Der Toten Bett -  Alexander M. Schwan

Der Toten Bett (eBook)

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2021 | 1. Auflage
myMorawa von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99125-625-0 (ISBN)
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Dieser Band unterhält mit prosaischen Erzählungen über Krieg, Terror, Propaganda und Macht. Verschollene irren umher. Genarrte jagen Monster, die sie selber sind. Überflüssige fluten an Grenzen, wo sie ihrer Aufnahme harren, doch droht ihnen der Verwaltungsmassenmord auf Zeit stattdessen. Nur die Wahrheit lässt sich nicht blicken.

Alexander Michael Schwan, geboren 1985 in Klagenfurt am Wörthersee, lebt seit 2004 in Graz, wo er Chemie studiert hat und nun als Forscher tätig ist. Dem Schreiben widmet er sich seit dem Studium.

Armer Heinz


Mann, Mann, Mann, wozu das gut, Mann, Mann, Mann, komm ja kaum nach, armer Heinz, im Rücken zwickt's, die Knie brennen beim Beugen, und das in der ärgsten Hitze! Ich beschwer mich noch, wirklich, das lass ich nicht mit mir machen. Nicht mehr lange jedenfalls, bis zum Monatsende noch, aber dann ist Schluss! Und der Kredit fürs Haus? Und die Schulsachen vom Franz? Dann kann ich mir was anhören von der Alten. Vielleicht sollte ich abhauen, einfach so abhauen, ohne Reue und Rücksicht, es schert sich eh keiner um mich. Armer Heinz.

»Heb an, Kleiner, du packst da zu, ich dort, gemeinsam auf drei, einszweidrei. Uff!« Für den ist das ein Kinderspiel, der Bursche hat noch keinen Hitzschlag erlebt, Erschöpfung kennt er nur vom Hörensagen, ich meine die ehrliche, einem den Mageninhalt aus dem Leib bombende Erschöpfung. Die gehen heute ja alle in Fitnessstudios, wo sie in stupider Repetition zur Musik pumpen. Dann wird geduscht, dann nebeln sie sich mit ihren Duftwässerchen ein und schmieren sich Wichse in die Haare, bis sie glänzen wie verchromt.

»Gut gemacht.«

»Danke.« Schlag dein Rad, du Pfau, aber halt's Maul!

Ich hoffe, der Franz wird anders. Ich hoffe es für ihn, ich weiß nicht, ob ich mich da beherrschen könnte, wenn er mir so herausgeputzt widerspräche, ob ich in einer Angelegenheit nun irrte oder nicht. Bis jetzt gab's ja noch keinen Anlass, er ist ja lieb, der kleine Franz, will Arzt werden und den Menschen helfen. Das wäre doch praktisch, dann könnte er meinen Rücken einrenken, mein Knie schienen und mich zur Not aus meiner Not erlösen. Ich habe keine Angst vorm Tod, der Tod ist nur ein grinsendes Klappergestell. Aber vorm Sterben darf man sich fürchten. Wenn man sieht, wie die Leute heutzutage buchstäblich krepieren! Ich behaupte nicht, dass es früher besser war, aber ich will auch nichts schönreden. Schlimme Zeiten sind das, da kann man froh sein, wenn man einen halbwegs sicheren Job hat, und ein paar Beine, die einen tragen, auch wenn sie krumm sind und bei jeder Bewegung knacken.

»Einszweidrei, nein, drei, sag ich!« Was will er denn? Jetzt hätte er sie beinahe fallen gelassen. »Immer auf drei, hab ich gesagt, sollen wir mal die Seite wechseln? Wenn du brechen musst, bitte in die andre Richtung!«

»Ich mach ja, aber es is' so heiß.«

»Ausgeruht wird erst am Ende des Feldes. Ich will die Reihe durch haben, bevor die Schakale kommen. Sie scheuen zwar die Mittagshitze, aber der saure Geruch lockt sie. Glaub mir, du willst die Fetzen nicht aufsammeln müssen!« Am liebsten würd' ich dem Burschen Beine machen, aber sonst klappt er mir noch zusammen, so wie der zittert. »Also gut, kurze Pause, aber schlaf mir nicht weg!«

