Dan Frey ist Drehbuchautor und Schriftsteller. Er lebt in Los Angeles.
EINS
Von: Ben Boyce
An: Ben Boyce, Adhvan Chaudry
Leute,
ES FUNKTIONIERT! Ernsthaft. Ihr habt es geschafft.
Das ist total verrückt – ich schicke euch diese Mail am 28. Februar 2023 und weiß, dass ich sie am 28. Februar 2022 empfangen werde (bereits empfangen HABE). Ziemlich schräg, was?
Also hör zu, Früherer Ben … Erst mal High five! Es war ganz richtig, dass du die ganze Zeit daran geglaubt hast – an dich selbst, an Adhi, an alles. Dein Traum, zum ersten schwarzen Firmenchef zu werden, der ein Milliarden-Dollar-Unternehmen gründet, wird in Erfüllung gehen … und das kann ich mit Sicherheit sagen, denn mir ist es BEREITS PASSIERT.
Und Adhi, Bro. Du bist das Genie, das es möglich macht. Ich hab immer gesagt, dass du irgendwann die Welt verändern wirst, und ich hatte recht. Das ist doch Wahnsinn – du sitzt mir gegenüber, während ich das hier schreibe, aber ich erinnere mich noch genau an dein Gesicht an dem Tag damals, als du es gelesen hast. Mach den Mund wieder zu und lies weiter.
Ich weiß, dass ihr gleich ausflippen und den Prototyp einsetzen werdet, um alles Mögliche nachzuschauen, aber ich kann euch schon jetzt ein paar Tipps geben.
1.Für Stanford läuft es in dieser Saison gar nicht gut, also hört sofort mit diesem Quatsch auf und erspart euch den Ärger.
2.Was Börsentipps betrifft, ja, natürlich, ihr KÖNNTET heute in ein paar idiotensichere Investitionen einsteigen. Aber ich verspreche euch, dass ihr besser fahren werdet, wenn ihr eure Zeit nicht mit so einem Scheiß vertrödelt, denn hauptsächlich solltet ihr jetzt in EUCH SELBST investieren.
Ich möchte diesen Moment dazu nutzen, einfach nur zu sagen: Alles wird gut. Der Prototyp funktioniert (offensichtlich). Und was auch immer passieren mag, rastet nicht aus. Nicht wegen Geld oder Respekt oder Prestige oder sonst was. Lasst den Korken knallen, und gönnt euch den besten verdammten Champagner eures Lebens – eine schöne Erinnerung für mich. Und von nun an: Vertraut dem Lauf der Dinge, genießt die Fahrt und haltet unbedingt zusammen.
Mit zutiefst freundschaftlichen Grüßen
Ben aus der Zukunft
Auszug aus dem Protokoll der Kongressanhörung vom 1. Dezember 2022
SEN. GREG WALDEN (D-OR): Die Sitzung der Senatsausschüsse für Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie ist eröffnet. Wir begrüßen alle Anwesenden zur heutigen Anhörung über das neue Wirtschaftsunternehmen namens »The Future« und die eventuellen rechtlichen, ethischen und politischen Auswirkungen dieser Technologie.
Eine solche Anhörung mag zwar nicht beispiellos sein, ist aber dennoch eine außergewöhnliche Gelegenheit, die gravierenden gesellschaftlichen Konsequenzen einer neuen Konsumtechnologie vorherzusehen und anzusprechen. Dieses gesetzgebende Gremium ist dafür bekannt, Innovationen mit großem Abstand hinterherzulaufen, wie sich bei einer früheren Anhörung zu sozialen Medien und Problemen mit dem Datenschutz gezeigt hat. Diesmal besteht die Hoffnung, dass wir der Zeit voraus sein könnten – insbesondere im Hinblick auf den jüngsten Whistleblower-Fall, der darauf hinzudeuten scheint, dass diese Technologie eine existenzielle Gefahr für unser Land und unser Volk darstellt.
