Die Hafenschwester (3) (eBook)

Als wir an die Zukunft glaubten - Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
704 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-26623-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Hafenschwester (3) -  Melanie Metzenthin
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Der Erste Weltkrieg ist zu Ende. Martha und Paul haben während der Infl ation 1923 alle Ersparnisse verloren und die finanzielle Lage ist prekär. Ihre Tochter Ella will unbedingt Ärztin werden, muss ihren Traum jedoch zunächst auf Eis legen und die Familie unterstützen. Sie tritt in die Fußstapfen ihrer Mutter und beginnt eine Schwesternausbildung. Dann kommen die Nazis an die Macht. Ella fiebert dem Studium entgegen, doch die Einschreibung an der Universität wird ihr untersagt. Als die Familie in eine schreckliche Lage gerät, ruhen alle Hoffnungen auf dem jüngsten Sohn Fredi. Er macht bei der Mordkommission Hamburg Karriere. Und lässt sich auf einen gefährlichen Pakt mit der Gestapo ein ...

Melanie Metzenthin wurde 1969 in Hamburg geboren, wo sie auch heute noch lebt und als Fachärztin für Psychiatrie arbeitet. Mit der Vergangenheit ihrer Heimatstadt fühlt sie sich ebenso verbunden wie mit der Geschichte der Medizin, was in vielen ihrer Romane zum Ausdruck kommt. »Die Hafenschwester. Als wir zu träumen wagten« ist ihr erster Roman im Diana Verlag und der Auftakt zu einer Serie.

1

Hamburg, November 1923

Martha machte gern Hausbesuche, auch wenn es oft anstrengend war, nach ihrer regulären Schicht im Krankenhaus noch all die Patienten aufzusuchen, die ihr am Herzen lagen. Vor allem an verregneten Novembertagen. Sie schüttelte kurz ihren Regenschirm im engen Treppenhaus ab, bevor sie an der Tür von Familie Hansen klingelte.

Es dauerte eine Weile, bis ihr geöffnet wurde.

»Guten Abend, Schwester Martha! Wie schön, dass Sie es einrichten konnten.« Frau Hansen streckte den Arm aus, um ihr die Hand zu reichen, als sie bemerkte, dass sie noch das Bügeleisen in der Rechten hielt.

»Störe ich Sie gerade beim Hemdenbügeln?«, fragte Martha.

»Nein.« Frau Hansen lächelte leicht verschämt. »Kommen Sie doch rein.«

Sie führte Martha in die Küche, wo das Bügelbrett stand.

»Wär’n das alles Hemden, wär ich ’ne reiche Frau. Aber so …«

Martha sah fasziniert zu, wie Frau Hansen mit dem Bügeleisen über einen Zehntausendmarkschein fuhr, der auf dem Plättbrett lag.

»Das war der letzte für heute«, sagte sie dann und legte ihn in die volle Kiste zu den übrigen Scheinen.

»Warum bügeln Sie denn Ihr Geld?«, fragte Martha. Sie selbst wäre nie auf diese Idee gekommen.

»Na, damit die Scheine nicht so zusammenkleben, wenn ich das Bündel beim Krämer raushole. Dieser ganze Klumpatsch in der Tasche …« Frau Hansen schniefte. »Mein Herbert lässt sich ja immer noch die Zehntausender andrehen. Der kriegt den Mund ja nicht auf, wenn der Chef ihm den Lohn auszahlt. Dabei hab ich ihm schon so oft gesagt, jetzt gibt’s Scheine mit Millionen und sogar Milliarden drauf.«

Martha nickte, das waren die, die Paul in seiner Lohntüte mitbrachte. Früher hatte er den größten Teil des Verdienstes umgehend zur Sparkasse gebracht, aber inzwischen war es besser, das Geld so schnell wie möglich auszugeben, ehe es weiter an Wert verlor. So wie der Rest ihrer Ersparnisse.

Martha atmete tief durch und schüttelte die unangenehmen Erinnerungen ab. Wenigstens waren sie gesund und hatten immer noch ihre Arbeit.

