Ein Grab für zwei -  Anne Holt

Ein Grab für zwei (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
440 Seiten
Atrium Verlag AG Zürich
978-3-03792-188-3 (ISBN)
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Selma Falck hat in ihrem Privatleben und ihrer Karriere als Rechtsanwältin den Tiefpunkt erreicht. Genau in diesem Moment bittet Jan Morell, der Vater von Norwegens bester Skifahrerin, sie um Hilfe. Seine Tochter sieht sich Doping-Vorwürfen ausgesetzt, aber er ist von ihrer Unschuld überzeugt. Zwei Monate vor den Olympischen Winterspielen steht Selma vor der scheinbar unmöglichen Aufgabe, Morells Namen reinzuwaschen. Als jedoch ein anderer Skifahrer tot aufgefunden wird, wird Selma klar, dass etwas noch viel Ernsteres auf dem Spiel steht. Stück für Stück kommt sie einem Netz aus verborgenen Feindschaften, zwielichtigen Verbindungen und alten Sünden auf die Spur. Doch es wird ein Wettlauf gegen die Zeit, denn es stehen noch mehr Leben auf dem Spiel ...

Anne Holt ist mit über 12 Millionen verkauften Büchern weltweit eine der erfolgreichsten Krimiautor:innen Skandinaviens. Sie ist ehemalige Justizministerin Norwegens, Anwältin, Journalistin, TV-Nachrichtenredakteurin und Moderatorin. Zu großem Ruhm als Autorin gelangte sie mit den zwei Krimiserien um Inger Johanne Vik (verfilmt als »Modus. Der Mörder in uns«) und Hanne Wilhelmsen. Ihre neueste Serie dreht sich um die Juristin Selma Falck.

Anne Holt ist mit über 12 Millionen verkauften Büchern weltweit eine der erfolgreichsten Krimiautor:innen Skandinaviens. Sie ist ehemalige Justizministerin Norwegens, Anwältin, Journalistin, TV-Nachrichtenredakteurin und Moderatorin. Zu großem Ruhm als Autorin gelangte sie mit den zwei Krimiserien um Inger Johanne Vik (verfilmt als »Modus. Der Mörder in uns«) und Hanne Wilhelmsen. Ihre neueste Serie dreht sich um die Juristin Selma Falck.

Der Penner


Er hauste in einem Karton von IKEA.

Der war groß und hatte ein Sofa namens »Stockholm« enthalten. Streng genommen hauste Einar Falsen in mehreren Kartons, in verschiedenen Größen, an vier Orten in Oslo und um Oslo herum.

Genau dieser Karton stand unter der Kreuzung Sinsenkrysset und war sein Aufenthaltsort in der Adventszeit. Die anderen Gehäuse aus Pappe, Holzresten und Gebüsch befanden sich in Oslomarka, zwei davon ziemlich nahe an dicht bebauten Gebieten, eines ganz in der Nähe vom Stausee Katnosa. Dorthin siedelte er im Sommer bei gutem Wetter über und konnte wochenlang dort bleiben. Lebte von dem, was er fand. In der Natur und auf Rastplätzen. Es war unglaublich, was die Leute liegen ließen, sogar so tief in der Wildnis, dass hier nur geübte Wandersleute zu sehen waren. Einige dieser Freiluftseelen kannten ihn inzwischen und steckten ihm auf dem Heimweg durch den Wald eine Wurst oder eine Packung Knäckebrot zu.

Zur Weihnachtszeit ließ er sich jedes Jahr unter Norwegens hektischstem Verkehrsknotenpunkt nieder. Mehr als hunderttausend Autos dröhnten jeden Tag über seinen Kopf hinweg, und das fand er beruhigend. Fast wäre alles zu Ende gewesen, als 2013 die Roma Einzug gehalten hatten. Die Politiker waren wütend und hetzten die Bullen auf sie. Einar Falsen durfte bleiben, als die jungen, barschen Uniformen erst begriffen hatten, wer er war. Es war eine gute Adventszeit geworden, sie hatten ihm Kaffee gebracht, ehe sie die Zigeuner zu immer neuen Lagerstätten weiterjagten. Im vergangenen Jahr waren einige der eingeschüchterten Rumänen zurückgekehrt, blieben aber mit ihren Habseligkeiten bei dem neuen Fußballplatz in Muselunden in gebührendem Abstand.

Einar Falsen fror nur selten.

Pappe und Zeitungen, ein alter Schlafsack, mehrere Schichten Kleidungsstücke, die er in regelmäßigen Abständen aus ramponierten Containern der Altkleidersammlung fischte. Alufolie und eine riesige Mütze mit Ohrenklappen. Das alles sperrte in der Regel die Kälte aus.

