Tod auf dem Isonzo (eBook)
myMorawa von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99129-105-3 (ISBN)
Karina war auf der Fahrt eingenickt und erwachte kurz vor der Ausfahrt Grado.
„Wir sind ja schon fast da.“
„Ja“, antwortete Sandro, „du hast wieder einmal gut geschlafen, meine Liebe.“
„Hm. Und du hast unentwegt telefoniert.“
Karina musste schmunzeln. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass Sandro im Auto permanent telefonierte. Sandro lenkte den Wagen von der Autobahn und fuhr durch die Mautstation auf der Telepassspur. Das Motorboot der Malottis lag in der Marina Primero. Auf Wunsch von Aurelia hatte das Boot vor Jahren von Triest hierherverlegt werden müssen, weil sich unmittelbar daneben der Golfclub befand. Da sie, seit die Kinder außer Haus waren, an chronischer Unterbeschäftigung litt, hatte sie zu golfen begonnen. Sie hatte nicht wie Karinas Mutter im Betrieb mitgearbeitet, ganz im Gegenteil, sie betonte immer, dass sie mit den drei Kindern und dem privaten Organisatorischen, was immer das auch genau war, völlig ausgelastet gewesen sei. Der Haushalt wurde von zwei Dienstmädchen besorgt, für den Garten gab es einen eigens angestellten Gärtner und die Köchin Luisa sorgte sechs Tage in der Woche für das leibliche Wohl der Familie.
Schließlich parkte Sandro seinen Wagen auf dem für sie vorgesehenen Parkplatz. Sie nahmen das wenige Gepäck aus dem Kofferraum und gingen schnellen Schrittes zum Anlegeplatz des Bootes. Aurelia stand an Deck, hielt ein Handy in der Hand und telefonierte, mit der anderen gestikulierte sie wild umher. Von Polizia oder Carabinieri war weit und breit nichts zu sehen. Als sie die beiden erblickte, beendete sie das Telefonat und kam entgegengelaufen.
„Sandro“, rief sie mit tränenerstickter Stimme von Weitem. Sie lief auf ihn zu und umklammerte ihn. „Sandro, es ist so furchtbar, Artemio ist weg.“
Zu Karina gewandt meinte sie kühl:
„Ciao Karina. Du hättest nicht mitkommen müssen. Ist ja eine Familiensache.“
Karina spürte, wie ihr die Zornesröte ins Gesicht stieg. Diese blöde Kuh! Selbst in diesem Moment konnte Aurelia ihre Abneigung der Schwiegertochter gegenüber nicht verbergen. Sandro versuchte Ruhe zu bewahren und fragte seine Mutter, wo denn Renata sei, denn sie hätte längst da sein sollen. Ob sie irgendetwas von Papa gehört habe. Wieso keine Polizei da sei.
„Bellissimo Sandro. Renata steht im Stau. Sie ist auf dem Weg. Und ich habe keine Polizei gerufen. Ich bekam gerade einen Anruf von einem Mann. Der sagt, sie haben Artemio entführt und wollen Lösegeld. Wir dürfen keine Polizei informieren, sonst töten sie Papa. Verstehst du?“
Ihre Stimme wurde von Wort zu Wort lauter und hysterischer. Ein Weinanfall folgte. Sandro nahm seine Mutter in die Arme. Karina nahm das Gepäck und sie gingen zum Boot. Dort angekommen nahmen alle drei im Salon Platz.
„Jetzt mal langsam, Mama. Erkläre mir genau, was bis jetzt passiert ist.“
Sie schnäuzte sich und begann zu erzählen. Sie sei am Morgen aufgewacht und Artemio sei nicht auf dem Boot gewesen. Sie habe gedacht, er sei für das Frühstück einkaufen gegangen, jedoch habe es sie stutzig gemacht, dass seine Schuhe an Deck standen und dass er sich offensichtlich nicht angezogen hatte. Auch sein Handy habe er nicht mitgenommen. Sie habe eine Stunde gewartet und dann Renata angerufen. Sie habe auf Anraten von Renata noch mit dem Anruf bei der Polizei gewartet. Gerade eben habe sie einen Anruf bekommen.
