Die Stiefmutter (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
448 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-22561-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Stiefmutter -  Rebecca Fleet
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Sie ist jetzt Teil deiner Familie. In guten wie in schlechten Zeiten ...
Alex und Natalie sind glücklich verheiratet. Natalie hat Alex nicht nur über den Tod seiner ersten Frau hinweggeholfen, sondern ist auch eine liebevolle Stiefmutter für seine Tochter Jade. Doch eines Abends bricht in Alex' Abwesenheit ein Feuer im gemeinsamen Haus aus - und Jade überlebt nur knapp. Im Krankenhaus spricht sie von einem unheimlichen Mann, vor dem sie sich in dieser Nacht versteckt hat. Natalie bestreitet jedoch, dass ein Fremder im Haus gewesen sein könnte. Als Jade sich immer seltsamer verhält, beginnt Alex Nachforschungen anzustellen - ohne zu ahnen, dass dabei seine heile Welt in Flammen aufgehen könnte ...

Rebecca Fleet lebt in London und arbeitet in der Marketingbranche. »Die Stiefmutter« ist ihr zweiter Roman.

Natalie

September 2017

Wütend zu werden kostet Kraft. Seit vierundzwanzig Stunden habe ich kaum geschlafen, ein brennender Schmerz zieht sich meine gesamte Wirbelsäule hinab, und mein Kopf fühlt sich seltsam leicht an, als könnte mein Verstand jeden Moment davonschwirren. Es wäre einfacher zurückzurudern. Ich könnte ihm sagen, dass es mir leidtut, dass ich verstehe, warum er im Moment nicht ganz klar denken kann – ja, dass ich sogar nachvollziehen kann, warum er Misstrauen hegen könnte, auch wenn ich ihm dafür nie Anlass gegeben habe. Aber stattdessen schießt mir das Blut zu Kopf, und all diese Worte sprudeln aus meinem Mund heraus.

Und tatsächlich, es hilft. Alles, was in den letzten Stunden passiert ist, ballt sich in diesem einen Punkt aus Zorn. Es ist doch immer wieder die gleiche uralte Geschichte. Scheiß auf das Feuer, scheiß auf das Trauma, das seine Frau und seine Tochter durchgemacht haben – denn worum es eigentlich geht, was wirklich an ihm nagt, ist die Vorstellung, dass ich es mit einem anderen treiben könnte. Es ist so albern, so dämlich, dass ich beinahe lachen möchte.

»Moment mal …«, sagt er. Doch dann steht er bloß da, den Mund halb geöffnet, und sieht mich mit diesem verletzten Dackelblick an, der mir normalerweise den Wind aus den Segeln nimmt. Nicht so dieses Mal. Er wirkt lächerlich. Was meinen Zorn nur noch ein paar Grad mehr anfacht, weil ich so nicht von ihm denken möchte. Das ist Alex, mein Ehemann – den ich anbete, der bei mir immer an erster Stelle stand. Für den ich alles tun würde. Aber im Moment sieht er einfach nur aus wie irgendein Mann, und dazu noch ein recht unterbelichtetes Exemplar.

»Ja?«, erwidere ich provozierend; ich bin mir des sarkastischen Untertons bewusst und gebe mir auch keine Mühe, ihn zu dämpfen.

Er macht einen Schritt auf mich zu, dann wieder zurück, so als würde er von unsichtbaren Fäden gezogen. Hilflos hebt er seine Hände. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

Ich betrachte ihn erneut, aufmerksamer. Er sieht erschöpft aus – dunkle Ringe unter vom Weinen geröteten Augen; die Haut beinahe grau unter dem harschen Licht der Neonröhren. Seine Schultern sind nach vorne gebeugt, was ihn kleiner wirken lässt als seine einen Meter zweiundachtzig. Ich versuche, mir in Erinnerung zu rufen, dass auch er qualvolle Stunden durchgemacht hat. Doch zugleich flackern in meinem Hinterkopf die Bilder von jenem Ort auf, an dem ich mich gestern noch befand: die wild emporschlagenden gleißenden Flammen, die unerträgliche Hitze und der Rauch, der tief in meine Lungen drang und das Atmen fast unmöglich machte. Irgendwann glaubte ich nicht mehr, dass ich es rausschaffen würde. Alles verschwamm und war wie in einem Traum; ich konnte sehen, wie meine Füße sich bewegten, doch sie schienen nicht weit und schnell genug gehen zu können, und ich dachte: Ich werde sterben. Hat man nach so etwas nicht ein wenig Nachsicht verdient? Ein bisschen Verständnis? Ein klein wenig mehr als nur »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«?

