SØG. Schwarzer Himmel (eBook)
496 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43914-5 (ISBN)
Jens Henrik Jensen wurde 1963 in Søvind, Dänemark, geboren. Er hat 25 Jahre als Journalist gearbeitet und war in verschiedenen Funktionen, u.a. als Redakteur und Ressortleiter, für die Tageszeitung >JydskeVestkysten< tätig. Seit 2015 widmet er sich ganz dem Schreiben. Sein Debütroman >Wienerringen< erschien 1997, in den folgenden Jahren veröffentlichte er die Kazanski-Trilogie sowie die Nina-Portland-Reihe. Im Rahmen der Recherche für seine Bücher reiste Jensen nach Murmansk, Krakau und durch den Balkan. Weitere Reisen führten ihn nach Australien und Neuseeland sowie nach Nord- und Südamerika. Mit seiner jüngsten Serie um den traumatisierten Ex-Elitesoldaten Niels Oxen wurde er zum Shootingstar der internationalen Krimiszene und eroberte auch in Deutschland soforrt die Top 5 der SPIEGEL-Bestenliste. 2017 gewann Jens Henrik Jensen den Danish Crime Award.
Jens Henrik Jensen wurde 1963 in Søvind, Dänemark, geboren. Er hat 25 Jahre als Journalist gearbeitet und war in verschiedenen Funktionen, u.a. als Redakteur und Ressortleiter, für die Tageszeitung ›JydskeVestkysten‹ tätig. Seit 2015 widmet er sich ganz dem Schreiben. Sein Debütroman ›Wienerringen‹ erschien 1997, in den folgenden Jahren veröffentlichte er die Kazanski-Trilogie sowie die Nina-Portland-Reihe. Im Rahmen der Recherche für seine Bücher reiste Jensen nach Murmansk, Krakau und durch den Balkan. Weitere Reisen führten ihn nach Australien und Neuseeland sowie nach Nord- und Südamerika. Mit seiner jüngsten Serie um den traumatisierten Ex-Elitesoldaten Niels Oxen wurde er zum Shootingstar der internationalen Krimiszene und eroberte auch in Deutschland soforrt die Top 5 der SPIEGEL-Bestenliste. 2017 gewann Jens Henrik Jensen den Danish Crime Award.
1
Esbjerg, 2007
Er hatte das Gefühl, als reichten seine Nervenenden bis weit in das nasse Element hinein. Über die Angelschnur, die er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, verzweigten sie sich in den braunen Wellen und verursachten ein prickelndes Gefühl im Körper.
Mit Sicherheit hatte ihm sein inzwischen so jämmerlich gewordenes Leben kaum etwas Besseres zu bieten. Er konnte in die Rolle des Fängers schlüpfen, obwohl er an seinen elektrischen Rollstuhl gefesselt war. Die Gicht hatte zwar seine Beine angefressen, aber um das Salz des Lebens, das Angeln, konnte die Krankheit ihn nicht bringen.
Mit dem Hemdsärmel wischte er sich die Schweißperlen von der Stirn. Obwohl es bereits sieben Uhr abends war, hatte die schwüle Hitze kaum nachgelassen. So ging das nun schon fünf, sechs Tage. Alle stöhnten über das Wetter. Eigentlich konnte er die Hitze nicht ausstehen, aber sie linderte das Reißen in seinem Körper.
Allerdings kündigte sich jetzt ein Wetterumschwung an. Die Wolken türmten sich auf, als wollten sie in einem Wutanfall mit dem Großreinemachen beginnen.
Er fühlte nichts. Es gab keine Verbindung zum Leben unter der Wasseroberfläche. Er hielt die Nylonschnur straff in der linken Hand, sodass er ein unmittelbares Gefühl für das Vorfach und die beiden Haken dort draußen über dem schlammigen Grund bekam. Auch das geringste Schnappen einer Flunder nach den Sandwürmern würde seinen erfahrenen Fingern nicht verborgen bleiben. Mit der Rechten achtete er auf seine zweite Angel, die in einer Halterung an der Armlehne steckte. Hin und wieder rollte er ein Stück der Leine auf, sodass er sie sofort anziehen konnte, sollte eine Meeräsche sich von dem Weißbrot anlocken lassen.
Zwei Angeln und ein Bier in Reichweite – so hatte er schon viele Stunden auf dem Tauruskai verbracht, südlich des Esbjergwerks. Auf der rechten Seite ragte das Kraftwerk in den Himmel, hinter ihm lagen die enormen Kohlenhalden, und zu seiner Linken formten die spitzen Vulkangipfel aus Kies und Splitt von der Schotter- und Kiesfirma Vesterhavsral eine bizarre Landschaft. Die Gegend wurde Sahara genannt. Hier draußen vereinten sich Meer und Land.
Er musste nun immer bis zum Südhafen fahren, man hatte ihn dazu gezwungen. Oder richtiger, das »System« hatte ihn in diese trostlose Landschaft verbannt. Früher hatte er in der Nähe des Hafengebiets angeln können, wo er sich als alter Fischer zu Hause fühlte und jederzeit jemanden zum Klönen fand. Dem hatte dann dieser verdammte Zaun ein Ende gesetzt – der Terrorzaun. Er zog sich beinahe um den ganzen von ihm so geschätzten Hafen und stempelte einen ehrlichen Mann zum Verbrecher, auch wenn er sich nur zum Angeln einschlich.
Jeder dunkelhäutige Mullah, der im Hafen eine Bombe legen wollte, konnte sich doch einfach an den Schranken vorbeidrücken oder über den Zaun klettern, dachte er. Unter der unwahrscheinlichen Voraussetzung, dass der Hafen von Esbjerg jemals Ziel eines Terroranschlags werden könnte.
Das erste drohende Donnergrollen weit draußen auf dem Meer riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Er blickte zum Himmel und stellte fest, dass die blauschwarze Wolkendecke sich näher herangeschoben hatte, jenseits von Fanø baute sie sich auf wie eine Wand. Der Wind hatte aufgefrischt.
Als der Donner zum zweiten Mal leise grollte, verschwand plötzlich der rote Schwimmer. Beinahe hätte er sein Bier fallen lassen, zog aber noch im richtigen Moment an. An der Angel zuckte es gewaltig, eine hübsche Meeräsche musste das sein.
Es zeigte sich, dass er recht hatte, als er den Fisch auf dem Kai von der Angel befreite. Mit dem Messer stach er der Meeräsche in den Nacken und entfernte die Innereien. Im selben Moment bemerkte er, wie die schlappe Schnur der anderen Angel sich über der Wasseroberfläche spannte. Auch hier hatte einer angebissen.
Eine schöne große Flunder tauchte auf, als er hastig am Griff der Rolle drehte und seinen Fang auf den Asphalt zog. Seit Stunden nichts – und nun zwei Fische in zwei Minuten. Vielleicht war ja doch was dran, dass die Fische bei Gewitter besonders gut bissen? Doch ihm gefiel das nicht.
Eine Reihe ohrenbetäubender Schläge ließ die Luft erzittern. Erschrocken blickte er zum Himmel. Die schwarze Wolkendecke hatte Fanø bereits eingeschlossen. Er spürte einen heftigen Windstoß im Gesicht, Sekunden später zerriss ein Blitz den Himmel über dem Meer und ließ die flachen Konturen der Insel scharf in der Dämmerung hervortreten.
Hektisch stopfte er die Fische in eine Tüte und packte sein Angelzeug zusammen. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Seine Hände zitterten, als er die Angeltasche hinter sich in den Korb warf und den Griff am Lenker bis zum Anschlag drehte. Sein Fahrzeug setzte sich mit dem charakteristisch singenden Geräusch des Elektromotors in Bewegung.
Die Donnerschläge dröhnten jetzt in einer erschreckenden Lautstärke. Er bog in die Straße ein, die zwischen den riesigen Kohlenhalden des Kraftwerks verlief. Jetzt musste er die Abkürzung nehmen. Er schaute über die Schulter, als eine Serie von Blitzen über den Hafen zuckte. Das Vorderrad traf auf ein tiefes Schlagloch im Asphalt, sodass er fast die Kontrolle über sein Gefährt verloren hätte. Gerade noch konnte er die Balance halten.
Er verringerte das Tempo, als er die Schranken des Terrorzauns erreichte. Wenn er ein bisschen Gewalt anwandte, konnte er den Rollstuhl zwischen den Schranken hindurchzwängen und auf das verbotene Gelände rollen. Das Verbot war ihm jetzt egal.
Er wollte nach Hause, in Sicherheit, und das ging am schnellsten, wenn er durch das verbotene Hafengebiet fuhr.
Der Regen prasselte auf ihn nieder, er hatte eine Heidenangst.
Seine Arme begannen zu zittern.
Die eiskalte Dusche hatte sie abgekühlt. Jetzt saß Nina am Gartentisch auf dem Balkon. Sie hatte sich ein Handtuch um die Taille gebunden und eine kurzärmlige Bluse aus indischer Baumwolle darübergezogen, so dünn und luftig, dass sie sich beinahe nackt fühlte. Sie hatten einen perfekten Sonntag miteinander verbracht. Ihr Sohn Jonas und sie waren an den Strand gefahren, die Räder hatten sie nach Fanø mitgenommen. Mit Sicherheit war es die letzte Strandpartie dieses Jahres gewesen.