Aber er hatte Hunger. Es war schon ziemlich spät, das spürte er, das Donnern des schweren Verkehrs über seinem Kopf hatte abgenommen. Selma hätte schon hier sein müssen. Er zog einen Fäustling aus und fischte das alte Handy von seiner Brust, wo es auf der bloßen Haut lag, eingewickelt in eine alte Socke, die gründlich gefüttert war mit drei Schichten Silberpapier, damit das Gerät ihn nicht umbrachte.

Es war ein altes Nokia 1100, er hatte es geschenkt bekommen. Eine einzige Telefonnummer war darin gespeichert, und er benutzte es nur selten. Selma hatte darauf bestanden, dass er eine Möglichkeit hatte, sie zu erreichen. Drahtlose Telefonie war gefährlich, das wusste er genau, aber Selma hatte ihm garantiert, dass gerade dieses Modell viel weniger Schaden anrichtete als irgendein anderes. Das war natürlich Unfug. Handys sonderten krebserregende Strahlung ab und wurden außerdem vom Sicherheitsdienst der norwegischen Polizei und von der CIA überwacht, allesamt. Nach langem Überlegen hatte er sich dennoch dazu bereit erklärt, es »aufzubewahren«, wie sie sich ausdrückte. Es konnte kaum großen Schaden anrichten, wenn er es fast nie einschaltete. Sie hätte um 22.00 Uhr hier sein müssen, wie ihre Mitteilung bestätigte. Jetzt war es 22.37 Uhr.

Er hatte nur Selma.

Und da kam sie.

Einar liebte ihren Gang. Federnd, immer wie unmittelbar vor dem Sprung. Im Licht der Maxbo-Schilder unterhalb der Kreuzung und im Flutlicht des Fußballplatzes im Norden konnte er sehen, wie sie leichtfüßig von einem Felsen auf den nächsten sprang. Die Steine waren jetzt glitschig, das hatte er am Vorabend am eigenen Leib erfahren, als er auf dem Heimweg von einer Bettelrunde ausgerutscht und heftig auf den Boden geknallt war, aber Selma bewegte sich wie eine Tänzerin.

Sie war 1966 geboren, das wusste er. Im vergangenen September einundfünfzig geworden.

Selma bewegte sich wie eine Fünfundzwanzigjährige.

»Hallo, Einar. Entschuldige die Verspätung.«

»Ich hab heute nichts mehr vor«, sagte er lächelnd. »Jedenfalls schön, dass du da bist, Mariska.«

Sie erwiderte sein Lächeln und fing an, in der Tüte in ihrer rechten Hand zu wühlen.

»Hier. Voll aufgeladener Ersatz-Akku und eine Powerbank. Gib mir den leeren, bitte.«

Einar nahm den kleinen schweren Akku aus dem Handy und reichte ihn ihr. Das Handy und der volle Akku waren in Alufolie, Blasenfolie und eine Socke verpackt.

»Und hier«, sagte sie und setzte sich, während sie ein belegtes Brot von Deli de Luca auspackte. »Käse und Schinken und extra viel Paprika. Hatte leider keine Zeit, um eine Thermoskanne mit Kaffee zu machen, also …«

Sie reichte ihm einen großen Pappbecher, den sie in mit Klebeband befestigte Servietten gewickelt hatte.

»Sicher nicht mehr heiß.«

»Spielt keine Rolle. Was ist los?«

»Was los ist?«

»Ja. Du bist neuerdings so gestresst. Es gibt offenbar etwas, das dich quält.«

»Nicht doch.«

»Diese Grimasse kenne ich. Ist es irgendwas bei der Arbeit?«

Er leerte schlürfend den halben Becher, während er auf Antwort wartete.

»Nicht doch«, sagte sie noch einmal, während er trank. »Einfach nur wahnsinnig viel zu tun.«

»Und die Familie?«

»Alles bestens. Die Kinder sind so beschäftigt, dass ich sie kaum sehe. Und jetzt wohnt nur noch Johannes zu Hause. Er ist in seinen eigenen Kram vertieft. Du weißt ja, wie das ist.«

Einar Falsen erhob sich, steif von Rheumatismus und elf Jahren als Penner. Er hob die Arme, zog eine Grimasse, dann schüttelte er ein Bein nach dem anderen.

»So sind wir nicht, Mariska. Wir lügen uns nicht gegenseitig an. Wenn es Dinge gibt, über die du nicht mit mir reden willst, dann ist das in Ordnung. Aber lüg nicht.«

»Ich hab da so einen Fall«, sagte sie rasch.

»Ich gehe davon aus, dass du dauernd Fälle hast.«

Er setzte sich wieder, auf einen Haufen Zeitungen, mit dem aufgerollten Schlafsack im Rücken.

