Schneeblind (eBook)

Thriller - Dark-Iceland-Serie Band 1
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
352 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-28536-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schneeblind -  Ragnar Jónasson
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Winter in einem abgelegenen Fischerdörfchen im Norden von Island. Eine junge Frau liegt blutend und bewusstlos im Schnee. Dann kommt ein alter Schriftsteller durch einen Sturz im Theater ums Leben. Ari, der neue Polizist im Ort, erkennt schnell, dass er erst die Verbrechen der Vergangenheit aufklären muss, um die Fälle der Gegenwart lösen zu können. Doch niemand will ihm helfen - und er kann niemandem trauen ...

»Schneeblind« ist der erste Band der Dark-Iceland-Serie von SPIEGEL-Bestsellerautor Ragnar Jónasson.

Dieses Buch ist erstmals auf Deutsch unter dem Titel »Schneebraut« erschienen.

Ragnar Jónasson, 1976 in Reykjavík geboren, ist Mitglied der britischen Crime Writers' Association und Mitbegründer des »Iceland Noir«, dem Reykjavík International Crime Writing Festival. Seine Bücher, darunter die preisgekrönte »Hulda-Trilogie«, werden in 21 Sprachen in über 30 Ländern veröffentlicht und von Zeitungen wie der »New York Times« und »Washington Post« gefeiert. Er lebt und arbeitet als Schriftsteller und Investmentbanker in der isländischen Hauptstadt und unterrichtet an der Universität außerdem Rechtswissenschaften.

4. Kapitel


Siglufjörður,
November 2008

Ugla saß in der Mansarde.

Das hatte Ágúst immer gesagt, als sie zu Hause bei ihren Eltern in Patreksfjörður zusammen oben in der Mansarde gesessen und auf die Straße hinuntergeschaut hatten.

Sie lächelte beim Gedanken daran. Sie konnte nun wieder lächeln, wenn sie an ihn dachte. Es waren vier Jahre vergangen, seit sie nach Siglufjörður gezogen war – allein.

Und es waren vier Jahre vergangen, seit sie Patreksfjörður das letzte Mal gesehen hatte.

Ihre Eltern besuchten sie regelmäßig, zuletzt Ende Oktober; sie waren zwei Wochen lang bei ihr gewesen.

Sie waren am Morgen nach Westen zurückgefahren.

Und wieder war sie allein.

Sie hatte hier zwar ein paar gute Freundinnen gefunden, aber keine stand ihr besonders nahe. Sie redete nie über die Vergangenheit. In den Augen der anderen war sie einfach eine Zugezogene aus den Westfjorden.

Sie wusste, dass die Jungs im Dorf sich Klatschgeschichten über sie erzählten, die allesamt von Grund auf erlogen waren. Aber das machte nichts. Sie hatte mittlerweile eine harte Schale. Als ob es ihr nicht egal wäre, was irgendwelche Jungs in Siglufjörður sich über sie erzählten? Es gab nur einen Jungen, der ihr irgendetwas bedeutet hatte.

Ágúst.

Der schönste Junge von ganz Patreksfjörður.

Zumindest ihrer Meinung nach.

Sie waren seit ihrem siebten Lebensjahr zusammen – das zumindest hatten sie immer behauptet, nachdem ihre Beziehung im Teenageralter offiziell begonnen hatte. Und das entsprach wohl der Wahrheit, denn sie waren bereits seit der Grundschule unzertrennlich gewesen.

Ugla und Ágúst.

Die Namen waren unwiderruflich miteinander verknüpft.

Zumindest in Patreksfjörður.

Aber nicht hier, in Siglufjörður. Hier wusste keiner etwas davon.

Und so wollte sie es auch haben. Sie fühlte sich ganz wohl in der Rolle des geheimnisvollen Mädchens aus dem Westen. Das Mädchen, über das getratscht wurde. Ja – und dennoch –, es stimmte vielleicht nicht ganz, dass die Klatschgeschichten ihr gar nichts anhaben konnten. Eine Geschichte hatte sie schon verletzt. Irgendwie war das Gerücht aufgekommen, dass sie leicht zu haben sei. Sie verstand nicht, woher das kam.

Sie hatte von den Westfjorden wegziehen wollen – kurz nach der Begebenheit, die alles verändert hatte. Ihre Eltern nahmen das anfangs nicht hin. Sie hatte das Abitur noch nicht gemacht, war im zweitletzten Jahr im Gymnasium in Ísafjörður.