Ich trinke viel, auch Alkohol, wenn ich ihn bekomme, obwohl ich nicht sollte. Lore verbietet es mir, und sie verbietet es mir zu Recht, aber ist es ihre Angelegenheit? Einen Schluck könnt ich jetzt vertragen, nur erwischen lassen darf ich mich nicht. Ich habe Dosen dabei, die inzwischen wahrscheinlich pisswarm sind, der Bursche soll sie holen, wie heißt er denn, so was merk ich mir schlecht. Sieht aus wie ein Laa ... Laus ... »Klaus!«

»Die Zypresse, an der wir vorhin Halt gemacht haben, weißt du welche ich meine, Klaus?«

»Die mit den geknickten Ästen? Hat irgendwie traurig gewirkt.«

»Lauf bitte geschwind zurück und such meine Tasche. Ich hab sie dort im Schatten abgelegt.«

Er blickt mich aus geweiteten Augen vorfreudig blinzelnd an, vielleicht weil ihn ein scharfer Lauf durch die Mittagshitze im Vergleich zu unserer Arbeit wie Erholung erscheint? »Ich hol sie dir gleich!« Und schon wirbelt Staub, nieseln Sandkörner, die seine Schuhsohlen vom Boden hoch scharren.

»Bring mir nicht die ganze Tasche, sondern nur, was du tief drinnen unter meinem Hemd findest!«

»Waaas!« ruft er, den Kopf über die Schulter gereckt, sieht mich an, als habe er mich nicht verstanden.

»Im vorderen Faaach, du wirst seeen!« Jetzt aber flott!

Sein Gesicht ist schon etwas aufgebrannt, die Haut schält sich unregelmäßig, wo sie die ausgeprägten Jochbeine spannen. Trotzdem wirkt er blass. Ob es mir ähnlich geht? Ich bin brauner als er, meine Haut ist zäh, altersbedingt, obwohl ich sie jeden Abend eincreme. Ich würd's nie zugeben, aber Lores Körperlotion tut mir wohl. Lore lacht, wenn sie mich beim Eincremen beobachtet. Oft tue ich so, als sei ich zornig, wenn ich das bemerke, halb im Ernst, damit sie sich etwas fürchtet, aber schon lache ich und jage sie durchs Haus und in den Hof hinaus, um ihr meine Wange, auf der die Creme noch milchige Schlieren zieht, an die ihre zu drücken.

Wie er zurückdackelt! Wirkt noch blasser als zuvor. Ob er sie dabei hat, na hat er's, hat er's? »Hast du's?« »Ja«, sagt er einsilbig und lässt sogar die eine Silbe beinahe noch auf die Erde fallen. Er zittert, als er mir die Bierdosen reicht. Ausländisches Bier, illegal, er weiß es, er fürchtet es. »Aus Österreich«, sage ich stolz, nicht ohne die Freude, den Burschen erschreckt zu haben, verbergen zu können, und erleichtere ihn um eine blitzblaue Dose. Er sieht mich an, als habe er ein Gespenst gesehen. Ob er das Land kennt?

»Kennst du das Land nicht?« Er schüttelt den Kopf und zuckt zugleich mit den Schultern. »Möglich, aber ich verwechsle das immer mit dem andern, von wo der Mozart her und so.« Jetzt kann ich nicht anders und pruste: »Haha, ja der Mozart, haha!« Das gefällt ihm nicht: Er macht sich breit und funkelt mich aus zusammengekniffenen Augen an. Wenigstens merkt er, wenn man ihn verspottet. »Hättest mal lieber eine Münze geworfen . das Bier kommt tatsächlich aus Mozarts Heimat, nicht aus dem Land der boxenden Beuteltiere, an das du denkst . auch wenn man sie ähnlich schreibt. Aber genug mit Geographie, schreiten wir zur Verkostung. Halt sie dir beim Öffnen weit vor die Brust, hörst du?« Er hört natürlich nicht, schon zischt und schäumt es. »Mund drauf, Junge, und saugen!« Das rinnt gut, bei solchem Wetter, eigentlich Urlaubswetter, es gibt bestimmt viele Leute, die uns um unseren Job beneiden. Es ist ein sicherer Job, und notwendig. Aber nicht jeder ist dafür geschaffen. Klaus schlägt sich gut, über die kleinen Unsicherheiten muss man anfangs hinwegsehen. Es ist ja noch niemand gestorben deswegen, oder?

