Freie Spitzen (eBook)

Politische Witze und Erinnerungen aus den Jahren des Ostblocks
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2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2828-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Freie Spitzen - Bernd-Lutz Lange
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Ein Streifzug durch die vielfältige Landschaft des politischen Witzes im gesamten Ostblock vom Kriegsende bis zum Mauerfall

Bernd-Lutz Lange verwebt in seinen Texten die politischen Witze dieser Jahre mit der Beschreibung der herrschenden Zustände in jenen Ländern, mit anekdotischen Streiflichtern und seinen persönlichen Reiseerlebnissen.

'Jeder Witz ist eine winzige Revolution.' George Orwell

Mit Illustrationen von Egbert Herfurth.



Bernd-Lutz Lange, geboren 1944 in Ebersbach/Sachsen, wuchs in Zwickau auf. Nach einer Gärtner- und Buchhändlerlehre studierte er an der Fachschule für Buchhändler in Leipzig. 1966 war er Gründungsmitglied des Kabaretts 'academixer', von 1988 bis 2004 trat er im Duo mit Gunter Böhnke auf, bis 2014 mit der Sängerin und Kabarettistin Katrin Weber. Von Bernd-Lutz Lange liegt inzwischen zahlreiche Bücher vor.

Im Aufbau Verlag sind 'Dämmerschoppen', 'Magermilch und lange Strümpfe', 'Mauer, Jeans und Prager Frühling', 'Ratloser Übergang', 'Das Leben ist ein Purzelbaum', 'Davidstern und Weihnachtsbaum', 'Nischd wie hin. Unsere sächsischen Lieblingsorte' (zusammen mit Tom Pauls), 'Das gabs früher nicht' und 'David gegen Goliath. Erinnerungen an die Friedliche Revolution' (zusammen mit Sascha Lange) lieferbar. Zuletzt erschien 'Freie Spitzen. Politische Witze und Erinnerungen aus den Jahren des Ostblocks'.

Als Hörbuch bei Aufbau Audio sind 'Zeitensprünge. Kreuz und quer durch mein Leben', 'Das Leben ist ein Purzelbaum. Von der Heiterkeit des Seins', 'Teekessel und Othello. Meine sächsischen Lieblingswitze' und 'Sternstunden. Begegnungen mit besonderen Menschen' lieferbar.

2014 erhielt Bernd-Lutz Lange das Bundesverdienstkreuz. Seit 2019 ist er Ehrenbürger der Stadt Zwickau.

Die Struktur der späteren politischen Ostblockwitze entstand logischerweise mit der Gründung der Sowjetunion, mit der Bürokratie und Unterdrückung, die ein kommunistisch regierter Staat hervorbringt.

Zwischen 1917 und 1945 gab es diese Art von Humor, diesen satirischen Blick auf eine neue Gesellschaftsordnung, nur dort. 28 Jahre waren sie in dieser Beziehung allein auf der Welt (genauso lange gab es übrigens zufälligerweise in der DDR die Mauer …).

Erst im Zuge der Besetzung Osteuropas im Zweiten Weltkrieg durch die sowjetischen Truppen bildete sich dann nach und nach das sogenannte sozialistische Lager, weil die Sowjetarmee nun ihr Regime auch in diesen befreiten Ländern errichten konnte.

Hitler, der angetreten war, den Bolschewismus zu vernichten, hat durch seinen verbrecherischen Krieg die Ausbreitung des Bolschewismus in Europa erst ermöglicht.

Die Kommunisten in jenen Ländern verdanken nur den sowjetischen Besatzungstruppen die Übernahme der Macht. Ich erinnere mich noch an eine Diskussion mit meinem Geschichtslehrer, der die Entstehung dieser Staaten als »gesetzmäßig« im Sinne der marxistischen Weltanschauung einstufte. Das leuchtete mir nicht ein, es war für mich lediglich ein Zufall: Nur wo Sowjettruppen das Land erobert hatten, entstand Sozialismus. Ich brachte den Lehrer damit in die Bredouille, dass nach seiner Lesart dann ja Hitler und der Zweite Weltkrieg »gesetzmäßig« gewesen wären.

Er eierte herum und meinte, die Zeit wäre sowieso für diese revolutionären Veränderungen reif gewesen … Er behauptete also einfach etwas, das er nicht beweisen konnte, wir aber für wahr halten sollten.

Fakt ist jedenfalls, dass der Sieg der Sowjetunion über die Nazis und die Umwandlung jener Staaten in Volksdemokratien wiederum die Geburtsstunde jenes besonderen politischen Witzes in Osteuropa ist.

