Glaube mir (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
400 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00882-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Glaube mir -  Alice Feeney
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Anna hat alles, was sie will. Sie hat hart gearbeitet, um Moderatorin des BBC-Mittagsmagazins zu werden, Freunde und Familie vernachlässigt, ebenso Jack, der inzwischen ihr Exmann ist. Als sie über einen Mord in Blackdown berichten soll, zögert sie. Denn in der verschlafenen Kleinstadt ist sie aufgewachsen. Und das Opfer ist eine Freundin aus Kindertagen. DCI Jack Harper hätte nie gedacht, dass er einmal in Blackdown landen würde. Als die Leiche einer jungen Frau entdeckt wird, beschließt er, niemandem zu sagen, dass er das Opfer kannte, dass sie seine Geliebte war - bis er in seiner eigenen Mordermittlung zum Verdächtigen wird.

Alice Feeney ist Journalistin und hat 16 Jahre als Nachrichtenredakteurin und Produzentin für BBC News gearbeitet. Sie hat in London und Sydney gelebt und sich mit ihrem Mann und ihrem Hund inzwischen in Surrey niedergelassen. «Manchmal lüge ich» ist ihr Debütroman.

Alice Feeney ist Journalistin und hat 16 Jahre als Nachrichtenredakteurin und Produzentin für BBC News gearbeitet. Sie hat in London und Sydney gelebt und sich mit ihrem Mann und ihrem Hund inzwischen in Surrey niedergelassen. «Manchmal lüge ich» ist ihr Debütroman. Karen Witthuhn übersetzt nach einem ersten Leben im Theater seit 2000 Theatertexte und Romane, u.a. von Simon Beckett, D.B. John, Ken Bruen, Sam Hawken, Percival Everett, Anita Nair, Alan Carter und George Pelecanos. 2015 und 2018 erhielt sie Arbeitsstipendien des Deutschen Übersetzerfonds.

Anna Andrews


Montag, 6:00 Uhr


Montage waren mir immer schon am liebsten.

Die Chance, neu anzufangen.

Ein ausreichend reiner Tisch, auf dem nur eine leichte Staubschicht der eigenen Fehler aus der Vergangenheit liegt – nicht ganz weggewischt.

Mir ist klar, dass mein Faible für den ersten Tag der Woche nicht auf breite Zustimmung stößt, aber daran bin ich gewöhnt. Meine Weltsicht war schon immer ein wenig verschroben. Wenn man als Kind auf den billigen Plätzen des Lebens sitzt, sieht man hinter die Puppen, die auf der Bühne tanzen. Hat man die Strippen einmal bemerkt und weiß, wer sie zieht, fällt es schwer, den Rest der Vorstellung noch zu genießen. Inzwischen könnte ich es mir leisten, auf einem Platz meiner Wahl zu sitzen und jeden Blickwinkel einzunehmen, aber die teuren Theaterlogen sind nur dazu da, um auf andere hinabzuschauen. Das werde ich niemals tun. Nur weil ich nicht gern zurückblicke, heißt das nicht, dass ich nicht mehr weiß, woher ich komme. Ich habe hart für meine Eintrittskarte gearbeitet, und die billigen Plätze sind mir immer noch gut genug.

Ich vergeude morgens nicht viel Zeit damit, mich hübsch zu machen – sinnlos, sich zu schminken, wenn man bei der Arbeit wieder abgeschminkt und neu geschminkt wird –, und ich frühstücke auch nicht. Ich esse generell nicht viel, koche aber gern für andere. Anscheinend bin ich eine Fütterin.

Ich gehe kurz in die Küche und hole meine Tupperdose mit den selbstgebackenen Cupcakes für das Team. Ich kann mich kaum erinnern, sie gemacht zu haben. Es war spät und nach dem dritten Glas trockenem Weißen. Roter ist mir lieber, hinterlässt aber verräterische Spuren auf den Lippen, daher hebe ich ihn für die Wochenenden auf. Ich öffne den Kühlschrank, sehe, dass von gestern Abend noch ein Rest Wein übrig ist, und trinke ihn direkt aus der Flasche. Ich nehme sie mit, als ich das Haus verlasse. Montags kommt die Müllabfuhr. Die Glastonne ist erstaunlich voll für jemanden, der allein lebt.

