Professor Zamorra 1232 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-1911-7 (ISBN)
Der Krieger umklammerte den Griff des Schwertes fester, während er sich rücklings an die steinerne Säule presste.
Die Hände fühlten sich feucht und klamm an. Die Leinenbandagen, mit denen der Schwertgriff umwickelt war, sorgten dafür, dass die Waffe dennoch sicher in der Faust des Kriegers ruhte.
Und das war wichtig, denn er würde nur einen einzigen Schlag haben.
Versagte er, war das sein Tod!
Dann würde er ebenfalls zu einer Statue werden, die bald das Innere der Tempelhalle zierte, wie so viele Krieger vor ihm.
Ein Wiegenlied für den Titanen
von Ian Rolf Hill
Der Krieger umklammerte den Schwertgriff fester, während er sich rücklings an die steinerne Säule presste.
Schweiß perlte auf seiner Stirn und rann in dicken Bahnen über den Oberkörper. Er würde nur einen einzigen Schlag haben.
Versagte er, war das sein Tod!
Dann würde er ebenfalls zu einer Statue werden, die bald das Innere der Tempelhalle zierte, wie so viele Krieger vor ihm.
Schon hörte er hinter sich das Zischen seiner Gegnerin. Ein Rasseln und das trockene Schaben, mit dem sich der geschuppte Schlangenleib über den steinernen Boden schob ...
Das Herz hämmerte mit solcher Wucht in ihrer Brust, dass sie fürchtete, es könne jeden Augenblick zerreißen. Die ohnehin schon viel zu dünne Kleidung klebte ihr klatschnass auf der Haut, das Blut rauschte ihr in den Ohren, und jeder Atemzug wurde zur Qual.
Heftige Seitenstiche zwangen sie stehen zu bleiben.
Ihre Knie schienen aus Wackelpudding zu bestehen. Schwindel erfasste sie, sodass sie sich mit beiden Händen auf den Oberschenkeln abstützen musste. Sie schnaufte wie eine alte Dampflokomotive. Ihr Kopf fühlte sich an wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.
»He, he, he, nicht schlappmachen!«, bellte es schräg hinter ihr. »Weiter, weiter, weiter!«
»K-kann ... nicht ...«, keuchte sie.
Ein Schatten trat neben sie und verdunkelte die Sonne, die sich anschickte, den Südhang zu erobern. Nicht mehr lange, und sie würde das gesamte Gelände in einen Backofen verwandeln.
Und da sie jetzt schon das Gefühl hatte, ihr Blut würde kochen, verstärkte jedes noch so winzige Quäntchen Wärme ihre Qualen um ein Vielfaches.
»Mir scheißegal, ob du kannst oder nicht. Beweg dich!«
Sie hob den Kopf und starrte den hochgewachsenen Mann aus blutunterlaufenen Augen an. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, was er sie konnte. Nämlich am Arsch lecken!
Herrgott, sie war doch keine verschissene Rekrutin in irgendeinem bescheuerten Kriegsfilm. Und sie war auch nicht bei Ninja Warrior oder Die strengsten Eltern der Welt.
Sie war vor ein paar Monaten volljährig geworden und hatte es eigentlich nicht nötig, sich auf eine derartige Weise herumkommandieren und erniedrigen zu lassen.
Warum also tue ich mir das an?
Weil es zu deinem Besten ist!, erklang die Stimme eines alten Mannes in ihrem Geiste. Natürlich nicht wirklich. Aber vermutlich hätte er so etwas Ähnliches zu ihr gesagt, hätte er an ihrer Seite gestanden.
Na toll, schoss es der jungen Frau durch den Kopf. Genau das hab ich jetzt gebraucht. Es ist zum Kotzen.
Gar keine schlechte Idee, fand sie und prompt drehte sich ihr der Magen um. Stöhnend sank sie in die Knie und schlang die Arme um den Bauch.
»Was ist los, Nowak?«, brüllte das Arschloch neben ihr. »Willst du etwa aufge...«
Der Rest des Satzes ging in dem Würgen unter, mit dem sich ihr Körper von all dem unnötigen Ballast befreite, der in Form ihres angedauten Frühstücks im Magen herumschwappte.
»Lucia!«
Der Schrei kam von weiter oben. Wahrscheinlich war Laura erst auf ihre Situation aufmerksam geworden, als Sam »Arschloch« McTaggart mit seinem Gezeter angefangen hatte. Stapfende Schritte kamen näher.
»Was hast du mit ihr gemacht?«, rief Laura empört.
»Ich habe überhaupt nichts gemacht«, erwiderte McTaggart ungerührt. »Sie ist untrainiert, das ist alles!«
»Das ist alles? Sie ist leichenblass. Wir müssen sie ins Château bringen!« Laura ging neben Lucia in die Hocke und legte ihr eine Hand auf den Rücken. »Geht's wieder?«
Lucia nickte, zu mehr war sie noch nicht in der Lage. Jeder Atemzug brannte wie Feuer in ihren Lungen. Laura Magin legte sich Lucias Arm über die Schultern und versuchte, sie auf die Beine zu ziehen.
Lucia hätte ihr wirklich gerne geholfen, sofern die Muskeln und Knochen mitgespielt hätten.
»Hilf mir gefälligst, Sam McTaggart!«, schnauzte Laura.
»Sergeant McTaggart«, schnarrte der Ex-Militär aus Amerika.
»Mir egal«, keuchte Lucias sportlichere Mitschülerin mürrisch. »Tu es einfach!«
Er seufzte und brummelte irgendetwas in seinen nicht vorhandenen Bart, befolgte aber Lauras Aufforderung, was Lucia überraschte, die seine kräftigen Finger an ihrem linken Handgelenk spürte. Kurz darauf schrie sie auf, als er sich ihren Arm über die Schulter legte und sie mit einem Ruck auf die Beine stellte.
