Interview mit einem Vampir (eBook)
480 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-28037-6 (ISBN)
Mit »Interview mit einem Vampir« transportierte Bestsellerautorin Anne Rice den klassischen Vampirroman in die Moderne und gab einem ganzen Genre eine neue Richtung. Plötzlich führten Vampire ein (Un)Leben jenseits aller Blutgier und waren nicht mehr nur übermächtige Wesen, die es zu bekämpfen galt. Stattdessen wurden sie zu Helden mit ihren eigenen Sorgen und Hoffnungen. Die Einführung des jungen, schönen Louis in die Welt der Untoten durch den düsteren, aber charismatischen Lestat ist bis heute unvergessen. Ein Vampir mit Gefühlen und einem Gewissen - seine Geständnisse sind mitreißend und schockierend, bewegend und unsterblich.
Anne Rice wurde 1941 als Tochter irischer Einwanderer in New Orleans geboren. Sie ist Autorin zahlreicher Romane und gilt als Königin des modernen Schauerromans. Berühmt wurde sie mit ihrer »Chronik der Vampire«, einem Zyklus von jeweils vier in sich abgeschlossenen Romanen um den Vampir Lestat. Anne Rice lebt mit ihrer Familie in einem alten Landhaus in New Orleans.
Die ganze Nacht stand ich auf dem Deck des französischen Schiffes Mariana und beobachtete die Landungsplanken. Auf dem Kai und dem Pier drängten sich die Menschen, auf den Decks Passagiere und Gäste, und in den luxuriösen Kabinen wurden Abschiedspartys gefeiert. Schließlich, schon gegen Morgen, nahmen die letzten Gäste Abschied, und einige verspätete Passagiere kamen an Bord. Doch Lestat und sein Jünger, wenn sie den Brand überlebt hatten (und ich war davon überzeugt), hatten den Weg zum Schiff nicht gefunden.
Unser Gepäck war schon im Laufe des Tages geholt worden. Wenn etwas zurückgeblieben war, woraus man unseren Zielort hätte erfahren können, so war es bestimmt ein Opfer der Flammen geworden. Dennoch war ich auf der Hut. Claudia hatte sich in unserer Kabine eingeschlossen und ließ die Augen nicht vom Bullauge. Aber Lestat kam nicht.
Endlich wurden die Anker gelichtet, und das Schiff lief aus, noch vor Tagesanbruch, so wie ich gehofft hatte. Einige Leute winkten vom Pier zum Abschied, als es zunächst erzitterte und mit einem mächtigen Ruck zur Seite trieb, um dann in einem majestätischen Bogen in die Strömung des Mississippi hinauszugleiten. Die Lichter von New Orleans wurden kleiner und kleiner und waren schließlich nur noch ein schwacher Schimmer gegen die sich erhellenden Wolken.
Ich war sterbensmüde, blieb jedoch so lange an Deck, wie ich konnte, und schaute den Lichtern nach, die ich vielleicht nie wiedersehen würde. Und als wir stromabwärts an den Landungsstegen der Plantage der Frenières und der von Pointe du Lac vorübergetragen wurden, als ich die Wand von Pappeln und Zypressen am Ufer aufragen sah, da merkte ich, dass der Morgen gefährlich nahe war.
Ich betrat unsere Kabine und fühlte mich erschöpft wie nie zuvor. Nie in all den Jahren, in denen wir drei zusammen gewesen waren, hatte ich so schreckliche Angst gekannt wie jetzt. Dagegen gab es keinen Trost, nur die Linderung, die einem die Müdigkeit schenkt, wenn Körper und Geist es einfach nicht länger ertragen können. Obwohl Lestat nun schon Meilen von uns entfernt war, hatte seine Auferstehung in mir ein Gewirr von Ängsten hervorgerufen, denen ich nicht entrinnen konnte. Noch als Claudia zu mir sagte: ›Jetzt sind wir sicher, Louis‹, und ich ›Ja‹ flüsterte, sah ich Lestat in der Tür stehen mit seinen hervorquellenden Augen und dem vernarbten Fleisch. Wie war er zurückgekommen, wie hatte er über den Tod triumphieren können? Wie war es möglich gewesen, dass aus einer eingeschrumpften Mumie wieder ein lebendes Wesen wurde?
Wie die Antwort auch lauten mochte – was für eine Bedeutung hatte es, nicht nur für ihn, sondern auch für Claudia und mich? Und wenn wir auch vorläufig vor ihm sicher waren – waren wir sicher vor uns selber?
Ein seltsames Fieber brach auf dem Schiff aus, das auffallend frei von Ungeziefer war, wenn man auch gelegentlich totes Gewürm fand, trocken und gewichtslos, als sei es schon seit Tagen tot. Doch das Fieber war da. Zuerst überkam es einen Passagier in Form von Schwäche und einem wunden Hals, dann bemerkte man dort kleine Wundmale, auch an anderen Stellen, und manchmal gar keine. Und manchmal starb ein Passagier im Schlaf, sodass zahlreiche Bestattungen vorgenommen wurden, während wir den Atlantik überquerten.
Da ich eine angeborene Furcht vor Fieber hatte, hielt ich mich von den Mitreisenden fern, vermied es, mit ihnen in den Gesellschaftsräumen zusammenzukommen und mir ihre Geschichten und Träume und Erwartungen anzuhören. Doch Claudia liebte es, am frühen Abend an Deck zu stehen und sie zu beobachten.
Dann saß ich allein in der Kabine, schaute durch das Bullauge und spürte das sanfte Auf und Ab des Meeres, erblickte die Sterne, klarer und leuchtender, als sie je an Land gewesen waren, und so tief, dass sie in die Wellen zu tauchen schienen. Es war, als könnte sich in der Begegnung von Himmel und Meer ein großes Geheimnis offenbaren, ein gewaltiger Abgrund für immer schließen. Aber wer sollte diese Offenbarung vollbringen? Gott? Oder Satan?
Mir kam plötzlich in den Sinn, es müsste ein großer Trost sein, Satan zu kennen, sein Antlitz zu erblicken, wie furchtbar es auch sein möge, zu wissen, dass ich ihm ganz und gar gehörte, und aus der Qual meiner Unwissenheit zur ewigen Ruhe zu kommen. Durch einen Schleier zu schreiten, der mich für immer von allem trennte, das ich ›menschliche Natur‹ nannte.
Ich fühlte, dass sich das Schiff mehr und mehr diesem Geheimnis näherte. Das Firmament schien unendlich, wölbte sich über uns mit atemberaubender Schönheit und Stille. Doch dann erschrak ich über die Worte zur ewigen Ruhe, denn in der Verdammnis würde es, konnte es keine Ruhe geben, und was war die Qual, die wir auf Erden erleiden, verglichen mit den ewigen Flammen der Hölle? Das Meer, das unter den unveränderlichen Sternen wogte, diese Sterne selber – was hatten sie mit Satan zu tun? Mich überkamen jene Bilder aus unserer Kindheit, in der wir von sterblicher Unrast so erfüllt sind, dass sie uns kaum wünschenswert erscheinen: Seraphim, die immer und ewig Gottes Antlitz schauen, und Gottes Antlitz selber. Das war die ewige Ruhe, von der die wogende See nur eine sehr schwache Verheißung war.
Doch selbst in diesen Stunden, in denen das Schiff und alle Welt schlief, schienen mir Himmel und Hölle nicht mehr als quälende Fantasie. Von dem einen oder dem anderen zu wissen und daran zu glauben, war wohl das einzige Heil, von dem ich träumen konnte.
Claudia, die Lestats Vorliebe für helles Licht teilte, zündete alle Lampen an, wenn sie aufstand. Sie hatte von einer Dame an Bord ein schönes Kartenspiel bekommen: Die Bilder waren im Stil von Marie-Antoinette gehalten, und die Rückseiten hatten goldene Lilien auf violettem Grund. Sie legte eine Patience, in der die Karten wie eine Uhr angeordnet wurden. Und sie fragte mich immer wieder, wie es Lestat bewerkstelligt haben könnte, aufzuerstehen. Ihre Erschütterung darüber schien jedoch verflogen. Falls sie sich noch erinnerte, wie sie geschrien hatte, als das Feuer in unserer Wohnung ausgebrochen war, so erwähnte sie es nicht, und wenn sie noch wusste, dass sie vorher in meinen Armen Tränen geweint hatte, so ließ sie das mit keiner Regung erkennen. Sie zeigte, wie schon immer, nur wenig Unentschlossenheit, und in ihrer gewöhnlichen Seelenruhe kannte sie offenbar weder Angst noch Bedauern.
›Wir hätten ihn verbrennen sollen‹, sagte sie. ›Es war dumm von uns anzunehmen, dass er tot war.‹
›Aber wie konnte er überleben?‹, fragte ich. ›Du hast ihn gesehen, du weißt, was aus ihm geworden war.‹ Ich hatte keine Lust, darüber zu sprechen, hätte es am liebsten tief in mein Unterbewusstsein verdrängt, doch mein Verstand ließ es nicht zu.
