Adlon (eBook)

Ein Hotel, sechs Generationen - Die Geschichte meiner Familie
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
288 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-27080-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Adlon -  Felix Adlon,  Kerstin Kropac
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Adlon - der Mythos lebt

Felix Adlon kann kein Hotel betreten, ohne dass er vom Hoteldirektor höchstpersönlich empfangen wird. Kein Wunder, denn das legendäre Grand Hotel Adlon direkt am Brandenburger Tor in Berlin kennt jeder. Im Familienbesitz ist das Hotel zwar schon lange nicht mehr, trotzdem ist Felix Adlon mit dem Mythos um das Hotel groß geworden, das sein Ururgroßvater Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet hat. Jetzt geht er den Geheimnissen seiner Familie auf den Grund - und erzählt ganz nebenbei noch ein Stück deutsche Geschichte: vom Ende der Kaiserzeit bis zum Mauerfall und danach.

Felix Adlon, geboren 1967 in München, ist der Ururenkel von Lorenz Adlon, der vor mehr als hundert Jahren in Berlin das berühmte Hotel Adlon gründete. Er wuchs in Bayern auf, studierte in den USA und wurde wie sein Vater Percy Filmregisseur. 2010 drehten sie zusammen das Kinodrama »Mahler auf der Couch«. Heute ist Felix Adlon mit Nina Adlon, Opernsängerin und Gesangspädagogin, verheiratet, hat sechs Kinder und lebt in Wien.

Der Familienbrunnen


Unsere Frauen sind unsere Göttinnen. Ohne sie geht gar nichts. Sie bewegen unsere Welt. Das zieht sich durch unsere gesamte Familienchronik. Meine Frau, meine Mutter, meine Großmutter, meine Urgroßmutter und meine Stiefurgroßmutter, Hedda, die Ehebrecherin, »das Miststück«. Alle haben, jede auf ihre ganz besondere Weise, unser Leben geprägt. Für mich beginnt die Geschichte des Hotel Adlon nicht mit Lorenz, sondern mit seiner Mutter, Anna Maria Elisabetha Schallot.

Sie wurde 1818 in Mainz geboren und war – wie Familienbücher zeigen – eine recht gute Partie, zumindest für einen mittellosen Mainzer Flickschuster. Anna Maria war nämlich einigermaßen wohlhabend. Sie gehörte zwar nicht dem Adel an und entstammte auch nicht einer reichen Kaufmannsfamilie – dennoch hatte ihre Familie immerhin so viel Geld verdient, dass ihr Vater sich als Privatier in die Mainzer Stadtbücher eintragen lassen konnte, was bedeutete, dass er nicht arbeiten musste, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Herr Schallot konnte von seinen Rücklagen leben! Und das kam in einer Zeit, in der viele Menschen in Armut lebten und nicht wussten, wie sie ihre Familien ernähren sollten, eher selten vor. Dementsprechend brachte Anna Maria nicht nur – wie es zu Beginn des 19 . Jahrhunderts üblich war – eine Mitgift in Form einer Haushaltsgrundausstattung mit in ihre Ehe mit Jacob Adlon, sondern etwas viel Wichtigeres: Das Selbstverständnis, dass man es auch als einfacher Mensch mit Disziplin und Fleiß zu einem gewissen Wohlstand bringen konnte. Mein Ururgroßvater Lorenz hat in späteren Jahren gern erzählt, dass ihn vor allem der Ehrgeiz und der Aufstiegswille seiner Mutter geprägt haben – neben seinen französischen und Mainzer Wurzeln, die ebenfalls eine entscheidende Rolle in seiner Lebensgeschichte spielen.

Deshalb springen wir nun noch weitere zweihundert Jahre zurück. Um nämlich meine Familienhistorie und vor allem Lorenz’ ausgeprägte Vorliebe für alles Französische besser verstehen zu können, müssen wir noch ein bisschen tiefer in unseren Familienbrunnen steigen. Bis zu unseren französischen Ahnen. Denn es halten sich die Gerüchte, dass die Adlons – oder Adelons, wie sie damals noch hießen – als Hugenotten aus Frankreich nach Mainz gekommen waren. Wobei man in dem Fall eher von einer Flucht als von einem normalen Umzug sprechen müsste.