Sandro nahm ihr Mobiltelefon.
„Bitte entsperre es mir.“
Sie nahm es und öffnete es mit dem Fingerprint.
„Anonymer Anruf“, stellte Sandro fest. „Mama, wir müssen die Polizei informieren.“
„Nein!“, schrie sie beinahe. „Die haben gesagt, keine Polizei!“
In diesem Moment klingelte Aurelias Handy abermals. Anonym. Sandro deutete ihr, es laut zu stellen.
„Si, pronto?“
„Aurelia Malotti?“, fragte eine sehr tiefe männliche Stimme.
Sie schien verstellt zu sein.
„Si.“
„Hören Sie“, sprach der Mann auf Italienisch.
Er schien sich zu bemühen, möglichst jede Art von Dialekt zu vermeiden.
„Wenn Sie Ihren Mann wiederhaben möchten, dann übergeben Sie uns bis morgen Mittag einen Betrag von 1.000.000 Euro. Wie, wann und wo die Übergabe stattfindet, entscheiden wir noch. Wir informieren Sie. Und keine Polizei, sonst ist er jedenfalls tot.“
Ehe Aurelia den Mund aufmachen konnte, hatte ihr Gesprächspartner aufgelegt.
Das war ja ein Hammer! Familie Malotti war sicherlich sehr begütert, aber so reich, dass man gleich den Firmeninhaber entführte und Lösegeld verlangte? Da gab es in Italien sicherlich bessere Opfer und mehr Geld zu holen.
„Es sind mindestens zwei, er hat von ,wir‘ gesprochen“, stellte Sandro fest.
„Wo soll ich so viel Geld hernehmen? Das noch bis morgen. Ich kriege das von der Bank gar nicht. Sandro, was sollen wir tun?“
Aurelia war offenbar mit den Nerven am Ende. So hatte Karina sie noch gar nie gesehen. „Aber“, schoss es Karina durch den Kopf, „Aurelia wollte schon vor zwanzig Jahren ihren Mann für neue Abenteuer loswerden. Nun braucht sie nur das Lösegeld nicht bezahlen. Sie könnte in Saus und Braus leben – und das noch ohne Artemio.“
Sandro überlegte. Er kannte die Finanzen der Familie im Detail. Vor zwei Jahren hatte sein Vater das Geschäft an Sandro übergeben. Im Zuge der Übergabe hatte er ihn auch über das Familienvermögen eingeweiht. Es wurden die Erbteile, sollte Artemio etwas zustoßen, geregelt. Demnach würde Bella eine nette Ferienvilla am Gardasee erben, Renata die Altbauwohnung in Triest, die sie seit Jahren bewohnte, und Sandro den Familiensitz in Duino. Das gesamte Barvermögen, das teilweise in Aktien angelegt war und sich auf diversen Konten befand, sollte so aufgeteilt werden, dass Bella und Renata je 25 Prozent und Sandro 50 Prozent davon bekamen. Dafür musste Sandro seiner Mutter auf Lebenszeit das Wohnrecht in der Villa in Duino einräumen sowie ihr monatlich einen Betrag von 7.000 Euro wertgesichert überweisen. Dieses Geld konnte sie selbst nach Belieben ausgeben.
Artemio hatte auch Aurelias Verwandtschaft in das Geschäft eingebunden. Auch sie profitierte vom gut gehenden Handel mit Obst und Südfrüchten. Sandro war von dieser Mitarbeit nie wirklich angetan gewesen. Er vermutete, dass seine Cousins sich gerne übervorteilten, und er war sich nicht ganz sicher, ob diese nicht der Cosa Nostra näherstanden, als ihm lieb war. Seinen Eltern zuliebe hatte er dieses Thema bis jetzt unangetastet gelassen, er wusste aber, dass der Tag bald kommen würde, wo er diese Zusammenarbeit zumindest würde reduzieren müssen.