Von irgendwoher kommt ein Luftzug, schneidet durch den dünnen Stoff meiner Kleidung und findet seinen Weg bis zu meiner Haut. Ich schlinge die Arme fester um mich. »Nun«, sage ich, »ich lasse dich mal ein Weilchen allein damit, dann kannst du dir ja was überlegen.« Bevor er darauf antworten kann – nicht dass er den Eindruck macht, als hätte er während der letzten Sekunden wundersamerweise die richtigen Worte gefunden –, wirble ich auf dem Absatz herum und marschiere über den Flur davon. Ich meine zu hören, wie er mich bittet zu warten, aber ich bin mir nicht sicher genug, um mich umzudrehen. Als ich schließlich die Eingangstür aufstoße und mich wieder in der Außenwelt befinde, die Herbstsonne hell und kühl auf meinem Gesicht, wird mir klar, dass er mir nicht folgen wird.

Ganz automatisch rufe ich ein Taxi und bitte den Fahrer, mich zum Hotel zu bringen. Es wird mich meine letzte Fünfpfundnote kosten. Mir wird bewusst, dass ich die Bank anrufen und sie bitten muss, mir eine neue Karte zu schicken. Allein der Gedanke erschöpft mich, und ich lehne den Kopf gegen die Nackenstütze und schließe die Augen, während das Taxi mit mir davonfährt. Irgendwas an der Art, wie es die Küstenstraße entlanggleitet und die Kurven nimmt, beschert mir ein seltsames Déjà-vu. Was auch immer es ist, ich kann es nicht fassen. Und einen Wimpernschlag später ist es auch schon fort.

Im Hotelzimmer setze ich mich aufs Bett und schalte den Fernseher ein, doch ich weiß sogleich, dass es nichts bringt. Das Bild ist weit weg und statisch, als würde ich in eine andere Welt blicken. Ich kann nur an das denken, was passiert ist. Diese Kluft zwischen dem, wie die Dinge hätten sein sollen und wie sie sich tatsächlich entwickelt haben. Eigentlich hätte ich bei Alex’ Heimkehr wach sein sollen, die Lichter vielversprechend gedimmt, während auf dem Tisch ein Drink auf ihn wartet. Ich hätte da sein sollen, um ihn daheim willkommen zu heißen, mich mit ihm über seinen Abend zu unterhalten, ein paar Minuten belanglos über seine Kunden zu plaudern, bevor ich aus meinen Klamotten schlüpfe, um meine neue schwarze Seidenunterwäsche zu enthüllen, die ich erst ein paar Tage zuvor gekauft hatte. Ich hatte im Laden gestanden, die Träger des BHs übergestreift, seine Glätte und Festigkeit auf meiner Haut gespürt und mir Alex’ Reaktion ausgemalt. Die Hände auf meinen Brüsten, hatte ich über den Stoff gestrichen und an den Blick gedacht, den er mir zuwerfen würde, bevor er seine Hände ausstreckte, um ihn selbst zu berühren. Doch jetzt weiß ich noch nicht einmal, wo sich die Unterwäsche befindet. Gestern Nacht haben sie mich aus meinen rauchgeschwängerten Klamotten geschält und mich in einen dieser furchtbar kratzigen und steifen Krankenhauskittel gesteckt. Und heute früh haben sie mir einen schlichten Sweater mit Reißverschluss samt Jogginghose überreicht – weniger sexy geht nicht.

