Der Spieler (eBook)

Aus den Notizen eines jungen Mannes
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2021 | 1. Auflage
197 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2808-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Spieler - Fjodor Dostojewski
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Glück in der Liebe oder im Spiel?

Alexej ist Hauslehrer in der Familie eines russischen Generals in Roulettenburg. Bisher glaubte er, seine Liebe zu dessen Tochter Polina sei der eigentliche Sinn seines Lebens. Doch als er mit seinem letzten Goldstück 100 000 Florin gewinnt, ergreift mehr und mehr die Spielleidenschaft von ihm Besitz.

'Dostojewski, der einzige Psychologe, von dem ich etwas zu lernen hatte: Er gehört zu den schönsten Glücksfällen meines Lebens.' Friedrich Nietzsche



Fjodor Dostojewski (1821-1881) wurde in Moskau als Sohn eines Militärarztes und einer Kaufmannstochter geboren. Er studierte an der Petersburger Ingenieurschule und widmete sich seit 1845 ganz dem Schreiben. 1849 wurde er als Mitglied eines frühsozialistischen Zirkels verhaftet und zum Tode verurteilt. Unmittelbar vor der Erschießung wandelte man das Urteil in vier Jahre Zwangsarbeit mit anschließendem Militärdienst als Gemeiner in Sibirien um. 1859 kehrte Dostojewski nach Petersburg zurück, wo er sich als Schriftsteller und verstärkt auch als Publizist neu positionierte.

Wichtigste Werke: 'Arme Leute' (1846), 'Der Doppelgänger' (1846), 'Erniedrigte und Beleidigte' (1861), 'Aufzeichnungen aus einem Totenhaus' (1862), 'Schuld und Sühne' (1866), 'Der Spieler' (1866), 'Der Idiot' (1869), 'Die Dämonen' (1873), 'Der Jüngling' (1875), 'Die Brüder Karamasow' (1880).

Kapitel I


Nach zwei Wochen Abwesenheit kam ich endlich zurück. Seit drei Tagen schon waren die Unsern in Roulettenburg. Ich hatte gemeint, sie warteten Gott weiß wie auf mich, aber das war ein Irrtum. Der General gab sich höchst lässig, redete von oben herab zu mir und schickte mich zu seiner Schwester. Es lag auf der Hand, daß sie irgendwo für kurze Zeit Geld aufgetrieben hatten. Mir schien sogar, daß es dem General einige Pein bereitete, auf mich zu blicken. Marja Filippowna hatte gerade schrecklich viel zu schaffen und sprach unaufmerksam mit mir; das Geld jedoch nahm sie entgegen, sie zählte es nach und hörte sich meinen ganzen Bericht an. Zum Mittagessen erwartete man Mesenzow, den kleinen Franzosen und noch einen Engländer – nach Moskauer Brauch: Kaum ist Geld im Haus, wird zum Mahle geladen. Polina Alexandrowna fragte mich, als sie mich erblickte, wo ich so lange gewesen sei, und eilte weiter, ohne meine Antwort abzuwarten. Versteht sich, das tat sie mit Absicht. Dennoch werden wir einander manches sagen müssen. Viel hat sich angehäuft.

Mir hat man ein Zimmerchen im dritten Stock des Hotels zugedacht. Hier weiß man, daß ich zur Suite des Generals gehöre. Aus allem ist zu schließen, daß sie in der Kürze der Zeit schon von sich reden gemacht haben. Den General halten hier alle für einen steinreichen russischen Würdenträger. Wohlweislich trug er mir noch vor dem Mittagessen neben anderen Besorgungen auf, zwei Tausendfrankennoten wechseln zu lassen. Das tat ich im Hotelkontor. Jetzt werden uns die Leute als Millionäre ansehen, wenigstens eine Woche lang. Ich wollte gerade Mischa und Nadja holen, um mit ihnen spazierenzugehen, da rief man mich von der Treppe zum General; er geruhte sich zu erkundigen, wohin ich die Kinder führen wolle. Dieser Mensch kann mir einfach nicht offen in die Augen blicken; mag sein, daß er’s wirklich will, aber ich antworte ihm jedesmal mit einem so eindringlichen, das heißt unehrerbietigen Blick, daß es ihn wohl verwirrt. In arg hochtrabender Rede, eine Phrase auf die andere bauend und am Ende sich ganz verheddernd, gab er mir zu verstehen, daß ich mit den Kindern irgendwo im Park spazierengehen solle, nur recht weit weg vom Kurhaus.

