Offenes Grab (eBook)

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
320 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2752-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Offenes Grab - Kjell Eriksson
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Mit dem beschaulichen Leben in dem Villenviertel von Uppsala ist es vorbei, als dem scheuen Medizinprofessor Bertram von Ohler der Nobelpreis verliehen wird. Besonders sein Nachbar und ehemaliger Kollege Johansson beobachtet von seinem Haus aus misstrauisch das Treiben vor dem Haus des Preisträgers. Eines Nachts landet ein Stein auf dem Dach der Villa, und in seinem Briefkasten liegt ein Totenschädel. Bestürzt alarmiert von Ohler die Polizei, die ihre Suche jedoch bald erfolglos einstellt. Als kurz darauf ein junger Gärtner auf dem Grundstück spurlos verschwindet, nimmt der Fall für Ann Lindell und ihr Team ungeahnte Ausmaße an ...



Kjell Eriksson, geboren 1953, hat Erfahrungen in mehreren Berufen gesammelt. Er lebt in der Nähe von Uppsala. Für seinen ersten Kriminalroman um die Ermittlerin Ann Lindell erhielt er 1999 den schwedischen 'Krimipreis für Debütanten'. Sein Roman 'Der Tote im Schnee' wurde zum 'Kriminalroman des Jahres 2002' gekürt, eine Ehrung, die bereits Autoren wie Liza Marklund, Henning Mankell und Håkan Nesser bekommen hatten. 

1


Die Nachricht kam unerwartet. Bertram von Ohler war immerhin vierundachtzig Jahre alt, ein wenig hinfällig, die Beine trugen ihn nicht mehr zuverlässig, und die Taubheit in den Händen brachte vor allem am Esstisch Probleme mit sich. Die Schwindelanfälle am Abend wurden zu einer Plage und bewirkten, dass er, abgesehen von den Bridgeabenden, die ihm heilig waren, immer weniger am gesellschaftlichen Leben teilnahm. Es gab durchaus Leute, die meinten, ihm würde nicht mehr viel Zeit bleiben, und man tuschelte über seine abnehmende Gesundheit.

Vor allem ehemalige Kollegen und Konkurrenten hatten ihre Freude daran, hinter dem Rücken des alten Professors zu tratschen, oder es waren ganz einfach Bekannte, die in Ermangelung eines anderen Zeitvertreibs unausgegorene Reden verbreiteten. Einmal war es eine neurologische Krankheit, die ihn bald aufs Lager werfen würde, dann wieder hieß es, das Problem sei Prostatakrebs in fortgeschrittenem Stadium. Und es gab auch Freunde in seiner Umgebung, die gern zuhörten, vielleicht ein Detail oder eine Episode beisteuerten, und auf diese Weise die Gerüchteküche in Gang hielten.

Es war, als würden der Anblick des Alten oder die Zeitungsmeldungen, die immer zur Zeit der herbstlichen üblichen Spekulationen erschienen, automatisch Bemerkungen über sein direkt bevorstehendes Hinscheiden ins Kraut schießen lassen.

Von den wirklichen Freunden waren ihm nicht mehr viele geblieben. Einige hatten bereits das Zeitliche gesegnet, andere waren senil und saßen im Altersheim. Ein Professor einer angrenzenden Disziplin war wegen offenkundigen Wahnsinns auf einen Familiensitz nach Skåne verfrachtet worden. Und die wenigen, mit denen von Ohler noch Umgang pflegte, waren entsetzt.

»Ich bin das gewohnt, im Laufe der Jahre haben viele versucht, mir Ehre und Schneid abzukaufen, und jetzt ist es eben mein Leben, auf das sie aus sind«, lautete sein gelassener Kommentar, wenn sich die Freunde beklagten. Doch in seinem Innersten war er betrübt, traurig und manchmal richtiggehend wütend über den herrschenden Kleingeist und die Missgunst.

Er hatte sich mit vielem abgefunden. Alter Groll wurde begraben, Ungerechtigkeiten, die sich jahrzehntelang aufgetürmt hatten, versanken in gnädigem Vergessen. Sogar Dozent Johansson, der nur einen Steinwurf entfernt wohnte, brachte es inzwischen fertig, ein paar Worte mit dem einstigen Rivalen zu wechseln. Kürzlich erst hatten sie über Obama und »den anderen« diskutiert – keiner von beiden wollte zugeben, dass ihm der Name kurzzeitig entfallen war. Der Professor hatte auf dem Bürgersteig gestanden, der Dozent mit einem Rechen in der Hand auf der anderen Seite der Ligusterhecke.