Es wäre für die Familie nicht schwierig gewesen, rasch eine Million in bar aufzutreiben. Sandro hätte nur zwei Wertpapierdepots auflösen und ein Konto leer räumen müssen. Da er allerdings ein sehr korrekter Zeitgenosse war, erschien es ihm nur recht und billig, die Zustimmung seiner beiden Schwestern zu erhalten, schließlich ging es doch um eine Menge Geld. Während er darüber nachdachte, sah er, dass Renata endlich eintraf. Die Geschwister umarmten sich herzlich und Renata nahm auch Karina freundlich in die Arme. Aurelia stürmte laut weinend auf ihre Tochter zu.
„Oh, Dio, so ein schrecklicher Tag. Papa ist entführt worden!“
In hektischen und abgehackten Worten schilderte sie Renata das bisher Vorgefallene.
Renata war wie ihr Bruder eine sehr besonnene und kaum aus der Ruhe zu bringende Person. Sie tätschelte ihrer Mutter die Wange und redete langsam auf sie ein.
„Mama, alles wird gut.“
Und zu Sandro gerichtet:
„Hast du schon überlegt, wie wir vorgehen wollen?“ Sandro legte Renata die finanzielle Situation dar und fragte sie, ob sie damit einverstanden sei, auf einen Teil des ihr zustehenden Barvermögens zu verzichten und damit den Vater auszulösen. Sie willigte, ohne zu zögern, ein.
„Wir müssen unbedingt noch Bella erreichen“, gab sie zu bedenken. „Ich hoffe, sie stimmt auch zu. Sie ist so unberechenbar.“
Sandro versuchte nochmals seine Schwester Bella telefonisch zu erreichen. Sie nahm ihr Handy nicht ab. Karina warf ein, sie sollten es doch beim Schwager versuchen, ansonsten in dessen Unternehmen anrufen, vielleicht wisse seine Assistentin, wo sie sich gerade herumtrieben. Hugo nahm nach dem dritten Läuten ab. Offenbar hatte ihn das Handy aufgeweckt.
„Sandro, was gibt es?“, fragte er eher unhöflich. Karinas Mann erklärte ihm, was passiert sei, und verlangte seine Schwester zu sprechen. Hugo und Bella weilten gerade auf Bali. Das Verhältnis zwischen Bella und Sandro war unterkühlter Natur. Sie war das Gegenteil von ihm und ihrer Zwillingsschwester. Bella war egozentrisch, eingebildet und vergnügungssüchtig. Sie war nach Karinas Meinung eher die Zwillingsschwester der Mutter. Dass Aurelia Bella als ihr Lieblingskind auserkoren hatte, war weiter nicht verwunderlich. Immerhin hatte Bella aus Aurelias Sicht die beste Partie gemacht. Sie hatte nach ihrer Managementausbildung Hugo Sattner geheiratet, den Inhaber eines namhaften Schweizer Pharmaunternehmens. Kennengelernt hatte sie ihn auf einem Ball für Industrielle in Genf. Wie sie zur Eintrittskarte zu diesem Ball gekommen war, blieb Karina ein Rätsel. Hugo war in erster Ehe mit einer Chemikerin verheiratet gewesen, mit der er sein Firmenimperium aufgebaut hatte. Bella hatte sich gekonnt in die Ehe gedrängt. Hugo hatte sich von seiner ersten Frau scheiden lassen – vor allem mit dem Argument, dass sie unfruchtbar sei und er keine Erben mit ihr zeugen könne. Dadurch war das erwartete finanzielle Fiasko für Hugo ausgeblieben. Bella war zum Zeitpunkt der Scheidung bereits schwanger gewesen. Dass Hugo fast dreißig Jahre älter war als sie, war nebensächlich. Die...
Erscheint lt. Verlag | 11.6.2021 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-99129-105-3 / 3991291053 |
ISBN-13 | 978-3-99129-105-3 / 9783991291053 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,9 MB
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich