Unser tägliches Brot -  Thomas von Waschberg

Unser tägliches Brot (eBook)

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2021 | 1. Auflage
myMorawa von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99125-847-6 (ISBN)
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Handelt es sich bei der männlichen Leiche, die unter einer Brücke in der Stadt San Ippolito gefunden wurde, um einen Unfall oder doch um den ersten Mordfall seiner Karriere? Diese Frage beschäftigt Commissario Rocco Francesco Capra und führt ihn und seine unerwartete Verstärkung in die Welt der Korruption. 'Unser tägliches Brot' ist ein Krimi mit Spuren von Satire und einer Anlehnung an die aktuellen Ereignisse in der Donau-Alpen-Republik. Der Roman beschreibt auf etwas andere Weise ein heutzutage typisches Korruptionsszenario.

Thomas von Waschberg wurde in Kroatien geboren und ist nach seinem Studium der Elektrotechnik nach Österreich ausgewandert. Dass er sein Leben lang einen technischen Beruf ausgeübt hat, hat ihn nicht daran gehindert, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. Sein erster Roman 'Unser tägliches Brot' entstand als Ergebnis langer Überlegungen und als Ausflug in die Welt der Literatur. Thomas von Waschberg schreibt unter Pseudonym.

II


„Rocco! Wach auf. Es ist halb neun. Du bist schon wieder spät dran.“

Rocco versuchte die Augen zu öffnen, aber die angenehme Dunkelheit unter seinem Kopfkissen machte ihm ein unwiderstehliches Angebot, weiterzuschlafen. Er lag wie immer auf seinem runden Bauch mit dem Kopf unter dem Polster. Im Zimmer war es ziemlich hell, da die Jalousien mit der Zeit an Dichte verloren hatten. Es war ein Haus aus den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts, das ziemlich heruntergekommen wirkte. Für notwendige Reparaturen gab es nie genug Geld. Oder besser gesagt, es gab keine Einigkeit der Hausbewohner, gemeinsam in die Reparatur und Wartung zu investieren. Die goldenen Zeiten der Industrialisierung, als die Stadt San Ippolito ihren Höhenpunkt der architektonischen Entwicklung erlebt hatte, waren längst vorbei. Die Hauptstadt der Reggio Basso war eine geteilte Stadt, sowohl physisch, durch den Fluss, als auch durch ihre Bewohner und ihre unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Der Osten der Stadt war industriell geprägt, mit halbleeren oder verwahrlosten Fabrikgeländen und -gebäuden, die der weltweiten Globalisierung zum Opfer gefallen waren, und der Westen war der bürgerliche Teil mit dem alten, historischen Kern. Aber nicht nur auf diese Weise wurde San Ippolito geteilt. Der politische Graben war noch tiefer und breiter als der Fluss. Emanuele Rizzo, der Bürgermeister, stammte nicht aus San Ippolito, sondern aus einer der am wenigsten entwickelten Regionen des Landes. Er war ein professioneller Politiker. Sein politischer Weg, voll Höhen und Tiefen, hatte ihm letztendlich den Posten des Bürgermeisters eingebracht. Die Alteingesessenen behaupteten, dass er seine Wählerschaft in all diesen Jahren gezielt und geplant erweitert hatte, indem er massenhaft Arbeitskräfte aus seiner Heimatgegend nach San Ippolito brachte. Sie arbeiteten in den Überresten der Fabriken, aber auch in der Stadtverwaltung. Rizzo hatte überall seine Leute positioniert. Die alten Beziehungen spielten dabei eine große Rolle und er hatte dadurch ein starkes und stabiles Wählerfundament aufgebaut. Der Bürgermeister wurde direkt gewählt und die Opposition war schon seit Jahren nicht im Stande gewesen, einen gemeinsamen Kandidaten zu bestimmen, der sich gegen Rizzo hätte durchsetzen können. Die Stadt und ihre Bewohner befanden sich zwischen diesen zwei Fronten und litten darunter. Man konnte nicht einmal sagen, dass es an Geld mangelte und deswegen alle größeren Kapital- oder Investitionsprojekte noch vor ihrem Beginn zum Scheitern verurteilt waren. Das Geld wurde schlicht und einfach in vollkommen falsche Projekte investiert, behaupteten die Kritiker des Bürgermeisters. Es war ein ständiger Kampf zwischen dem Bürgermeister auf der einen und der Opposition im Stadtrat auf der anderen Seite. Trotz alledem gelang es dem Bürgermeister immer wieder, Projekte zu realisieren, die eigentlich nur der politischen Werbung dienten. Böse Zungen behaupteten sogar, dass sie lediglich dazu da waren, das Stadtgeld abzuzweigen und zu entwenden. Der Bürgermeister war bekannt für seine populistischen und pompösen Auftritte in allen möglichen Medien und bei allen möglichen Veranstaltungen. Gut informierten Quellen zufolge hatte er ein breit ausgebautes Netz aus Privatfirmen, die nach dem Geschmack eines Normalsterblichen bzw. frei denkenden Bürgers viel zu oft mit verschiedenen öffentlich finanzierten Projekten beauftragt wurden. Es hatte aber nie Beweise für irgendwelche dunklen und illegalen Machenschaften gegeben. Eines der großangelegten Projekte war die Renovierung des Rathauses gewesen, eines mittelalterlichen Palastes im Zentrum der Stadt.

