Unerbittliches Kreta (eBook)
300 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98823-0 (ISBN)
Die deutsche Autorin Nikola Vertidi lebt seit 2017 mehrere Monate im Jahr auf Kreta und besucht die Insel schon länger als ein Jahrzehnt regelmäßig. Griechisch Unterricht, die Integration in das kretische Leben durch Freunde und Streifzüge über die Insel machen nicht nur authentische Schauplätze möglich, sondern auch das Verständnis für die Lebensart der Kreter:innen. Selbstverständlich kommt der Genuss auf der Insel die von 'Gott geküsst' wurde nicht zu kurz und so schlemmt sich Nikola Vertidi durch Tavernen und Restaurants, trinkt auch mal einen Raki und tanzt Sirtaki ...
Die deutsche Autorin lebt seit drei Jahren mehrere Monate im Jahr auf Kreta und besucht die Insel schon länger als ein halbes Jahrzehnt regelmäßig. Griechisch Unterricht, die Integration in das kretische Leben durch Freunde und Streifzüge über die Insel machen nicht nur authentische Schauplätze möglich, sondern auch das Verständnis für die Lebensart der Kreter:innen. Selbstverständlich kommt der Genuss auf der Insel die von "Gott geküsst" wurde nicht zu kurz und so schlemmt sich Nikola Vertidi durch Tavernen und Restaurants, trinkt auch mal einen Raki und tanzt Sirtaki...
Kapitel 2
Elenis Blick glitt auf den Weg, der noch vor ihr lag. An manchen Stellen war er so steil, dass sie befürchtete, nicht hinabzukommen. Der gut gefüllte Rucksack auf ihrem Rücken machte den Abstieg nicht leichter. Einige Male hatte sie sich nach Atem ringend gefragt, warum sie das hier machte, war kurz stehen geblieben und dann doch weitergestapft. Sie hatte sich etwas vorgenommen, und davon ließ sie sich nicht so leicht abbringen. Das machte ihre Persönlichkeit aus, zumindest war ihre Familie dieser Ansicht.
Von deren Seite klang es aber eher nicht freundlich, sondern vielmehr wie ein Stigma oder gar eine Beleidigung. »Störrisch wie ein Esel« oder »eigensinnig wie eine Kri-Kri« benannten sie sie. Also wie eine der Ziegen, derer es Unmengen auf der Insel gab und die frei umherliefen und taten, was immer sie wollten. Es gab ganze Landstriche, die durch die sich frei bewegenden Schafe und Ziegen kahl gefressen waren. Nur die stacheligen Gewächse verschmähten sie, und das gab den Hügeln eine sonderbar anmutende Kargheit, durchzogen von grünen Linien, an denen man sich die Beine unschön aufritzen konnte.
Für die Touristen war es immer ganz wundervoll, wenn sie in den Bergen umherkurvten und plötzlich eine Horde haariger Paarhufer auf der Straße umherstolzierte. So, als hätten sie noch nie eine echte Ziege gesehen. Eleni wusste, dass es auch in anderen Ländern Ziegen gab und dass es sich bei den müffelnden Viechern keinesfalls um zauberhafte Einhörner handelte, die man wie ein Wunder bestaunen musste.
Auf Kreta gab es nur Superlative. Zumindest wenn es nach den Verfechtern der kretischen Einzigartigkeit ging: die höchsten oder tiefsten Schluchten, den rosafarbensten Strand, den größten natürlichen Palmenwald oder was auch immer. Alles war am größten, besten oder schönsten. Sonderbar war nur, dass sie es bei all dem Großartigen nicht auf die Reihe bekamen, wirtschaftlich auf einen grünen Zweig zu kommen. Doch diese Meinung wollte niemand zu Hause hören. Damit machte sie sich unbeliebt bei den sonntäglichen Familienessen, doch da sie diese Zusammentreffen mittlerweile ohnehin durch und durch verabscheute, war es ihr egal geworden, ob alle den Kopf über sie schüttelten.