Tja, die Dinge laufen eben nicht immer so, wie sie es sollten. Man weiß nie, was das Leben für Überraschungen bereithält, und mittlerweile sollte ich das doch wirklich wissen. Nichtsdestotrotz gestatte ich mir ein paar heiße Tränen. Eigentlich weine ich heutzutage kaum noch. Man erreicht schlicht einen Punkt, an dem es sich etwas banal und unnütz anfühlt – es bringt einfach nicht viel Erleichterung. Aber es ist doch immerhin eine Beschäftigung. Jade kommt mir in den Sinn, und das lässt die Tränen schneller fließen. Ich hätte wissen sollen, dass er mir die Schuld geben würde. Ich kann durchaus nachvollziehen, warum er dachte, ich hätte mir mehr Mühe geben sollen, sie da rauszuholen, aber er war nicht dabei. Ich frage mich, was er getan hätte. Hätte er sich für sie geopfert? Wäre er drinnen geblieben, hätte er immer weiter gesucht, bis es ihn das Leben gekostet hätte? Er glaubt, er hätte es getan, das ist mir schon klar. Aber er wird es niemals mit Sicherheit wissen.

Ich überlege, ihm eine Nachricht zu schicken – etwas in der Art, dass ich Jade ebenfalls liebe und dass ich froh bin, dass sie sich wohl erholen wird –, aber ich kann mich nicht so recht dazu überwinden. Vielleicht warte ich einfach noch eine Weile. Ich hoffe immer noch, dass er den ersten Schritt machen wird, wenn er erst merkt, wie dämlich er war – nicht wegen der Sache mit Jade, sondern wegen dieser offenkundigen Verdächtigung, ich hätte in seiner Abwesenheit einen fremden Mann ins Haus geschmuggelt, um mit ihm zu vögeln. Ich versuche vergeblich, etwas von dem Zorn, der mich im Krankenhaus gepackt hatte, wiederaufleben zu lassen. Gerade fühlt sich das Ganze einfach nur noch traurig an. Ich würde Alex nie betrügen. Auch sonst niemanden. Das hätte ihm seit unserer ersten Begegnung klar sein müssen.

Ich schließe die Augen, und schon bin ich wieder dort. Warte in einer Menschentraube an der Bar, überlege, was ich trinken will. Die plötzliche Wahrnehmung eines Körpers dicht bei mir, die sich anders anfühlte als der Rest; das kaum merkliche Streifen eines Mantelärmels an meinem, und doch etwas Elektrisierendes, das all meine Sinne in Alarmbereitschaft versetzte. Es klingt überzogen und dramatisch, doch schon damals wusste ich, dass ich diesen Menschen, wer auch immer diese Person neben mir war, kennenlernen wollte. Ich blickte auf. Da stand er, groß und breitschultrig, sah mich mit funkelnden Augen an, die Lippen zu einem Lächeln verzogen. »Darf ich dir einen Drink ausgeben?«

Ich nickte. Es kam ganz unmittelbar und intensiv, dieses sprunghafte Interesse an ihm. Doch nur wenige Sekunden später sah ich den Ehering. O nein, vergiss es, dachte ich. Also setzte ich eine kühle Miene auf und wandte mich von ihm ab. »Ich interessiere mich nicht für verheiratete Männer.«

Kurz legte sich ein Schatten der Verwirrung über seine Augen, dann fiel sein Blick auf seine Hand. Er ballte die Finger zu einer Faust, sodass der blassgoldene Ring sich deutlich abzeichnete. »Nein, nein, du verstehst nicht«, sagte er hastig, wobei sich seine Worte im Eifer, sich verständlich zu machen, regelrecht überschlugen. »Ich bin nicht verheiratet. Das heißt, ich bin es schon, ich war es, aber ich bin verwitwet. Meine Frau ist vor Jahren gestorben.«

Ich hielt inne und konnte sie förmlich auf meiner Zungenspitze kribbeln spüren … Worte, von denen ich wusste, dass sie unangebracht waren; aber irgendwas verriet mir, dass er es mir nicht übel nehmen würde. »Tja«, erwiderte ich schließlich, »das ist doch gut.« Und dann brachen wir in stiller Komplizenschaft in Gelächter aus; beide in dem Wissen, dass es derb und respektlos war, halb entsetzt, aber...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2022
Übersetzer Ivana Marinovi?
Sprache deutsch
Original-Titel The Second Wife
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • eBooks • Krimi • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2022 • spannend • Taschenbuch 2022 • Thriller
ISBN-10 3-641-22561-2 / 3641225612
ISBN-13 978-3-641-22561-2 / 9783641225612
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