Das Billardcafé (eBook)
228 Seiten
Hybrid Verlag
978-3-96741-101-0 (ISBN)
Seine Freunde nennen ihn 'Pastore' wegen gelegentlicher Predigten weltlichen Inhalts. Offenbar tut das dem 1960 in Dresden geborenen nicht weh, der Ingenieur wurde, Schauspiel-Amateur und Liebhaber von Sprache und Literatur. In den Anthologien 'grenzenlos' des Deutschen Schriftstellerforums und 'Vollkommenheit' beim Hybrid Verlag erschienen erste Kurzgeschichten. Ebenfalls bei Hybrid veröffentlichte er im September 2019 seinen ersten Roman, 'Planet Centronos'.
Seine Freunde nennen ihn ‚Pastore‘ wegen gelegentlicher Predigten weltlichen Inhalts. Offenbar tut das dem 1960 in Dresden geborenen nicht weh, der Ingenieur wurde, Schauspiel-Amateur und Liebhaber von Sprache und Literatur. In den Anthologien „grenzenlos“ des Deutschen Schriftstellerforums und „Vollkommenheit“ beim Hybrid Verlag erschienen erste Kurzgeschichten. Ebenfalls bei Hybrid veröffentlichte er im September 2019 seinen ersten Roman, „Planet Centronos“.
2. Der Tresor
Der unauffällige Mann, nennen wir ihn Fred Lichtenberger, denn er ist zur Hauptperson unserer Geschichte geworden und muss deshalb einen Namen tragen, Fred also, inzwischen in der völlig überfüllten Feierabend-Straßenbahn, tastete verstohlen nach der Innentasche seiner Jacke. Was hatte ihm der inzwischen wohl tote Rocker da in das Sakko befördert, ehe er ihn in die Toilette verfrachtete? Es fühlte sich an wie ein kleines Lederetui, eine Brieftasche vielleicht. Was mochte es verbergen? Was besaß solche Wichtigkeit, dass er es lieber einem Wildfremden anvertraute, statt es bei sich zu behalten? Fred verspürte keinerlei Interesse, weder an dem Rocker noch an dessen Etui. Er wollte es auf dem Polizeirevier abgeben, doch vorher gedachte er, daheim den Inhalt zu inspizieren. Die Öffentlichkeit schien ihm dazu nicht der geeignete Ort.
Im Umgang mit Boten verfielen die Sicherheitskräfte mitunter in altrömische Traditionen, deshalb sollte man besser wissen, was man da hinbrachte.
Fred Lichtenberger wohnte, wie die meisten Umsiedler aus den Dörfern, in einem der Neubau-Stadtteile. Viel Beton, viel Asphalt, etwas Sand. Bäume und Sträucher vergaß man, wie auch Grünanlagen. Als diese Satellitenstädte entstanden waren, galt Grün als potenziell gefährlich. Das relativierte sich zwar, aber eventuell mögliche Pflanzungen blieben auch weiterhin aus. Den Platz zwischen den Betonbauten füllten Straßen, gerade so in die Schluchten eingepasst und an die dicht gedrängt aufgereihten Betonklötze grenzend. Das jeden Technokraten mit Euphorie erfüllende Stadtbild: Quadratisch, praktisch und schlecht. Die Phalanx der Schnarch-Silos wurde nur unterbrochen von vereinzelten Supermärkten oder Tankstellen, ansonsten herrschte Einheitsgrau. Verständlicherweise zeigten sich speziell die Dorfleute mit dieser Situation unzufrieden, doch kaum einer konnte oder wollte in einen weniger betonierten Stadtteil umsiedeln. Dort wurden die Wohnungen entweder nicht frei vergeben oder die Gegenden galten einfach als zu gefährlich. Die grauen Satellitenstädte jedoch mieden die andernorts Terror verbreitenden Gangs, zwischen dem Beton war nichts zu holen, lauter alte Leute …
Die Stadt hatte ihr Gesicht verändert. Im Zentrum die barocke Pracht vergangener Jahrhunderte, von Touristen überschwemmt, die in Massen an den Schokoladenseiten entlang gekarrt wurden und um keinen Preis ihren Weg verlassen durften. Die Innenstadt, zum Museum vergangenen Prunks verkommen, wirkte schön, aber unberührbar und tot. Die aus späteren Stilepochen stammenden Bauten des Stadtzentrums beherbergten die Provinzfürsten mit ihren Ministerien und Ämtern und Verwaltungen, für Besucher tabu, solange sie kein Anliegen nachweisen konnten. Behördengänge arteten so zu einer recht aufreibenden Beschäftigung aus.