Wahrscheinlich war auch ihr heutiges Vorhaben genau aus einer solchen Stimmung heraus entstanden: Sie hatte die Schnauze voll von dem Getue am Tisch und von den ärgerlichen oder mitleidigen Blicken der anderen. Ihre Schwägerin Emmanouela blickte sie immer an, als sei sie Opfer eines furchtbaren Unfalls und schwer am Hirn verletzt worden, und ihr Vater begann regelmäßig so laut mit den Zähnen zu knirschen, dass sowohl ihre Mutter als auch ihr Bruder ihr flehentliche Blicke zuwarfen, ihre Worte aufzuhalten. Doch sie hatte keine Lust mehr zu schweigen und sich unterzuordnen. Sie war achtzehn und nicht sieben. Sie wusste, was in der Welt vor sich ging, und war fähig, das politische Dickicht auf der Insel zu durchdringen. Und was sie am meisten hasste, waren der verfluchte Aberglaube, der sich wie eine genetische Manipulation von Generation zu Generation zu vererben schien – und natürlich die patriarchalische Rollenverteilung. Ihr Vater machte im Haus keinen Finger krumm, und falls man ihn bat, ein Glas aus der Küche zu holen, war es, als verlange man von ihm, den Boden der Küche abzulecken. Er werkelte nur im Garten und der Scheune herum. Benötigte er aber zum Beispiel bei der Reparatur eines Zaunstückes Hilfe, so hatte er kein Problem damit, ihren Namen oder den der Mutter zu brüllen. Da stimmte doch irgendwas in dem Kopf der Männer nicht.
Sie konnte nicht verstehen, warum die Mutter auf dieser sonntäglichen Bürde bestand. In ihren Gedanken hatte Eleni ihre Schwägerin bereits mehrfach mit einem der Fleischmesser feinstreifig filetiert, und auch für ihren Bruder Manolis hatte sie mehr als einmal blutige Todesarten ins Auge gefasst. Der Achtundzwanzigjährige hatte sich den Vater als Vorbild genommen, geheiratet, zwei Kinder gezeugt und seiner Frau verdeutlicht, dass er sie vor allem zur Aufzucht seines Nachwuchses geehelicht hatte. Na, wenn das nicht eine wunderbare Grundlage für eine respektvolle Beziehung war! Eigentlich konnte einem Emmanouela nur leidtun, aber sie hatte es sich irgendwie bequem gemacht in ihrem Leben. Sie war nach dem zweiten Kind wirklich fett geworden und hatte die Rolle der kretischen Ehefrau und Mutter ganz angenommen. Ihr Bruder hatte es sogar eingeführt, dass seine Frau ihn um das gemeinsame Auto bitten musste, falls sie irgendwohin fahren wollte. Das war keine Ehe, das war moderne Sklaverei.
Eleni war so in ihre Gedanken versunken, dass sie ihre Aufmerksamkeit nicht genug auf den steilen Abstieg richtete. Sie stolperte und konnte sich im letzten Moment noch an einer Baumwurzel, die aus dem felsigen Geröll ragte, festhalten.
Schwer atmend und leicht zittrig in den Knien verharrte sie. Vielleicht war es eine dumme Idee gewesen, hier einzudringen. Der offizielle Zugang zur Schlucht war seit Mitte Oktober geschlossen, und egal, welchen Reiseführer man las: Es wurde dringend davon abgeraten, sich allein auf diese gefährliche Tour zu begeben. Man konnte während der offiziellen Öffnungszeiten schon allein los, so war es nicht, aber da das Zutrittsticket nicht nur am Eingang, sondern auch am Ausgang der Schlucht kontrolliert wurde, fiel es auf, wenn jemand nicht ankam, egal ob freiwillig oder unfreiwillig. Da die Handyverbindung in der Schlucht nicht funktionierte – böse Zungen behaupteten, die Amerikaner hätten einen Störsender eingebaut, da sie rund um Chania herum geheime Waffenlager aufgebaut hätten –, war es tatsächlich nicht ungefährlich, allein hier unterwegs zu sein.
Sie aber war ganz allein, und niemand würde bemerken, ob sie am Ausgang ankam oder nicht. Niemand würde wissen, wo man sie finden konnte, falls sie übel stürzte, denn sie hatte keine Nachricht hinterlassen und keinem Bescheid gesagt. Es war ein Abenteuer – ihr Abenteuer!
Sie sah schon die ersten steinernen Umrandungen des verlassenen Dorfes Samaria und den Felsvorsprung, unter den sich einige der Ruinen schmiegten, als das Wetter plötzlich umschlug. Dabei hatte sie extra einen Tag ausgewählt, an dem der Wetterbericht stabile zweiundzwanzig Grad und klaren Himmel voraussagte. Die Wolkenfetzen flogen von Süden herbei und sahen unheilschwanger aus. Nicht einfach nur so, als würden sie ein paar Tropfen abwerfen und sich dann entzerren und den blauen Himmel wieder rasch freigeben, nein, es sah nach einem verdammten Unwetter aus.