BOYCE: Senator Walden, ich erhebe Einspruch gegen die Charakterisierung als …
SEN. GREG WALDEN (D-OR): Sie wurden noch nicht aufgefordert, sich zu äußern, Mr. Boyce. Ungeachtet Ihrer Einwände liegen uns Daten aus Ihrem eigenen Unternehmen vor, die zahlreiche angesehene Wissenschaftler dahingehend interpretieren, dass wir uns auf einem Kurs befinden, der zur Auslöschung der Zivilisation, wie wir sie kennen, führen wird, und zwar innerhalb eines Zeitrahmens von weniger als zwei Jahren. Wenn das keine existenzielle Gefahr …
BOYCE: Ich halte es einfach nur für verantwortungslos, es so zu bezeichnen, ohne dass alle Faktoren angemessen berücksichtigt wurden.
SEN. GREG WALDEN (D-OR): Belehren Sie mich nicht über Verantwortungslosigkeit, Mr. Boyce. Und wenn Sie sich nicht an die parlamentarischen Anstandsregeln halten, wird man Sie wegen Missachtung belangen. Haben Sie verstanden?
BOYCE: … verstanden.
SEN. GREG WALDEN (D-OR): Gut. Also, die Mitglieder dieses Gremiums haben zwei Zeugen einberufen, die Gründer des Unternehmens namens The Future: Mr. Benjamin Boyce und Mr. Adhvan Chaudry. Doch ich gebe zu Protokoll, dass zu dem Termin der Anhörung nur Mr. Boyce vor dem Gremium erschienen ist. Mr. Boyce, können Sie die Abwesenheit Ihres Kollegen erklären?
BOYCE: Nein, das kann ich nicht. Und ich mache mir Sorgen. Wenn Adhi nicht hier ist, scheint offensichtlich etwas nicht zu stimmen, und es wäre das Beste, wenn wir die Angelegenheit vorläufig vertagen.
SEN. GREG WALDEN (D-OR): Diese Sitzung wird nicht nach Ihrem Gutdünken abgehalten. Sie folgen einer Zeugenvorladung vor vierundvierzig Mitgliedern des Kongresses. Da einer von Ihnen nicht erschienen ist, wird ein Haftbefehl gegen Mr. Chaudry ausgestellt, den man wegen der Missachtung des Kongresses anklagen wird. Sind Sie bereit, mit der Anhörung fortzufahren, um ähnliche Maßnahmen zu vermeiden?
BOYCE: Ja, Sir. Ich möchte nur, dass meine Bitte um Aufschiebung protokolliert wird.
SEN. GREG WALDEN (D-OR): Gebührend zur Kenntnis genommen, und wir alle hoffen, dass Ihr Mitgründer zu irgendeinem Zeitpunkt des heutigen Tages geruhen wird, doch noch hier zu erscheinen. Jedenfalls hat er sich seinen Ruf der intellektuellen Selbstüberschätzung erneut verdient.
BOYCE: Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es eigentlich keine Selbstüberschätzung ist, wenn er sich diesen Ruf verdient hat, nicht wahr? Nichts für ungut, aber … Adhi ist klüger als alle hier in diesem Raum.
SEN. GREG WALDEN (D-OR): Das mag durchaus der Fall sein, Mr. Boyce. Aber dieses Gremium ist zusammengekommen, weil arglose Leute, die angeblich »klüger« sind, uns in der Vergangenheit einige Schwierigkeiten bereitet haben. Zweifellos sind die Datenwissenschaftler von Cambridge Analytica ausgesprochen stolz auf ihre Intelligenz gewesen, ebenso wie die Eugeniker vor einem Jahrhundert.
BOYCE: Ich bitte Sie, ist das wirklich ein fairer Vergleich?
SEN. GREG WALDEN (D-OR): Wir haben es hier mit einer Technologie zu tun, die anscheinend das Potenzial hat, die Welt, wie wir sie kennen, auszulöschen. Also verzeihen Sie mir, wenn mein Vergleich verletzend klingt, aber es ist dennoch angebracht, darüber zu diskutieren, auf welche Weise Mr. Chaudrys Intelligenz in der Vergangenheit mehrfach zu Problemen geführt hat.