Schon die Oktoberrevolution 1917 in Russland stand unter einem denkbar schlechten Stern. Arthur Koestler schreibt in seinem Buch »Der Yogi und der Kommissar«: »Die Bedingungen waren ungünstig, weil die sozialistische Theorie auf der Grundlage beruht, dass die Arbeiterklasse die politische Macht zuerst in industriell fortgeschrittenen Ländern erobern werde, in denen die Massen eine höhere politische Reife erreicht haben; während das zaristische Russland sogar sprichwörtlich das rückständigste Land Europas war, mit asiatischer Tradition und einer Landbevölkerung, die zehnmal größer war als das Industrieproletariat, und mit mehr als 80 Prozent Analphabeten.«

Blicken wir bei der Gelegenheit in die Zeit der Kollektivierung der Landwirtschaft zurück, die in den Jahren von 1929 bis 1933 vom Staat mit harter Hand durchgesetzt wurde. Es gab viel Widerstand, denn man zwang die Bauern mit Gewalt in die Kolchosen. Viele Menschen wollten sich aber nicht von ihrem Hof trennen. Umsonst: Sie verloren ihr Hab und Gut. Wer den Beitritt verweigerte, musste mit Verbannung nach Sibirien rechnen.

Ein Agitator hat endlich einen Bauern überzeugt, dass er Kolchosmitglied wird:

»Iwan Iwanowitsch, bist du bereit, deine Kühe an den Kolchos abzugeben?«

»Ja, ich bin bereit.«

»Und die Pferde?«

»Ja.«

»Und die Ziegen?«

»Nein, die Ziegen nicht.«

»Aber warum? Du gibst die Kühe und die Pferde, aber wieso nicht die Ziegen?«

»Ich hab nur Ziegen.«

Die vielen Widersprüche boten reichlich Stoff für den Volkswitz. Und so ist es logisch, dass über die lange Zeit von 1922 (dem Gründungsjahr der UdSSR) bis 1991 die meisten Witze über Sozialismus und Kommunismus in der Sowjetunion entstanden. In fast 70 Jahren kommt einiges zusammen …

Die führenden Vertreter des Systems versuchten immer wieder, ein »neues Lachen« zu installieren, also eine Art »positiven Humor«, der die lichte Zukunft beschreibt. Man behauptete, alles Hässliche sei Überbleibsel des Kapitalismus. Und das redeten sich auch viele gläubige Kommunisten aus dem Ostblock ein, wenn sie das erste Mal ins Mutterland des Kommunismus reisten und von den wirklichen Zuständen im Land stark irritiert waren.

Ich kam 1950 in die Schule und bin seit frühester Kindheit mit den Bildern von Stalin aufgewachsen. Was hat man uns in der Schule für Geschichten über ihn erzählt, von Väterchen Stalin, der alle friedliebenden Menschen der Welt liebt und für sie kämpft!

Es dauerte ein paar Jahre, bis ich mit dem Älterwerden und durch westliche Quellen nach und nach die Wahrheit über ihn erfuhr.

Der kranke Lenin hatte in einem Brief noch vor Stalin gewarnt. Er erkannte augenscheinlich die Gefahr, die von dessen Charakter ausging. Als Stalin zum Generalsekretär des Zentralkomitees gewählt wurde, kommentierte das Lenin mit dem Satz: »Dieser Koch wird uns noch scharf gewürzte Speisen bereiten!«

Und im Jahre 1923 forderte Lenin in einem Testament-Nachtrag sogar die Absetzung von Stalin als Generalsekretär und schrieb: »Stalin ist rücksichtslos.«

Der Volksmund hatte das alles längst durchschaut und spitzte das Geschehen schwarzhumorig zu:

Als Lenin im Sterben liegt, ruft er Stalin zu sich.

»Ich bin sehr besorgt, ob die Menschen dir folgen werden.«

Stalin antwortet überzeugt: »Doch, werden sie, ganz bestimmt werden sie das.«

»Ich hoffe es«, meint Lenin, »aber wenn sie es nicht tun?«

»Dann werden sie eben dir folgen.«

Und dann war der Georgier, der eigentlich Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili hieß, doch an der Macht.

Von den engsten Mitarbeitern Lenins, also von denjenigen, die mit ihm die russische Revolution und die weitere Entwicklung verwirklichten, blieb keiner am Leben.

Von Trotzki bis Sinowjew, von Kamenew bis Bucharin, von Rykow bis Tuchatschewski und viele andere.

Fassungslos nahmen die Menschen zur Kenntnis, dass plötzlich die engsten Mitarbeiter von Lenin Volksfeinde oder Spione gewesen sein sollten. Stalin entledigte sich aller Menschen, die potenzielle Konkurrenten seiner Herrschaft sein könnten.

