Worte und Wunder (eBook)

Schicksalsroman einer Buchhandlung - Roman
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2021 | 1. Auflage
336 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43913-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Worte und Wunder -  Ann-Sophie Kaiser
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Wer braucht Bücher, wenn die Butter fehlt fürs Brot? Alle, die vom Aufbruch träumen ... Es geht ums Überleben, aber die junge Ruth, Tochter einer Buchhändlerfamilie, weigert sich, nur an die Butter fürs Brot zu denken. Der Vater hat für die Literatur gelebt und tüchtig war er auch. Er wollte den Namen der Familie großmachen. Die Buchhandlung erweitern. Schlimm, dass er mit ansehen musste, wie der alterwührdige Laden am Rathaus Schöneberg ausbrannte. Das war, als würde das Feuer auch an ihm fressen. Friedrich war sein Hoffnungsträger, Ruths Ideen hat er nicht gehört. Aber jetzt ist sie am Zug. Sollen die anderen Kartoffelschalen abkochen. Berlin braucht Stimmen und Geschichten. Berlin braucht Fantasie. Die dunklen Jahre sind vorbei. Die Buchhandlung Klinger hat überlebt ...

Ann-Sophie Kaiser ist in Berlin geboren und lebt auch heute noch hier. Sie hat für ein kurzes Semester Physik an der Humboldt-Universität studiert, bevor sie erkannt hat, dass sie lieber schreiben möchte. Sie liebt es, in den Berliner Seen zu schwimmen und sich bei ausgedehnten Stadtspaziergängen durch die Kieze in das historische Berlin zurückzudenken. Nach Unter den Linden 6 ist Worte und Wunder ihr zweiter Roman.

Ann-Sophie Kaiser ist in Berlin geboren und lebt auch heute noch hier. Sie hat für ein kurzes Semester Physik an der Humboldt-Universität studiert, bevor sie erkannt hat, dass sie lieber schreiben möchte. Sie liebt es, in den Berliner Seen zu schwimmen und sich bei ausgedehnten Stadtspaziergängen durch die Kieze in das historische Berlin zurückzudenken. Nach Unter den Linden 6 ist Worte und Wunder ihr zweiter Roman.

Kapitel 2


Sommer 1948


»Hey, hübsches Mädchen, darf ich dir was zu trinken spendieren?«

Lore blickte von ihrem Buch hoch und schaute in die Augen des Mannes, der sich einfach neben sie gesetzt hatte. Dabei saß sie doch extra weit von der riesigen Tanzfläche entfernt, damit niemand sie ansprach. Der Wirt hatte ihr schon zu verstehen gegeben, dass sie langsam mal wieder etwas bestellen oder besser verschwinden sollte. Und da sie schon lange kein Geld mehr hatte, blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als sich tatsächlich etwas spendieren zu lassen. Die beiden Schwestern, Helga und Erika, bei denen Lore auch heute wieder übernachten durfte, tanzten irgendwo weiter hinten. Sie wollte ihnen nicht noch mehr zur Last fallen – es war schon nett genug, dass sie ihr seit Tagen einen Unterschlupf boten.

Kennengelernt hatte Lore die Schwestern in einem Tanzsaal wie diesem, allerdings in Steglitz, im Offiziersclub Lightning Lounge, wo die GIs und zahlreiche junge Mädchen ihr Vergnügen suchten. Helga und Erika waren eindeutig auf Männerfang gewesen, und obwohl Lore als Konkurrenz anzusehen war, hatten sie sich ihrer angenommen. Dass Lore nur übergangsweise in ihrer Badewanne nächtigen konnte, war klar, allein schon weil diese furchtbar unbequem war, trotzdem war sie für jede Hilfe dankbar. Deshalb nahm sie es auch in Kauf, dass sie bis spät in der Nacht mit den beiden um die Häuser ziehen musste.

Da konnte sich Lore nur selten eine Pause gönnen, auch wenn sie, wie jetzt gerade, nichts lieber täte, als einfach nur in Ruhe in ihrem Buch zu lesen.

Nun, etwas zu trinken wäre schon nett.

Also wandte sich Lore seufzend dem Fremden zu. Er musterte sie, zum Glück nicht anzüglich, wie sie erleichtert feststellte, eher interessiert. Anzügliche Männer hatte sie in den letzten Tagen in den GI-Clubs in Steglitz und Zehlendorf nämlich schon genug gesehen.

Tatsächlich schien dieser Mann hier sogar ihren leichten Unwillen bemerkt zu haben – den bemerkten die Männer, je später der Abend wurde, immer weniger, und jetzt war es schon weit nach Mitternacht.