Der Herbst würde wahnsinnig hektisch werden. Die erste Runde des Führungskurses der Polizei war geplant und bedeutete zwei Wochen Aufenthalt im Ausbildungszentrum von Avnø, einem gottverlassenen Ort auf Seeland. Wenn man in die Führungsetage aufsteigen wollte, kam man um Avnø nicht herum. Und das hatte sie vor – der Aufstieg zur stellvertretenden Polizeihauptkommissarin war der nächste Schritt auf der Karriereleiter. Nina hegte keine Machtgelüste, es war eher der banale Wunsch nach neuen Herausforderungen. Sie marschierte doch ohnehin immer vorneweg, und sobald sie das Wort ergriff, hörten die Kollegen ihr zu, unabhängig vom Dienstgrad.
Als stellvertretende Polizeihauptkommissarin würde sie vermutlich kaum eine Krone mehr verdienen, aber sie empfand den Kurs als Fehdehandschuh, den man ihr vor die Füße geworden hatte, und als Herausforderung ihrer fachlichen Kompetenz – eine ziemlich feierliche Formulierung, aber doch so etwas wie die Essenz ihres Entschlusses. Sie war gut, aber sie wollte noch besser werden.
Natürlich ging es auch um Einfluss. Sie hasste es, stupide Befehle von oben zu empfangen. Und ihre Gelassenheit und ihr Selbstvertrauen waren mit den Jahren eher gewachsen. Jetzt wollte sie den Fehdehandschuh aufnehmen und es besser machen – mit einer größeren Umsicht als diejenigen, deren Entscheidungen auf einer Mischung aus männlicher Routine und dem Glauben an ihre eigene Unfehlbarkeit basierten. Die beiden ersten Aufgaben des schriftlichen Vorbereitungskurses hatte sie jedenfalls schon abgeliefert. Der Arbeitsauftrag in Soziologie war nicht sonderlich konkret gewesen. Bei Begriffen wie »primäre und sekundäre Sozialisation« war sie ziemlich ins Schwimmen gekommen. Und für den Organisationstest hatte sie Leavitts Systemmodell durchgeackert und inzwischen längst wieder vergessen.
Verdammt, es durfte gern etwas praktischer werden. Schließlich hatte sie unter anderem deshalb vor vielen Jahren das Jurastudium an der Universität von Århus geschmissen. Auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer lag der dritte Arbeitsauftrag wie eine stumme Drohung: Diesmal ging es um Führung.
Wie sie sich kannte, würde sie erst im allerletzten Moment damit beginnen. Sie gab ein armseliges Vorbild ab. Predigte sie ihrem Sohn nicht ständig, dass die Hausaufgaben an erster Stelle kommen sollten?
Doch bei den schriftlichen Aufgaben handelte es sich nur um den Vorhof der Hölle. Denn bald würde der Kurs in Avnø losgehen. Viermal zwei Wochen lang, nur die Samstage und Sonntage waren frei.
Eine Schusssalve. Jonas war nach dem Abendessen aufgestanden und spielte am Computer. »Hitman« – schon wieder.
Auf dem Präsidium hatte ihre Abteilung merkwürdige Arbeitstage hinter sich. Wahnsinnig still, dabei war die vorangegangene Woche auch schon außergewöhnlich ruhig gewesen. Es war kein Problem gewesen, den Mittwoch für ihren Fernkurs freizunehmen. Vielleicht war es zu heiß für Verbrechen? Nina war die Stille jedenfalls nicht geheuer. Seit Tagen spürte sie diese Unruhe.
Die Woche hatte mit einer Serie falscher Reiseschecks begonnen, die in verschiedenen Banken in der Umgebung eingelöst worden waren. Danach hatten sie sich um die eingeschlagene Scheibe eines Bekleidungsgeschäfts in der Kongensgade kümmern müssen. Die Einbrecher hatten einige Lederjacken mitgehen lassen, es gab ein paar Hauseinbrüche – und dann – sozusagen als...
Erscheint lt. Verlag | 17.11.2021 |
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Reihe/Serie | Nina-Portland-Trilogie | Nina-Portland-Trilogie |
Übersetzer | Ulrich Sonnenberg |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | belastendes Material • Danehof-Trilogie • Dänemark • Dunkle Mächte • Ermittlung • Ermordung • Ermordung Caesars • Esbjerg • Fanö • Fanø • Folter • Geheimdienste • Hinrichtung • internationaler Politthriller • Istanbul • Jussi Adler-Olsen • Kapitänstochter • Mord • Mutter-Sohn-Beziehung • Nina Portland • Nordeuropa • oxen • Politthriller • raue Landschaft • Scandi-Crime • See • Skandinavien • Skandinavischer Krimi • skandinavischer Thriller • skandinavische Spannung • Sog • Thriller Dänemark • Thriller Neuerscheinung 2021 • thriller skandinavien |
ISBN-10 | 3-423-43914-9 / 3423439149 |
ISBN-13 | 978-3-423-43914-5 / 9783423439145 |
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