Weihnachtsgeschichten am Kamin 36 (eBook)

Gesammelt von Barbara Mürmann

Barbara Mürmann (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01118-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Weihnachtsgeschichten am Kamin 36 -
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Die Tage werden kürzer, die Aufgabenliste wird länger. Vielleicht steckt das letzte Geschenk noch in der Post. Vielleicht ist das besonders schöne Krippenbild fürs Fenster einfach nicht zu finden! Vielleicht ist die letzte Ladung Weihnachtsplätzchen endlich gelungen, aber die Kinder haben sie schon verputzt? Die Enkelin hat den Zug verpasst und wird nicht mehr rechtzeitig vor der Tür stehen, oder der gute Freund kann leider nicht kommen. Vielleicht wird das Fest in diesem Jahr anders als sonst. Aber in unseren Herzen sind alle da. Und es wird schön. Denn auch in diesem Jahr lesen wir wieder zusammen eine Weihnachtsgeschichte.

Für Barbara Mürmann ist als Herausgeberin der «Weihnachtsgeschichten am Kamin» das ganze Jahr Weihnachten. Zum Glück, denn sie liebt dieses besondere Fest. Seit vielen Jahren besorgt sie mit Hingabe und Sorgfalt die Auswahl für die erfolgreiche Anthologie. Barbara Mürmann, geboren in Goslar, lebt in Hamburg. Dort leitet sie den Arezzo Musikverlag.

Für Barbara Mürmann ist als Herausgeberin der «Weihnachtsgeschichten am Kamin» das ganze Jahr Weihnachten. Zum Glück, denn sie liebt dieses besondere Fest. Seit vielen Jahren besorgt sie mit Hingabe und Sorgfalt die Auswahl für die erfolgreiche Anthologie. Barbara Mürmann, geboren in Goslar, lebt in Hamburg. Dort leitet sie den Arezzo Musikverlag.

Adventsfreude


Andrea Hennecke

Es klingelt. Oh nein, nicht jetzt!

«Kann mal jemand zur Tür gehen?», rufe ich. Keine Antwort.

Anscheinend bin ich gerade der Einzige, der unten den Weihnachtsschmuck auspackt, während meine Familie auf dem Dachboden in alten Kisten wühlt. Ich betrachte die ausgebreiteten Lichtervorhänge in meinen Händen, die unser Haus von außen verschönern sollen und die ich gerade in mühevoller Kleinarbeit zu entwirren versuche. Wenn ich unterbreche, kann ich gleich von vorn anfangen. Missmutig öffne ich die Tür. Ich schaue in ein breit grinsendes Gesicht.

«Hallo, Gerd, kennst du mich noch?», sagt der Mann mir gegenüber. «Ich bin’s, Lothar Hirschberg. Ich bin mit meiner Familie zurück aus Amerika, und du glaubst nicht, wo wir ein Häuschen gefunden haben. Direkt nebenan! Wie in alten Zeiten, was? Da wir ja jetzt wieder Nachbarn sind, möchten wir uns natürlich bei euch vorstellen.»

«Hallo, Lothar. Klar kenne ich dich noch. Das ist ja eine Überraschung, kommt herein.» Ich lächle zähneknirschend und lotse alle in die Küche, Lothar, seine Frau und drei Kinder. Dann brülle ich die Treppe hinauf, damit meine Familie mir beisteht. Ich warte einen Moment, aber null Reaktion.

«Wir kommen!», trällert meine Frau plötzlich, wenig später höre ich Fußgetrappel. Eine Elchherde rennt die Treppe herunter, so hört es sich zumindest an. Es sind nur drei, meine Kinder Jens und Lisa und meine Frau Heike.

Ein fröhliches Hallo hier und da ist zu hören. Heike schmeißt sofort die Kaffeemaschine an und holt die Keksdosen hervor. Mir gefällt das nicht. Der Besuch soll sich nicht festsetzen und meine Plätzchen essen. Ich will die Außenbeleuchtung anbringen, bevor es zu dunkel wird. Doch schon als alle es sich am Tisch bequem machen, sehe ich diesen Plan in weite Ferne rücken.

Wir erfahren, dass Lothar viele Jahre sehr, sehr hart gearbeitet hat in L.A. Außerdem hat er dort seine Sue-Ellen kennengelernt und für dreimaligen Nachwuchs gesorgt. Die Kids hören auf die Namen Nancy, Mike und Phil. Da ich mir Namen sehr schlecht merken kann, nenne ich sie heimlich Tick, Trick und Track. In seiner gönnerhaften Art lässt Lothar uns wissen, dass er für seine Freunde einfach der Lot ist, weil er seinen Namen nicht mag. Ich bezweifle, dass ich ihn jemals so nennen werde. Wir waren in unserer Jugend schon keine guten Freunde, weil er immer so dick aufgetragen hat, und ich kann auch nicht behaupten, dass ich ihn seitdem sehr vermisst habe.