»Wie geht es denn der kleinen Rosie?«, fragte sie, um auf den eigentlichen Grund ihres Besuches zurückzukommen.

»Schon viel besser, aber ich fürchte, einen Mann wird sie so nicht mehr finden.«

Martha zog die Brauen hoch. »Sie ist doch erst vier, ist es da nicht ein bisschen zu früh, daran zu denken?«

Frau Hansen seufzte erneut. »Na, das Bein wird doch nicht wieder gut, oder? Und wer will schon so ein Hinkebein, das weder tanzen noch sonst etwas leisten kann?«

»Warten wir erst mal ab«, erwiderte Martha. »Wir können dankbar sein, dass die Kleine die Kinderlähmung überhaupt so gut überstanden hat. Denken Sie nur daran, was dem Jungen der Furtwänglers passiert ist.«

Frau Hansen wurde blass, schluckte, dann nickte sie. Der Sechsjährige war im Eppendorfer Krankenhaus qualvoll erstickt, weil die Lähmung auch auf das Zwerchfell übergegriffen hatte. Eine seltene Komplikation, aber schwer gefürchtet. Was war dagegen schon ein lahmes Bein?

Die kleine Rosie war in der vergangenen Woche in stabilem Zustand entlassen worden, auch wenn sie ihr rechtes Bein kaum bewegen konnte und die Muskulatur erkennbar verkümmert war.

Frau Hansen stellte das Bügeleisen ab und brachte Martha in das Kinderzimmer, wo außer Rosie auch noch Baby Walter schlief. Um den Kleinen hatte Martha sich anfangs große Sorgen gemacht, denn die Kinderlähmung war sehr ansteckend, aber zum Glück war sonst niemand in der Familie erkrankt.

Rosie saß auf dem abgetretenen Teppich vor dem Bett und spielte mit ihren Puppen. Man sah auf den ersten Blick, welches der beiden nackten Beine, die unter ihrem Rock hervorlugten, das kranke war. Es war nicht nur deutlich dünner, sondern der Fuß war auch nach innen verdreht.

Martha ging vor Rosie in die Hocke.

»Guten Tag, Rosie.«

»Guten Tag, Schwester Martha«, antwortete das Mädchen artig und legte die Puppe beiseite.

»Darf ich mir dein Bein ansehen?«

Rosie nickte. Martha versuchte, den Fuß in eine normale Stellung zu bringen, doch die Muskulatur war bereits zu sehr verkürzt.

»Kannst du mit dem Fuß überhaupt noch auftreten?«, fragte sie das Mädchen.

»Ja«, sagte Rosie.

»Dann zeig mir das mal.« Sie reichte Rosie die Hand, damit die sich mit ihrer Hilfe aufrichten konnte.

»Das nennst du Stehen?«, sagte Martha. »Du musst versuchen, den Fuß auf die Sohle zu stellen, nicht so auf die Kante.«

»Aber dann tut’s weh.«

»Du brauchst eine Schiene, weißt du. Eine, die dein Bein gerade zieht.«

»Aber das tut weh. Das will ich nicht.«

»Das ist nur am Anfang unangenehm, Rosie. Später wirst du froh sein, wenn du wieder normal gehen kannst. Oder willst du dein Leben lang so schlecht stehen können?«

Rosie sagte nichts.

»Können wir uns das denn leisten?«, fragte Frau Hansen. »Solche Schienen sind doch teuer, und Sie sehen ja selbst, wie uns das Geld durch die Finger fließt.«

»Es gibt für verkrüppelte Kinder Unterstützung von der Fürsorge«, sagte Martha. »Ich werde mich darum kümmern, dass Sie eine Bescheinigung erhalten und nur eine geringe Summe zuzahlen müssen. Aber es ist wichtig, dass Rosies Bein so bald wie möglich mit einer Schiene versorgt wird. Vielleicht kann man durch die gleichmäßige Belastung verhindern, dass es bereits jetzt das Wachstum einstellt, und wenn wir großes Glück haben, wird sie später vielleicht ohne Krücken laufen können.«

»Glauben Sie wirklich?«

»Sie ist noch sehr jung, der kindliche Körper kann sich an vieles anpassen.«

Martha wollte sich gerade verabschieden, als jemand Sturm an Frau Hansens Tür klingelte.