Das Gebäude, in dem der Commissario Rocco Francesco Capra lebte, war eines der vielen Opfer der Zeit und des politischen Klimas der Stadt: zweistöckig, mit einer desolaten Fassade, undichten Fenstern und Jalousien, die tagsüber verräterisch viel Licht ins Innere der kleinen Wohnung im obersten Stock durchließen. Es war eine Wohnung mit einem Wohnschlafzimmer, einer winzigen Küche und einem Bad, klein, aber für einen alleinlebenden Mann im besten Alter groß genug. Das Zimmer war einfach möbliert und zweckmäßig in zwei Einheiten getrennt. Im vorderen Teil, neben der Tür zum kleinen Vorzimmer, befand sich ein kleiner Esstisch mit zwei Stühlen. Es waren nur zwei, weil es keinen Platz für einen dritten gab. Im hinteren Teil, rechts vom Fenster zur Straße, stand eine niedrige Kommode, mit einer doppelten Tür unten und zwei breiten Schubladen nebeneinander im oberen Teil. Auf der Kommode befanden sich ein altmodischer Fernseher mit einer improvisierten Antenne aus Draht und ein Plattenspieler. Neben der Kommode, an sie direkt angelehnt, stand ein alter, massiver Schrank mit einer glänzenden Oberfläche aus lackiertem Holz. In der Ecke links vom Fenster fand eine ausziehbare Couch ihren Platz. Sie war weder ein ästhetisches Meisterstück noch ein praktisch zu handhabendes Produkt, wie es aktuell bei einem berühmten Möbelproduzenten des fernen europäischen Nordens zu finden wäre, aber sie leistete ihre Dienste Tag und Nacht, sowohl als Schlafplatz als auch als Sitzmöglichkeit. Zwischen der Couch und der Kommode stand ein leerer Couchtisch.

„Rocco! Wach endlich auf!“, drängte die ihm bekannte Stimme weiter und eine Hand zog ihm energisch das Kissen vom Kopf. Ein Lichtstrahl von der Stärke einer kleineren Atombombe traf ihn in die plötzlich ungeschützt gewordenen Augen und er zog automatisch die Decke über sein Gesicht.

„Rocco, Signor Monti hat angerufen. Du kommst wieder zu spät ins Büro. Er hat versucht, dich am Handy zu erreichen, aber du hast nicht geantwortet.“

„Ja, Mama“, sagte er nur und drehte sich zur Wand.

„Es ist dringend, hat er gesagt. Er hat dich nicht erreicht, daher hat er bei mir angerufen. Du musst sofort in die Questura.“

Rocco zog langsam die Decke von seinem Gesicht und versuchte die Augen zu öffnen. Das Erste, was er sah, war das vertraute Antlitz seiner Mutter. Es musste also wirklich schon halb neun sein, da sie jeden Tag um diese Zeit in seine kleine Wohnung kam. Das war ein Kompromiss zwischen den beiden. Sie brachte ihm etwas zum Essen und ein frisch gebügeltes Hemd für den nächsten Tag. Er wollte aber in der Früh seine Ruhe haben, die er in Anwesenheit seiner Mutter in dieser kleinen Wohnung sicher nicht hätte. Der Kompromiss war also, dass sie erst erschien, nachdem er schon gegangen war. Diese Abmachung klappte wunderbar, bis auf die Tage, an denen Rocco einfach seinen Wecker überhörte oder dieser gar nicht klingelte. Es war nämlich ein altmodischer Wecker zum Aufziehen, der eine gewisse Disziplin seines Besitzers verlangte. Und genau diese Disziplin war eine von Roccos Schwächen.