Ich atme auf, als sie endlich gehen. Nun kann ich mich wieder den wichtigen Dingen des Lebens zuwenden. Mit Jens bringe ich wenigstens noch die Lichtervorhänge am Haus an. Es gefällt mir gar nicht, dass ich mit dem Schmücken der Bäume und Sträucher bis zum nächsten Tag warten muss, weil es jetzt zu dunkel ist. Immer diese unnötigen Verzögerungen. Meine Laune bessert sich erst, als Jens den Schalter umlegt und unser Haus in weihnachtlichem Glanz erstrahlt.

Für meine Familie und mich ist die Advents- und Weihnachtszeit die schönste des Jahres. Es ist für uns alle ein Höhepunkt, am Wochenende vor dem ersten Advent unser Haus außen und innen zu schmücken. Scharen von Engeln in allen Größen, Farben und Formen schweben dann leise durch die Räume, um neue und gewohnte Plätze einzunehmen und dort ihren Zauber zu entfalten. Auch Rentiere und Elche verlassen ihr Quartier, um uns die kommenden Wochen zu erfreuen. Freundlich lächelnd schauen sie von Schränken und Regalen herunter und machen es sich auf Sofas und Sesseln gemütlich.

Und wo Rentiere sich aufhalten, sind Weihnachtsmänner mit Schlitten nicht fern.

Am Abend sitze ich gemütlich mit meiner Familie im Wohnzimmer und bin versöhnt mit diesem Tag. Ich genieße den ersten Glühwein und freue mich auf die kommende Zeit.

Als Heike allerdings erzählt, dass Sue-Ellen Weihnachtsdeko auch so sehr liebt, krampft sich etwas in mir zusammen. Das verheißt nichts Gutes. Mein Bauchgefühl hat sich noch nie geirrt. Unwillkürlich muss ich an die Griswolds denken. Ich liebe diesen Weihnachtsfilm, in dem alles schiefgeht. Aber ich will mir den schönen Abend nicht verderben lassen. Also verdränge ich die böse Vorahnung und denke an meine Lichterketten. Bald wird unser Haus wieder hell leuchten! Ein wohliges Kribbeln erfüllt mich.

Am Sonntagmorgen erhält meine Vorfreude einen herben Dämpfer. Schneeregen! Egal. Und wenn es Kuhscheiße regnet, ich werde die Bäume und Sträucher mit Lichterketten versehen. Ob er will oder nicht, der Weihnachtsmann mit Rentier und Schlitten muss an die frische Luft.

Meine Familie lässt mich im Stich. Diese Weicheier. Aber nachdem ich mich eine Weile allein durch den Lichterdschungel gekämpft habe, erbarmen sie sich doch. Dick eingepackt treten alle an, um mir zu helfen. Unser Werk betrachten wir später vom Küchenfenster aus. Die Welt sieht gleich viel freundlicher aus, wenn Bäume und Sträucher im Lichterglanz erstrahlen. Die jetzt lautlos fallenden Schneeflocken wirken dazu fast magisch.

«Los, los, meine Weihnachtswichtel, die Fenster wollen noch geschmückt werden», sage ich. Schnell wandern Lichterbogen und andere Leuchtelemente an ihren weihnachtlichen Platz. Am Nachmittag ist alles fertig. Der Advent kann kommen.

In der nun folgenden Woche bekomme ich eher am Rande mit, dass unsere neuen Nachbarn weihnachtlich aufrüsten. Heike berichtet, dass viel gebohrt, gesägt, gehämmert wird.

Dann kommt der 1. Advent. Es fängt früh an zu dämmern und wird dunkel. Ich schaue aus dem Fenster und wundere mich über die Helligkeit in unserer Straße. Vor dem Nachbarhaus stehen Leute. Neugierde treibt mich vor die Tür. Jetzt weiß ich, warum ich neulich an die Griswolds denken musste: Die wohnen anscheinend jetzt nebenan. Das Nachbarhaus ist in ein buntes Lichtermeer getaucht. Auf dem Dach ist Santa Claus mit seinem Schlitten und den Rentieren gelandet. Rudolfs Nase leuchtet, Santa winkt uns fröhlich zu. Sue-Ellen ist in ihrem Element, sie bietet den Leuten Punsch an und nimmt Komplimente für ihren tollen Weihnachtsschmuck entgegen. Wütend wende ich mich ab und gehe ins Haus. Jedes Jahr war ich stolz, wenn die Leute vor unserem Haus stehen blieben, um unsere Dekoration zu bewundern. Das ist aus und vorbei. Gegen diese amerikanische XXL-Deko habe ich keine Chance. Mein Bauchgefühl wusste es sofort.

