • Militärpolizei • Nachkriegszeit • Nachkriegszeit Krimi/Thriller • Politische Thriller • Politische Verfolgung • Politthriller • Revol Rossel • Serienmorde • Serienmörder • Stalin • Stalinismus • St. Petersburg • Thriller • thriller für männer • Thriller Politik • Thriller Russland • Thriller Serienkiller • Winter • Winterkalt • Winterkälte |
ISBN-10 | 3-426-45945-0 / 3426459450 |
ISBN-13 | 978-3-426-45945-4 / 9783426459454 |
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