Der dunkle Himmel (eBook)

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
576 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00942-4 (ISBN)

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Der dunkle Himmel -  Astrid Fritz
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Drei Leben, ein Dorf, eine Weltkrise. Nach «Der Turm aus Licht» erzählt die Bestsellerautorin Astrid Fritz das berühmte schicksalhafte Jahr 1816, das «Jahr ohne Sommer», als großen packenden Roman - und als berührende Liebesgeschichte. 1816: schwarze Wolken, Dauerregen, Kälteeinbrüche, grelle Sonnenuntergänge. Immer wieder schauen die Menschen aus dem schwäbischen Hohenstetten in den Himmel. Das Wetter spielt verrückt. Ernteausfälle bedrohen ihr Leben. Viele Verzweifelte suchen auf fernen Kontinenten ihr Glück. Strenggläubige sehen die Apokalypse nahen. Und wieder andere versuchen, durch Tatkraft und puren Überlebenswillen das Jahr ohne Sommer zu meistern. Wie der junge Schulmeister Friedhelm. Die starke Paulina. Und der kluge Pfarrer Unterseher. Packend und atmosphärisch erzählt «Der dunkle Himmel» anhand des Leinenweberdorfes von einer historischen Klimakatastrophe globalen Ausmaßes nach einem Vulkanausbruch in Indonesien.

Astrid Fritz studierte Germanistik und Romanistik in München, Avignon und Freiburg. Als Fachredakteurin arbeitete sie anschließend in Darmstadt und Freiburg und verbrachte mit ihrer Familie drei Jahre in Santiago de Chile. Zu ihren großen Erfolgen zählen «Die Hexe von Freiburg», «Die Tochter der Hexe», «Turm aus Licht», «Der dunkle Himmel». Astrid Fritz lebt in der Nähe von Stuttgart.

Astrid Fritz studierte Germanistik und Romanistik in München, Avignon und Freiburg. Als Fachredakteurin arbeitete sie anschließend in Darmstadt und Freiburg und verbrachte mit ihrer Familie drei Jahre in Santiago de Chile. Zu ihren großen Erfolgen zählen «Die Hexe von Freiburg», «Die Tochter der Hexe», «Turm aus Licht», «Der dunkle Himmel». Astrid Fritz lebt in der Nähe von Stuttgart.

Kapitel 2


Zur selben Zeit in der Kirche von Hohenstetten

Angesichts der sorgenvollen Mienen der Kirchgänger rundum unterdrückte Friedhelm Lindenthaler ein Seufzen. Er liebte sein Heimatdorf und bereute es keinen Tag, dass er vor bald vier Jahren, nach seiner Ausbildung zum Volksschullehrer am Lehrerseminar Esslingen, hierher zurückgekehrt war. Aber manchmal konnte es einem bei all dieser ängstlichen Frömmigkeit unter den hiesigen Pietisten schon recht eng in der Brust werden.

Unwillkürlich ging sein Blick hinüber zur Mutter, die zusammen mit seiner Schwester Auguste gleich rechts vom Mittelgang in der Bankreihe bei den Frauen saß, während er selbst keine zwei Schritte vor ihr entfernt seinen Platz auf der Männerseite hatte. Nur Auguste wegen hatte er für sich selbst einen Sitzplatz gepachtet, nachdem sie ihm unentwegt zugesetzt hatte, dass es für den Schulmeister des Ortes alles andere als schicklich sei, im Gottesdienst mitten unter dem gemeinen Kirchenvolk stehen zu müssen.

Ganz in sich zusammengesunken, schmächtig wie ein Kind, kauerte die Mutter in ihrer Bank, die Hände im Schoß ineinander gekrampft. Sie verlor zusehends an Kraft, wie Friedhelm mit großer Sorge beobachtete, und gerade heute, an diesem letzten Tag des Jahres, war es ihr besonders schwer: An Silvester vor genau drei Jahren hatte sie von einem heimgekehrten württembergischen Leutnant erfahren müssen, dass ihr Mann und der Vater ihrer Kinder bei Wilna auf freiem Feld von Kosaken schwer verwundet und dann in der Eiseskälte erfroren war. Wie so viele Tausende andere deutsche Soldaten des Rheinbunds auch, die Napoleon auf seinen verheerenden Russlandfeldzug gezwungen hatte.

Plötzlich begannen die mageren Schultern seiner Mutter zu beben. Sie weinte. Eilig stand Friedhelm auf. Seinen Sitzplatz bot er dem einbeinigen Weberhannes an, der sich an der Lehne der Kirchenbank abgestützt hatte, und trat zu seiner Mutter, um ihr tröstend die Hand auf die Schulter zu legen. Da stiegen auch ihm die Tränen in die Augen.