«Was hat dir denn die Petersilie verhagelt?», fragt meine Frau, als ich ins Wohnzimmer komme.

«Schau dir das Haus unserer Nachbarn an, dann weißt du es», blaffe ich.

Das tut sie, zusammen mit den Kindern. Von der Haustür aus sehe ich, dass die Menschenmenge immer größer wird. Ich erkenne diverse Nachbarn, und alle trinken Punsch. Auch meine Familie. Verräter!

Vor lauter missmutiger Grübelei habe ich nicht mitbekommen, dass sich mein kauziger Nachbar Kurt angeschlichen hat.

«Na, mein Bester, jetzt hast du aber echte Konkurrenz bekommen beim Weihnachtsschnickschnack. Die Neuen haben dir gleich den Rang abgelaufen», sagt er grinsend. Er muss natürlich Salz in die Wunde streuen, bevor er sich selbst zur fröhlichen Punschversammlung nebenan gesellt. Ungeschoren kommt er nicht davon.

«Du hältst doch nichts von Weihnachten, aber wenn es etwas umsonst gibt, machst du eine Ausnahme, was?», rufe ich ihm hinterher.

Der Abend endet natürlich zu allem Überfluss in einem Streit mit Heike. Sie wirft mir vor, kindisch und eifersüchtig zu sein. Schwachsinn! Ich bestreite das natürlich und werfe ihr Verrat vor.

Die Nacht verbringe ich, meine Wunden leckend, auf dem Sofa. Viele düstere Gedanken lassen mich nicht schlafen. Ich stelle mir vor, die Elektrik lahmzulegen, Santa Claus vom Dach zu schießen oder die geschmückte Tanne im Vorgarten abzusägen. Am meisten rege ich mich über mich selbst auf. Sue-Ellen mit ihrem Ami-Weihnachtswahn hat es geschafft, dass mir diese Adventszeit keine Freude bereitet. Ich kann sie nicht leiden, die ganze Sippe nicht.

Heike bemüht sich sehr um gute Weihnachtsstimmung in den nächsten Tagen, aber auf mich springt sie nicht über.

Am 2. Advent holen wir traditionsgemäß unseren Weihnachtsbaum. Normalerweise renne ich mit der Axt durch Bauer Ernstings Tannenschonung, und meine Familie hat Mühe, mir zu folgen. Diesmal trotte ich hinterher. Meine schlechte Laune verwandelt sich in brodelnde Wut, als ich an einer wunderschönen Nordmanntanne ein Schild mit dem Namen «Hirschberg» entdecke. Die pompöseste Beleuchtung reicht noch nicht, auch noch den schönsten Baum haben wollen. So nicht!

Warum musste Heike ihnen auch sagen, wo wir unseren Baum holen? Ich stapfe zur Tanne, entwende ohne jedes schlechte Gewissen das Schild und hänge es an den krüppeligsten Baum, den ich finden kann. Der Schöne ist meiner. Das hier ist mein Revier!

Meine Familie spart nicht mit Lob, als der Baum am 3. Advent geschmückt im Wohnzimmer steht. Ein Gefühl tiefer Zufriedenheit durchströmt mich zum ersten Mal seit einer Woche. Endlich empfinde ich wieder Weihnachtsfreude. Durch Heike weiß ich, dass unsere Nachbarn erst am 24. ihren Baum aufstellen. Das wird eine Überraschung für Sue-Ellen.

Mir geht es gut mit dem Gedanken, bis kurz vor dem Fest.

Meine Frau hat mit dem Deko-Wunder von nebenan Kaffee getrunken. Die beiden sind inzwischen dick befreundet, klar. Im Sturmschritt betritt Heike das Haus und zitiert mich ins Schlafzimmer. Ich werde einem strengen Verhör unterzogen. Meine Nachbarin habe anscheinend sofort an mich gedacht, als sie in der Tannenschonung vergeblich nach ihrer stolzen Tanne suchte. Sie habe wohl schon bemerkt, dass ich...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2021
Reihe/Serie Weihnachtsgeschichten am Kamin
Weihnachtsgeschichten am Kamin
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Anthologien
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anthologie • Bestseller • bestseller taschenbuch • Christkind • Familie • Gemütlich • Geschenk • Geschenkbuch • Geschichten • Heiligabend • Kerzen • Kinder • Kleine Geschenke • Kurzgeschichten • Schnee • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Vorlesebuch • Vorlesegeschichten • Vorlesen • Weihnachten • Weihnachtsbaum • Weihnachtsgeschichten für Erwachsene • Weihnachtsgeschichten für Kinder und Erwachsene • Weihnachtsmann • Wichtelgeschenk • Wichtelgeschenk für 10 Euro • Winter • Winterzeit
ISBN-10 3-644-01118-4 / 3644011184
ISBN-13 978-3-644-01118-2 / 9783644011182
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