Die protestantischen Franzosen waren in ihrem Heimatland über viele Jahrzehnte Unterdrückung und Verfolgung ausgesetzt. Ihre ohnehin schon schwierige Situation verschlimmerte sich noch einmal, als 1661 der überzeugte Katholik Ludwig XIV. an die Macht kam. Der Sonnenkönig hatte sich fest vorgenommen, die verhassten Protestanten zum Übertritt in die katholische Kirche zu zwingen. Deshalb erließ er eine ganze Flut von Gesetzen: So durften viele Hugenotten ihre Berufe nicht mehr ausüben, und man verweigerte ihnen, ihre Angehörigen würdig zu bestatten. Im Jahr 1685 folgte sogar ein Totalverbot des reformierten Protestantismus. Ab diesem Zeitpunkt waren protestantische Gottesdienste verboten, die Kirchen sollten zerstört und alle Gläubigen zwangskatholisiert werden. Spätestens jetzt setzten sich – trotz Fluchtverbots! – Tausende Hugenotten in Bewegung, um ihr Land zu verlassen. Meine Großmutter Susanne hat sich immer wieder darüber amüsiert, dass die protestantischen Adlons in Mainz sofort katholisch wurden. Warum es meine Vorfahren damals ausgerechnet ins katholisch geprägte Mainz verschlug, das wusste sie nicht. Ich hätte erwartet, dass man nach dieser Vorgeschichte von den Katholiken erst einmal genug hätte.

Jedenfalls fassten die Adelons als Handwerker in Mainz schnell Fuß. Nur eins nervte meine französischen Ahnen – ihr Nachname! Die Adelons, französisch Adlo ausgesprochen, mit stummem »e« und nasalem »o«, waren erschüttert darüber, was die Mainzer aus ihrem Namen machten. Die sagten nämlich immer Adelonn. In der Geburtseintragung von Lorenz’ Großvater Valentin vom 26. September 1791 ist das verhasste »e« mit einem robusten Querstrich eliminiert! Aus Adelon wurde Adlon.

Ein Jahr nach der Namensänderung, im Oktober 1792, wurde Mainz von französischen Truppen belagert, die kurz darauf in die Stadt einzogen. Nach mehreren kriegerischen Auseinandersetzungen wurde Mayence schließlich 1797 an Frankreich angeschlossen – und man sprach wieder Französisch in der Stadt. Wie es so geht – die Adlons hätten nur ein bisschen Geduld haben müssen, und die Schmach hätte sich von selbst verdrückt. Meine Großmutter fand es sehr lustig, sich das ADELON auf dem Dach unseres Hotels vorzustellen. Allerdings bedeutete die französische Übernahme gleichzeitig auch das Ende des tausend Jahre alten Mainzer Kurfürstentums und damit auch den Abzug des gesamten Adels. Dadurch wurden auf einen Schlag viele Mainzer arbeitslos und mussten in den Folgemonaten mit Hungersnot und Armut kämpfen. Es waren unruhige Zeiten.

Im November 1799 übernahm Napoleon mit einem Staatsstreich die Macht in Frankreich – und gerade für Mainz hatte er große Pläne! Sein Mayence sollte eine repräsentative Metropole, ein Boulevard l’Empire werden. Außerdem sollte die Stadt wichtige militärische Funktionen übernehmen und später sogar als Kaiserresidenz dienen. In einem Dekret von 1802 führte er Mayence als eine der bedeutendsten Städte Frankreichs auf. Doch nach Jahren militärischer Erfolge, durch die Napoleon weite Teile Europas erobert hatte, scheiterte 1812 dessen Russlandfeldzug. Als seine Truppen in der Völkerschlacht von Leipzig 1813 geschlagen wurden, flohen die Soldaten über den Rhein und legten in Mainz eine Rast ein. Dort hatten sie sich zwar kurzfristig vor ihren Verfolgern in Sicherheit gebracht, doch leider brachten die Soldaten das Fleckfieber in die Stadt – eine bakterielle Infektionskrankheit, die meist von Kleiderläusen übertragen wird und sich vor allem unter hygienisch schlechten Umständen ausbreitet. Die Bakterien hatten beste Bedingungen! Die Krankheit breitete sich rasend schnell aus. Fast jeder zweite Infizierte starb. Mindestens siebzehntausend Soldaten und zweitausendfünfhundert Mainzer und Mainzerinnen sollen der Seuche zum Opfer gefallen sein. Das entsprach etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Eine Katastrophe! Angeblich bezeichnen die Franzosen das Fleckfieber noch heute als Typhus de Mayence. Damals gab es noch keine effektiven Behandlungsmöglichkeiten. Die Lazarette waren voll, in den Straßen lagen tote Soldaten. Die Totengräber mussten die teilweise gefrorenen Leichen aus der Stadt tragen und vor den Toren aufstapeln. Und die Situation wurde für die Mainzer Bevölkerung nicht besser. Anfang 1814 wurde die Stadt erst von russischen und dann zusätzlich auch noch von deutschen Soldaten belagert, wodurch in der Bevölkerung allmählich die Nahrung knapp wurde. Etwa drei Monate verteidigten die geschwächten Franzosen ihr Mayence, dann zogen sie endlich ab. Mainz wurde dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt zugeordnet und zur Hauptstadt der neu geschaffenen Provinz Rheinhessen.

