Das Haus Zamis 21 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-1876-9 (ISBN)
Mein Vater war nicht allein, sondern eine junge Frau war bei ihm, mit rotblondem Haar und dunkelgrünen Augen - wenngleich nicht so dunkelgrün wie meine -, einem leicht puppenhaften Gesicht und üppigen Formen. Sie lehnte an einer Kante des Schreibtisches und betrachtete mich abschätzig, mit herablassendem Lächeln, und kaute geräuschvoll Kaugummi.
»Was macht die denn hier?«, fragte ich anstatt einer Begrüßung.
»Begrüße deine Cousine Cora«, sagte mein Vater. »Sie ist heute in aller Frühe eingetroffen, als du noch geschlafen hast. Ihr Vater schickt sie zu uns, damit ihr euch anfreundet. Vielleicht hilft es dir, eine gleichaltrige Freundin zu haben, um endlich zu lernen, was es heißt, eine richtige Hexe zu sein!«
Gemeinsam mit ihrer Cousine Cora bricht Coco nach Lemgo auf, um ihrem Bruder Georg zu Hilfe zu kommen - doch schon der Weg dorthin gestaltet sich anstrengender als gedacht, denn Cora Zamis erweist sich im wahrsten Sinne des Wortes als tödliche Belastung ...
1. Kapitel
Ich fuhr aus dem Schlaf hoch, als mich etwas in die Wange kniff, und rieb mir verstört die Augen. »Ja, was ist denn?«, murmelte ich mürrisch.
Ich war verärgert, weil ich ohne Grund geweckt worden war. Dieser Traum hatte gewiss etwas zu bedeuten.
Bei Leuten von meiner Art geschieht kaum etwas nur aus Zufall. Ich kann meine Herkunft eben nicht verleugnen – und das nicht nur wegen der Schwierigkeiten, in denen meine Familie zurzeit steckte.
Angefangen hatte es mit einem Hexensabbat, den mein Vater zu meinen Ehren ausgerichtet hatte und auf dem ich zu einer echten Hexe gekürt werden sollte. Auf dem Höhepunkt des Sabbats erschien Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, was für mich eigentlich eine große Ehre bedeutete. Aber ich mache mir nichts aus der Schwarzen Familie und verweigerte mich Asmodi in einer Mischung aus Angst und Widerwillen.
Diesen Schritt hatte ich bitter zu bereuen, denn seitdem versuchte Asmodi, unsere Sippe mit den hinterhältigsten Mitteln zu vernichten.
Der Kampf war nicht offen erklärt worden, da Skarabäus Toth die Annahme einer Kampfansage unter einem Vorwand verweigert hatte. Stattdessen wurde der Konflikt im Verborgenen ausgetragen – durch Intrigen und Hinterlist. Die anderen Familien beobachteten die Vorkommnisse zumeist aus neutraler Entfernung; sie warteten lieber ab, wie der Kampf ausging, damit sie wussten, wem sie anschließend die Treue schworen. Mit Asmodi wollte es sich natürlich keiner verscherzen, aber auch nicht mit uns Zamis, denn wir waren die mächtigste Dämonensippe Wiens und hatten unseren Machtanspruch mehr als einmal durchgesetzt. Das hatten vor nicht allzu langer Zeit unter anderem die Winkler-Forcas leidvoll erfahren müssen.
»Du musst aufstehen, Coco«, sagte eine hohl klingende Stimme. »Dein Vater erwartet dich – sofort.« Neben meinem Bett stand eine verkrümmte, nur einen Meter hohe, schwarzhäutige und geschlechtslose Gestalt, deren Gesicht von einer bunt bemalten Holzmaske bedeckt war. Durch die Sehschlitze drang ein unheilvoll glühendes Augenlicht. Der Hüter des Hauses, der einst meine erste große Liebe gewesen war, ein Mensch namens Rupert Schwinger. Ich selbst hatte einst dazu beigetragen, ihn in diese Gestalt zu verbannen, und nun sollte er mir zeitlebens dienen, um mich stets an meine Verfehlung zu erinnern. Statt mich Asmodi hinzugeben, hatte ich mich in einen normalen Menschen verliebt – der in den Augen der Dämonen ein wertloser Sterblicher war und Schande über meine Sippe gebracht hatte.