Schließlich geriet er ganz in Rage und endete schroff: »Womöglich führen Sie die Kinder ins Kurhaus, zum Roulett. Sie müssen schon entschuldigen«, flocht er ein, »aber ich weiß, Sie sind noch ziemlich leichtsinnig und bringen es wohl fertig, zu spielen. Jedenfalls, wenn ich auch nicht Ihr Mentor bin und dieses Amt keineswegs auf mich zu nehmen wünsche, so habe ich doch in gewissem Maße das Recht, zu wünschen, daß Sie mich sozusagen nicht kompromittieren.«

»Ich habe doch gar kein Geld«, erwiderte ich ruhig. »Um welches zu verlieren, muß man es haben.«

»Sie werden es unverzüglich erhalten«, antwortete der General, ein wenig errötend. Er wühlte in seinem Schreibtisch, sah in einem Heft nach, und es zeigte sich, daß ich bei ihm ungefähr hundertzwanzig Rubel guthatte.

»Ja, also, um ins reine zu kommen …«, murmelte er. »Wir müssen in Taler umrechnen. Hier haben Sie erst mal hundert Taler, eine runde Summe; der Rest geht Ihnen natürlich nicht verloren.«

Ich nahm stumm das Geld.

»Nehmen Sie mir meine Worte bitte nicht übel; Sie sind so schnell gekränkt … Meine Bemerkung hatte sozusagen nur warnenden Charakter, und Sie zu warnen, glaube ich denn noch ein gewisses Recht zu haben.«

Als ich gegen Mittag mit den Kindern vom Spaziergang zurückkehrte, begegnete mir eine ganze Kavalkade. Die Unsern hatten sich aufgemacht, irgendwelche Ruinen zu besichtigen. Zwei prächtige Kutschen, großartige Pferde! Mademoiselle Blanche in der einen Kutsche mit Marja Filippowna und Polina; der kleine Franzose, der Engländer und unser General hoch zu Roß. Die Passanten blieben stehen und schauten; die Sache wirkte; nur daß für den General die Dinge schlecht standen. Ich rechnete mir aus: Viertausend Franken habe ich gebracht, dazu kommt das Geld, das sie offenbar für kurze Zeit selbst aufgetrieben haben; also verfügen sie jetzt über sieben- oder achttausend Franken; das ist zuwenig für Mademoiselle Blanche.

Mademoiselle Blanche wohnt auch in unserm Hotel, mit ihrer Mutter; in der Nähe ist unser kleiner Franzose abgestiegen. Die Diener melden ihn als »monsieur le compte«. Mademoiselle Blanches Mutter nennt sich »madame la comptesse«; nun ja, vielleicht sind sie wirklich comte und comtesse.

Ich hatte es gewußt, daß monsieur le comte mich nicht erkennen werde, wenn wir beim Mittagessen zusammenträfen. Dem General kam es natürlich nicht in den Sinn, uns miteinander bekannt zu machen oder auch nur mich ihm zu empfehlen; monsieur le comte wiederum ist selbst in Rußland gewesen und weiß, was für ein unbedeutender Wicht so ein Hauslehrer ist – ein outchitel, wie sie sagen. Er kennt mich übrigens sehr wohl. Immerhin bin ich auch ungeladen bei Tisch erschienen; der General hatte wohl Verfügung zu treffen vergessen, sonst hätte er mich gewiß zum Mittagessen an die table d’hôte geschickt. Ich stellte mich von mir aus ein, was den General bewog, mißbilligend auf mich zu blicken. Die gute Marja Filippowna wies gleich auf einen Platz, auf den ich mich setzen solle; doch endgültig aus der Verlegenheit half mir die Anwesenheit von Mister Astley – ob man wollte oder nicht, ich gehörte nun zu ihrer Gesellschaft.

Dieser wunderliche Engländer war mir das erstemal in Preußen begegnet, auf der Eisenbahn, als ich den Unsern nachreiste; da saßen wir einander gegenüber. Später kreuzten sich unsere Wege, als ich nach Frankreich fuhr, und schließlich wieder in der Schweiz; im Laufe der letzten beiden Wochen geschah das zweimal, und nun also sah ich ihn in Roulettenburg wieder. Nie im Leben ist mir ein schüchternerer Mensch begegnet; er ist schüchtern bis zur Blödigkeit und weiß das natürlich selber, denn blöde ist er keineswegs. Er ist überhaupt ein sehr lieber und stiller Mensch. Bei der ersten Begegnung, in Preußen, brachte ich ihn zum Reden. Er erzählte mir, daß er in diesem Sommer am Nordkap gewesen sei und große Lust habe, einmal den Jahrmarkt in Nishni Nowgorod zu erleben. Ich weiß nicht, wie er mit dem General bekannt geworden ist; mir scheint, er ist maßlos verliebt in Polina. Als sie eintrat, flammte er auf wie das Morgenrot.

