Professor Zamorra 1231 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-1875-2 (ISBN)
Der Knochenpalast stand an der Klippe. Mächtig und gewaltig ragten seine verderbten Türme dem orangenen Himmel entgegen. Beißender Rauch zog an seinen Mauern vorüber, und hinter ihm loderte und wogte das endlos scheinende Höllenmeer. Ein Ozean aus Lava.
Nicole Duval kauerte in einer Bodensenke nahe dem breiten Tor des Palastes und wappnete sich. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Doch sie gab sich keinen Illusionen hin: Es würde ihr sicherer Untergang sein.
Denn niemand schlich sich ungestraft in den Palast, um Stygia zu töten ...
Kapitel 1
Nach dem Ende
Tal der Loire, Frankreich
Der Mond war voll und rund. Fahles Licht ergoss sich über das stille Tal der Loire, und die Sterne am nächtlichen Firmament funkelten so hell, als wollten sie einander übertrumpfen.
Francine Delons Lächeln war ebenfalls hell ... und ganz schön lasziv.
Die Sechzehnjährige aus dem kleinen Dorf Saint-Cyriac unterhalb von Château Montagne liebte die Nacht. Vor allem dann, wenn sie ihr Gelegenheit gab, sich mit ihrem Freund in die Wälder nahe des Flusses zu schleichen, ohne dass die Erwachsenen es merkten.
»Nicht so schnell«, rief Gaston. Er hatte Mühe, mit Francine Schritt zu halten, die barfüßig über die Uferwiesen lief. Oder tat er etwa nur so? »Ich bin ein alter Mann, ma chère. Vergiss das nicht. Ich komme bei solch einem Tempo nicht mehr mit.«
»Du bist knapp achtzehn«, widersprach sie neckend und drehte sich zu ihm um. »Das ist nicht alt.«
Gaston lachte nun ebenfalls. Sein sommersprossiges Gesicht strahlte nahezu im Mondschein, und sein wunderschönes Haar wirkte noch dunkler als am Tag. »Das sieht dein Vater aber anders. Für den bin ich viel zu alt.«
Das stimmte leider. Francines alter Herr – der Handwerker Jean-Pierre Delon – war ausgesprochen engstirnig, wenn es um den Umgang seines ach so wohlerzogenen Töchterchens ging. Jean-Pierre hielt den zugereisten Gaston für einen triebgesteuerten Tunichtgut. Und sein einziges Kind war selbstredend ein wahrer Engel.
Die Wahrheit sah in beiden Fällen natürlich ganz anders aus, aber kein Argument der Welt konnte den engstirnigen Jean-Pierre davon überzeugen.
In Wahrheit treffen Gaston und ich uns in der Mitte, dachte Francine bei der Erinnerung. Er ist weit weniger wüst als Papa denkt ... aber ich bin weit weniger artig.
Sie lächelte, als sie die Hand zum Saum ihres T-Shirts führte. Langsam hob sie ihn an und zog sich das dünne Kleidungsstück mit dem Superheldenaufdruck ruckartig über den Kopf. Blasses Mondlicht fiel nun auf ihre blanken Schultern. Sanfter Wind strich über ihre Haut.
»Dann beweise uns doch das Gegenteil«, lockte sie ihren Freund, der sie aus weit geöffneten Augen anglotzte. »Zeig uns, wie jung und stark du in Wirklichkeit bist ... und fang mich endlich!«
Dann lief sie weiter und ließ das Avengers-Shirt achtlos fallen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Gaston es auffing und ihr grinsend folgte. Die Jagd, die Francine begonnen hatte, setzte sich fort.
Die Sechzehnjährige folgte dem Lauf des Flusses, der im Mondschein funkelte wie ein verzaubertes Band. Rechts und links von ihm wurden die Uferwiesen nun spärlicher. Erstes Buschwerk säumte das leise säuselnde Wasserband, und wenige Dutzend Meter weiter begann der Wald. Auf ihn hielt Francine zu, während sie sich nach dem Shirt nun auch ihres BHs entledigte.
»Wo willst du hin, ma chère?«, stöhnte ihr ungeduldiger Verfolger. »Was machst du mit mir?«
Francine sah über die nackte Schulter zu ihm, ohne stehen zu bleiben. »Find's doch heraus«, lockte sie ihn und ließ den BH fallen. »Wenn du kannst.«
Dann lief sie in den Wald und die dunklen Schatten.
Sofort wurde es kälter ...
Oder bildete sie sich das nur ein? Ihr war, als sei die Temperatur hier zwischen den hohen Bäumen deutlich niedriger als draußen auf den Wiesen. Und warum kribbelten plötzlich ihre Fingerkuppen so arg? Das taten sie sonst doch nur, wenn sie sich in Gefahr wähnte.
Doch der Loire-Ausläufer, dessen Band sie folgte, plätscherte friedlich neben ihr her. Überhaupt wirkte die Szenerie unfassbar idyllisch. Die hohen Bäume ringsum waren wie eine schützende Wand, die Francine vor neugierigen Blicken verbarg, und der Wald ein Labyrinth für Liebende, in dem man sich verstecken konnte ... und in dem allerhand geheime Dinge möglich wurden, wenn man es zuließ.
Genau das hatte Francine vor. Diese Nacht würde der Wald nie vergessen.
»Aber ich vertraue auf deine Diskretion, klar?«, warnte sie eine nahe Eiche. Dann kicherte sie über die eigene Albernheit.
Einen Herzschlag später packte eine Hand nach ihrer Schulter.