Es gelang ihr, die Prüfungen im Frühjahr noch zu absolvieren, als ihr ein Job in Siglufjörður angeboten wurde. In der Fischindustrie – das war genau die Art von Arbeit, in der sie sich auskannte. Und ihr war gesagt worden, dass vielleicht auch eine Teilzeitstelle im Büro frei werden würde. Das traf dann auch tatsächlich ein. Nun hatte sie ihre Arbeit in der Fischverarbeitung reduziert und jobbte noch halbtags im Büro. Hoffentlich hatte diese verfluchte Krise, die nun mit voller Wucht so richtig zuschlug, keinen Einfluss auf sie – sie brauchte den Job, konnte sich auf keinen Fall vorstellen, wieder zu ihren Eltern nach Patreksfjörður zurückzukehren.

Sie hatte anfangs eine kleine Wohnung im Souterrain gemietet. Dort herrschten eine angenehme Atmosphäre und ein guter Geist. Der Personalleiter hatte sie auf die Wohnung hingewiesen, als Notlösung, bis sie sich entschieden habe, wie lange sie denn in Siglufjörður bleiben wolle.

Sie hatte nicht sofort erkannt, wer der alte Herr war, der ihr die Wohnung gezeigt hatte. Es sah aus, als wenn er schon über achtzig sei, und sie erfuhr erst später, dass er bereits auf die neunzig zuging. Und sie kam natürlich schnell dahinter, dass es sich bei dem alten Herrn, dem alten Hrólfur, um den Schriftsteller Hrólfur Kristjánsson handelte. Sie konnte sich noch sehr gut an sein Buch Nördlich der Heide erinnern, das sie damals in der Schule gelesen hatte. Sie hatte sogar noch vor Augen, wie ihnen aufgetragen wurde, einen Roman aus dem Jahre 1941 zu lesen – zweifelsohne ein schon längst veralteter Roman, irgendwelche unerträgliche Landromantik, wie sie dachte. Doch da hatte sie sich getäuscht. Sie hatte das Buch an einem einzigen Abend verschlungen und bei sich gedacht, dass das Buch genauso gut eine Neuerscheinung hätte sein können, so gut wie es dem Zahn der Zeit standgehalten hatte. Das Buch hatte in der Klasse dennoch kaum für Aufsehen gesorgt, kaum mehr als andere Bücher, die auf der Leseliste standen. Doch es hatte etwas an sich, das Ugla faszinierte – zweifelsohne dasselbe, das auch die Ursache dafür war, dass das Buch in den fünfziger Jahren in rauen Mengen verkauft, es regelrecht verschlungen wurde und sich zudem auch im Ausland gut verkaufte. Der alte Herr musste ein Genie sein und war zu seiner Zeit bestimmt sehr berühmt gewesen.

Und an einem klaren, aber kalten Frühlingstag im Jahre 2004 hatte sie dem Autor persönlich gegenübergestanden. Er hatte ein sympathisches Äußeres, ging leicht gebeugt, war aber in jungen Jahren zweifelsohne groß gewachsen und von stattlicher Statur gewesen. Er verfügte über ein kräftiges Stimmorgan und ein väterliches Auftreten, obwohl er selbst nie Kinder gehabt hatte.

Er wohnte in einem eleganten alten Haus am Hólavegur mit Aussicht über den Fjord. Das Haus war in einem guten Zustand, und an der Seite befand sich eine große Garage, wo sein alter roter Benz stand. Die Souterrainwohnung war, so wie Ugla es verstanden hatte, hin und wieder vermietet worden, entweder an zugezogene Arbeitskräfte oder manchmal auch an Künstler, die in Ruhe und Frieden, von den Bergen eingeschlossen, arbeiten wollten. Hrólfur hatte nicht jeden aufgenommen; er traf sich mit allen möglichen Mietern persönlich, bevor der Vertrag unterzeichnet wurde, und es war schon vorgekommen, dass er Menschen abgelehnt hatte, wenn sie ihm nicht gefielen.

»Du wirst also in der Fischindustrie arbeiten, hast du gesagt?«, hatte er mit warmer und kräftiger, aber etwas heiserer Stimme gefragt, die durch die gesamte Wohnung hallte. Er betrachtete sie mit klugen und wachen Augen; den Augen eines Mannes, der sowohl Freude wie auch Leid erfahren hatte.