Sogar die Erinnerung an seine vor vielen Jahren verstorbene Ehefrau hatte etwas Versöhnliches bekommen. Bertram von Ohler hatte eine Theorie entwickelt, nach der er in Wirklichkeit ihr alle seine Erfolge zu verdanken hatte, zwar indirekt und ohne ihr bewusstes Mitwirken, aber dennoch. Und das, wo sie ihm die letzten dreißig Jahre ihres gemeinsamen Lebens zur Qual gemacht hatte.

Wie hatte sich ein so wunderbares Wesen, wie es Dagmar einmal gewesen war, nur zu einem derartigen Monster entwickeln können? Er hatte Kollegen konsultiert, um mit Hilfe eines Expertenrats eine Erklärung für ihr Verhalten zu erlangen, doch konnte man nie eine Diagnose stellen. »Es gibt gemeine Menschen, so ist das einfach«, hatte ein Professor der Psychologie konstatiert, nachdem von Ohler einmal angedeutet hatte, mit was für einem Hausdrachen er zusammenlebte.

Jedes Frühstück im Hause von Ohler war wie ein Minenfeld gewesen: ein falscher Schritt, und der morgendliche Frieden war ruiniert. Jedes Abendessen hatte sich zu einem Stellungskrieg mit Scharfschützen und Hinterhalt entwickelt, und an richtig schlechten Tagen eskalierte es zu großflächigen Bombardements mit Vorwürfen und Misstrauensbeweisen.

Er desertierte nicht aus seiner Ehe, wie sogar seine Kinder es ihm geraten hatten, aber er floh, sooft es möglich war, ins Institut und blieb bis spät abends dort. Manchmal übernachtete er auch in einem kleinen Nebenraum.

Vielleicht hatte diese Tatsache, dass er sich von zu Hause und von seiner Ehefrau fernhalten musste, die Grundlage für seine Erfolge auf dem Gebiet der Medizin gelegt. Er hatte Dagmars Streitsucht und ihrem Misstrauen die Forschungsergebnisse und die Professur zu verdanken, und nun auch diese späte Krönung seiner Laufbahn.

Die Nachricht hatte ihn am späten Vormittag erreicht. Bertram von Ohler war eben von einem kurzen Spaziergang zurückgekehrt und wollte gerade den Nudelsalat essen, den die Haushälterin Agnes am Tag zuvor für ihn vorbereitet hatte, als das Telefon klingelte. Es war Professor Skarp vom Karolinska Institutet in Stockholm.

Von Ohler hatte Skarp nur flüchtig bei einigen wenigen Veranstaltungen kennengelernt. Deshalb erstaunte es ihn, dass dieser ihn nach der einleitenden Begrüßung mit »Bruder« ansprach, als ob sie Ordensbrüder wären, was von Ohler doch stark bezweifelte.

»Bruder, ich habe die große Ehre und Freude, Ihnen mitzuteilen, dass Professor Emeritus Bertram von Ohler der diesjährige Nobelpreis für Medizin verliehen werden wird.«

»Wie schön für ihn«, war das Einzige, was von Ohler herausbringen konnte, denn es war ihm unmöglich, diese einfachen Fakten zu einem begreifbaren Satz zu verbinden.

»Wie?«, fragte Skarp.

Bertram von Ohler, aber das bin doch ich!, durchfuhr es von Ohler mit einemmal.

»Wie?«, echote er hilflos.

Professor Skarp ließ jetzt den »Bruder« aus, wiederholte aber ansonsten den Satz noch einmal Wort für Wort. Als er auch diesmal keine andere Antwort als einige schwere Atemzüge erhielt, fügte er etwas hinzu in der Art, dass er natürlich wisse, dass dies eine überwältigende Neuigkeit sei, zwar nicht völlig unerwartet, aber dann wieder doch überraschend und nicht leicht zu verarbeiten.

»Professor von Ohler, werter Kollege … wie geht es Ihnen?«

»Danke, gut. Und dabei wollte ich gerade meinen Nudelsalat essen.«

»Ja, da wird es nun wohl etwas Festlicheres geben müssen«, sagte Skarp und lachte erleichtert.