Sie warf einen Blick nach oben und bemühte sich, die letzten Meter des Abstiegs so schnell und so sicher wie möglich zu schaffen, um dann in einem der verlassenen Häuser Zuflucht zu finden. Sie hangelte sich den Abhang hinab, setzte die einfachen wanderbeschuhten Füße sorgsam in die ausgetreten steinernen Mulden und erreichte gerade noch, bevor sich der wolkenverhangene Himmel schleusentorartig öffnete, das erste leer stehende Haus. Hastig eilte sie durch den steinernen Rundbogen in die schützende Trockenheit. Sie ließ den Rucksack fallen und beobachtete das Spektakel draußen mit großen Augen. Der Regen platschte in dicken Tropfen herab, und es sah so aus, als würden die Götter einen großen Wassereimer über der Schlucht ausgießen. Ganz sicher würde der Fluss dadurch über die Ufer treten und die hölzernen Brücken, die über das Flussbett führten, würden dann kaum noch zu sehen, geschweige denn zu benutzen sein.
Sie atmete tief durch, irgendwie würde es schon klappen, den Weg bis zur Eisernen Pforte zurückzulegen. Sie würde gewiss nicht versuchen, den Berg wieder hinaufzukraxeln, denn das tat man unter diesen Umständen tatsächlich nur, wenn man lebensmüde war. Allerdings stand sie unter Zeitdruck, denn wenn sie noch heute wieder nach Hause kommen wollte, musste sie die Fähre erreichen, die sie von Agia Roumeli nach Sougia bringen würde, um dann dort den Bus nach Chania zurück nehmen zu können.
Sie blickte vorsichtig durch den Bogen zum Himmel hinauf, um nicht nass zu werden, und stellte fest, dass es unvermindert wie aus Kübeln goss, ein markerschütterndes Donnergrollen kam näher. Erste Blitze zuckten grell aufleuchtend durch das Grau, und der Hall des dumpfen Dröhnens schien sich in den Anhöhen der Schlucht zu fangen und dort zu vervielfachen.
Sie war ein mutiges Mädchen mit dem Herz am rechten Fleck, war nicht kleinzukriegen und behauptete sich mühelos gegen ihren älteren Bruder oder dämliche Typen in der Innenstadt, doch nun wurde ihr doch ein wenig mulmig zumute. Ihre Mutter würde durchdrehen und ihr Vater ganz sicher die Polizei alarmieren. Na bravo, das Desaster war perfekt. Anstatt gestärkt aus dem abenteuerlichen Marsch hervorzugehen, würde sie die Spitzen ihrer Familie für immer und ewig ertragen müssen.
Sie stieß einen lauten, unwirschen Fluch aus, während der Jahrhundertregen anfing, Gesteine zu unterspülen und Felsbrocken anzuheben. Sie saß offensichtlich erst einmal hier fest und war nun froh, dass sie es bis Samaria geschafft hatte und nicht irgendwo auf der Steinernen Treppe dieser Naturgewalt ausgeliefert war. Das verlassene Haus bot ihr Schutz vor dem Regen. Sie holte ihre leichte Jacke aus dem Rucksack und zog diese über, da das Gewitter die Temperatur merklich gesenkt hatte. Dann betrachtete sie ihren Reiseproviant. Wasser war kein Problem, denn sie konnte es sowohl am Fluss als auch an den Wasserquellen auffüllen. Sie hatte einige Müsliriegel eingepackt sowie eine Brotdose mit den restlichen Dakos von gestern. Die knusprigen Brote hatte der Saft der Tomaten angenehm durchweicht, und der bröckelige Schafskäse gab dem Gericht Würze. Sie liebte es, wenn die Dakos genauso beschaffen waren und nicht ganz frisch auf den Tisch kamen. Sie...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2021 |
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Reihe/Serie | Griechenland-Krimis |
Griechenland-Krimis | Griechenland-Krimis |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bücher für den Sommer • Griechenland • Griechenland Krimi • Inselkrimi • Kreta-Roman • Krimi Kommissar • Kriminalroman • Nicole de Vert • Polizeiermittlung • spannende Bücher für den Urlaub • Urlaubskrimi |
ISBN-10 | 3-492-98823-7 / 3492988237 |
ISBN-13 | 978-3-492-98823-0 / 9783492988230 |
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