»Gerade diesen habe ich eigentlich nicht als Anwältin bekommen«, sagte sie und zog eine Colaflasche aus der Tasche. »Ich bin da eher so eine Art … Ermittlerin, könnte man sagen.«

»Du? Ermittlerin? Du bist doch Rechtsanwältin, zum Henker!«

Er schmunzelte und schüttelte den Kopf, dann biss er in seine Stulle.

»Worum geht es denn da?«, fragte er mit vollem Mund.

»Eine Dopingsache.«

»Langweilig.«

»Nicht unbedingt. Es geht um Hege Chin Morell.«

Er hörte sofort auf zu kauen.

»Diese Chinesin? Die Skiläuferin?«

Ein Stück Paprika hing ihm aus dem Mundwinkel. Es sah aus wie ein Streifen aus geronnenem Blut. Rasch schob er ihn mit einem schmutzverkrusteten Zeigefinger wieder hinein. Selma reichte ihm die Colaflasche.

»Sie ist keine Chinesin, Einar. Sondern Norwegerin.«

»Sicher, sicher. Aber eigentlich Chinesin. Kein Wunder, dass sie nicht beliebt geworden ist.«

»Sie ist beliebt. Sie ist eine Siegerin.«

»Nein. Sie wird geduldet, weil sie siegt. Wird bewundert. Das ist etwas ganz anderes. Und jetzt hat sie also gedopt. Sic transit gloria mundi.«

»Sie behauptet, dass das nicht stimmt. Dass es sich um einen Irrtum handeln muss.«

»Das sagen sie alle.«

Er redete noch immer mit vollem Mund. Die Stulle hatte er fast verzehrt.

»Gut«, sagte er, schluckte und schob die Hände zurück in ein Paar Riesenfäustlinge von Mesta, schwarz mit reflektierenden gelben Streifen. »Danke.«

»Das sagen nicht alle.«

»Fast«, sagte er und klemmte die Colaflasche zwischen zwei Steine. »Reuige Sünder gibt es nur wenige. Nicht einmal ich bereue. Und ich habe einen Mann umgebracht. Mit meinen eigenen Händen.«

Er hob die Fäustlinge vor die Augen und starrte sie fast überrascht an, dann fügte er hinzu: »Das ist schlimmer, als zu dopen. In den Augen der Leute, meine ich.«

»Tja. Wenn man die Medienaufmerksamkeit sieht, kann man da so seine Zweifel kriegen.«

Selma schwenkte ihr iPhone, das sofort aufleuchtete.

»He! Komm mir nicht so nah mit der Mordwaffe da!«

Er erhob sich halb und zog sich auf den Felsbrocken zurück. Der Pappkarton hinter ihm geriet ins Wanken.

»Einar«, sagte sie ruhig. »Wo soll ich anfangen? Ich …«

Sie klopfte beruhigend auf ihre Jacke, worin das Handy verschwunden war.

»Schalt es aus«, befahl er.

Selma gehorchte.

»Wenn wir davon ausgehen, dass sie die Wahrheit sagt«, begann sie dann wieder. »Einfach so als Hypothese. Es scheint unwiderlegbar und korrekt, dass sie eine Urinprobe abgegeben hat, die eine winzige Menge des verbotenen Stoffes Clostebol enthält.«

»Klingt wie ein Reinigungsmittel.«

»Wo soll ich anfangen?«

»Womit?«

Ein Streifenwagen jagte mit heulenden Sirenen über den Trondheimsvei. Das Blaulicht drang nicht bis in die Dunkelheit unter der Brücke vor. Das tat dagegen der Lärm, und sie blieben schweigend sitzen, bis der Wagen in Richtung Carl Berners plass noch schneller wurde und verschwand.

»Es gibt eigentlich nur drei Möglichkeiten«, sagte Einar leise und trank den Rest seines kalten Kaffees. »Wenn wir voraussetzen, dass sie die Wahrheit sagt.«

Er zog die Fäustlinge aus und brach den Pappbecher vorsichtig an den Klebekanten auseinander. Leckte die Innenseiten ab und faltete alles sorgsam zusammen, ehe er es in einer abgenutzten Plastiktüte der Supermarktkette Rema 1000 verstaute.

»Erstens kann bei den Proben etwas schiefgegangen sein.«

»Aber danach sieht es nicht aus. Ihr Vater, Jan Morell, du weißt …«

»Ich...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2021
Reihe/Serie Ein Fall für Selma Falck
Ein Fall für Selma Falck
Übersetzer Gabriele Haefs
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Doping • Hanne Wilhelmsen • Juristin • Modus • Norwegen • Scandicrime • Selma Falck • Skandinavien • Ski • weibliche Ermittlerin
ISBN-10 3-03792-188-9 / 3037921889
ISBN-13 978-3-03792-188-3 / 9783037921883
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