Ich gehe gern zu Fuß zur Arbeit. Die Straßen sind zu dieser Tageszeit noch leer, das finde ich beruhigend. Ich überquere die Waterloo Bridge, schlängele mich durch Soho in Richtung Oxford Circus und höre dabei das Today-Programm. Musik wäre mir lieber, ein bisschen Ludovico vielleicht oder Taylor Swift, je nach Stimmung – ich habe zwei Seiten in mir –, lasse aber stattdessen die melodischen Stimmen der britischen Mittelschicht über mich ergehen, die mir mitteilen, was ich ihrer Ansicht nach wissen sollte. Sie fühlen sich in meinen Ohren immer noch fremd an, obwohl ich genauso klinge. Allerdings nicht immer. Ich moderiere die One o’clock News der BBC jetzt seit fast zwei Jahren und komme mir immer noch wie eine Schwindlerin vor.

Ich halte an dem Pappkartonlager an, das mir in letzter Zeit die größten Sorgen bereitet. Hinten schaut ein blondes Haarbüschel heraus, also ist sie noch da. Ich weiß nicht, wer sie ist, aber wäre mein Leben anders verlaufen, könnte ich das sein. Mit sechzehn bin ich zu Hause ausgezogen, es musste sein. Was ich jetzt tue, geschieht nicht aus Güte, sondern ist ein Zeichen für einen fehlgeleiteten moralischen Kompass. Wie die Freiwilligenarbeit in der Suppenküche letzte Weihnachten. Wir verdienen das Leben, das wir führen, nur selten. Und wir zahlen dafür, sei es mit Geld, schlechtem Gewissen oder Reue.

Ich öffne die Tupperdose und lege einen meiner sorgfältig dekorierten Cupcakes auf den Asphalt, zwischen ihr Lager und die Wand, damit sie ihn beim Aufwachen gleich sieht. Und weil mir einfällt, dass sie den Schokolagenzuckerguss vielleicht nicht mag – sie könnte auch zuckerkrank sein –, nehme ich einen Zwanzig-Pfund-Schein aus dem Portemonnaie und schiebe ihn darunter. Ist mir egal, ob sie mein Geld für Alkohol ausgibt, das tue ich auch.

Radio 4 geht mir auf die Nerven, ich würge den Politiker ab, der mir gerade die Ohren voll lügt. Seine übereinstudierte Unehrlichkeit passt nicht zu diesem echten Menschen mit echten Problemen. Nicht dass ich das jemals in einem Live-Interview sagen würde. Ich werde für Unparteilichkeit bezahlt, meine Gefühle spielen keine Rolle.

Vielleicht bin ich ebenfalls eine Lügnerin. Ich habe mir diesen Beruf ausgesucht, weil ich die Wahrheit sagen wollte. Ich wollte die wirklich wichtigen Geschichten erzählen, von denen die Menschen meiner Meinung nach wissen sollten. Geschichten, die die Welt hoffentlich zum Besseren verändern würden. Aber ich war naiv. Medienleute haben heutzutage mehr Macht als Politiker, aber was nützt es, die Wahrheit über die Welt verbreiten zu wollen, wenn ich nicht einmal zu meiner eigenen Geschichte stehen kann: wer ich bin, woher ich komme, was ich getan habe.

Wie immer vergrabe ich diese Gedanken. Schließe sie in einen geheimen Safe in meinem Kopf ein, schiebe sie ganz nach hinten in die dunkelste Ecke und hoffe, dass sie nicht so schnell wieder entfleuchen.

Ich bringe das letzte Stück des Weges zum Sender hinter mich und krame in meiner Handtasche nach der nie zu findenden Sicherheitskarte. Stattdessen ertasten meine Finger eine kleine Dose mit Minzbonbons. Es klappert, ich mache sie auf und schiebe mir ein kleines weißes Dreieck in den Mund wie eine Tablette. Eine Weinfahne im Morgenmeeting sollte man besser vermeiden. Ich finde die Karte, trete in die gläserne Drehtür und spüre die Blicke, die sich an mich heften. Das ist schon okay. Ich bin ganz gut darin, die Version von mir zu sein, die die Menschen meiner Meinung nach sehen wollen. Zumindest äußerlich.

Ich kenne alle beim Namen, auch die Putzkräfte, die gerade den Boden wischen. Freundlichkeit kostet nichts, und trotz des Alkohols habe ich ein hervorragendes Gedächtnis. Als ich die Sicherheitschecks hinter mir habe – die dank des Zustands, in den wir die Welt gebracht haben, um einiges gründlicher ausfallen als früher – und in den Newsroom hinunterschaue, überkommt mich das Gefühl, zu Hause zu sein. Eingebettet in das Untergeschoss des BBC-Gebäudes, aber von allen Stockwerken aus einsehbar, erinnert der Newsroom an einen hell erleuchteten, offengelegten Kaninchenbau. Jeder Winkel ist mit Bildschirmen und dicht gestellten Schreibtischen gefüllt, hinter denen eine ausgewählte Schar von Journalisten sitzt.