Rings um Barockausstellung und verbotene Stadt breiteten sich die sogenannten sicheren Viertel aus mit ihren Villen, Einkaufstempeln, prachtvollen Mietshäusern, den bunten Lichtern und schreiender Reklame. Den Raum zwischen den trostlosen Satellitenstädten an der Stadtgrenze und den Vierteln der oberen Zehntausend füllten die heruntergekommenen Jugendstilbauten früherer Vorstädte. Dort kamen jene unter, deren Barschaft sich nicht in Millionen und nicht in Tausenden maß, meist, wenn das Monatsende nahte, nicht einmal in Hunderten. Hier litten jene, die den Reichtum der Stadt mit ihren Händen erarbeiteten, unter den Banden, die die Vorstädte beherrschten und für dubiose Geschäfte nutzten. Diese Viertel betretend, begab der Besucher sich in Gefahr für Leib und Leben. Zwischen Gründerzeit und Jugendstil trugen verfeindete Gangs am helllichten Tag ihre Fehden aus.
Freds Wohnsilo gehörte zu den ganz entlegenen. Seine Straßenbahnhaltestelle nannten jene, die sie benutzten, Endstation Sehnsucht, ohne je mit Tennessee Williams in Kontakt getreten zu sein. Die Endstation begründete ganz sachlich die Gleisschleife, die jede Bahn unausweichlich von hier zurück ins Stadtzentrum führte. Die Sehnsucht beschrieb das Gefühl der Menschen, die diese Station benutzten, im Angesicht des Grau ringsum und ihrer Erinnerung an den eigenen Hof, das Kleinvieh, den Garten … Die Lautsprecherstimme in der Elektrischen aber tönte: »Siedlung Südost«, wenn die Gleisschleife in Sicht kam.
Fred verspürte bei dieser Durchsage noch immer keine Lust, als Model über die Monitore der Behörden zu laufen. Er kannte das Überwachungssystem, für die Straßenbahn hatte er es selbst entworfen. Offenbar recht zukunftssicher, denn dieses System versah noch immer unverändert in den Verkehrsmitteln seinen Dienst. Fred kannte die Schwachstellen und Tot-Zonen, in denen man sich unbeobachtet bewegen konnte. Als er jetzt gemeinsam mit den vier letzten Passagieren den Wagen verließ, verbarg er sich hinter einem groß gewachsenen und zudem recht voluminösen älteren Herrn vor den neugierigen Kameraaugen, die sich, recht lieblos in die Betonwüste gepappt, leicht umgehen ließen. Obwohl das System hier draußen weit nach seiner Zeit entstand, stellte es keine Ansprüche und ließ sich leicht austricksen. Zumindest für Fred, der unbeobachtet über die menschenleeren Wege zu seiner Wohnung fand.
So saß er bald an seinem Schreibtisch und legte das lederne Etwas vor sich auf die Tischplatte, zelebrierte das Öffnen wie eine magische Handlung und fiel in maßloses Erstaunen. Vor ihm lag eine Brieftasche und diese enthielt einige –zig Tausend in bar. Dann fiel noch etwas Kleines, Unscheinbares aus dem Behältnis, sonst war nichts darin. Das Kleine erwies sich als eine Art Futteral aus Metall. Freds Neugier weckte die Feststellung, dass er es nicht so einfach öffnen konnte. Ein Mechanismus ähnlich einem Zahlenschloss sicherte den Inhalt der Blechdose. Fred holte sich eine Lupe und untersuchte das Objekt. Die Symbole, die man durch das Verdrehen winziger Rädchen in drei Fenstern sichtbar machen konnte, präsentierten sich unterschiedlich verschmutzt. Er zählte fünfzehn verschiedene Zeichen in jedem Fenster, und in den ersten beiden Öffnungen fand er jeweils ein derart verdrecktes Bild, dass es gewiss sehr lange offen gelegen hatte. Im dritten Fenster entdeckte er zwei. Nun gut, sagte er sich, dann eben zwei Möglichkeiten, besser als 3375 Varianten. Fred wollte die Lupe gerade weglegen, als ihm noch etwas ins Auge fiel. Ein dünnes, ohne Vergrößerungsglas nicht erkennbares Fädchen, haarfein, schlang sich um die Schachtel. Der Inhalt der Dose schien wertvoll zu sein, sonst hätte man sich nicht solche Mühe gegeben, ein derartiges Siegel anzubringen. Vorsichtig löste er das Fädchen, machte sich eine Skizze, um das Siegel auch richtig wieder anbringen zu können, ehe er es entfernte. Problemlos fand er die richtige Stellung des dritten Rädchens und öffnete den kleinen Safe.