Was den Krieg betraf, hatte er mehr Glück als andere gehabt. Voll freudiger Erwartung hatte er damals, frisch examiniert mit gerade mal 21 Jahren, in Hohenstetten seine erste Stelle als Provisor, als Hilfslehrer, angetreten. Er hatte gewusst, dass es unter den Argusaugen des Pfarrers als Schulaufseher nicht leicht werden würde, erst recht nicht unter seinem gestrengen Vater, dem allseits hochgeschätzten und von den Kindern gefürchteten Schulmeister und Webermeister. Doch nur sechs Wochen später, im Mai des Jahres 1812, war Friedhelm beim Ausbessern des Hausdachs abgerutscht und hatte sich in der Folge einen Knöchel dick wie einen Elefantenfuß zugezogen und den linken Arm gebrochen, zur großen Missbilligung des Vaters und zu seinem eigenen Glück im Unglück: Just an diesem Tag hatten nämlich königliche Werber ihren Flecken aufgesucht, um Rekruten für diesen unseligen Russlandfeldzug auszuheben. Man hatte vor allem ledige Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahren im Auge, die das württembergische Kontingent der Grande Armee verstärken sollten. Mit seiner Verletzung kam Friedhelm für den langen Marsch ans baltische Meer selbstredend nicht in Betracht, und so hatte das Schicksal ihn mit diesem Unfall vor dem Krieg bewahrt. Umso größer war der Schrecken, als neben zwei Dutzend Webergesellen trotz fortgeschrittenen Alters sein eigener Vater eingezogen wurde! Dessen Verhängnis war seine Stärke und Gesundheit gewesen, vor allem aber verfügte er über gute Französischkenntnisse. Man hatte der entsetzten Familie zwar hoch und heilig versichert, dass Johann Friedrich Lindenthaler nicht an der Front würde kämpfen müssen, sondern im Tross des württembergischen Kronprinzen Wilhelm als Schreiber und Übersetzer dienen sollte. Beim Abschied am nächsten Morgen hatte Friedhelm jedoch geahnt, dass er ihn nie wiedersehen würde.

Verstohlen wischte er sich über die Augen. Nicht einmal Augustes Hochzeit und die Geburt seines Enkelsohnes Eduard hatte der Vater miterleben dürfen. Auch wenn Friedhelm oft mit ihm aneinandergeraten war, vermisste er ihn nun umso schmerzlicher. Manchmal hatte er sogar ein schlechtes Gewissen: Nur dem Tod des Vaters verdankte er, dass man ihn trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit vor drei Jahren vom Hilfslehrer zum Schulmeister befördert hatte.

Pfarrersfrau Dorothea Unterseher, die in der Bankreihe vor ihnen saß, drehte sich zu seiner Mutter um: «Verzage nicht, meine liebe Agnes. Deinem Mann geht es gut an der Seite des Herrn», flüsterte sie ihr zu. Nach einem kurzen Zögern dann: «Und dem Adam auch.»

Adam! Mit Friedhelms drei Jahre älteren Bruder hatte das Unglück in der Familie seinen Anfang genommen. Zum Entsetzen der Eltern hatte Adam sich vor nun fast sieben Jahren im April des Jahres 1809 ganz und gar freiwillig für den Kriegsdienst an Napoleons Seite gemeldet, und das, wo der Vater kurz zuvor neben einigen anderen Männern aus dem Dorf in der Schlacht von Austerlitz hatte kämpfen müssen. Die schrecklichen Erlebnisse hatten aus dem Schulmeister nicht nur einen Kriegsgegner gemacht, sondern auch einen finsteren, ja mitunter verstockten Mann. Nicht erst seit diesem verdammten Russlandfeldzug also hasste man hier die Franzosen und nannte Napoleon nur noch den Teufel. So konnte Friedhelm die maßlose Enttäuschung seines Vaters über Adams Entscheidung damals nur allzu gut verstehen, und seiner Mutter hatte sie schier das Herz gebrochen. Eine Todesnachricht wie vor drei Jahren über den gefallenen Vater war ihnen nie überbracht worden, gehört hatten sie dennoch nie wieder vom Sohn und Bruder. Dass es kein Grab gab, wo die Mutter den Tod ihres Ältesten beweinen konnte, war für sie inzwischen vielleicht das Schlimmste.