Wie naiv war ich damals noch gewesen; ich hatte tatsächlich geglaubt, einfach tun zu können, was mir gefiel, und mich gefahrlos mit den Menschen einlassen zu können. Wenn ich nicht ein ungewöhnlich starkes magisches Talent besitzen würde, hätte mein Vater mich bestimmt verstoßen. Aber so nutzte er meine Begabung im Kampf gegen Asmodi und gab gleichzeitig die Hoffnung nicht auf, dass ich eines Tages erkennen würde, wohin ich wirklich gehörte, und zu einer »echten« Hexe würde, die dem Bösen diente und der Sippe der Zamis zur Ehre gereichte. Eines hatten wir Dämonen mit den Menschen gemeinsam: Wir konnten nicht so einfach unsere familiären Bande abstreifen.
Am liebsten hätte ich meinem Vater ausrichten lassen, was ich von ihm hielt, aber ich ließ es besser bleiben. Wenn Michael Zamis jemanden zu sich zitierte, gehorchte man. Und wenn es noch so schwer fiel. Aber meine früheren Erfahrungen hatten mich gelehrt, bestimmte Konfrontationen zu vermeiden und wenigstens hin und wieder diplomatisch vorzugehen.
»Sag ihm, ich komme gleich«, antwortete ich dem Hüter des Hauses.
»Er sagte aber sofort«, wiederholte das Wesen, über dessen hinter der Maske verborgenes, zerfressenes Gesicht Würmer und Maden krochen, wie ich wusste.
»Anziehen werde ich mich wohl noch dürfen!«, herrschte ich den Hüter an. »Sobald ich fertig bin, werde ich mich bei ihm einfinden!«
So viel Zeit musste ich mir einfach nehmen. Ich gehorchte meinem Vater, aber er brauchte nicht zu glauben, dass ich wie ein dressierter Hund sofort sprang, wenn er einmal pfiff. Mir war klar, dass mir das wohl weitere Schwierigkeiten einbringen würde, denn mein Vater war ein Patriarch durch und durch und ohnehin nicht gut auf mich zu sprechen. Deshalb ging ich nie zu weit, aber ich steckte auch nicht zurück. Als kleines Mädchen hatte ich noch eine höllische Angst vor ihm gehabt, aber heute war ich selbstbewusster und nicht mehr so leicht zu beeindrucken. Außerdem besaß ich einen ziemlichen Sturkopf, der vielleicht dem meines Vaters nicht unähnlich war.
Das hatte Michael Zamis inzwischen eingesehen und zähneknirschend akzeptiert, denn immer noch galt ich als Familienmitglied und durfte in dem Anwesen im noblen 13. Wiener Bezirk Hietzing in der Ratmannsdorfgasse 241 leben.
Unser abgelegenes Eckgrundstück war von außen nicht einsehbar, da es von einer zwei Meter hohen Mauer umgeben war. Es gab einen Swimmingpool und einen großen Garten mit alten, knorrigen Bäumen. An der Villa und dem Garten hing ich mehr als an meiner Familie. Ich liebte diese idyllische Ruhe hier, während draußen die Welt der Sterblichen vorbeibrodelte.
Ein Hausangestellter brachte mir das Frühstück, für das ich mir auch noch Zeit nahm, obwohl ich schon ungeduldig war. Doch ganz ohne Stärkung wollte ich mich nicht meinem Vater stellen; aus dem Schlaf gerissen und zum Oberhaupt der Sippe zitiert zu werden, ist sicher keine alltägliche Angelegenheit, die nur der lockeren Konversation dient. Ich konnte mir zudem denken, worum es ging, und ich würde Kraft dafür brauchen ...