»Hab ich dich«, sagte Gaston keuchend. Sein Atem ging schwer, doch sein Blick funkelte heller als das Mondlicht auf dem Wasser. »Und jetzt wollen wir mal sehen, wer hier alt ist.«
Francine kicherte noch, als er sie mit sanfter Bestimmtheit zu Boden zog, auf das weiche Moos am Ufer des flüsternden Flusses.
Die Hände waren überall.
Gaston Marceau hatte Mühe, sich zu bremsen. Francines Berührungen brachten ihn fast um den Verstand. Seit einer herrlichen Ewigkeit tollten sie nun schon auf dem Waldboden umher, streichelten einander, neckten sich, und nur die stille Nacht leistete ihnen Gesellschaft. Doch so sehr Gaston ihr Liebesspiel auch genoss, so sicher war er sich in einer Sache: Wenn sie nicht bald in den Turbo schalteten, passierte ihm ein peinliches Missgeschick. Wegen ihrer Hände.
»Du«, schnaufte er und suchte im Dunkel ihr Gesicht. Das Sprechen fiel ihm schwer, weil ihm das Denken schwer fiel. »Du musst aufpassen ... Ich ...«
»Ich muss aufpassen?«, betonte die Handwerkerstochter amüsiert. »Na, das wüsste ich aber, Monsieur Marceau. Meiner Ansicht nach musst du vielmehr ...«
Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Irgendetwas irritierte sie plötzlich.
»Was hast du?«, wunderte er sich, als sie von ihm abließ.
Francines Blick ging zur Seite, in Richtung Fluss. »Nanu?«
»Francine?«
Sie richtete sich auf, schob ihn von sich.
»Francine?«, wiederholte Gaston. »Was ist denn?«
Das nackte Mädchen kauerte nun auf den Knien. Suchend ging ihr Blick zu den Schatten am Flussufer. »Hörst du das denn nicht? Da ruft doch jemand!«
Wie bitte?
Gaston runzelte die Stirn. Die einzigen Geräusche, die er vernahm, waren das Plätschern des Wassers und das Rauschen seines eigenen, noch immer aufgepeitschten Blutes in seinen Ohren.
Francine sah ihn tadelnd an. »Ist das von dir? Planst du hier etwa einen Streich? Ich schwöre dir, Monsieur: Wenn einer deiner blöden Kumpels hier in den Büschen hockt, um mich zu erschrecken, dann hast du mich heute Nacht zum letzten Mal angefasst!«
Gaston schüttelte den Kopf. »So'n Quatsch. Hier ist niemand außer uns. Und ich höre auch kein Rufen, absolut nichts.«
Francine schnaubte ungläubig. Dann kroch sie näher auf den Fluss zu. »Gleich hier vorn, da muss es herkommen. Habt ihr hier ein Walkie Talkie vergraben, oder wie geht das? Irgendeinen kleinen Lautsprecher im Ufergras oder ...«
Sie verstummte so plötzlich, als hätte sie der Blitz getroffen. Von einem Moment zum anderen versteifte sich ihr Körper, just als sie über den Rand des Ufers und ins glitzernde Wasser des Loire-Ausläufers blickte.
Und mit einem Mal ging alles ganz schnell.
Gaston Marceau traute seinen Augen nicht, als das Grauen begann. Und erst als es vorüber war, begriff er, dass die panischen Schreie, die er dabei vernahm, von ihm selbst stammten ...
Little Bear Island, Maine
Es war die Wut, die ihn trug.
Der Kampf gegen die Übermacht der Dämonen ging schon so lange, dass Professor Zamorra inzwischen jede schmerzende Faser seines Körpers einzeln spürte. Merlins Stern, sein magisches Schutzamulett, zog seine Energie aus Zamorras Kraftreserven – und von denen war nur noch erschreckend wenig übrig. Jede neue Konfrontation mit den Ausgeburten der Hölle – jenen unheimlichen Wesen mit den Lavakörpern und den brennenden Augen, die unerbittlich auf ihn einstürmten und ihn töten wollten – schwächte ihn und forderte ihn aufs Neue.
Doch die Wut war stärker als das bleierne Gefühl in seinen Gliedern. Stärker als die Anstrengung, stärker als die Erschöpfung.
Sie hatten ihm Nicole genommen. Seine Partnerin und Vertraute.
Dafür würden sie bezahlen!
Zamorra neigte nicht zu Jähzorn, auch Rachsucht war ihm fremd. Doch in diesen dramatischen Minuten im Inneren des alten Leuchtturms drangen Urinstinkte in ihm hoch, die er sich unter normalen Umständen nie zugetraut hätte. Er sah rot, und im Schein dieser Farbe hatten sich schon ganz andere Männer verloren. Manche sogar für immer.
Ellen Driver schlug sich noch immer wacker. Die Leiterin des Ministeriums für Transdimensionale Sicherheit begleitete Zamorra auf diesem Abenteuer und hatte bereits mehrere Magazine ihrer mattschwarzen Glock auf die niederen Dämonen auf den unteren Treppenstufen abgefeuert. Wieder und wieder drückte sie ab, und ihre Schüsse rissen klaffende Wunden in die Leiber der blasphemischen Kreaturen.
Stygias Kreaturen.
»Wir haben es beinahe geschafft«, rief Driver gerade.
Ihre Glock hatte einen weiteren Dämon aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Aufprall der Kugel aus...
Erscheint lt. Verlag | 3.8.2021 |
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Reihe/Serie | Professor Zamorra |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • Deutsch • eBook • eBooks • Extrem • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • Lovecraft • Männer • Neuerscheinung • Neuerscheinungen • Paranomal • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Top • Walking Dead |
ISBN-10 | 3-7517-1875-3 / 3751718753 |
ISBN-13 | 978-3-7517-1875-2 / 9783751718752 |
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