»Scheiße, willst du mir den Arm brechen, oder was?«, pampte Lucia ihn an.
»Offenkundig geht's dir schon sehr viel besser, Re..., ähm, Lucia.«
»Lucia am Arsch.«
Wütend riss sie sich los. »Lass das, ich schaff das alleine!«
»Bist du sicher?«, erkundigte sich Laura skeptisch.
»Natürlich«, rief Lucia aufgebracht und stapfte demonstrativ den Hang hinauf. Sie kam genau drei Schritte weit, ehe sie stolperte und die immer noch wackeligen Knie erneut nachgaben. Der Länge nach schlug sie auf die weiche Erde. Die Arme knickten wie Streichhölzer unter dem Gewicht des Körpers ein.
Der Geruch von Humus und feuchtem Gras drang Lucia in die Nase.
Gott, wie sie das Leben hasste!
»Lucia, alles ...?«
»Ja, verdammt«, fauchte sie zornig und schüttelte Lauras Hand ab, die zurückzuckte, als hätte sie eine heiße Ofenplatte berührt.
»Tschuldigung«, murmelte sie pikiert. »Wollte bloß helfen.«
Scheiße, dachte Lucia. Genau das hatte sie vermeiden wollen. Laura konnte nun wirklich am allerwenigsten für ihre Lage. Allerdings ausgerechnet Laura! Mit ihr hatte sie sich in letzter Zeit meistens nur gestritten. Und jetzt war sie ihr zu Hilfe gekommen. Oder tat sie etwa nur so auf Freundin und machte sich in Wirklichkeit über sie lustig? Egal, selbst »Arschloch« Sam McTaggart traf keine Schuld. Er wollte lediglich dafür sorgen, dass die Mitglieder von Zamorras Zauberschule auch körperlich fit blieben und sich zumindest grundsätzlich im Nahkampf behaupten konnten.
Auch wenn er es in ihrem Fall etwas übertrieben hatte, was konnte er dazu, dass sie so fett und schlaff war wie eine alte Seekuh auf einer Sandbank?
Hinter Lucias Augen sammelte sich ein stärker werdender Druck. Vergeblich versuchte sie, den Kloß im Hals herunterzuschlucken.
Da waren sie wieder, die Selbstvorwürfe und die Scham, die sie ihr Leben lang begleitet hatten. Der Wunsch, sich selbst zu verletzten und sich das aufgeschwemmte Fleisch in dicken Batzen vom Körper zu schneiden, wuchs mit jeder Sekunde. Und dabei hatte sie gedacht, dass sie das längst hinter sich gelassen hatte.
Doch es wird immer ein Teil von dir sein. Wieder glaubte sie, die Stimme des alten Mannes, des tibetanischen Mönches Gyungo, im Geiste zu hören. Du musst lernen, deine Gefühle wahrzunehmen, erst dann kannst du sie kontrollieren.
Ein sonderbares Geräusch erklang am Rande ihres Bewusstseins, ohne dass es in der Lage gewesen wäre, ihr Gedankenkarussell zu stoppen. Es war wie ein leiser, dumpfer Schlag, als wäre ein schwerer Gegenstand aus größer Höhe zu Boden gefallen. Nur spürte Lucia keinerlei Erschütterung unter den Füßen. Dafür traf sie ein Windstoß, der ihr durch das kurzgeschnittene Haar fegte und sie frösteln ließ.
»Wer zum Henker sind Sie?«, rief McTaggart.
Lauras erschrockenes Keuchen mischte sich mit dem schmerzerfüllten Stöhnen einer weiteren jungen Frau, die neben der hageren Erscheinung eines seltsam alterslosen Manne stand, mit dem sie buchstäblich wie aus dem Nichts erschienen war.
»Das würde ich auch gerne wissen«, murmelte Laura Magin.
Lucia hätte ihnen eine Antwort geben können, doch das Mädchen mit den mongolischen Gesichtszügen kam ihr zuvor.
Ein Lächeln huschte über das breitflächige Gesicht, als sie erstaunlich flink den Hang hinunter und auf Lucia zuhüpfte. Bevor die wusste, wie ihr geschah, schlang die Asiatin die Arme um sie.
»Wie schön, dich wiederzusehen!«
Die Freude lag ganz auf Lucias Seite, auch wenn sie momentan nicht dazu imstande war, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Zu tief steckte ihr die Überraschung über das unerwartete Erscheinen der beiden Personen in den Knochen. Mit ihrem Auftauchen hätte Lucia im Leben nicht gerechnet.
Jetzt setzte sich auch der hagere Mann in Bewegung. Seine Mundwinkel zuckten, und ein kaum erkennbares Lächeln huschte über die strichdünnen Lippen.
»Lucia«, begrüßte er sie mit einem Nicken.
»Ich wiederhole mich nicht gern, Freundchen«, rief McTaggart zornig und stapfte mit geballten Fäusten auf den Neuankömmling zu. »Scheint so, als müsste man Ihnen Manieren beibringen!«
Die dunklen Augen des Hageren zuckten kurz in Richtung des Ex-Militärs. Eine knappe Bewegung mit den Fingern, und einen Wimpernschlag später...
Erscheint lt. Verlag | 17.8.2021 |
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Reihe/Serie | Professor Zamorra |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • Deutsch • eBook • eBooks • Extrem • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • Lovecraft • Männer • Neuerscheinung • Neuerscheinungen • Paranomal • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Top • Walking Dead |
ISBN-10 | 3-7517-1911-3 / 3751719113 |
ISBN-13 | 978-3-7517-1911-7 / 9783751719117 |
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