In dieser Zeit wurden Jacob Adlon und Anna Maria Schallot geboren. Auch ihre Kindheit war von Hungersnöten geprägt – diesmal trugen allerdings überwiegend Missernten die Schuld daran. Die schlechten Zustände verschärften die ohnehin vorhandenen Spannungen zwischen Bevölkerung und Obrigkeit, die vermutlich nur deshalb nicht eskalierten, weil noch immer so viele Soldaten in Mainz stationiert waren. Von der aufkommenden Rheinromantik, die Schriftsteller wie Friedrich Schlegel und Heinrich Heine, den Maler William Turner und die Komponisten Franz Liszt und Richard Wagner so sehr in ihren Bann schlug, dürften die beiden nicht allzu viel mitbekommen haben. Außer, dass plötzlich deutlich mehr Dampfer mit Schaulustigen auf dem Rhein unterwegs waren und an der Rheinstraße imposante Hotels entstanden. Aber das muss den jungen Leuten wie eine Parallelwelt vorgekommen sein. Während die Rheinromantiker von der unberührten Natur und dem einfachen Leben schwärmten, waren Jacob und Anna Maria – die bald auch zum ersten Mal Eltern wurden – vermutlich vor allem mit ihren Alltagssorgen beschäftigt. Das war eine Zeit, in der es für die meisten Bürger kaum Zugang zu sauberem Wasser gab, Antibiotika waren noch nicht erfunden, und mit Exkrementen gefüllte Eimer wurden oft einfach an den Straßenrand gestellt – in der Hoffnung, dass ein Bauer sie als Dünger für seine Felder mitnahm.

1846/47 kam es erneut zu einer fast europaweiten Hungersnot. Es grassierte eine Kartoffelfäule, die einen Großteil der Kartoffelernte zerstörte. Was übrig blieb, war für einen normalen Handwerker unbezahlbar. Dazu kamen noch außergewöhnlich harte Winter und trockene Sommer, die zu weiteren Ernteausfällen führten. Dadurch wurden Lebensmittel so teuer, dass sich die armen Leute teilweise von Viehfutter und Unkraut ernähren mussten. Deutschlandweit gab es Aufstände – nun auch in Mainz. Allerdings wurden diese vom Militär schnell niedergeschlagen. Weil Mainz eine Festungsstadt war, machte der Anteil der Soldaten zwischenzeitlich bis zu zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Aber auch wenn vordergründig wieder Ruhe einkehrte − die Stimmung blieb explosiv.

Laurenz wird geboren


Mitten in diese Unruhen brachte Anna Maria Adlon ihren Laurenz zur Welt – Lorenz wurde er ja erst später – am Dienstag, den 29 . Mai 1849, früh am Morgen um vier Uhr. Noch am selben Nachmittag erschien der zweiunddreißigjährige Jacob Adlon...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2021
Zusatzinfo m. Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 1920er Jahre • Berlin • Biografie • Biographien • Deutsche Geschichte • eBooks • Familienbiographie • Familiendynastie • Familiengeschichte • Familiensaga • Familienunternehmen • Glamour • Grand Hotel • Hotelier • Hotel Sacher • Kempinski • Louis Adlon • Unternehmensgründung • Weimarer Republik
ISBN-10 3-641-27080-4 / 3641270804
ISBN-13 978-3-641-27080-3 / 9783641270803
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