»Hast du ganz gut gemacht bisher. Und das Dosenzischen bringe ich dir noch bei, da verlass dich drauf!« Und jetzt klopf ihm aufs Schulterblatt, aber kräftig: bah! das war zu viel, er hat's verschüttet. »Hahaha, Ein bisschen Spaß muss schon sein, Kleiner!« Der mich um einen Kopf überragt. Naja, ich bin schon gesetzt. Wie sagt man? Also der Mensch verliert im Alter Größe, wegen des Drucks auf die Bandscheiben oder so.

»Ich war ja mal ein Riese.«

»Hä?«

Der peilt's nicht! Ein bisschen langsam ist er schon. Die Hellsten bewerben sich hier ohnehin nie. Die Hellsten sind auf großer Mission, die wollen die Welt restaurieren. Verdammte Bildhauer sind das. »Prost und weg!« Es ist weniger warm als befürchtet und schmeckt sogar, ein wenig wie vergorenes Fladenbrot. Der soll sich nicht so anstellen, wenn sie uns erwischen, streite ich alles ab. »Denk an den Schoß deines Mädchens und saug!« Er verzieht das Gesicht, schwerer Fehler, jetzt läuft's ihm an den Mundwinkeln ab. Besser ihm zunicken, aufmunternd, aber nicht wieder die Schulter klopfen.

»Guter Mann! Ab jetzt gehörst du dazu.«

»Und wo sollen wir die Dosen verstecken?«

»Drück sie platt und verstau sie am Karren. Und merk dir: Es waren nicht unsere, tu also überrascht, falls man uns danach fragt!«

Den Großteil haben wir schon geschafft. Wenn wir Gas geben, kann ich Franz noch eine Geschichte vorlesen. Vielleicht gibt's später sogar noch etwas Warmes zu essen, werde ein bisschen nett sein zu Lore, sie mal in den Arm nehmen, könnte einen Braten rausschlagen, mindestens aber ein zartes Stück Lamm mit Bohnen. Sie kocht ja gut, wenn sie sich die Zeit nimmt. Vielleicht nimmt sie sich mal wieder Zeit für uns, für mich besonders. So viele Dinge gehen ihr durch den schwarzen Schopf dieser Tage. Viele graue Strähnen schimmern dort, wenn sie sich ohne Kopftuch durch das Haus bewegt. Aber sie lacht noch, wie einst als Mädchen, bloß seltener; jedoch abends, wenn wir Franz zu Bett gebracht haben, gar nicht mehr, den Franz nicht zu wecken, sagt sie. Aber ich durchschaue sie: sie fürchtet sich. Man weiß halt nicht, was die Zukunft bringt, morgen bin ich vielleicht schon arbeitslos, bezweifle es aber, es gibt immer etwas zu entsorgen.

Wir könnten ja auswandern, aber uns will ja keiner, außer den Deutschen, die sollen ihre Grenzen geöffnet haben. Aber kann man denen trauen? Erst Festung, dann Willkommenskulturkampf? Dann lieber nach Österreich, wo's mein gutes Bier gibt, oder nach Dänemark, vielleicht sogar Schweden, wo's nicht ganz so warm ist. Die haben ja auch Bier, starkes Bier, teilweise so stark wie Wein. Musste am eigenen Leib erfahren, wie das in der Hitze einfährt, als sie mal keine blauen Dosen mehr hatten. Aber man trinkt ja, was man kriegen kann. Und eines ist klar: lieber einen Vollrausch als gar keinen. Nur wie dahin kommen? Übers Meer? Ich kann nicht schwimmen, ganz zu schweigen von Lore und Franz. Und der Landweg ist mühsam, das heißt, wenn er gelingt. Doch die meisten scheitern ohnehin schon am Aufbringen der Bestechungsgelder und landen am Ende in einem dieser trostlosen Konzentrationslager in der Türkei oder Ungarn. Nein, danke! So schlecht geht es uns hier ja nicht. So lange sich die andern die Schädel einschlagen ...

»Was meint der Junior?«

»Ganz gut.«

»Musst es mal eiskalt probieren: dann wirst erst schwärmen!« Gleich läuft mir der davon. Schau, wie es hinter...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-99125-625-8 / 3991256258
ISBN-13 978-3-99125-625-0 / 9783991256250
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