Und es war Claudia, die mir die Antworten gab, als führe sie das Gespräch mit sich selber. ›Angenommen‹, meinte sie, ›er hat noch weitergelebt, nachdem er den nutzlosen Kampf mit uns aufgegeben hatte, eingeschlossen in der hilflosen, vertrockneten Leiche, mit Bewusstsein und Überlegung …‹
›Mit Bewusstsein?‹, flüsterte ich. ›In diesem Zustand?‹
›Und angenommen‹, entgegnete sie, ›als er im Sumpf lag und uns wegfahren hörte, hatte er noch Kraft genug, seine Glieder zu zwingen, sich zu bewegen. Es gab Lebewesen genug im Dunkeln um ihn. Ich habe einmal gesehen, wie er einer kleinen Eidechse den Kopf abriss und das Blut in ein Glas fließen ließ. Kannst du dir denn nicht vorstellen, wie er mit hartnäckigem Lebenswillen im Wasser nach irgendetwas Lebendigem griff?‹
›Hartnäckigkeit? Lebenswillen?‹, murmelte ich. ›Und wenn es etwas anderes war?‹
›Und dann, als seine Kraft zurückkehrte, gerade genug, um sich zur Straße zu schleppen, hat er vielleicht jemanden auf dieser Straße getroffen. Eine Kutsche kam vorbei, und man nahm ihn mit. Oder er ist zu den Hütten der Einwanderer oder einem einsamen Landhaus gekrochen. Was für einen Anblick muss er geboten haben!‹ Sie blickte ohne jede Gefühlsregung und mit halb geschlossenen Augen auf die Hängelampe. ›Und dann? Mir ist es einigermaßen klar. Wenn er es nicht bis nach New Orleans geschafft hat, dann hat er höchstwahrscheinlich auf dem Friedhof von Old Bayou übernachtet. Dorthin kommen täglich frische Särge aus dem Armenkrankenhaus. Ich sehe ihn vor mir, wie er sich durch die feuchte Erde zu einem solchen Sarg wühlt, den Inhalt in die Sümpfe wirft und sich bis zum nächsten Abend in den Sarg bettet. Ja, so wird er es gemacht haben, ich bin ganz sicher.‹
Ich dachte eine ganze Weile darüber nach, malte es mir aus und räumte ein, dass es so gewesen sein könnte. Und dann hörte ich sie nachdenklich hinzufügen, während sie eine Karte auflegte und das ovale Gesicht eines Königs mit einer weißen Perücke betrachtete: ›Ich hätte es so gemacht.‹ Sie sammelte die Karten ein, häufte sie zu einem Päckchen und begann sie zu mischen. ›Warum schaust du mich so an?‹, fragte sie.
›Meinst du … wenn wir ihn verbrannt hätten‹, sagte ich, ›dass er dann gestorben wäre?‹
›Natürlich. Wo nichts mehr ist, kann nichts mehr auferstehen‹, sagte sie. ›Worauf willst du hinaus?‹ Sie verteilte die Karten und legte auch für mich ein Blatt auf den kleinen Kirschbaumtisch. Ich blickte die Karten an, ohne sie zu nehmen.
›Ich weiß nicht‹, sagte ich leise. ›Nur, dass es vielleicht gar keinen Lebenswillen, keine Hartnäckigkeit gegeben hat – ganz einfach, weil sie nicht vonnöten waren.‹ Sie sah mich aufmerksam an, ohne zu verraten, was sie dachte oder dass sie meine Gedanken verstand, sodass ich fortfuhr: ›Weil er...
Erscheint lt. Verlag | 18.10.2021 |
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Übersetzer | Karl Berisch, C.P. Hofmann |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Interview With The Vampire |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bailey Bass • Bestseller • Blockbuster • Booktok • Brad Pitt • Bram Stoker • eBooks • Eric Bogosian • Erotik • Fantasy • Frankreich • Frauenromane • Horror • #interviewwiththevampire • interviewwiththevampire • Interview With the Vampire Serie • Jacob Anderson • Jeaniene Frost • J.R. Ward • Kirsten Dunst • Klassiker • Klassiker der Weltliteratur • Liebesromane • Romane für Frauen • Roman zum Film • Sam Reid • Serie • Sky • Sky Go • Stephenie Meyer • Stream • Streaming • TikTok • tiktok made me buy it • Tom Cruise • Vampirroman • Wow |
ISBN-10 | 3-641-28037-0 / 3641280370 |
ISBN-13 | 978-3-641-28037-6 / 9783641280376 |
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