Ihm fiel eine Speicherkarte in die Hände, in feines Papier eingepackt. Fred konnte der Versuchung nicht widerstehen, fuhr seinen Rechner hoch (na typisch, WLAN funktioniert mal wieder nicht!), und — zögerte. Was immer er auf der Karte fände, es war nicht für ihn bestimmt. Seine Funktion beschränkte sich auf den Transport. Doch den Drogenkurier erwartet die gleiche Strafe wie den Dealer, und wenn das hier brisantes Material enthält, dann steht der Überbringer genauso an der Wand wie der Adressat. Inzwischen herrschten raue Sitten. Im entvölkerten Land außerhalb der Städte geschahen Dinge, von denen keiner erfuhr, unentdeckt bis zum jüngsten Tag. Besser, man weiß, worauf man sich einlässt. Die andere Gang hatte etwas gesucht, und dabei handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um diesen Chip, den ihm das bärtige Elektronikgenie schon auf dem Weg zur Toilette untergejubelt hatte. Das kleine Ding barg demnach wertvolle Informationen, die er sichern sollte, damit sie nicht in den Mühlen der Administration verschwänden oder dem Ge-, besser Missbrauch zum Nachteil der einfachen Leute anheimfielen. Andererseits: Der Lauscher an der Wand … Und diese bittere Erfahrung hatte er machen müssen, als ein paar fehlgeleitete Mails bei ihm landeten, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte. Lump und Mistkerl gehörten noch zu den schwächeren Bezeichnungen, mit denen man ihn dort bedachte, ohne ihn zu kennen.
Ganz oder gar nicht, sagte sich Fred nach langem Überlegen. Das Problem des geöffneten Safes ist viel größer als jenes des Lesens der Daten und er steckte den Chip in den Kartenleser. Jede Menge Textdateien mit Kreditkartenabrechnungen, Gästelisten von irgendwelchen Hotels und ähnlicher Pfeffer. Man musste schon zum schwer eingeweihten Personenkreis gehören, um damit etwas anfangen zu können. Mehr zeigte sein Discoverer nicht an. Immerhin offenbarte er 125 Gigabyte beschriebenen Speicherplatz, der Pfeffer nahm jedoch höchstens eines ein, wenn überhaupt. Hier sollte man noch etwas Verborgenes und zudem sehr Großes finden können, sagte sich Fred. Der Jagdinstinkt des Ingenieurs erwachte. Er konnte zwar nie von sich behaupten, über Spezialkenntnisse auf diesem Gebiet zu verfügen, doch Datenmanagement berührte sein Fach etwas intensiver als nur peripher. Gut, zu seiner Arbeit, solange er sie noch verrichten durfte, gehörte nun einmal das Programmieren von Sicherheitseinrichtungen, Schließanlagen, Videoüberwachungen und was dergleichen mehr seine Firma fabrizierte. Und ja, es gab eine Zeit, da hackte er sich in verschiedene...
Erscheint lt. Verlag | 22.6.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Billardcafé • Deutschland • Ermittler • Ganove • Geheimnis • Jagd • Krimi • Paket • Polizei • Spion • Unterwelt • Urban |
ISBN-10 | 3-96741-101-X / 396741101X |
ISBN-13 | 978-3-96741-101-0 / 9783967411010 |
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