Als hätte Pfarrer Unterseher Friedhelms Gedanken erraten, hob der jetzt mit folgenden Worten zu predigen an:

«Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder. Ja, es war wieder ein mageres Jahr – das nächste darf gerne besser kommen, wird sich ein jeder von euch denken. Aber ich will euch sagen: Es gibt keinen Grund, kleinmütig zu sein, denn der Herrgott hat uns in diesem Jahr das allergrößte Geschenk gemacht. Nach mehr als zwanzig Kriegsjahren in unseren europäischen Landen hat er uns endlich Frieden geschenkt. Wir dürfen aufatmen und uns von Herzen freuen. Liebe Schwestern und Brüder, nun danket alle Gott, der Wunderbares schafft an allen Enden, der uns vom Mutterschoß an lebendig erhält und uns alles Gute tut. Er gebe uns ein fröhliches Herz und verleihe uns immerdar Frieden …»

Friedhelm spürte, wie ihn jemand ansah. Kaum merklich wandte er den Kopf nach rechts. Hinter der letzten Bankreihe der Frauen stand Paulina, die Tochter des Postwirts Justus Georg Gutjahr. Wie er selbst hielt sie nichts davon, bei den Honoratioren des Dorfes zu sitzen, obwohl ihr Vater selbstredend dazugehörte, war er doch zugleich Schultheiß und Gemeindeschreiber. Kurz trafen sich ihre Blicke, dann sah sie zu Boden. Dicht neben ihr stand ihre engste Freundin Luise, die Pfarrerstochter.

Friedhelms Herz schlug augenblicklich schneller. Wie er selbst war Paulina hier aufgewachsen, doch da sie um vier Jahre jünger und noch dazu ein Mädchen war, hatte er früher wenig mit ihr zu schaffen gehabt. Als ein reichlich wildes Kind hatte er sie in Erinnerung, das mutig in jede noch so finstere Höhle kroch oder auf Bäume kletterte und sich auch nicht scheute, mit den Dorfbuben zu raufen, wenn es denn sein musste. Nun ja, schließlich war sie auch mit zwei älteren, reichlich großspurigen Brüdern aufgewachsen. Nach seiner Konfirmation hatte Friedhelm sie aus den Augen verloren. Mit bestandenem Landexamen war er sogleich an der altehrwürdigen evangelischen Klosterschule zu Maulbronn angenommen worden und durfte vier Jahre später, mit dem Reifezeugnis in der Tasche, an das neu gegründete Schullehrerseminar Esslingen. Als er im Frühjahr 1812 schließlich in sein Heimatdorf zurückkehrte, war aus dem einstigen Wildfang Paulinchen mit den ewig aufgeschrammten Knien eine anmutige junge Frau geworden.

Wenn er richtig rechnete, musste sie nun zwanzig Jahre zählen. Konnte man sie schön nennen? Ach, was wusste er schon über die Schönheit der Frauen, wo er bislang nie Augen für das andere Geschlecht gehabt hatte. Von seiner ersten großen Verliebtheit als Knabe in Maulbronn vielleicht abgesehen. Da hatte er monatelang heimlich für die kecke, dralle Küchenmagd der Klosterschule geschwärmt, aber zum einen war er damals erst fünfzehn gewesen und die Magd schon mindestens fünfundzwanzig, zum anderen war er nicht der einzige liebestrunkene Trottel gewesen: Eines Tages hatte er herausgefunden, dass diese Magd mit den ältesten Schülern gegen kleine Geschenke heimlich im Kuhstall zugange war, und er hatte sich mit Grausen und voller Enttäuschung von ihr abgewandt. In Esslingen dann hatte die Professorentochter Irmtraut seine Nähe gesucht, ohne dass er das begrüßte. Sie war ihm viel zu eitel und oberflächlich mit ihrem künstlichen Lachen, ihrem makellosen Gesicht mit den riesigen blauen Augen und der porzellanweißen Haut. Vor allem aber war sie zu sehr von sich eingenommen. Nachdem sie ihm in einer dunklen Ecke am Hafenmarkt gezeigt hatte, wie man sich richtig küsste, hatte sie ihn fallen gelassen und fortan keines Blickes mehr gewürdigt. Was ihn, obwohl er gar nicht an ihr interessiert war, verletzt hatte. Fortan hatte er von den Mädchen die Nase voll gehabt und sich mit grimmigem Fleiß nur noch seinen Studien gewidmet.

Erst mit Paulina war das vor gut drei Jahren plötzlich anders geworden. Nie zuvor hatte der Anblick eines Mädchens ihn so tief berührt, und wenn er ihr begegnete, musste er an sich halten, sie nicht...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 1816 • 19. Jahrhundert • Aschewolke • Auswanderung • Bestsellerautorin • Dorfgeschichte • Handwerk • Historischer Roman • Hunger • Jahr ohne Sommer • Klimakrise • Klimawandel • Liebesgeschichte • massenauswanderung • Romane Neuerscheinungen 2022 • Schwaben • Schwäbische Alb • Stuttgart • Tambora 1815 • Vulkanausbruch • Weltkrise
ISBN-10 3-644-00942-2 / 3644009422
ISBN-13 978-3-644-00942-4 / 9783644009424
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