Wilhelm Herzog schreibt in seinem Buch »Menschen, denen ich begegnete«: »Nur so konnte er die von ihm angestrebte Alleinherrschaft erreichen und festigen. Nur so war es möglich, dass ein Personenkult entstand, wie er unmarxistischer kaum gedacht werden kann. Byzantinisch bis zur Lächerlichkeit … Der Weg führte in Russland vom Matriarchat über das Patriarchat zum Sekretariat, zur Herrschaft einer selbstherrlichen, größenwahnsinnig gewordenen und in ihrem Größenwahn ausschweifenden Bürokratie, die in Josef Stalin, dem ›Unfehlbaren‹, gipfelte.«

Der vor allem von ihm ausgelöste Massenterror in den Jahren 1937/38 betraf Millionen Menschen. Das russische Innenministerium schätzt nunmehr die Zahl der Hinrichtungen auf über 700 000.

Es kam zu völlig absurden »Geständnissen« durch permanente Verhöre, Folter und Psychoterror. Die Moskauer Schauprozesse mit vielen Todesurteilen, der Terror des NKWD (Volkskommissariat des Innenministeriums mit eigenen Truppen und einer Geheimpolizei), die Lager in Sibirien verbreiteten Angst und Schrecken. Von 1930 bis in die fünfziger Jahre waren in den Lagern etwa 18 Millionen Menschen inhaftiert. Mehr als 2,7 Millionen starben dort oder in der Verbannung. So steht es bei Wikipedia. Anne Applebaum zählt in ihrem monumentalen Werk »Der Gulag« noch sechs Millionen Verbannte nationaler Minderheiten dazu. Sie kommt deshalb auf viereinhalb Millionen Opfer, die im »Fleischwolf« zu beklagen sind. So nannten die Betroffenen im Jargon den Gulag.

Auch diese Tatsache ist eigentlich unvorstellbar: Ein großer Teil der KPD-Mitglieder, die sich nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland in die Sowjetunion gerettet hatten, wurde verhaftet und nicht selten in der Zeit des Nichtangriffspaktes bis 1941 sogar an die Nazis ausgeliefert. Sie entkamen Hitler, dem »Führer«, aber nicht Stalin, der in der UdSSR übrigens oft »Großer Führer« genannt wurde.

Hätten Rosa Luxemburg (sie begrüßte die Oktoberrevolution, aber warnte andererseits auch vor einer Diktatur der Bolschewiki) und Karl Liebknecht noch gelebt und in Moskau Zuflucht gesucht, dann wären sie mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls im Gulag gelandet …

Rosa Luxemburg sagte: »Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer nur Freiheit des Andersdenkenden.« Sie wollte nicht, dass sie »zum Privilegium« wird.

Trotzki, einer der potenziellen Nachfolger von Lenin, wurde auf Befehl Stalins im mexikanischem Exil ermordet, deutsche Antifaschisten klagte man als »deutsche Trotzkisten« an. Aufrechte Linke erklärte man zu »rechten Abweichlern«.

Manés Sperber schreibt in seinen »Sieben Fragen zur Gewalt« über Aussagen von Trotzki, die sich als Prophezeiung erweisen sollten: »Die Parteiorganisation, sagte er voraus, wird sich anstelle der Partei setzen; das Zentralkomitee wird die Parteiorganisation ersetzen und schließlich wird ein einziger Mensch die Macht des Zentralkomitees an sich reißen.«

Ich habe aus meiner Kindheit in Erinnerung, dass meine Mutter über meinen leider früh verstorbenen Vater erzählte, dass er einmal zu ihr gesagt hatte: »Stalin watet im Blut.« Eine Sendung im Londoner Rundfunk, den wir mit Mühe und etwas Glück in unserem veralteten Radio in Zwickau...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2021
Illustrationen Egbert Herfurth
Zusatzinfo Mit 30 Abbildungen.
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Comic / Humor / Manga
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Sprachwissenschaft
Schlagworte 20. Jahrhundert • Autobiografie • Bernd-Lutz Lange • DDR • Egbert Herfurth • Erinnerungen • Humor • Kabarett • Kalter Krieg • Kommunismus • Kulturgeschichte • Oral History • Ostblock • Politik • Politischer Witz • Reiseberichte • Volksdemokratien • Witz • Witze • Zeitgeschichte • Zeitzeugenbericht
ISBN-10 3-8412-2828-3 / 3841228283
ISBN-13 978-3-8412-2828-4 / 9783841228284
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