»Ich muss sogleich meine Kinder anrufen. Bitte, darf ich Sie zurückrufen?«

»Aber natürlich. Der werte Bruder darf nun sicher mit einem Ansturm von Gesprächen und Besuchern rechnen, und da ist es vielleicht klug, zuerst einmal die nächsten Angehörigen zu unterrichten.«

Als ob jemand gestorben wäre, dachte von Ohler.

»Möchte der Bruder nicht die Begründung hören?«

»Nein, danke, ich glaube, die kenne ich schon. Bitte entschuldigen Sie mich.«

Sie beendeten das Gespräch, und er eilte zur Toilette.

»Jetzt pisse ich als Nobelpreisträger«, sagte er laut, und es gelang ihm, seinem schrumpeligen Geschlechtsteil ein paar Tropfen abzupressen.

Anstatt seine beiden Söhne anzurufen, die beide Professoren waren, der eine in Lund, der andere in Los Angeles, oder seine Tochter, die wissenschaftliche Leiterin eines Pharmaunternehmens in der Stadt, zog er den Telefonstecker heraus, verschlang schnell etwas von dem Nudelsalat, trank ein paar Schlucke Wasser und verließ das Haus.

Es war ein strahlender Tag, und deshalb fand er Dozent Johansson wie erwartet bei der Gartenarbeit. Das Tor zu öffnen und zu klingeln kam ihm jedoch zu dreist vor, auf so gutem Fuß standen sie nicht miteinander.

Der Dozent sah fast glücklich aus, wie er da von parallel verlaufenden Laubschneisen umgeben mit dem Rechen in der Hand auf der Wiese stand. Ohler hatte vom Dozenten schon einmal erklärt bekommen, dass Laubharken mit System zu geschehen habe, und wusste deshalb, dass der Nachbar nun im Begriff war, die Schneisen zu anmutigen kleinen Haufen zusammenzurechen.

»Nur gut, dass es nicht windig ist«, begann der Professor, begriff aber sofort, dass es eine selten dumme Bemerkung war.

»Wenn das so wäre, würde ich heute niemals Laub rechen«, erwiderte der Dozent.

»Nein, selbstverständlich nicht.«

Der Dozent unternahm noch ein paar Bewegungen mit dem Rechen, von Ohler merkte, dass er sich nicht zu viel Zeit lassen konnte, und so beschloss er, direkt zur Sache zu kommen.

»Ich habe vor ein paar Minuten eine frohe Nachricht erhalten, und ich habe mich entschieden, diese zuallererst mit Ihnen zu teilen.«

Der Dozent sah auf.

»Ach so?«

»Nun, wir sind schließlich Kollegen, viele Jahre lang haben wir ein Labor geteilt, wir haben gemeinsam an Projekten gearbeitet und Erfolge und Misserfolge miteinander erlebt, an all das müsste ich natürlich nicht weiter erinnern, aber ich tue es dennoch, dem besonderen Tag zu Ehren.«

Der Dozent hielt in der Arbeit inne, lehnte den Rechen an den Stamm einer Blutbuche und machte ein paar Schritte auf das Gartentor zu.

»Das ist ein fantastischer Baum«, sagte der Professor und zeigte auf die Buche. »Ohne Frage der prächtigste, den wir hier in der Gegend haben.«

Nun sah der Dozent noch verblüffter aus, und es war nicht ganz klar, ob das an dem unerwarteten Lob lag oder daran, dass der Professor das Wort »wir« benutzt hatte, als wäre das ganze Stadtviertel Besitzer des Baumes.

»Ich möchte vermuten, dass er ebenso alt ist wie das Haus«, fuhr der Professor fort.

Jetzt stand der Dozent direkt am Gartentor. Sein langes und schmales Gesicht drückte eine Spur Ungeduld, vielleicht auch Verärgerung aus, aber er versuchte...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Reihe/Serie Ein Fall für Ann Lindell
Ein Fall für Ann Lindell
Übersetzer Susanne Dahmann
Sprache deutsch
Original-Titel Öppen grav
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Geheimnisse • Grabstätte • Kleinstadt • Mord • Schwedenkrimi • Uppsala
ISBN-10 3-8412-2752-X / 384122752X
ISBN-13 978-3-8412-2752-2 / 9783841227522
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