„Was wollte der Chef denn?“, fragte Rocco, noch immer gegen die Lichtstrahlen kämpfend.

„Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist irgendwo ein Mord passiert.“

„Mama, bitte. Seitdem ich bei der Polizei bin, gab es keinen einzigen Mord in San Ippolito“, gab er fast enttäuscht zurück. Rocco, offizieller Leiter der Mordkommission, die übrigens nur einen einzigen Mitarbeiter hatte, nämlich ihn selbst, kannte Morde nur aus theoretischen Vorträgen und den Medien. Er wusste nicht, ob das für ihn gut war oder nicht, aber er erwischte sich ab und zu bei dem Gedanken, sich einen guten und brutalen Mord zu wünschen. „Es muss also wie immer entweder eine dieser Wandschmierereien oder ein Einbruch irgendwo auf der anderen Seite gewesen sein.“ „Andere Seite“ war ein geläufiger Begriff für den Stadtteil jenseits des Flusses.

„Steh auf, geh duschen und frühstücke dann. Ich mache dir in der Zwischenzeit einen Kaffee.“

„Mama, du weißt, dass ich nie zu Hause frühstücke“, sagte Rocco, stand langsam auf und ging ins Bad.

Dieser Raum war eine minimalistische Perfektion. Alles was man in einem Bad brauchte, war da: eine verglaste Duschkabine in einer Ecke und ein Waschbecken in der Mitte, unter dem sich ein kleines Kästchen versteckte. Über dem Waschbecken hing ein kleiner Spiegel. Gleich neben dem Waschbecken stand eine Klomuschel. An die innere Seite der Tür war ein großer Spiegel befestigt. Obwohl das Bad klein war, hatte Rocco mit seinem für einen Mann relativ kleinen, aber breiten und runden Körper genug Platz für alles.

Das morgige Ritual begann selbstverständlich immer mit der Toilette. Während er sich die Zähne putzte, prüfte er kritisch mit seinen dunklen, großen Augen das runde Gesicht und den schmalen Schnurrbart unter der Nase, im Stil der HollywoodStars der Vorkriegszeit. Rocco war weder Clark Gable noch Errol Flynn, aber sein Schnurrbart war genauso perfekt zurückgestutzt wie bei diesen Film-Lovers aus den alten Zeiten. Seine 169 Zentimeter reichten noch immer, um sich im Spiegel problemlos sehen zu können. Nach dem Zähneputzen war die Rasur dran. Rocco rasierte sich immer nass mit Rasierschaum und -klinge. Der schwierigste und kritischste Teil der täglichen Rasur war naturgemäß der Bereich um den Schnurrbart. Ein falscher Schritt und Schnitt würden die Vernichtung monatelanger Arbeit bedeuten. Deswegen ging die Rasur nur sehr langsam voran.

Der nächste Schritt war genauso heikel wie das Rasieren. Der Grund dafür war, dass die Tür der Duschkabine immer enger für Roccos immer breiter werdenden Körper wurde. „Ich muss demnächst etwas mit dieser Tür machen“, dachte er jedes Mal beim Ein- und Aussteigen.

Die abschließende Sichtkontrolle passierte dann nach dem Duschen vor dem großen Spiegel. Rocco hatte keine Waage im Haus, so dass dieser Spiegel seine einzige Gewichtskontrolle darstellte. „Es muss an diesem verbogenen Spiegel liegen“, redete er sich immer wieder ein, wenn das Bild seines Körpers eine immer...

Erscheint lt. Verlag 23.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-99125-847-1 / 3991258471
ISBN-13 978-3-99125-847-6 / 9783991258476
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