»Hey, ich wollte dich nicht bedrängen oder so«, sagte er fröhlich. »Du sahst nur so traurig aus. Da dachte ich, vielleicht kann ich dich ein wenig aufmuntern.«

Der Mann war ein gutes Stück älter als Lore, kleine Fältchen umgaben seine Augen. Vermutlich war er nur auf der Suche nach einer jungen Eroberung für eine Nacht.

»Ich bring dir eine Limonade, in Ordnung?« Und damit stand er auf und machte sich auf den Weg zur Theke.

In dem schummrigen Licht der Kerzen auf den Tischen, das den Tanzsaal erhellte, sah Lore mit einem Mal seine Kleidung. Die Farbe war kaum zu erkennen, ließ sich aber erahnen, zusammen mit dem prägnanten Schnitt. Verdammt, auch das noch! Als er so nah neben ihr gesessen hatte, war es ihr nicht aufgefallen. Dafür reichte das Licht hier einfach nicht, schließlich war gestern um Punkt Mitternacht endgültig der Strom in den Westsektoren abgestellt worden. Er trug die Uniform eines GI. Ausgerechnet heute, wo Lore ganz besonders schlecht auf die Amerikaner zu sprechen war, traf sie natürlich schon wieder auf einen von ihnen. Dabei war sie am Morgen gezwungen gewesen, einen ihrer kostbarsten Schätze, eines ihrer Bücher, die sie bisher immer zurückgehalten hatte, mit einem amerikanischen Soldaten auf dem Schwarzmarkt zu tauschen. Und daran wollte sie nicht mehr erinnert werden. Hätte sie gewusst, dass der Mann, der sie gerade angesprochen hatte, ein Amerikaner war, sie hätte ihn sofort abgewimmelt. Aber sein Deutsch war tadellos. Sie hatte überhaupt keinen Verdacht geschöpft.

Der Amerikaner schob sich wieder neben sie und stellte ein Glas vor ihre Nase.

»Ich bin übrigens Robert«, sagte er. Er sprach seinen Namen amerikanisch aus.

»Lore«, sagte sie unwillig, griff aber nach dem Getränk.

Es war, wie Lore in den letzten Wochen festgestellt hatte, schwierig, etwas Ordentliches zu essen und zu trinken zu bekommen. Essen gab es ausschließlich gegen Lebensmittelmarken, und die bekam man nur, wenn man eine vernünftige Arbeit hatte – und einen Wohnsitz brauchte man auch. Und jetzt, da Westberlin durch die russische Blockade von der Außenwelt abgeschnitten worden war, geizten die Leute hier noch viel mehr mit dem wenigen, was sie besaßen. Die beiden Schwestern, die Lore aufgenommen hatten, arbeiteten in einer Bügeleisenfabrik und hatten deshalb einigermaßen ausreichende Rationen. Doch sie mussten ihre kranke Mutter versorgen und sich auch Vorräte anlegen. Wann die Russen ihre Blockade beenden würden, mit der sie Berlin in ihren Machtbereich zu bringen versuchten, war nämlich fraglich.

Lore trank genüsslich einen Schluck aus ihrem Glas. Sie wollte den Amerikaner jetzt nicht auch noch um etwas zu essen bitten, dafür war sie zu stolz. Er sollte lieber wieder verschwinden, damit sie weiter in ihrem Buch lesen konnte. Es waren Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff, die Lore ein wenig Trost spendeten. In Bücher einzutauchen war für sie, als fiele sie geradewegs in eine andere Zeit, eine ruhigere, in der ihr nichts Schlechtes widerfahren konnte.

Leider löste sich der Amerikaner, sobald sie seine Limonade ausgetrunken hatte, nicht einfach in Luft auf. Stattdessen lachte er überrascht, als er sah, wie sie, den Kopf geneigt, darauf wartete, dass auch noch der letzte Tropfen aus dem Glas in ihren Mund fiel.

»Du bist echt durstig, was?«

»Und du kannst echt gut Deutsch«, erwiderte Lore. Sie gab sich nicht gerade Mühe, nett zu klingen. Er sollte rasch das Interesse an ihr verlieren. Außerdem hatte sie sich eine gewisse Direktheit angewöhnt. In Berlin genügte es, wenn man sagte, was man dachte. Das gefiel Lore.

»Meine Mutter war Deutsche«, sagte der Amerikaner und trank nun seinerseits einen Schluck.

Lore nickte. Ihr war Schweigen schon immer unangenehm gewesen, auch wenn die Band hier im Hintergrund gerade laut und schwungvoll einen jitterbug spielte. Lore fühlte sich gezwungen, die Unterhaltung am Laufen zu halten.

»War?«, fragte sie deshalb.

»Ja, sie ist leider schon verstorben«, antwortete Robert und für einen Moment trafen sich ihre Blicke.

Lore überlegte kurz, ihm, ebenso beiläufig, zu antworten, dass auch ihre Mutter gestorben war, entschied sich aber dagegen. Das war gefährliches Terrain, sie wollte nicht, dass es zu persönlich wurde. Sie suchte keine Aufmerksamkeit, und schon gar nicht die eines Mannes, der bestimmt zehn Jahre älter war als sie.

Robert räusperte sich.

»Und du, Lore, was treibst du so den ganzen Tag?«, wechselte er das Thema.

Wie er ihren Namen sagte, gefiel ihr.

»Nicht viel«, antwortete sie ausweichend. »Ich suche jemanden«, fügte sie dann aber doch hinzu. Es fiel ihr nach Tagen der Rückschläge zunehmend schwer, aber sie hatte sich vorgenommen, ihre Suche in jedem Gespräch zu erwähnen – sonst konnte sie die Hoffnung auch gleich aufgeben, ihren Vater jemals zu finden.

In den letzten Wochen war sie frustrierend erfolglos gewesen. Anfangs hatte sie sich vorgenommen, die Stadt systematisch nach ihrem Vater zu durchkämmen. Aber Berlin war so groß, und immer wenn sie nach Friedrich Klinger fragte, erntete sie Unverständnis. »Nie gehört!«, oder »Klinger? Das könnte ja jeder sein!«, waren meist die Antworten. Und dann hatte sich auch ihre bisher beste Idee, Aushänge in Gemischtwarenläden zu verteilen – denn wo sonst hielten sich die Berliner häufig auf? –, als unrealistisch erwiesen. Es gab kaum noch Papier, und wenn, dann brauchte man dafür natürlich Geld, und das nicht zu wenig. Geld, das sie nicht besaß.

So blieb Lore nur die Mundpropaganda übrig, aber da alle Welt mit der Blockade beschäftigt war, konnte sie auch damit nichts erreichen. Die Berliner interessierten sich im Augenblick nur noch dafür, wo jetzt das Essen herkommen sollte, die Kohlelieferungen und alle anderen Waren. Und nur weil das Wasser – allen Gerüchten zum Trotz – nach wie vor aus den Leitungen floss, bedeutete das nicht, dass es nicht sogar noch schlimmer werden könnte.

»Friedrich Klinger«, gab Lore sich jetzt einen Ruck und warf Robert wieder einen Blick zu. »So heißt der Mann, den ich suche. Ist eine Familienangelegenheit«, fügte sie noch hinzu.

»Friedrich Klinger«, sagte Robert langsam, als ließe er sich den Namen auf der Zunge zergehen. »Hast du schon beim Deutschen Roten Kreuz gefragt?«

»Was soll mir das denn bringen? Die suchen doch nach Kriegsgefangenen. Wenn der Mann, den ich suche, irgendwo in Russland festsitzt, ist mir damit nicht geholfen.«

Wenn Robert verdutzt war über Lores vehemente Reaktion, ließ er es sich nicht anmerken.

Natürlich hatte er recht mit seinem Vorschlag, das wusste Lore. Schließlich hatte sie selbst ja schon vor der Westberliner Suchstelle des Roten Kreuzes gestanden, dann aber wieder umgedreht. Sie konnte es sich nicht ganz erklären, aber sie hatte nicht hineingehen wollen. Zu erfahren, dass er längst tot war, gestorben irgendwo in Sibirien, hätte ihr jede Hoffnung genommen. Hoffnung, die sie dringend brauchte. Was hatte sie denn sonst noch im Leben als ihre lächerliche Suche? Und abgesehen davon war ihr Vater gewiss zu alt gewesen, um noch im Krieg zu kämpfen. Nein, sie wollte weiter durch Berlin ziehen, weiter einem Phantom hinterherlaufen und daran glauben, dass sie ihn eines Tages, wie aus dem Nichts, fand.

»Dann hättest du wenigstens Klarheit«, beharrte Robert.

»Du kennst ihn also nicht«,...

Erscheint lt. Verlag 17.11.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 19. Jahrhundert • 40er Jahre • 50er Jahre • Aufbruch • Berlin • Bücher • Buchhändler-Dynastie • Buchhändlerfamilie • Exil • Familiengeschichte • Familiensaga • Frauenunterhaltung • Geschenk Frauen • Geschenk Freundin • Ku'damm 54 • Ku'damm 56 • Liebe • Roman Buchhändlerin • Romane • Roman für Frauen • Roman Nachkriegszeit • Schriftsteller • Starke Frauen • Umbruch • Unter den Linden 6 • Vater-Tochter-Beziehung • Verbotene Liebe
ISBN-10 3-423-43913-0 / 3423439130
ISBN-13 978-3-423-43913-8 / 9783423439138
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