Michael Zamis erwartete mich laut Haushüter in der Bibliothek. Die Bibliothek war komplett holzgetäfelt und der Raum hoch genug, um Platz für eine schmale Galerie zu bieten. Die Wände waren von oben bis unten mit Bücherregalen bedeckt. Es gab einen offenen Kamin mit schweren Polstermöbeln davor; an der Fensterfront stand ein riesiger Schreibtisch aus schwarzem Ebenholz, hinter dem mein Vater regelrecht thronte.
Hier traf ich gleich auf das erste Ärgernis: Michael Zamis war nicht allein, sondern eine junge Frau war bei ihm, mit rotblondem Haar und dunkelgrünen Augen – wenngleich nicht so dunkelgrün wie meine –, einem leicht puppenhaften Gesicht und üppigen Formen. Sie lehnte an einer Kante des Schreibtisches und betrachtete mich abschätzend, mit herablassendem Lächeln, und kaute geräuschvoll Kaugummi.
»Was macht die denn hier?«, fragte ich anstatt einer Begrüßung ärgerlich und deutete auf das Mädchen.
»Begrüße deine Cousine Cora«, sagte mein Vater. »Sie ist heute in aller Frühe eingetroffen, als du noch geschlafen hast. Ihr Vater schickt sie zu uns, damit ihr euch anfreundet. Vielleicht hilft es dir, eine gleichaltrige Freundin zu haben, um endlich zu lernen, was es heißt, eine richtige Hexe zu sein.«
Cora gehörte zum italienischen Zweig der Familie. Ingvar Zamis, Bruder meines Vaters, besaß ein Schloss in den Abruzzen, auf dem sich mein ältester Bruder Adalmar zumeist aufhielt, um seinem bösen Handwerk nachzugehen. Ich hatte Cora erst vor Kurzem getroffen und sie nicht besonders sympathisch gefunden. Unsere ganze Familie war in dem italienischen Kastell versammelt gewesen, um einen Angriff gegen Asmodi zu planen. Die Zusammenkunft war geplatzt – alle Anwesenden hatten das Kastell fluchtartig verlassen. Nun, im Nachhinein, konnte sich niemand mehr daran entsinnen, was der Grund für die überstürzte Abreise der Sippenmitglieder gewesen war. Das Ganze erschien mir äußerst suspekt – es würde mich nicht wundern, wenn Asmodi hinter alledem steckte.
Es gab weitere Merkwürdigkeiten: Man hatte meinen Großneffen Alexej mit zerschmetterten Knochen vor Castello della Malizia aufgefunden, überdies war mein Bruder Georg ohne eine Nachricht zu hinterlassen verschwunden.
Auch ich hatte mich in den Abruzzen aufgehalten – nun fehlte mir jegliche Erinnerung daran, wie ich zurück nach Wien gekommen war. Es war zum verrückt werden.
Georg hatte sich über eine Kristallkugel bei meinem Vater gemeldet und ihn um Hilfe gebeten. Er befände sich in einer deutschen Kleinstadt namens Lemgo.
»Werde ich dazu auch noch gefragt?«, fragte ich schnippisch. »Meine Freunde suche ich mir lieber selber aus, danke.« Das war leicht dahingesagt. Genauer gesagt, hatte ich außer der in London lebenden Vampirin Rebecca überhaupt keine Freunde. Weder innerhalb der Schwarzen Familie noch bei den normalen Menschen. Manchmal fühlte ich mich daher einsam. Aber deswegen würde ich nicht gleich jede dahergelaufene bösartige Cousine in meine Arme schließen.
»Coco, du siehst aber gut erholt aus!«, flötete Cora mich an. Sie sprach im typisch italienischen Singsang, mit rollendem »R«, und sehr gestenreich. »Als ich dich das letzte Mal sah, wirktest du so ... abgespannt.«
»Tja, ganz im Gegensatz zu dir regeneriere ich mich schnell«, gab ich zuckersüß zurück. Diese Wichtigtuerin war doch in meinem Alter, was spielte sie sich so auf? Und zweifelsohne sah ich selbst abgespannt besser aus...
Erscheint lt. Verlag | 3.8.2021 |
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Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-1876-1 / 3751718761 |
ISBN-13 | 978-3-7517-1876-9 / 9783751718769 |
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