Sie sind nicht bloß Kollegen, sie sind fast eine dysfunktionale Ersatzfamilie. Ich bin fast vierzig, habe aber niemand anderen. Keine Kinder. Keinen Mann. Nicht mehr. Ich arbeite seit fast zwanzig Jahren hier und habe ganz unten angefangen, ohne freundschaftliche oder familiäre Beziehungen. Und ich habe ein paar Umwege genommen, die Stufen der Karriereleiter waren manchmal etwas rutschig, aber am Ende bin ich ans Ziel gelangt.

Die Antwort auf so viele Fragen im Leben lautet Geduld.

Das Glück war mir hold, als die letzte Nachrichtensprecherin den Platz räumen musste. Ihre Wehen setzten einen Monat zu früh und fünf Minuten vor der Mittagssendung ein. Ihre geplatzte Fruchtblase war meine Chance. Ich war selber gerade erst aus dem Mutterschutz zurück – früher als geplant – und die einzige Korrespondentin im Newsroom mit Moderationserfahrung, auch wenn ich sie bisher immer nur in Überstunden und nachts gesammelt hatte, in Schichten, die kein anderer übernehmen wollte, so heiß war ich auf jede Gelegenheit, meine Karriere voranzutreiben. Es war schon immer mein Traum gewesen, eine richtige Nachrichtensendung zu präsentieren.

An jenem Tag war keine Zeit geblieben für Maske und Frisur. Ich wurde aufs Set geschoben und so gut wie möglich hergerichtet, bekam das Mikrophon angesteckt, wurde gleichzeitig abgepudert und übte die Schlagzeilen am Teleprompter. Der Regisseur sprach ruhig und freundlich in meinen Kopfhörer. Seine Stimme gab mir Halt. Ich erinnere mich kaum an diese erste Sendung, wohl aber an die Glückwünsche danach. Vom Newsroom-Niemand zur Nachrichtensprecherin des Senders in unter einer Stunde.

Mein Chef wird hinter seinem leicht gebeugten Rücken von allen der Dünne Controller genannt. Ein kleiner Mann, im Körper eines großen Mannes gefangen. Außerdem hat er einen Sprachfehler, er kann kein ST aussprechen, und niemand nimmt ihn ernst. Da er noch nie gut darin war, Lücken im Dienstplan zu schließen, ließ er mich nach meinem erfolgreichen Debüt bis zum Ende der Woche einspringen. Und dann in der Woche danach. Ein Dreimonatsvertrag als Nachrichtensprecherin – anstatt meiner normalen Korrespondentenstelle – wurde auf sechs verlängert, dann bis zum Jahresende, verbunden mit einer hübschen Gehaltserhöhung. Und da die Zuschauerzahlen mit mir ebenfalls stiegen, durfte ich bleiben. Meine Vorgängerin kam nie zurück, sie wurde schon im Mutterschutz erneut schwanger und ward seither nicht mehr gesehen. Fast zwei Jahre später bin ich immer noch hier und rechne täglich mit meiner Vertragsverlängerung.

Ich nehme meinen Platz zwischen der Redakteurin und dem Lead Producer ein und wische meinen Schreibtisch und das Keyboard mit einem Desinfektionstuch ab. Man weiß nie, wer hier nachts gesessen hat. Der Newsroom schläft nie, und leider hält nicht jeder hier meine Hygieneansprüche ein. Ich öffne den Ablaufplan und lächle, immer noch bekomme ich ein leichtes Flattern, wenn ich oben meinen Namen lese.

Nachrichtensprecherin: Anna Andrews.

Ich beginne, die Anmoderationen für die Beiträge zu schreiben. Entgegen der landläufigen Meinung lesen wir die...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2021
Übersetzer Karen Witthuhn
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte BBC • Bestseller • Blackdown • Ellen DeGeneres • England • england krimi • Ermittler • Ermittlerkrimi • Kriminalronan aus England • Moderatorin • New York Times Bestseller • Psychologischer Thriller • Sarah Michelle Gellar • Serienmord • Sunday Times Bestseller • Thriller • Thriller Neuerscheinungen 2021
ISBN-10 3-644-00882-5 / 3644008825
ISBN-13 978-3-644-00882-3 / 9783644008823
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