»Herrschaftszeiten, was ist denn heute bloß los?«, rief Frau Hansen und riss die Tür auf.

Ein vielleicht zwölfjähriges blondes Mädchen in einem verblichenen und vielfach geflickten blauen Kleid stand unruhig trippelnd vor der Tür.

»Jutta, was um Himmels willen ist denn passiert?«

»Ist Schwester Martha noch bei Ihnen?«, rief sie aufgeregt. »Die muss schnell kommen, der olle Menck hat sich auf’m Trockenboden aufgehängt!«

»O mein Gott!«, rief Frau Hansen. »Uns bleibt auch nix erspart!«

Martha zuckte zusammen. »Rufen Sie sofort einen Unfallwagen«, wies sie Frau Hansen an. »Vielleicht ist ja noch was zu retten.« Dann folgte sie Jutta, während Frau Hansen losrannte, um in der Eckkneipe zu telefonieren.

»Wann hast du ihn denn gefunden?«, fragte Martha, während sie gemeinsam die Stiegen nach oben liefen.

»Na gerade eben, als ich die Wäsche abnehmen wollte.« Das Mädchen wirkte trotz der schrecklichen Entdeckung seltsam abgeklärt, aber Martha ahnte bereits, dass der Schock erst noch kommen würde. So war es immer, wenn etwas Schlimmes passierte. Meist funktionierten die Menschen in den ersten Minuten wie Automaten, bevor die Erkenntnis, was wirklich geschehen war, Einlass in ihre Seele fand.

»Hast du ihn angefasst?« Insgeheim hoffte Martha, dass sie ihn vielleicht abgehängt hatte, dass noch ein Hauch von Leben in ihm war, obwohl sie wusste, dass beides höchst unwahrscheinlich war.

»Nee, der sah so gruselig aus!« Jutta schüttelte sich. »Wie konnte der das bloß machen?«

Martha sagte nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass es in letzter Zeit häufiger vorkam? Dass der alte Menck nicht der Erste war, der sich aufgehängt hatte? Und auch nicht der erste Erhängte, den sie in ihrem Leben zu Gesicht bekam? All das würde Jutta nicht trösten, ganz im Gegenteil.

Der alte Menck bot tatsächlich einen grausigen Anblick, mit seinem aufgequollenen, blauen Gesicht und offenem Mund, aus dem die Zunge ein Stück herausragte.

Martha sah den umgefallenen Schemel, auf den er gestiegen war, um das Seil am Dachbalken zu befestigen. Sie atmete zweimal tief durch, dann überwand sie ihre Abscheu und berührte den Erhängten – seine Hände waren bereits ganz kalt, da war kein Puls mehr zu fühlen. Für medizinische Hilfe war es längst zu spät.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Jutta mit zitternder Stimme. »Ist er tot?«

»Ja«, sagte Martha leise. »Kanntest du ihn gut?«

Jutta schluckte. »Nee, der wohnte ganz allein im Erdgeschoss und hat nie viel geredet. Der hat uns Kindern immer hinterhergebrüllt, wir sollen nicht so’n Lärm machen, sonst würde uns der Teufel holen. Und jetzt hat er ihn selbst geholt.«

Noch bevor Martha antworten konnte, hörten sie Schritte auf der Treppe zum Dachboden. Doch es war nicht die Besatzung des Unfallwagens, sondern...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2021
Reihe/Serie Die Hafenschwester-Serie
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Ärztin • DELIA-Literaturpreis-Trägerin • eBooks • Elbe • Große Gefühle • Hafen • Hamburg • Historische Romane • Krankenhaus • Krankenschwester • Liebe • Mehr als die Erinnerung • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-26623-8 / 3641266238
ISBN-13 978-3-641-26623-3 / 9783641266233
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