»Ja, erst mal für den Anfang«, sagte sie leise, sprach eher den Boden der Wohnung an als ihn selbst.

»Wie bitte? Du musst schon etwas lauter sprechen, mein Kind«, sagte er mit Nachdruck.

Sie hob die Stimme.

»Ja, erst mal für den Anfang.«

»Und wissen deine Eltern denn davon? Du bist so unglaublich jung.«

Er kniff die Augen zusammen und spannte seine Lippen auf eine seltsame Art, als ob er zu lächeln versuchte, ohne aber wirklich zu lächeln.

»Ja, natürlich. Aber ich bestimme dennoch über mich selbst.« Sie sprach deutlicher als zuvor, war entschlossener in ihrem Auftreten.

»Gut. Ich bin zufrieden mit Leuten, die für sich selbst einstehen können. Trinkst du Kaffee?«

»Ja«, log sie. Sie ging davon aus, dass sie sich an Kaffee genauso gut gewöhnen könnte wie an anderes auch.

Er hatte offensichtlich einen guten Eindruck von ihr. Sie zog umgehend in die Souterrainwohnung ein und ließ sich dort nieder – zog erst in eine größere Wohnung um, nachdem eineinhalb Jahre vergangen waren.

Sie hatten sich während dieser Zeit ungefähr einmal in der Woche am Abend zusammengesetzt und Kaffee getrunken. Das war an und für sich keine Pflicht, und sie hatte es auch in keiner Weise als Pflichtübung empfunden. Sie hatte es sehr genossen, mit ihm über vergangene Zeiten zu plaudern, die Heringsjahre, die Kriegsjahre, die Auslandsreisen und Konferenzen, die er als berühmter Autor besucht hatte.

Wenn man so will, hatte er damit seinen Anteil dazu beigetragen, sie aus ihrem Kokon zu befreien. Ihre Augen erneut für das Leben zu öffnen.

Sie sprach mit Hrólfur nur wenig über die Vergangenheit. Und Ágúst erwähnte sie nie. Sie redeten über Literatur und Musik. Sie hatte in jungen Jahren in Patreksfjörður Klavier gespielt. Er erlaubte ihr jedes Mal, wenn sie kam, für ihn zu spielen und schlug dann vor, dass sie versuchen sollte, Schüler anzuwerben, bot ihr den Gebrauch seines Klaviers in seinem Wohnzimmer an. Sie meinte, dass sie sich die Sache überlegen wolle, und eines Tages, als sie mit dem Leben gerade zufrieden war, hatte sie eine kleine Anzeige im Lebensmittelladen aufgehängt; ein DIN-A4-Blatt, auf dem sie vermerkt hatte: »Gebe Klavierstunden. Preis nach Absprache.« Ihre Telefonnummer und ihren Namen schrieb sie unten fünfmal auf das eingeschnittene Blatt, damit ihre Schüler in spe die einzelnen Zettelchen abreißen konnten. Hrólfur war über ihre Initiative äußerst erfreut gewesen – es hatte sich bis jetzt aber noch niemand gemeldet.

Sie sprachen aber nicht nur über Musik, denn es war ihr herausgerutscht, dass sie sich in Patreksfjörður und später im Gymnasium in Ísafjörður auch für das Theaterspielen interessiert hatte und bei der Aufführung eines Laientheaters mitgespielt hatte. Es war an einem Juniabend, als dieses Thema zur Sprache kam. Hrólfur und sie saßen beim Fenster, tranken Kaffee und aßen Schmalzgebäck. Der Fjord war spiegelglatt und das Dorf hell erleuchtet, obwohl die Sonne bereits hinter den Bergen verschwunden war und ihre Strahlen sich lediglich an den Bergspitzen östlich des Fjords widerspiegelten.

Da erzählte er ihr, dass er der Präsident des Theatervereins von Siglufjörður sei. Es sei gewiss ein kleiner Verein, und es würden nur wenige Stücke aufgeführt, meist nur eines im Jahr –...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2022
Reihe/Serie Dark-Iceland-Reihe
Sprache deutsch
Original-Titel Snjóblinda
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • Ari Thor Arason • eBooks • Ermittlung • Hulda-Trilogie • junger Kommissar • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Mordfall • Neuerscheinung • Nordisland • Siglufjördur • Thriller
ISBN-10 3-641-28536-4 / 3641285364
ISBN-13 978-3-641-28536-4 / 9783641285364
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