Adhvan Chaudrys College-Zulassungsarbeit
Eingereicht am 12. Januar 2013, Stanford University
Bildung ist Blödsinn.
Ich weiß, dass es unklug sein dürfte, so etwas ausgerechnet in dieser Umgebung zu äußern, doch ich hoffe, dass Stanford Ehrlichkeit und Stringenz zu schätzen weiß. Gestatten Sie mir zu erklären, wie ich zu dieser speziellen Schlussfolgerung gelangt bin.
Meine Eltern kamen kurz nach meiner Geburt in dieses Land. Sie wollten dem indischen Kastensystem entfliehen. Im Jahr 1950 wurde es offiziell abgeschafft, doch vor zwanzig Jahren war es in praktischer Hinsicht immer noch fest etabliert. Da meine Eltern Shudras (arme Arbeiter) waren, hatten sie nie die Chance, Rajanyas (reiche Händler) zu werden. Aber sie glaubten, in Amerika kämen sie dazu in die Lage.
Als sie in San Francisco eintrafen, gaben sie sich alle Mühe. Doch zu ihrer Enttäuschung stellten sie fest, dass ein Aufstieg in dieser Welt genauso unmöglich ist. Nicht nur das, sie erkannten auch, dass das indische System doch einige Vorzüge hat – denn keinem Shudra wird jemals vermittelt, er sollte das Gefühl haben, an seiner Armut schuld zu sein. Es ist sein Lebensschicksal. Doch in Amerika wird Armut mit Versagen gleichgesetzt. Sie ist ein Grund für tiefe und beständige Scham.
Also setzten sie ihre Hoffnung in mich. Sie opferten sich auf und arbeiteten viele Stunden. Sie verinnerlichten den Wert harter Arbeit und bauten darauf, dass ich auf ein gutes College gehen und mir einen besseren Job verdienen würde, als es ihnen jemals möglich war. In der Bildung sahen sie einen Ausweg.
Doch nach meinen bisherigen Erfahrungen in der akademischen Welt habe ich gesehen, dass das alles nur Fassade ist. Ein abgekartetes Spiel. Ein System aus Schall und Rauch, um die Spreu vom Weizen zu trennen, um ein oligarchisches System aufrechtzuerhalten, das eine Generation nach der anderen mit Privilegien belohnt, genauso wie im Kastensystem. An der »renommierten« Privatschule, die ich besuche (mit einem akademischen Vollstipendium), stammt die überwiegende Mehrheit meiner Studienkollegen aus reichen Familien. Und unter meinen Kommilitonen grassiert Schummelei. Die meisten Eltern sind mitschuldig an einem System, das zwar perfekte Zensuren, Testnoten und ordentliche Tätigkeitsbescheinigungen honoriert … sich aber einen Dreck um Redlichkeit schert.
Wir werden ermahnt, »zu jeder Zeit« Gelehrte und Gentlemen zu sein, und Studenten wird wegen ihres Benehmens am Wochenende der Rauswurf angedroht. Doch als der Sohn unseres Schuldirektors (einer meiner Klassenkameraden) bei einem Basketballspiel an der Schule so betrunken war, dass er auf dem Platz stolperte und sich auf die Freiwurflinie erbrach, wurde...
Erscheint lt. Verlag | 10.1.2022 |
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Übersetzer | Bernhard Kempen |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Future is Yours |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | 2022 • diezukunft.de • dystopie fantasy • eBooks • Internet / Informationstechnologien • Near future • Neuerscheinung • Quantencomputer • Silicon Valley • Singularität • Start-up • Zeitreisen • Zeitreiseroman |
ISBN-10 | 3-641-27267-X / 364127267X |
ISBN-13 | 978-3-641-27267-8 / 9783641272678 |
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