Er freute sich sehr, mich bei Tisch neben sich zu haben, und ich glaube, er erachtete mich schon als seinen Busenfreund.

An der Tafel gab der kleine Franzose arg den Ton an; er spielte den Lässigen gegenüber allen und machte sich wichtig. In Moskau, ich weiß noch, trieb er ein bißchen Hokuspokus. Hier redete er schrecklich viel von Finanzen und von der russischen Politik. Der General raffte sich ein paarmal auf zu widersprechen; doch er tat es bescheiden, einzig um nicht den letzten Rest von Stolz zu verlieren.

Ich war in einer seltsamen Gemütsverfassung; natürlich hatte ich mir schon während der ersten Hälfte des Mahles von neuem die Frage gestellt, die mich immerfort beschäftigte: Warum vertrödle ich meine Zeit mit diesem General, warum krieg ich’s ewig nicht fertig fortzugehen? Dann und wann blickte ich auf Polina Alexandrowna; sie wollte mich überhaupt nicht bemerken. Es endete damit, daß ich in Wut geriet und Grobheiten zu sagen beschloß.

Zuerst mischte ich mich mir nichts, dir nichts in ein fremdes Gespräch – laut und ohne rechten Anlaß. Mir kam es nur darauf an, den kleinen Franzosen zu schmähen. Ich wandte mich zum General, fiel ihm offenbar ins Wort und bemerkte ganz laut und deutlich, daß in diesem Sommer ein Russe nahezu überhaupt keine Möglichkeit habe, in einem Hotel an der table d’hôte zu speisen. Der General richtete auf mich einen erstaunten Blick.

»Wenn Sie sich selber achten«, schwadronierte ich weiter, »so werden Sie unbedingt schimpfliche Reden auf sich ziehen und widerwärtige Ausfälle ertragen müssen. In Paris und am Rhein, sogar in der Schweiz lümmeln an der table d’hôte so viele Polen herum und auch Franzosen, die mit ihnen ein Herz und eine Seele sind, daß Sie einfach nicht zu Wort kommen, wenn Sie nur Russe sind.«

Das sagte ich auf französisch. Der General blickte in großer Verlegenheit auf mich; er wußte nicht, ob er sich erzürnen oder über meine Ungehörigkeit nur wundern sollte.

»Offensichtlich hat Ihnen irgendwer irgendwo eine Lektion erteilt«, sagte der kleine Franzose lässig und verächtlich.

»Ich habe mich in Paris zuerst mit einem Polen gestritten«, erwiderte ich, »dann mit einem französischen Offizier, der für den Polen Partei ergriff. Darauf aber ging ein Teil der Franzosen auf meine Seite über, weil ich ihnen erzählte, wie ich einem Monsignore in den Kaffee spucken wollte.«

»Wahrhaftig?« fragte der General gravitätisch-unsicher und schaute sich sogar um. Der kleine Franzose musterte mich mißtrauisch.

»Jawohl«, antwortete ich. »Da ich volle zwei Tage lang überzeugt war, daß ich in unserer Angelegenheit vielleicht auf einen Sprung nach Rom würde reisen müssen, ging ich in die Kanzlei der Gesandtschaft des Heiligen Vaters in Paris, um das Visum in den Paß eintragen zu lassen. Mich empfing ein Abbé, ein fünfzigjähriges dürres Männchen mit frostigen Zügen; er hörte mich höflich, aber außerordentlich frostig an und bat mich zu warten. Ich war zwar in Eile, doch ich setzte mich natürlich, um zu warten; ich holte die ›Opinion nationale‹ hervor und begann eine fürchterliche Schmähung Rußlands zu lesen. Unterdessen hörte ich, wie durch das Nachbarzimmer jemand zu Monsignore ging; ich sah, wie...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2021
Übersetzer Werner Creutziger
Sprache deutsch
Original-Titel Игрок. Из записок молодого человека
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Dostojewski • Klassiker • psychologisches Innenleben • Roman • Roulette • Roulettenburg • Russische Literatur • Russland • Spielleidenschaft • Spielsucht
ISBN-10 3-8412-2808-9 / 3841228089
ISBN-13 978-3-8412-2808-6 / 9783841228086
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